Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Dezember 2016

Gottes Kommen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Texte der Heiligen Schrift und die Gebete der Kirche sprechen oft vom Kommen Gottes und der einzelnen Personen in Gott. In keiner Zeit des Kirchenjahres wird so häufig und so dringend um das Kommen Gottes und seines Heilandes gebetet wie in der Adventszeit. Wissen wir, worum wir bitten? Was bedeutet es, wenn wir das Kommen Gottes ersehnen? Was ist darunter zu verstehen? Gott kommt. Aber er kommt nicht wie ein Mensch, der aus der Ferne in die Nähe kommt. Es gilt also das Missverständnis abzuwehren, als wäre das Kommen Gottes die Überwindung einer räumlichen Entfernung. Gott vertauscht nicht einen Ort mit einem anderen. Wenn es heißt, dass er kommt, legt er nicht eine messbare Strecke zurück. Gott bewegt sich nicht von einem Ort zum anderen, denn er ist überall gegenwärtig. Er umfasst mit seiner Kraft und Macht Himmel und Erde und alles, was sie enthalten. Gott ist allen Dingen nahe, entweder als Schöpfer oder als Erhalter, ohne von Raum und Grenzen eingeschlossen zu sein. Gott ist in allen Dingen und an allen Orten, er ist über alle Dinge erhaben und durchdringt die gesamte sichtbare und unsichtbare Welt. Er regiert und erhält alles. In der Heiligen Schrift heißt es einmal in einem Psalm: „Wohin soll ich gehen vor deinem Geiste, wohin fliehen vor deinem Angesichte? Steig ich gen Himmel, da bist du da. Stieg ich hinab in die Hölle, da bist du auch. Nähme ich die Flügel der Morgenröte und wohnte ich am äußersten Ende des Meeres, so würde auch da deine Hand mich führen und deine Rechte mich geleiten.“ Ich versuche mir die Allgegenwart Gottes mit dem Bild, mit der Vorstellung des Geltens klarzumachen. Die Gesetze der Mathematik gelten überall. Sie sind an keinen Raum gebunden, sie brauchen nicht herangeholt zu werden, sie sind immer da. Selbstverständlich hinkt dieser Vergleich, wie jeder Vergleich hinkt, aber vielleicht kann man eine gewisse Ahnung gewinnen von der allumfassenden Wirklichkeit und Gegenwart Gottes. Was heißt es nun, dass der allgegenwärtige Gott kommt? Es bedeutet, dass er seine Allgegenwart spürbar macht, dass er vom Vermögen zum Handeln übergeht, dass er tätig wird in einer anderen, bisher nicht dagewesenen Weise. Gott ist überall durch die Gegenwart seiner Gottheit, aber er ist nicht überall durch die Gnade seines Einwohnens. Gott ist überall durch die Macht seines Handelns, aber nicht durch die Kraft seines spezifischen, an dieser Stelle sich vollziehenden Handelns. Insofern kann und muss man sagen: Gott kommt. Er geht über von der Potenz zum Akt.

Vom Sohne Gottes wird das Kommen zuerst von seiner Menschwerdung ausgesagt. Er wird durch die Menschwerdung in einer neuen unerhörten Weise gegenwärtig auf dieser Erde. Er legt einen Weg zurück, und zwar ist das der Weg von der Befehlsgebung durch den Vater zur Ausführung dieses Befehls. Der Weg also, den er zurücklegt, ist die Ausführung des ewigen Ratschlusses, eine Menschennatur anzunehmen in der Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria. Er hat einen Weg zurückgelegt, aber nicht einen solchen, der mit Kilometermaßen gemessen werden könnte, sondern den Weg, der von der Unsichtbarkeit zur Sichtbarkeit, von der Verborgenheit zur Offenbarung führt. „Er blieb, was er war, aber nahm an, was er nicht hatte.“ Der LOGOS, das persönliche Wort des ewigen Vaters, ist eingetreten in den Bereich des Fleisches, d.h. des Menschen mit seiner Hilflosigkeit, mit seiner Vergänglichkeit, mit seiner Nichtigkeit. Er stieg vom Himmel herab, nicht als ob er einen Ort verlassen hätte, nicht als ob er einen unermesslichen Raum durcheilend an einen anderen Ort gegangen wäre. Nein, der Unendliche, Allgegenwärtige ist keinem Raum näher, keinem ferner. Er füllt, ja er trägt und schafft jeden Raum. Er hat eine Grenze überschritten, aber keine sichtbare, sondern eine unsichtbare, nämlich die Grenze, die zwischen der Seinsart des Geschöpfes und der Seinsart des Schöpfers verläuft. Die Menschwerdung des LOGOS ist auch keine Einschränkung seiner Gegenwart auf einen Raum, nämlich auf den Raum der von ihm angeeigneten menschlichen Natur. Die Menschwerdung des LOGOS ist vielmehr eine besondere, einmalige, sonst nirgendwo vorkommende Beziehung zu einer konkreten, aus Maria der Jungfrau stammenden Menschennatur.

Auch von der dritten Person in Gott, dem Heiligen Geist, wird das Kommen ausgesagt. Der Herr hat es ja angekündigt: „Es ist gut für euch, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“ Was besagt diese merkwürdige Rede? Sie bedeutet, dass der Herr erst durch Tod und Auferstehung in die Verklärung eingehen musste, bevor er den Geist gleichsam entbinden konnte. Er konnte ihn erst senden, nachdem er zur Rechten des Vaters Platz genommen hatte. Und diese Weise des Kommens ist eine neue, bisher nicht dagewesene Gegenwartsweise des Geistes. Er kam unter aufsehenerregenden Zeichen: beim ersten Pfingstfest im Brausen vom Himmel, in Feuerzungen, die sich niederließen auf den Aposteln. Er hat aber nicht eine Wegstrecke zurückgelegt, als er kam, sondern er hat seine immer vorhandene Macht der Belebung und der Befruchtung in neuer Weise geoffenbart. Der Heilige Geist ist seit seinem machtvollen Erscheinen am Pfingsttage zur immerwährenden Begleitschaft der Kirche Gottes geworden. Was immer in dieser Kirche an Heilsamem und Gutem geschieht, das ist die Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes. Und alles, was entgegen dem Willen Gottes geschieht, das ist nicht vom Heiligen Geist. Der Herr hat die neue Wirksamkeit, also das Kommen des Heiligen Geistes wiederholt beschrieben. Er wird nämlich die Welt überführen von der Sünde, von der Gerechtigkeit und vom Gericht. Er wird zeigen, was es heißt, dass die Welt Christus nicht aufgenommen hat. Er wird sodann die Jünger in die ganze Wahrheit einführen. Die Entwicklung der Lehre in der Kirche ist kein innermenschlicher Prozess, wie die protestantischen Dogmenhistoriker behaupten, diese Entwicklung vollzieht sich vielmehr unter dem entscheidenden Einfluss des Heiligen Geistes. Die Dogmengeschichte ist die Einführung in die ganze Wahrheit durch den Geist Gottes. „Er wird reden, was er hört, und verkünden, was kommen wird“, also was der Geist der Kirche zuspricht, stammt von Gott (was er hört) und ist die Wiedergabe göttlicher Offenbarung. Seine Verkündigung reicht hinein in die Zukunft. Es gibt eine echte Prophetie. Der Geist kommt, er kommt zu seiner Kirche, ja die Kirche ist ein Geschöpf des Heiligen Geistes. Er erfüllt und leitet sie. Alle ihre Aktivitäten, sofern sie gottgefällig sind!, müssen vom Heiligen Geist getragen werden. Der Geist soll den flehenden Menschen befruchten, erfüllen, beschenken mit seinen Gaben. Und deswegen rufen wir: „Komm, o Geist der Heiligkeit! Aus des Himmels Herrlichkeit sende deines Lichtes Strahl. Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl!“

Während seines irdischen Lebens hat Christus, der Sohn Gottes, wiederholt vom Zweck seines jetzigen und seines künftigen Kommens gesprochen. Wozu kommt er? Er sagt es selbst: „Ich bin als das Licht in die Welt gekommen.“ D.h. wo Christus hinkommt, da wird es hell, da weichen die Schatten, die Schatten des Unglaubens und des Irrglaubens, da stürzen die falschen Götter zu Boden. „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich Zeugnis gebe von der Wahrheit.“ Wahrheit, meine Freunde, ist die offenbare Wirklichkeit. Christus ist der Herold des Realismus. Er sagt den Menschen, wozu sie in der Welt sind und was sie tun müssen, damit sie das ewige Leben erlangen können. Er ist auch Zeuge der Barmherzigkeit. „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten, sondern die Sünder zu berufen.“ Er gibt also den gefallenen Menschen nicht auf, er sucht ihn und er heilt ihn. Der Herr hebt auch hervor, dass sein Kommen die Scheidung unter den Menschen herbeiführt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“, d.h. der Anschluss an ihn führt notwendigerweise zum Kampf, zum Kampf mit den Feinden und Widersachern. „Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wünschte ich, dass es schon entflammt wäre.“ Das heißt: Die Botschaft Jesu ist kein Ruhekissen, sie ist eine verzehrende Macht wie das Feuer. „Ich bin zum Gericht in die Welt gekommen.“ An ihm entscheidet sich das ewige Schicksal der Menschen. Je nachdem, ob sie zum Glauben kommen oder ob sie im Unglauben verharren, wird ihre Zukunft aussehen. Der Herr spricht auch von der opferreichen Seite seines Kommens: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für die Vielen.“ Der Herr ist gekommen und er ist geblieben, freilich nicht in seiner eigenen, sondern in einer fremden Gestalt. Wir beten ja in jeder heiligen Messe: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Dieses Lied haben bekanntlich die Anhänger Jesu gesungen, als er in Jerusalem einzog. Und wir stimmen es an, weil der Herr jetzt wiederkommt. Er kommt in den Gestalten von Brot und Wein. Er will uns nah sein und als Seelenspeise dienen. Er kommt tatsächlich zu uns, er selbst, und nicht sein Bild, wie Huldrych Zwingli meinte, und wie viele Protestanten in ihren Abendmahlsälen meinen. Durch die Wandlung der Gaben von Brot und Wein wird Christus auf den Altären der katholischen Kirche in einer Weise gegenwärtig, wie er es vorher nicht war. Es findet eine wahre und eigentliche Wesensverwandlung, Transsubstantiation genannt, statt. In dem Dogma von der Transsubstantiation ist das andere Dogma von der wirklichen Gegenwart Christi, von der Realpräsenz enthalten. Der Herr ist auf unseren Altären wirklich, wahrhaft und wesentlich zugegen. Er ist gekommen. Aber er bleibt nicht auf dem Altar. Er kommt zu uns, um sich mit uns zu vereinigen. Er wartet eine kleine Weile auf dem Altar, bis sich die Empfänger seines kostbaren Leibes zugerüstet haben, dann kommt er wahrhaft und wirklich zu ihnen. Aus dem Speisekelch entnimmt der Priester jeweils eine Hostie und legt sie dem ehrfürchtigen Bekenner auf die Zunge. Dabei spricht er: „Der Leib unseres Herrn Jesus Christus bewahre deine Seele zum ewigen Leben.“ Er kommt, um den Keim des ewigen Lebens in uns einzupflanzen. „Jesus, Jesus, komm zu mir, o wie sehn ich mich nach dir! Meiner Seele bester Freund, wann werd ich mit dir vereint?“, so flehen wir um das Kommen des Herrn im eucharistischen Opfersakrament.

