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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Christus, der Herr (Teil 8)

11. Juni 1989

Jesus, der Herr

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der ganzen heiligen Messe sprechen wir von Jesus als dem Herrn. Immer wieder richtet der Priester an die Gläubigen den Zuruf: „Der Herr sei mit euch!“ Dominus vobiscum. Und zahllose Male sprechen wir Jesus als den Herrn an, zum letzten Mal bei der heiligen Kommunion: „Herr, ich bin nicht würdig.“ Im Gloria preisen wir ihn: „Du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus!“

Wie kommt es zu der Bezeichnung 'Jesus ist der Herr'? Und was besagt diese Bezeichnung 'Jesus ist der Herr'? Darüber wollen wir uns heute Gedanken machen. Es ist ja nicht selbstverständlich, daß man diesen Ausdruck gewählt hat, um Jesus zu bezeichnen 'Herr'. Im Evangelium haben wir soeben gehört, wie Petrus zu ihm sagt: „Herr, geh weg von mir!“ Kurz vorher hat er ihn anders angesprochen. Da sagte er „Meister“. Das ist die Übersetzung des aramäischen Wortes 'Rabbi'. Rabbi – Gesetzeslehrer, Meister. Aber jetzt, nach dem reichen Fischfang, spricht er zu ihm „Herr“. Warum dieser Wechsel?

Die erste Frage lautet: Woher kommt die Bezeichnung Herr? Sie stammt schon aus der Jerusalemer Urgemeinde. Also schon die Menschen, die mit Jesus zu seinen Lebzeiten umgegangen sind, haben ihn als den Herrn bezeichnet. Im Johannesevangelium sagt Jesus zu den Jüngern: „Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr tut recht so.“ Also schon die Jünger Jesu haben ihn als den Meister und Herrn bezeichnet. Sie haben den Gebetsruf verfaßt, der uns in aramäischer Sprache noch heute im Evangelium aufbewahrt ist: Marana tha. Das ist nicht griechisch, wie das ganze sonstige Neue Testament geschrieben ist. Das ist aramäisch. „Marana tha“ heißt „Unser Herr komm“. Das ist ein Gebetsruf, der sich an Jesus richtet. Er ist es, der mit „Unser Herr“ angesprochen wird. Wie kamen die Jünger dazu, Jesus als den Herrn anzusprechen? Das bedeutet nicht dasselbe wie im profanen Sprachgebrauch. Da sagt man „Das ist der Herr dieser Schafe“, oder „Das ist der Herr dieser Knechte“. Das ist damit nicht gemeint, sondern wenn die Jünger Jesus als den „Herrn“ bezeichnen, dann meinen sie damit ein göttliches Wesen. In dem Alten Testament ist der Gottesname Jahwe – „Der da ist“. „Ich bin der da ist“, auch ein hebräisches Wort. Und dieses hebräische Wort wird in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, der sogenannten Septuaginta, mit Kyrios wiedergegeben. Kyrios aber heißt „Herr“. „Herr“ ist also Gottesname. Und wenn Jesus diesen Namen „Herr“ erhält aus dem Munde seiner Jünger, dann deswegen, weil sie in ihm den gottgleichen Sohn verehrt, erkannt, angebetet haben.

