Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. August 2016

Dank abstatten und dankbar sein

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt ein Sprichwort: „Dankbarkeit ist dünn gesät.“ Eine Wahrheit, der jeder nachgehen kann, der sich aufrichtig bemüht, seinen Mitmenschen Gutes zu tun – Dankbarkeit ist dünn gesät. Niemand hat die Bitterkeit dieses Wortes so schmerzlich erfahren müssen wie unser Herr und Heiland. Das Ereignis, das im heutigen Evangelium erzählt wird, ist nur ein kleines, aber lehrreiches Beispiel jener Undankbarkeit, die das jüdische Volk der großen Liebestat der Erlösung entgegengebracht hat. Jesus zieht durch Samaria und Galiläa und ihm begegnen zehn Aussätzige. Sie bleiben von Ferne stehen, denn es war ihnen verboten, sich unter die Menschen zu mischen; die Gefahr der Ansteckung war zu groß. Und aus der Ferne rufen sie zu ihm, zehn Aussätzige: neun Juden und ein Samariter: „Jesus, Meister, erbarme dich unser!“ Der Aussatz, meine lieben Freunde, war die furchtbarste Krankheit der Antike. Der Mensch verfaulte bei lebendigem Leibe. Es gab kein Heil- und kein Hilfsmittel. Und außerdem war man ausgestoßen aus der Gesellschaft. Jesus hat die zehn Männer von dieser furchtbarsten aller Krankheiten geheilt. Er schickt sie zu den Priestern. Warum zu den Priestern, nicht zu den Ärzten? Weil die Priester zuständig waren für die Feststellung der Heilung. Sie mussten nachprüfen, ob die Heilung tatsächlich erfolgt war. „Und während sie hingingen, wurden sie rein.“ Der Fluch der Krankheit wich von ihnen, und sie waren voll Entzückens und voll des Jubels. Aber jetzt geschieht das Befremdliche. Die neun Juden vergessen über der Heilung den, der sie geheilt hat. Nur der Samariter kehrt zurück und dankt Jesus in überströmender Freude. Von zehn nur einer, und ausgerechnet der, der nicht zum auserwählten Volke gehört. Die ganze Trauer des Erlöserherzens dringt aus dem Worte des Heilandes: „Findet sich denn keiner, der zurückkommt und Gott die Ehre gibt, außer diesem Fremdling?“

Ob wir wohl das Recht haben, uns über die empörende Undankbarkeit jener neun Juden zu beklagen? Sollten wir uns nicht einmal selbst fragen, ob wir nicht oft ein ähnliches Verhalten zeigen? Dankbarkeit ist dünn gesät. Aufrichtige, dauernde Dankbarkeit ist eines der sichersten Kennzeichen echten Seelenadels. Nur ein vornehmer Mensch kann dankbar sein. Sie ist ein Stück echter Demut, weil sie zugibt, dass man anderen zum Dank verpflichtet ist. Sie ist aber auch eine sittliche Pflicht, vor allem Gott gegenüber. Das Reifwerden eines Christen ist im Grunde ein Dankbarwerden. Er wächst in dem Maße, in dem er seine Abhängigkeit von Gott und den Menschen erkennt. Dank ist das edle Eingeständnis unserer Grenzen. Wir erkennen und erklären, wie viel wir anderen verdanken; das ist ehrlich und gerecht. Dankbarkeit ist auch der Schlüssel zum Glück. Man kann nicht dankbar und unglücklich zugleich sein. Die große Frau Ida Friederike Görres hat einmal geschrieben: „Wer nicht dankt, wie kann der glücklich sein?“ Wer dankbar ist, auch für das Geringste, wird würdig, größere Gaben zu empfangen. „Bleiben wir am Danken, dann bleibt Gott am Segnen.“ Es gibt vielfältigen Anlass für die Dankbarkeit. Für den besinnlichen Menschen ist die ganze Natur eine stete Aufforderung zur Dankbarkeit: die Blütenpracht des Frühlings, das Reifen des Sommers, der Erntesegen des Herbstes und der Frost des Winters, jawohl auch der Frost des Winters. Wir haben uns schon manchmal beklagt, dass kein richtiger Winter mehr ist, denn wir brauchen den Winter, wir brauchen den Frost, den Schnee, die Kälte. Danken wir für den Sonnenschein und danken wir für den Regen. Nach Einbringen der Ernte feiern wir den Erntedank. Gott gab das Wachstum, Gott schenkte die Ernte. Gewiss haben wir gearbeitet, Maschinen eingesetzt, Dünger gestreut, aber dass wir arbeiten können, dass unsere Maschinen laufen und dass der Dünger wirkt, das ist Gott zuzuschreiben, das kommt von Gott, von seinem Schaffen, von seinem Segen. Wir Priester beten jede Woche in unserem Gebetbuch zum Schöpfergott im Psalm 8 und im Psalm 18: „O Gott, wie herrlich sind auf der ganzen Erde deine Werke. Die Himmel preisen das Werk deiner Hände. Der Mond und die Sterne ziehen ihre Straßen, die Sonne tritt wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, frohlockt wie ein Held, den Weg zu vollenden.“ Das ist dankbarer Lobpreis der Herrlichkeiten Gottes in der Natur. Aber die Güte Gottes geht noch viel weiter. Seine schenkende Vaterhand hat uns ins Leben geführt, unter seinem Segen sind wir im Vaterhaus aufgewachsen. Kein äußeres Gut, kein körperliches Vermögen, keine geistige Kraft, die nicht Gottes Geschenk wäre. Gewiss kommen Gottes Gaben durch Zweitursachen zu uns, aber diese werden ebenso von Gott getragen kraft des „concursus generalis“, wie die Theologie sagt, des allgemeinen Mitwirkens Gottes, alles geschieht nur in seiner Kraft. Ich weiß, nicht jedes Leben ist leicht. Dunkle Schatten liegen über manchen Familien: ein Vater, der trinkt, eine Mutter, welche die Hausarbeit vernachlässigt, Kinder, die aufbegehren gegen die Eltern. Dennoch bleibt für jeden ein Rest, ein Rest, für den er danken muss. Ich fragte einmal einen Herrn, der eine schwere Kindheit hinter sich gebracht hatte, ob er im Zorn zurückschaue. „Nein“, sagte er, „überhaupt nicht.“

Unvergleichlich höher noch erscheint unsere Pflicht der Dankbarkeit gegen Gott, wenn wir die übernatürlichen Güter betrachten, die wir aus Gottes Vaterhand empfangen haben. Dankbar müssen wir sein für das Geschenk der Erlösung. Die Mohammedaner haben keine Erlösungsreligion, sie wissen nichts von Erlösung, sie wissen nichts vom Erlöser. Wir haben eine Erlösungsreligion, wir kennen unseren Erlöser. Dass Gott den LOGOS hat vom Himmel herabsteigen lassen, dass er ein Mensch geworden ist für uns und um unsres Heiles willen, das ist Grund zur Dankbarkeit. Dass er uns Gott geoffenbart hat als den Vater, dass er uns die Gebote gegeben hat, die uns im Leben führen, dass er für uns gelitten hat und gestorben ist, diese unerhörten Geschehnisse fordern unsere unaufhörliche Dankbarkeit. „Ich danke dir, Herr Jesus Christ, dass du für mich gestorben bist. Ach, lass dein Blut und deine Pein an mir noch nicht verloren sein!“ Dankbar müssen wir sein für die ungezählten Gnaden, die wir jeden Tag empfangen. Die höchste Stufe der Dankbarkeit erklimmen wir, wenn wir Gott danken für seine große Herrlichkeit, für seine Majestät, für seine wunderbare Schönheit, wie es im Gloria der heiligen Messe heißt: „Wir danken dir ob deiner großen Herrlichkeit!“ Hier sehen wir völlig davon ab, dass Gott uns seine Wohltaten schenkt, wir schauen nur auf ihn und seine wunderbare Wesenheit, seine Allmacht, seine Unermesslichkeit, seine Ewigkeit. Wir danken Gott dafür, dass er so ist, wie er ist. Dankbar müssen wir sein für den katholischen Glauben. Er ist uns ein sicherer Führer auf unserem Lebensweg. Ach, meine lieben Freunde, ich habe in den vergangenen Jahren dutzende, wenn nicht hunderte von Büchern evangelischer Theologen gelesen oder durchgesehen. Und ich kann nur sagen, ich bin erschüttert über das, was ich da vernommen habe. Da fällt selbst der dreifaltige Gott dahin; da gibt es keine Erlösung durch Jesu Blut; da hat Jesus das Abendmahl überhaupt nicht eingesetzt, das haben ihm die Jünger zugeschrieben; das habe ich dort gelesen. Wir müssen dankbar sein für den wahren katholischen Glauben. Er zeigt uns Gott, wie er ist. Er gibt uns zu erkennen, wie wir leben müssen. Wir kennen Gottes Gebote, das sind keine Zwangsregeln, das sind Warnzeichen, das sind Wegweiser. Dankbar müssen wir sein für unsere Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Sie geleitet uns wie eine Mutter von der Geburt bis zum Tode. „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’, in seine Kirch’ berufen hat.“ Den Dank über den katholischen Glauben vernehmen wir vor allem aus dem Munde von Konvertiten, also von Menschen, die zum katholischen Glauben gefunden haben. In langen, schweren inneren Kämpfen sind sie den Weg zum Berge Tabor gegangen. In Mainz hat man jetzt eine Straße nach der Gräfin Ida Hahn benannt. Ida Hahn ist eine Konvertitin, und sie hat den Bericht über ihre Konversion überschrieben: „Von Babylon nach Jerusalem“. Auf dem Sterbebett, meine lieben Freunde, hat noch niemand bereut, ein Katholik gewesen zu sein. Und es gibt Menschen, die erst auf dem Sterbebett zu diesem Glauben gefunden haben. Ich denke an den Schriftsteller Ernst Jünger, der mit 100 Jahren zum katholischen Glauben konvertiert ist.

Umso schmählicher ist die Unterlassung des Dankes, ist die Undankbarkeit. „Der Undank ist immer eine Art Schwäche“, hat einmal Goethe geschrieben, „Ich habe nie gesehen, dass tüchtige Menschen undankbar gewesen wären.“ Wer nicht danken kann, kann auch nicht lieben, denn die Liebe setzt wie das Danken das Absehen von sich selbst voraus und das Hinschauen auf den anderen, dem wir eben so viel verdanken. Der Undank, meine lieben Freunde, verstopft die Quelle der göttlichen Gnade. Wer seine Leistungen und Erfolge sich selbst zuschreibt, ohne Gottes zu gedenken, der versagt Gott die Ehre, die ihm zusteht, der hindert Gott, ihm weitere Gaben zu schenken, weil er unwahrhaftig ist. „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“, fragt Paulus. „Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ Der heilige Bernhard von Clairvaux sagte einmal: „Die Undankbarkeit ist die Scheidewand zwischen Schöpfer und Geschöpf. Sie ist der Damm, der den Bach von der Quelle trennt. Sie ist die Wolke, die das Licht der Sonne verfinstert.“ Deshalb mahnt die Kirche uns oft zur Dankbarkeit. Dank gegen Gott ist ein Leitmotiv ihrer liturgischen Gebete. Es ist bezeichnend, dass sie das heilige Messopfer als Eucharistie bezeichnet; Eucharistie heißt Dankbarkeit, Danksagung. Und im Kanon der heiligen Messe, dem Herzstück der heiligen Messe, lässt die Kirche uns beten: Lasset uns Dank sagen dem Herrn, unserem Gott, denn es ist würdig und recht, geziemend und heilsam, dir immer und überall Dank zu sagen. Die lateinische Sprache hat zwei verschiedene Ausdrücke für das Danken: Dank abstatten und dankbar sein. Dank abstatten geschieht durch Worte. Dankbar sein geschieht durch eine Haltung, indem man bleibend der Wohltaten anderer gedenkt, indem man in der Dankbarkeit verharrt. Wir sollen bleibend dankbar sein, immer und überall Dank sagen, d.h. unser ganzes Leben soll getragen sein vom Geiste tiefer, aufrichtiger Dankbarkeit gegen den gütigen Vater. Die Dankbarkeit gegen Gott und die Menschen muss unser Tagwerk begleiten. Am Morgen sollen wir sprechen: „O Gott, ich danke dir, dass ich diesen Tag erleben darf. Lass mich ihn verbringen zu deiner Ehre, zum Heil meiner Seele, zum Segen für die Übrigen.“ Am Abend sollen wir sprechen, wie wir es als Kinder gelernt haben: „Bevor ich mich zur Ruh begeb’, zur dir, o Gott, mein Herz ich heb’. Ich sage Dank für jede Gab’, die ich von dir empfangen hab.“ Reich ist der, der den Tag mit Dank schließen kann.

Wir denken zu wenig daran, weil wir an den Reichtum der Gottesgaben von Jugend an gewöhnt sind. Wir nehmen sie gedankenlos hin als etwas Selbstverständliches, aber es ist nicht selbstverständlich. Erst wenn die Gaben verloren gehen oder gefährdet sind, erkennen wir ihren Wert. Erst der Kranke lernt den Segen der Gesundheit richtig schätzen. Erst der Blinde weiß um das Licht der Augen. Erst der Hungernde kennt die Wohltat des täglichen Brotes. Regelmäßig, meine lieben Freunde, wenn ich zum Bäcker gehe und mir ein Brot hole, denke ich daran, wie wir 1945 in langen grauen Reihen, von russischen Soldaten bewacht, die Straßen entlang zogen und in den Gräben, in den Straßengräben suchten, ob nicht etwas Essbares zu finden wäre. Gott hat gerade vielleicht deswegen manche Menschen mit Schäden und Mängeln am Leibe heimgesucht, damit die anderen Menschen an den Verkrüppelten, an den Blinden, an den Kranken einsehen, dass sie selbst überaus große Güter besitzen und wie gütig Gott gegen sie ist. Jeder Mensch an unserem Lebensweg, der unglücklicher ist als wir, ist eine Mahnung zur Dankbarkeit. Nur beachten wir diese Mahnungen häufig nicht. Wir sehen immer nur, was andere angeblich mehr oder besser haben als wir. Nein, meine lieben Freunde, wenn es in einem Leben an Freude fehlt, dann fehlt es gewöhnlich an Dankbarkeit. Man muss die Gaben Gottes sehen, und dann wird man dankbar sein und auch Freude empfinden. Der heilige Vinzenz von Paul forderte, man muss mindestens so lange danken, wie man auch bittet, also so viele Dankgebete verrichten, wie man Bittgebete vorgebracht hat. Da würden wir wohl meist unglücklich dastehen, wenn dieser Maßstab an uns angelegt wird. Jesus, unser Herr, hat uns ein Beispiel der Dankbarkeit gegeben. Sobald er eine Wohltat von seinem himmlischen Vater empfangen hatte, sah er auf gen Himmel und sprach: „Vater, ich preise dich“ oder „Vater, ich danke dir“, z.B. bei der Erweckung des Lazarus. Die Menschen, die uns für das Leben tüchtig gemacht haben, verdienen unsere bleibende Dankbarkeit: Eltern, Erzieher, Lehrer, Priester. Wir müssen auch dankbar sein, meine lieben Freunde, für jede Rüge und für jede Zurechtweisung. Nicht unwillig sein, sondern dankbar sein. Wir lernen aus dem Tadel, was uns fehlt. Wir erfahren aus der Zurechtweisung, was wir erwerben müssen, und das ist wahrlich ein Grund zur Dankbarkeit. Dankbar müssen wir sein für die Menschen, denen wir im Leben begegnen. Sie alle können uns etwas vermitteln, sie können uns auf etwas aufmerksam machen, sie können uns zu etwas mahnen und vor etwas warnen. Wir müssen nur überlegen, welche Botschaft von Gott sie uns bringen. Also nicht achtlos und gleichgültig an ihnen vorübergehen, sondern dankbar und aufmerksam. Ich denke mit Dankbarkeit an die vielen wertvollen Menschen, die ich in einem langen Priesterleben kennengelernt habe. Sie haben mich mit ihrer Bekehrung und ihrer Reue, mit ihrem Gutsein und ihrem Ringen, mit ihrer Treue und mit ihrer Frömmigkeit erbaut und beschämt. Vor allem aber dankbar sein gegen Gott. „Nie kann ich, Gott, dir danken genug. Es soll dir danken jeder Atemzug. Es soll dir danken jeder Herzensschlag, bis zu dem letzten Schlag am letzten Tag. Es soll dir danken jeglicher Gedanke. Nichts will ich sprechen als: Herr, ich danke.“

Amen.

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