Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 2016

Gott in Rechnung stellen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir wünschen einander im neuen Jahre Glück. Glück ist der Zustand der Geordnetheit, des Friedens und der Zufriedenheit im Herzen. „Glücklich“, sagt Goethe einmal, „ist auf die Dauer nur der Zufriedene.“ Wir hoffen, dass unsere Glückwünsche in Erfüllung gehen. Aber das geschieht nur dann, wenn wir sie über die Brücke leiten, die zu Gott führt. Wünsche aussprechen ohne Bezug auf Gott, ist sinnlos. Wünsche einem anderen vermitteln, die sich auf Gott gründen, solche Wünsche kommen zu ihrer Erfüllung. Wir wissen: Es kann, es kann! ein wahres Glück nicht geben ohne Gott. Getrennt von Gott ist Glück unmöglich; das ist metaphysisch ausgeschlossen. Das Glück ist gebunden an den Frieden, an die Gemeinschaft mit Gott. Und das soll unser Vorsatz im neuen Jahre sein: Wir wollen in diesem Jahre Gott ernster und gläubiger in Rechnung stellen als bisher. Wir wollen ernster und gläubiger mit unserem Herrgott rechnen. Es wird in Wirtschaft und Wissenschaft viel gerechnet; wir haben ganze Rechenautomaten aufgestellt. Und das Rechnen ist auch notwendig, aber das Rechnen kann auch kalt machen. Nicht immer ist Arbeitslosigkeit in Rentabilitätsschwierigkeiten begründet, sondern manchmal auch vom kalten Nutzen. Soziale Spannungen und nationale Konflikte gehen nicht selten auf eiskalte Berechnung unter den Menschen und unter den Staaten zurück. Man rechnet herzlos, und die Menschen sind eine Nummer, eine Zahl. Und was ist die Geburtenkontrolle, was ist die Empfängnisverhütung? Sie ist meistens nichts anderes als eine kalte Berechnung, ob zu dem werdenden Leben eines Kindes ja oder nein gesagt werden kann und soll, ganz unabhängig von Gott und von Gottes Gesetz, ob man sich, wie man sagt, ein Kind leisten kann. Der Mensch, der sich in den Mittelpunkt seiner Rechnungen stellt, merkt nicht, wie die Menschheit, und damit auch er selbst, diese Rechnung schließlich mit seinem Persönlichkeitsverlust bezahlen muss. Und das sollte anders werden in diesem Jahr. Wir wollen uns vornehmen, im neuen Jahre mit Gott zu rechnen. Gott darf nicht der große Unbekannte sein, sondern wir wissen, dass Gott eine Wirklichkeit ist, eine Wirklichkeit über allen Wirklichkeiten. Er ist zwar der Unfassbare, der Unermessliche, der Unendliche, aber er ist kein Stoff, er ist Geist, d.h. Gott ist die Wirklichkeit über allen anderen Wirklichkeiten. Wer Gott aus der Rechnung streicht, der wird erleben, dass seine Rechnung nicht aufgehen kann. Wer Gott aus der Rechnung streicht, begeht einen Rechenfehler.

Physiker und Astronomen erforschen das Weltall, fragen nach der Entstehung und Entwicklung des Alls. Wir danken ihnen für diese Untersuchungen; sie haben ihren eigenen Reiz. Es ist eine dem Menschen gestellte Aufgabe, zu erforschen, wie das, was ist, entstanden ist und wie es ausgeht. Nur sollte man nicht vergessen, nach dem Urheber des Weltalls zu fragen. Bei jedem Bauwerk forschen wir nach dem Erbauer, nach dem Baumeister; bei Himmel und Erde sollten wir desgleichen tun. Manche wollen die Frage nach dem Ursprung verbieten. Wie sagt Kant: Das Kausalgesetz ist auf die empirische Wirklichkeit, die uns umgibt, eingeschlossen. Nein, das Kausalgesetz ist ein das gesamte Sein umgreifendes und durchherrschendes Gesetz. Das Weltall ist nicht nur da, sodass man nicht fragen kann, warum es und wie es da ist, nein, das Weltall muss einen Urheber haben. Die Welt und der Mensch können nicht aus unpersönlichen Kräften entstanden sein. Die Ordnung der Welt lässt sich nicht erklären ohne einen Ordner. Die Zielstrebigkeit lässt sich nicht erklären ohne einen, der das Ziel gesetzt hat. Wir Christen fragen deswegen: Wie kam es zu diesem Anfang? Wer hat ihn gesetzt? Die Antwort: Gott hat den Anfang alles Werdens gesetzt. Er hat auch das unpersönliche und ursprüngliche Chaos geschaffen. Gott ist der Uranfang, der Schöpfer mit den Attributen der Allmacht und der Freiheit. Die Schöpfung der Welt als Schöpfung, als Werk des Schöpfergottes ist absolut voraussetzungslos. Was ist befriedigender für die Vernunft, zu sagen, es gäbe einen ungewordenen, ewigen und ungeordneten Stoff, oder zu glauben, dass eine unendliche, ewige, anfanglose, persönliche Macht aus freiem Liebeswillen das All geschaffen hat? Im Jahre 1796 veröffentliche der französische Physiker Laplace ein Buch über die Entstehung des Sonnensystems. Danach wurden von einer rotierenden und kontrahierenden Gasmasse infolge zunehmender Fliehkräfte nacheinander Gasringe abgetrennt. Sie kondensierten zu Planeten; die Hauptmasse wurde zur Sonne. Napoleon fragte Laplace, wo in seinen Aufstellungen Gott vorkomme. Laplace antwortete: „Dieser Hypothese bedarf ich nicht.