Wie kamen die Jünger dazu, diesen Menschen Jesus, dessen Mutter Maria hieß, dessen Pflegevater Josef war, der bis zu seinem 30. Lebensjahr körperlich gearbeitet hat, wie kamen sie dazu, diesem Jesus von Nazareth den Würdenamen „Herr“, der nur Gott zukommt, zu geben? Sie kamen dazu aus den Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht hatten. Was für Erfahrungen waren das? Jesus forderte seine Jünger in unbedingter Weise auf, ihm nachzufolgen. Da darf man nichts aufschieben, da darf man nichts vorgeben. Wenn er ruft, dann muß man folgen. So taten es seine Jünger. Sie verließen die Angehörigen und die Netze und die Schiffe, soweit sie Fischer waren, und folgten ihm nach. Sie waren Zeugen seiner großen Machttaten. Sie haben seine Wunder erlebt, und da kam ihnen der Gedanke: Was ist denn das für einer, daß ihm sogar der Wind und das Meer gehorchen? Das ist doch nicht menschlich! Das kann doch nur übermenschlich sein! Und als er gar sagte: „Deine Sünden sind dir vergeben,“ da wurde ihnen klar: Entweder ist das ein Verrückter, oder es ist ihr Gott selbst gegenwärtig geworden, denn nur Gott kann sagen: Deine Sünden sind dir vergeben. Aus diesen Erfahrungen schon im irdischen Leben haben die Jünger erkannt, daß Jesus nicht nur der Christus, der Messias, sei, wie wir an den vergangenen Sonntagen erkannt haben, sondern daß er auch der Herr, daß er derjenige ist, dem dieser Name zusteht, den das Alte Testament sechstausend Mal, an sechstausend Stellen Gott selber gibt.

Dazu kam natürlich die Erfahrung der Auferstehung. Die Auferstehung war ein Ereignis, das die Jünger völlig außer Rand und Band geraten ließ, denn das war eine aufwühlende Machttat Gottes, die Auferweckung des geschundenen, des geschlagenen, des zerrissenen Jesus, seine Erhöhung in die himmlische Herrlichkeit. Ein solches Ereignis war unerhört und nur mit dem absoluten Ja Gottes zu seinem Sohne zu erklären. Und im Himmel war er ja nicht untätig. Aus dem Himmel hat er seinen Heiligen Geist gesandt. Das gewaltige Wunder von Pfingsten hat sich ereignet. Derjenige, der so erhöht worden ist, derjenige, der die Verfügungsmacht über den Heiligen Geist hat, das kann nur Gott selber sein. Und so haben schon die Urchristen den wunderbaren Hymnus verfaßt, den uns Paulus im Philipperbrief aufbewahrt hat: „Er, der in Gottesgestalt war, hat nicht geglaubt, das Gott-gleich-Sein wie ein Beutestück festhalten zu sollen. Nein, er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und im Äußeren als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.“ Und jetzt kommt es: „Darum hat ihn Gott auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist.“ Der über allen Namen ist, hört es wohl! „Auf daß im Namen Jesu sich beuge jedes Knie derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und daß eine jede Zunge bekenne zur Ehre Gottes des Vaters: Jesus Christus ist der Herr!“ Da haben wir es, dieses Bekenntnis: Jesus Christus ist der Herr. Das heißt, er ist Gott gleich. Er ist Gott wie jener Gott ist, für den der alttestamentliche Gottesname gebraucht wird; so ist es auch Jesus.

So ist also die Bezeichnung „Jesus ist der Herr“ entstanden. Die Erfahrungen, welche die Jünger mit Jesus machten, haben sie veranlaßt, sie mit dem Bekenntnis „Jesus ist der Herr“ wiederzugeben.

Was bedeutet nun der Inhalt dieses Namens „der Herr“? „Herr“ ist schon in der profanen Sprache soviel wie „Gebieter“. Jemand, der andere unter sich hat, ist ein Herr. Erst recht gilt das natürlich für den göttlichen Herrn. „Herr“, auf Jesus angewandt, bedeutet, daß er der Gebieter Himmels und der Erde ist, daß alle Wesen, alle Geschöpfe ihm unterworfen sind und daß er, wie Gott selbst, ja als Gott über die Wirklichkeit gebietet. In diesem Sinne schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Epheser: „Dort thront er nun“ – nämlich in der Herrlichkeit des Vaters –, „dort thront er nun hoch über aller Herrschaft, Gewalt, Macht und Kraft und über jedem Namen, der in dieser und der künftigen Welt genannt wird. Alles hat er unter seine Füße gelegt.“