Aber eine Weise des Kommens des Herrn steht noch aus, nämlich das Kommen zur Auferstehung der Toten, zum Endgericht und zur Heraufführung des neuen Himmels und der neuen Erde. Der Herr hat seine Wiederkunft in Herrlichkeit angekündigt: „Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters zusammen mit den Engeln, und dann einem jeden vergelten nach seinen Werken.“ Er wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Er wird kommen, das Reich Gottes endgültig aufzurichten und dem himmlischen Vater zu übergeben. Der Weg, den er hierbei zurücklegen wird, ist das Heraustreten aus seiner Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit, aus der Verborgenheit in die Tageshelle. Von der Himmelfahrt unseres Herrn an hat die Kirche nicht aufgehört, um die Wiederkunft des Herrn zu flehen. Die Urkirche Jerusalem sandte den Flehruf in aramäischer Sprache zum Himmel empor: „Maranatha!“ – Komm, unser Herr! Und wir flehen in jedem Vaterunser: „Dein Reich komme.“ Das Reich wird kommen, wenn sein König kommt. Sein Kommen ist gewiss, der Zeitpunkt ist ungewiss. Wir wissen nicht, zu welcher Stunde der Herr kommen wird. „Er wird kommen zu einer Zeit, da ihr es nicht vermutet.“ Vorläufig harren wir noch auf seine Wiederkunft in Kämpfen und Leiden und Not. Wir wissen, dass der Herr nicht fern ist, wir kennen seine Verheißung: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Er weiß um unsere Schwäche und um unsere Not. „Kommet alle zu mir, die ihr mühlselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Und wir Priester beten oft, jeden Tag, wiederholt in unserem Brevier, in unserem priesterlichen Gebetbuch: „O Gott, komm uns zu Hilfe! O Herr, eile zu helfen!“ Wir wissen doch um die Not der Kreatur, um die Ausweglosigkeit, um die Unbegriffenheit der Menschen, Schmerzen des Leibes, Leid der Seele, Nahrungsnot, Wohnungsnot, Kleidungsnot, die Not des Lebens, die Not des Sterbens. Vor einiger Zeit, meine lieben Freunde, hatte ein Priester eine Frau zu bestatten, die ganz einsam und verlassen, hilflos und arm gestorben war. Nur ein paar Menschen folgten der Leiche, darunter auch die 16jährige Tochter der Verstorbenen. Eben waren die Gebete am Grabe gesprochen, der Sarg in die Erde gesenkt, da sprang plötzlich das Mädchen in die Grube und schrie mit tränenerstickter Stimme: „Mutter, nimm mich mit, Mutter, nimm mich mit!“ Wir wissen um die Not, auch um die Not unserer geliebten Kirche. Wir sehen den Zusammenbruch der Institutionen und Einrichtungen, die Orden bluten aus, geben eine Station nach der anderen auf, die Priesterseminare sind leer. Der Bischof von Trier, von der Riesendiözese Trier, hat noch sechs Alumnen, die Priester werden wollen – sechs, und die schickt er nach Frankfurt. Wenn Gott, meine lieben Freunde, eines Tages unser Gebet erhört, wenn er sich unserer Not erbarmt, dann kommt er in einem wahren Sinne zu uns. Er wird in einer Weise gegenwärtig, wie er es vor dem Eingreifen seiner Hilfe nicht war.

Wochenlang haben wir gerufen: „O komm, o komm, Emmanuel, nach dir sehnt sich dein Israel! In Sünd’ und Elend weinen wir und flehn und flehn hinauf zu dir.“ Nun erwarten wir das Kommen des Herrn zu Weihnachten. Was ist darunter zu verstehen? Die Orationen der vier Sonntage in der Adventszeit sagen es uns, was es heißt, das Kommen Gottes zur Weihnachtszeit zu erbitten. Am 1. Adventssonntag bitten wir, dass Gott seine Macht aufbiete und uns aus den Gefahren, die uns wegen unserer Sünden drohen, errette. Am 2. Adventssonntag flehen wir zu Gott, unsere Herzen aufzurütteln, damit wir seinem Eingeborenen die Wege bereiten und ihm mit geläutertem Herzen dienen. Am 3. Adventssonntag rufen wir zu Gott, die Finsternisse unseres Herzens durch die Gnade seines Kommens zu erhellen. Am heutigen 4. Adventssonntag bestürmen wir Gott, dass er mit seiner gnädigen Macht das Heil beschleunige, das unsere Sünden noch aufhalten. Wir dürfen mit Zuversicht erwarten, dass Gott am Fest der irdischen Geburt seines Sohnes besonders reichlich seine Gnaden über uns ausschüttet. Wir dürfen hoffen, dass er uns mit seinem Kommen segnet, wenn wir ehrfurchtsvoll, fromm und demütig an seiner Krippe knien.

Amen.  

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