“ Gott, meine lieben Freunde, ist keine Hypothese, d.h. eine Annahme, die in ihrer Wahrheit noch nicht feststeht. Gott ist eine personale Wirklichkeit, in der alles Wirkliche seinen Grund und Ursprung hat. Die Wissenschaft spricht nicht gegen die Lehre davon, dass Gott alles geschaffen hat, sie stützt diese Lehre. Die stete Entwicklung der astronomischen Weltordnung schließt eine unbegrenzte Vorgeschichte der uns zugänglichen Welt aus. Sie muss einen Anfang haben. Die astronomische Theorie des sehr schnellen Entweichens der Spiralnebel und damit einer ständigen Ausdehnung des Weltalls weist auf einen Anfang dieser berechenbaren Ausdehnung hin. Entweder man verzichtet darauf, zu fragen, wer diesen Anfang gesetzt hat, oder man kommt zu einem Wesen von unendlicher Kraft. Wir nennen es Gott. Alle einzelnen Ursachen der Welt sind bewirkte Ursachen. Es gibt aber keinen regressus in infinitum. Am Anfang muss eine außerhalb der Kette von Ursachen liegende Erstursache sein, die sich selbst begründet, die nicht von einem anderem begründet wird; wir nennen sie Gott. Wer die Welt verstehen will, muss mit Gott rechnen, mit Gott als dem Schöpfer.

Gott, meine lieben Freunde, ist eine singuläre, ganz und gar einfache und unveränderliche geistige Substanz, eine überweltliche Persönlichkeit. Person ist durch Geistigkeit, Ganzheit und unmittelbare Einmaligkeit bestimmt. Die Geistigkeit beinhaltet Vernunft und Willen; beides bei Gott ins Unendliche gesteigert. Von Boethius stammt die Definition der Person: naturae rationalis individua substantia – Person ist die ungeteilte Wesenheit einer vernünftigen Natur. Dieser Naturbegriff ist auf Gott anwendbar. Gott ist lebendig, tätig, wirksam, er kann sich zum Menschen wenden, ihn ansprechen. Er hat gesprochen zu den Empfängern der Offenbarung, zu den Stammvätern, zu den Propheten, zuletzt zu seinem und durch seinen Sohn. Gottes Reden sind uns aufbewahrt in der Heiligen Schrift, deswegen ehren wir die Schrift und hören auf sie. Wir sprechen davon, sie sei durch Inspiration, durch Anhauchung, durch Eingebung zustande gekommen, unbeschadet der menschlichen Tätigkeit der Autoren. Der Protestantismus folgt angeblich seit Luther dem Schriftprinzip, d.h. man will alles, aber auch nur das glauben, was in der Schrift enthalten ist. Man nimmt den Text der Bibel her, erforscht, was daraus für Leben und Handeln eines Christen zu entnehmen ist. Man muss also Inhalt und Sinn der biblischen Aussagen erklären. Dabei kommt alles darauf an, wie man die Heilige Schrift angeht. Da versichern uns die meisten protestantischen Erklärer der Heiligen Schrift, diese sei ein Buch wie jedes andere. Man müsse es also genauso verstehen, erklären, wie man andere Bücher versteht und erklärt. Wie erklärt man andere Bücher? Nun, mit Hilfe der Hermeneutik, also mit den Regeln, die nun einmal für das Erklären gültig sind. Das heißt: In der Geschichte der Menschen geht es menschlich, nur menschlich, manchmal allzu menschlich und sogar in gewissen Fällen untermenschlich zu. Aber eines ist sicher: Aus dem Menschlichen tritt keine Geschichte heraus. Wenn man dieses Prinzip auf die Heilige Schrift anwendet, dann bedeutet das: Auf dieser Erde kann nur passieren, was jeden Tag passiert oder jedenfalls jeden Tag passieren kann. Geschichtlich beglaubigt, geschichtlich gesichert kann nur sein, was in den bisherigen oder in den möglichen Weltenlauf eingepasst ist. Dieses Prinzip hat der evangelische Theologe Ernst Tröltsch aufgestellt. Er sagt, alles was geschieht, gehorcht drei Prinzipien: der Kritik, der Relation und der Analogie. Was sich dadurch nicht erklären lässt, existiert nicht. Das heißt: Er und die Kollegen, die ihm folgen, lesen die Heilige Schrift, als ob Gott nicht