„Jesus ist der Herr“ bedeutet: Er ist der mächtigste von allen, er ist über allen Mächten, er verfügt über alle, es kommt ihm keiner gleich. Das bedeutet zweitens: Er tritt nicht in Konkurrenz mit anderen Herren. Andere Herren können sich vor ihm verstecken, ja die kann man vergessen. Es ist nur einer absolut der Herr, und das ist Christus. Diese Abweisung anderer Herren wird vom Apostel Paulus im Ersten Korintherbrief mit aller Schärfe vorgenommen: „Wenn es auch sogenannte Götter geben mag“ – sogenannte Götter! –, „sei es im Himmel oder auf der Erde“ – nämlich bei den Heiden –, „so haben wir doch nur einen Gott und Vater, von dem alles kommt und für den wir da sind, und einen Herrn, einen Herrn Jesus Christus, durch den alles ward und durch den wir sind.“

Es gibt nur einen Herrn, Jesus Christus, wie wir es im Gloria bekennen: „Du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus!“ Das wurde geschrieben, meine lieben Freunde, als die Heiden ihre Kaiser vergotteten. Dem Kaiser wurde ja göttliche Verehrung erwiesen, und zwar hieß einer dieser Kaiser damals Nero. Nero hat besonderen Wert darauf gelegt, vergottet zu werden, und wir haben Inschriften, die aus der damaligen Zeit stammen, die uns aufbewahrt sind, Inschriften, die von Nero sagen: Kyrios tou sympantos kosmou – Herr des ganzen Weltalls. So hat sich Nero anreden lassen. Und gegenüber diesem falschen Kult des Kaisers – „Herr der ganzen Welt“ – sagt nun die junge Kirche: Nein, das ist nicht der wahre Herr. Der wahre Herr ist Jesus Christus, und er allein. Da war der Konflikt natürlich schon vorprogrammiert, denn jetzt mußten die beiden Überzeugungen zusammenstoßen. Da der Kaiser als Herr – da Christus als der einzige Herr, und so ist die Kirche in die Verfolgungen hineingegangen.

Das dritte, was diese Bezeichnung „Herr“ bedeutet, ist, daß man ihn anrufen kann, daß man zu ihm beten kann. Und das hat die junge Kirche getan. Die Christen werden bezeichnet, an mehreren Stellen des Neuen Testamentes, als diejenigen, die den Herrn Jesus Christus anrufen. So kann man die Christen bezeichnen. Es sind diejenigen, die den Herrn Jesus Christus anrufen, natürlich anrufen als Gott und Heiland, als Helfer und Retter. Die Christen sind diejenigen, die den Herrn Jesus anrufen. Zu ihm kann man beten, auch persönlich beten, nicht nur im Kult, im Gottesdienst, nein, auch im stillen Kämmerlein. Und das hat Paulus getan; er hat zu Jesus gebetet.

Wie weit entfernt von dem wahren Glauben, der sich im Neuen Testament ausdrückt, wie weit entfernt, meine lieben Freunde, ist jener protestantische Theologieprofessor, der gesagt hat: „Zu Jesus beten? Ebensogut könnte ich auch zu meiner Großmutter beten.“ Das ist ein authentisches Wort eines evangelischen Theologieprofessors.

Jawohl, wir beten zu Jesus, weil er der Herr ist. Im neutestamentlichen Schrifttum kommt dieser Titel, dieser Würdename „Herr“ viele Male vor. Im Lukasevangelium allein 103 mal, in den Johannesschriften 43 mal, bei Paulus 247 mal. Jesus ist der Herr, weil er der gottgleiche Sohn des Vaters im Himmel ist. Zu ihm können wir rufen, ihn können wir anflehen. Wir wissen: Das ist der von Gott gesetzte Richter der Lebenden und Toten. Das ist der Gebieter über Zeit und Ewigkeit. Ja, wie sagt die Apokalypse, das letzte Buch des Neuen Testamentes: „Er ist der Herr der Herren und der König der Könige.“ Wenn man andere als Herren bezeichnet und wenn man andere als Könige ausgibt, er ist deren Herr und deren König! Er ist über allem, denn Gott hat ihn zum König aller Dinge, aller Menschen, aller Zeiten eingesetzt.

Freudig, meine lieben Freunde, freudig wollen wir immer wieder in der heiligen Messe beten: „Herr Jesus, du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste in der Herrlichkeit Gottes des Vaters!“

Amen.

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