Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. April 2018

Der gute Hirt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der heutige Sonntag heißt der Gute-Hirten-Sonntag, weil das Evangelium von Jesus, dem guten Hirten, verlesen wird. Aber ich mache darauf aufmerksam, dass nur ein Teil der großen Predigt Jesu über das Hirtendasein zur Verlesung kommt. Die Rede ist weit umfangreicher, als im Evangelium von heute ausgesagt wird. Das Bild vom Hirten und von den Schafen wird im Alten Testament häufig gebraucht, und zwar für die Beziehung von Gott zum Volk, aber auch für das Verhältnis von Führern der Menschen zu den ihnen Anvertrauten. Viele Einzelheiten des Umgangs eines Hirten mit seinen Schafen lassen sich nämlich übertragen auf das Verhältnis des religiösen Führers zu seiner Gemeinde. Die Hirten haben die Verantwortung für die Schafe; sie müssen besorgt sein für ihr Wohlergehen und ihren Schutz; wenn sie ein Glied gebrochen haben, müssen sie es verbinden; wenn sie sich verlaufen haben, müssen sie sie suchen. Die Hirten kennen ihre Herde. Ich habe neulich einen Hirten gesehen, der gesagt hat: „Ich kenne alle meine Schafe am Gesicht.“ Hunderte von Schafen kennt der Hirt, jedes einzelne am Gesicht. Die Hirten führen ihre Schafe auf die Weide, dort finden sie Nahrung, und wenn der Abend naht, dann führt der Hirt sie in die Hürde, wo sie geschützt sind vor den räuberischen Tieren und wo eine Unterhirte Wache hält. Nun beurteilt Christus mit auffallender Schärfe alle angemaßten Hirten seiner Zeit und der Vorzeit. Bevor er vom guten Hirten spricht, redet er von den schlechten Hirten: Sie sind Diebe und Räuber. Alle, die vor ihm aufgetreten sind, die neben ihm in Konkurrenz zu ihm auftreten, sind Diebe und Räuber; vorgeblich sind sie Heilande, tatsächlich falsche, verderbliche Hirten. Das wird im Alten Testament wiederholt ausgesprochen, vor allem bei dem Propheten Jeremias und bei dem Propheten Ezechiel. Beim Propheten Jeremias heißt es: „Wehe den Hirten, die die Schafe meiner Weide sich verirren und sich zerstreuen lassen!“ Und beim Propheten Ezechiel heißt es: „Wehe den Hirten, welche sich selber weiden!“ Das Wort, dass die konkurrierenden Hirten Diebe und Räuber sind, hat grundsätzlichen Sinn. Alle angeblichen Offenbarer, alle angeblichen Heilande, denen einst Menschen gefolgt sind, sind Täuscher, sind falsche, sind nicht von Gott berufene Hirten.

Im Gegensatz zu den Dieben und Räubern steht er selbst. Er nennt sich „die Tür“. Was ist damit gemeint? Er ist die Tür zu den Schafen, d.h. wer zu den Schafen gehen will und ihr Heil befördern will, muss durch diese Tür hindurchgehen; es gibt keinen anderen Zugang. Die Tür ermöglicht den Schafen das Ein- und Ausgehen, sie haben die freie Bewegung, um bei Tage zur Weide zu gelangen und des Nachts in den Pferch, in die Hürde zurückzukehren. Das Ein- und Ausgehen ist Ausdruck für die vertraute, kontinuierliche Beheimatung. Angewandt auf den Hirten Jesus bedeutet die Tür: Der Weg durch die Tür, welche Christus ist, ist die einzige Heilschance. Wenn die Kirche sagt: außerhalb der Kirche kein Heil, dann meint sie: außerhalb Christi kein Heil. Und das wird hier im Johannesevangelium mit dem Bild der Tür ausgedrückt. Wenn der Hirt seine Schafe herausgeführt hat, geht er ihnen voran und sie folgen ihm. Warum folgen sie ihm? Weil sie seine Stimme kennen, weil sie ihm gehören, weil sie mit ihm vertraut sind, weil er der einzige rechtmäßige Besitzer ist, ihr Herr, deswegen folgen sie ihm. Niemals werden die Schafe einem fremden Hirten nachlaufen. Sie werden vielmehr vor seinen Lockrufen flüchten, weil ihnen seine Stimme unbekannt ist. Also diejenigen, die aufgrund von Erwählung zu Christus gehören, werden nie und nimmer ihrem Hirten davonlaufen, um auf die falschen Heilsprediger, auf fremde Hirten zu hören. Mit sicherem Glaubensinstinkt werden sie vor solchen Gestalten Reißaus nehmen, deren Stimme sie nicht kennen.

Erst jetzt, nach dieser Vorbereitung, die aber im heutigen Evangelium nicht ausgesagt wird, erst jetzt kommt Jesus zu der entscheidenden Aussage über sich selbst: „Ich bin der gute Hirt.“ Worin besteht das Wesen des Gutseins? Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Das Gutsein zeigt sich in der Gefahr. Wenn der Wolf kommt, verlässt der Hirt seine Herde nicht, er gibt vielmehr sein Leben daran, damit die Schafe dem sicheren Tod entkommen; er stirbt an ihrer statt. Ohne Bild gesprochen: Es geht um den Heilstod Christi, um den Heilstod Jesu für die Seinen. Damit hat er sein Gutsein, sein Guter-Hirt-Sein erwiesen, er ist der gute Hirt schlechthin. In seinem Tod sieht er den messianischen Heilstod verwirklicht, den der Prophet Zacharias vorhergesagt hat: „Ich schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen.“ Zwischen dem guten Hirten und seinen Schafen besteht eine Intimität. Diese betrifft sowohl den Einzelnen als auch die Gesamtheit. Den Einzelnen: Der Hirt ruft die Schafe bei ihrem Namen. Jedes Schaf hat seinen eigenen unverwechselbaren Namen. Und für die Gemeinschaft gilt: Alle folgen dem Hirten auf die Weide des Lebens. Diese Vertrautheit und Nähe zwischen dem Hirten und den Schafen gründet auf deren Erwählung durch Christus und auf seinem Lebenseinsatz für sie. Jetzt steht er in unverbrüchlicher Treue auf ihrer Seite.

Der Gegensatz zum guten Hirten ist der Mietling. Der Mietling ist der Tagelöhner, der für Lohn die Schafe weidet, aber dem die Schafe nicht gehören. Er ist nicht Hirt, die Schafe sind nicht sein eigen. Der Mietling oder Tagelöhner hütet die Schafe eines Fremden, ohne eine persönliche Beziehung zu ihnen zu entwickeln. Das zeigt sich, wenn der Wolf kommt. Der Wolf ist hier das charakteristische Tier, das für die Gefährdung der zahmen Tiere durch wilde Tiere allgemein steht. Der Mietling ergreift die Flucht. Er geht nicht auf den Wolf zu, er wehrt ihn nicht ab, er überlässt die Herde dem räuberischen Eindringling. Der Wolf fällt über die Herde her, reißt die Schafe und zerstreut sie. Der Mietling ist der bezahlte Schafhüter – das Bild für einen schlechten Gemeindeleiter. Der Vorwurf, der ihm gemacht wird, ist, dass er dem Kampf mit den Irrlehrern aus dem Wege geht und die Glaubenden dem Verderben anheimfallen lässt. Der Wolf im Leben des Hirten ist das Raubtier, das die Schafe anfällt und reißt. Übertragen auf das Gebiet der Religion ist der Wolf ein Bild für die Irrlehrer, für die Irrlehrer, vor denen der Herr schon in der Bergpredigt warnt. Er spricht dort von den falschen Propheten, die in Schafskleidern daherkommen, in Wirklichkeit aber reißende Wölfe sind. Und als Paulus in Milet Abschied nahm von seiner Gemeinde, da ließ er die Priester und Bischöfe zu sich kommen und hielt ihnen eine Ansprache: „Ich weiß, nach meinem Weggang werden reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen.“ Der Wolf steht also für die Gefahr, die von außen auf die Gemeinde zukommt. Den Wölfen in Menschengestalt ist es eigen, ihre eigene Natur zu verbergen. Sie geben sich harmlos, ja wohltätig. Wir kennen sie. Sie suchen das Evangelium zu entkräften, zu entschärfen und die Gnade zu verbilligen, und das passt vielen Menschen. Sie reden den Menschen ein, dass geschlechtliche Verirrungen keine Sünde seien. Sie führen Bußandachten ein, statt die Menschen zum Bußsakrament zu führen. Sie teilen den Leib des Herrn allen aus, die ihn begehren, ohne nach Würdigkeit und Gläubigkeit zu fragen. Sie versprechen den Menschen den Himmel auch ohne Anstrengung.

Es ist klar, dass dem Evangelium daran gelegen ist, an dem Bild vom Hirten und von seiner Herde das Verhältnis von Priester und Volk zu erläutern. Die Übertragung der Begriffe von Hirt und Herde auf die christlichen Gemeinden und ihre Leiter wird schon vom Neuen Testament vorgenommen. Als Jesus Petrus zu seinem Stellvertreter einsetzt, da spricht er von ihm als dem Hirten: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ sagt er, und das dreimal. Die Aufgaben der Leiter der christlichen Gemeinden sind also Hirtendienst. Den Priestern ist die Sorge für die einzelne Gemeinde anvertraut, und der Papst ist der oberste Hirte der Kirche. Er ist der Fortsetzer der Sendung Jesu. Der große Papst Pius XI. hat in einer bedeutenden Enzyklika den Priester als einen zweiten Christus bezeichnet. Ein zweiter Christus ist er deswegen, weil er das Amt Christi fortführt und gegenwärtig macht. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Der Priester ist als Hirt Werkzeug und Diener des Hirten Jesus Christus. Er macht das Hirtenamt Christi gegenwärtig und wirksam. Der Hirt Christus übt sein Amt jetzt, nach der Himmelfahrt, durch den geweihten und bestellten Priester aus. Der Priester – und das ist der Unterschied zum protestantischen Religionsdiener – ist im Sein! dem Hirten Christus ähnlich gemacht; er ist ein Verwandelter. Er muss aber auch die Eigenschaften erwerben, die Christus von einem Hirten erwartet. Also der Eifer für die Ehre Gottes und für das Heil der Seelen muss ihn verzehren. Dieser Eifer muss ihn dahin bringen, sich selbst und alle irdischen Interessen zu vergessen. Wenn der Priester, meine lieben Freunde, die Klage des guten Hirten hört: „Noch andere Schafe habe ich, die nicht aus diesem Schafstall sind. Auch sie muss ich heimführen“, wenn er sieht, wie die Saaten schon reif sind für die Ernte, da muss in ihm die Sehnsucht entbrennen, solche Seelen zum guten Hirten zu führen und sich dem Herrn der Ernte als unermüdlicher Arbeiter anzubieten. Wenn der Priester so viel armes Volk sieht, das verlassen ist wie Schafe, die keinen Hirten haben, muss in seiner Seele ein tiefer Widerhall jenes göttlichen Erbarmens zu spüren sein, das so oft das Herz des Gottessohnes bewegte. Wie eine erlesene Truppe müssen die Priester bereit sein, an alle Fronten des ungeheuren Kampffeldes zu eilen, um dort den Kampf der Wahrheit gegen den Irrtum, des Lichtes gegen die Finsternis, des Reiches Christi gegen das Reich des Satans zu führen. Es ist offensichtlich, dass Jesus Christus von seinen Jüngern und Aposteln, ebenso aber auch von deren Nachfolgern, also den Bischöfen und Priestern, den Einsatz ihres Lebens für das Zeugnis der Wahrheit verlangt, d.h. er verpflichtet sie zum Heroismus. Priestertum und Bischofsamt sind kein Job, sind keine bürgerliche Beschäftigung, sondern Zeugendienst bis zur Aufopferung des Lebens. Friedrich Nietzsche war ein Feind der christlichen Religion, aber er hat in seinem Scharfsinn manches Richtige gesehen. In seinem Zarathustra schreibt er einmal: „Hier sind Priester, und wenn sie auch meine Feinde sind, geht mir still an ihnen vorüber und mit schlafendem Schwerte, auch unter ihnen sind Helden.“

Das Priestertum verlangt außerordentliche Opfer, darunter jenes besondere und vollständige Selbstopfer der liebenden Hingabe an Christus durch den Zölibat. Die Berufskatholiken und Superlaien vom Zentralkomitee sind unaufhörlich damit beschäftigt, für sich und die Hirten der Kirche die Anforderungen herabzusetzen, die von der Glaubens- und Sittenlehre an sie gestellt werden. Für sich selbst haben sie es schon erreicht mit der „Königsteiner Erklärung“. Nun gehen sie vor allen Dingen den Zölibat an. Die gottgeweihte Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit der Priester soll zum Fall gebracht werden. Die Absicht ist klar: Mit den verheirateten Priester wird es bequemer in der Kirche, wird es gemütlicher. Die um ihre Frauen und Kinder besorgten Priester werden ihre Verkündigung entsprechend ihrer Lage verbilligen; sie werden gleichsam einen Rabatt geben. Das ist der Hintergrund. Den beflissenen Verbilligern des Glaubens und der Sittenlehre sei gesagt: Der Zölibat ist kein Gesetz, das erst die Kirche auferlegt, sondern eine Entschließung, die wir selbst fassen. Nur will die Kirche keine Diener aufnehmen, die einer solchen Aufopferung nicht fähig sind. Sie will Diener haben, deren Streben ungeteilt ist. Sie will Hirten haben, die großmütig genug sind, sogar ihr Leben für ihre Schafe hinzugeben. Wie könnte sie dies von den Schwachen erwarten, die nicht einmal eine Neigung besiegen können! Es war kein Freund der Kirche, von dem das Wort stammt: „Im Zölibat des katholischen Priesters ragt das Neue Testament in die katholische Kirche hinein.“ Die Priester der Vorzeit haben diesen Zusammenhang verstanden und im Leben wie im Sterben bewährt. Der Priester Johannes Frank betreute seit 1942 die Gemeinde in Flamberg in Ostpreußen. Bei einem Zusammensein mit Gemeindemitgliedern sagte einer von ihnen im Jahre 1944: „Herr Pfarrer, wenn die Russen auch nach Flamberg kommen, werden Sie uns wohl verlassen?“ Frank antwortete: „Ich bleibe bei Euch und wenn wir alle von den Russen erschossen werden.“ So blieb er und wurde von den eindringenden Russen ergriffen und deportiert, wo er irgendwo zugrunde gegangen ist. Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Der Pfarrer Bruno Weichsel in Saalfeld, ebenfalls in Ostpreußen, sah die russischen Truppen im Januar 1945 heranrücken. Man riet ihm zur Flucht, er antwortete: „Solange noch ein Mitglied meiner Gemeinde hier ist, gehe ich nicht von meinem Platz.“ Als die Russen den Ort besetzt hatten, befand er sich in der Kapelle. Ein Soldat zerschmetterte ihm mit dem Gewehrkolben den Kopf. Das Blut spritzte an die Wand. Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. Der Priester Norbert Sobel blieb bei der von ihm betreuten Schwesterngemeinschaft in Naumburg in Schlesien. Als die sowjetische Armee anrückte, da schrieb er in seinem letzten Brief vom 18. Februar 1945: „Es ist notwendig, dass ich als Hirt bei meiner Herde bleibe, die noch etwa dreißig an der Zahl misst. Es wird zwar mein irdisches Leben kosten, aber ich hoffe auf das himmlische.“ Am 2. März 1945 wurde er erschossen. Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe. 72 Priester der Erzdiözese Breslau haben 1945/46 ihr Leben für ihre Gemeinde geopfert. Es ist Zeit, meine lieben Freunde, sich auf das Gleichnis und die Wirklichkeit von Hirt und Herde zu besinnen. Das viele Gerede um das zeitgemäße Bild des Priesters ist überflüssig. Wir wissen längst, was das Bild des Priesters ist: Das ist der gute Hirt. Er soll ein guter Hirt sein, der seine Herde kennt, der sich für seine Herde verzehrt, der dem Wolf entgegengeht und ihn abwehrt. Und die Gläubigen sollen die willige Gemeinschaft der um ihren Hirten versammelten Kirchenglieder sein, die ihm vertrauen, die ihm folgen und die für ihn eintreten. Wir benötigen keine Schwadroneure und selbsternannten Kirchenkritiker vom Zentralkomitee. Wir brauchen gläubige Christen, die aus dem Glauben leben, und die, wenn es erforderlich ist, für den Glauben sterben.

Amen.  

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