existierte. Sie betreiben die Erklärung der Heiligen Schrift, als ob Gott nicht existierte. Sie rechnen nicht mit Gott, mit seiner Vorsehung, mit seiner Macht, mit seinem Eingreifen. Und weil sie nicht mit Gott rechnen, kommen sie dazu, alles Einmalige, Unerhörte, Wunderbare als ungeschichtlich aus der Schrift zu entfernen. Also: Es fällt dahin die wunderbare Empfängnis des Sohnes Gottes; es gibt keine Menschwerdung des LOGOS; es gibt keinen Sühnetod Jesu; es gibt keine wahrhafte Auferstehung. Das alles können Sie bei protestantischen Theologen lesen. Auf diese Weise wird die einmalige Offenbarung Gottes in Christus eingeebnet. Sie wird zu einem der vielen Fälle in der Religionsgeschichte, ob das nun Buddhisten, Taoisten oder Konfuzianer sind. Diese Meinung, meine lieben Freunde, hat natürlich verheerende Auswirkungen. Sie zerstört den Glauben der Gemeinde. Wenn Gott zu den Menschen redet, dann sind eben die Bücher, die diese Reden bezeugen, anders, grundlegend anders, als die übrigen Bücher zu lesen. Man muss rechnen mit dem Eingreifen Gottes, muss gefasst sein auf sein Wirken. Wer nicht mit Gott rechnet, kommt, wenn er konsequent ist, zum Atheismus. Der evangelische Theologe Herbert Braun – hier in Mainz hat er gewirkt, ich habe ihn gekannt – bestreitet die Wirklichkeit des persönlichen Gottes, seine Objektivität, sein Gegenübersein. Gott ist für ihn das „Woher meines Umgetriebenseins“. Man muss mit Gott rechnen, mit seinem gesetzgeberischen Willen, mit seinen Mahnungen und Warnungen, mit seinen Drohungen und Strafen, mit seinem allwissenden Auge.

Das Rechnen mit Gott ist im Leben des Einzelmenschen und im Leben der Menschheit unentbehrlich. Gott ist der Gesetzgeber, der seine Gebote für den Einzelnen und für die ganze Menschheit gegeben hat. Sie wollen beachtet sein, wenn das Leben des Einzelnen gelingen und das Leben der Gemeinschaft friedlich verlaufen soll. Vor einigen Jahren kam ein französischer Abgeordneter aus den Pyrenäen nach Paris, um an der Sitzung des Parlamentes teilzunehmen. Er übergab dem Wirt des Hotels, in dem er abstieg, das Geld für die ganze Sitzungsperiode. Der Wirt fragte ihn: „Wollen Sie eine Quittung?“ „Nein“, sagte der Abgeordnete, „Gott hat es gesehen.“ Darauf antwortete der Wirt: „Sie glauben an Gott?“ „Ja, selbstverständlich, Sie nicht?“ „Nein.“ „Ja, dann geben Sie mir eine Quittung.“ Wo man mit Gott nicht mehr rechnet, wird die Unzufriedenheit wachsen und werden die Menschen am irdischen Leid und an den menschlichen Unzulänglichkeiten zerbrechen. Wo man mit Gott nicht mehr rechnet, da zerfallen die Familien; dort wird die Treue in der Ehe nicht mehr gehalten, dort wird die Heiligkeit der Ehe nicht mehr bewahrt. Wo man mit Gott nicht mehr rechnet, kann man den Frieden nicht finden. Die Gottlosen haben keinen Frieden! Wo man mit Gott nicht mehr rechnet, wird man die Angst nicht mehr los. So viele Fragen des Lebens bleiben unbeantwortet und offen, vor allem die letzte große Lebensfrage bleibt ohne Lösung. Und deswegen, meine lieben Freunde, wollen wir uns vornehmen, im neuen Jahre mit unserem Herrgott zu rechnen, mit Gott, dem Allmächtigen, bei dem kein Ding unmöglich ist. Wir wollen rechnen mit Gott, dem Allweisen; seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und unsere Gedanken sind nicht seine Gedanken. Wir wollen rechnen mit dem gerechten Gott, damit wir nicht der Versuchung erliegen, allein auf seine Barmherzigkeit zu vertrauen. Diese Gefahr besteht immer, dass die Menschen alles zudecken wollen mit der angeblichen alles verzeihenden Gerechtigkeit Gottes. Gott verzeiht alles, er gewährt seine Gerechtigkeit, aber dem reuigen Menschen! Es muss furchtbar sein, in die Hände des lebendigen Gottes zu geraten, deswegen ist es angemessen, meine lieben Freunde, wenn wir unsere Lebensrechnung begleichen. Wir wissen nicht, wer von uns das Ende dieses Jahres nicht erleben wird. Wir müssen damit rechnen, dass Gott uns während dieses Jahres abberuft; Alte müssen sterben, Junge können sterben. Und deswegen: Sterblicher, denk ans Sterben! Mache deine Rechnung mit Gott, bevor es zu spät ist! Das soll unser Vorsatz sein im neuen Jahr: Wir wollen lauterer und tatkräftiger mit Gott rechnen.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt