Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2011

Weihnachten – Friede in einer friedlosen Welt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Weihnachten ist das Fest des Friedens. Denn gekommen ist der Friedensbringer, der Friedensfürst. Seine Ankunft feiern die Engel des Himmels mit dem Gesang vom „Frieden auf Erden den Menschen des (göttlichen) Wohlgefallens.“ Die neutestamentliche Offenbarung heißt geradezu „Evangelium des Friedens“ (Eph 6,15).

Der Urheber des Friedens ist Gott. Er ist „der Gott des Friedens“ (Röm 15,33). Mittler des Friedens ist Christus. Gott hat durch das Blut seines Kreuzes Frieden gestiftet, durch ihn alles versöhnt (Kol 1,20). Christus hat seinen Jüngern den Frieden vermacht: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Jo 14,20). Der Apostel Paulus spricht vom „Frieden Christi“ (Kol 3,15). Nur in der Gemeinschaft mit Christus wird er gewonnen und bewahrt (Phil 4,7). Der Friede Gottes gründet in dem Rechtsein und Heilsein, das Gott den Menschen um der Verdienste Christi willen schenkt. Er ist das Ergebnis einer Neuschöpfung, die bewirkt ist durch den Heiligen Geist. Er heißt deshalb auch Frucht des Geistes.

Aus dem Frieden zwischen Gott und Mensch folgt der Friede von Mensch zu Mensch. Christus hat durch sein vergossenes Blut die Feindschaften unter den Menschen ausgelöscht und Frieden unter ihnen gestiftet.

Sosehr der Friede eine Gabe Gottes ist, sosehr bleibt der Mensch verpflichtet, den Frieden zu wahren. „Seid besorgt, die Einheit des Geistes durch das Band des Friedens zu bewahren“, mahnt der Apostel Paulus die Gemeinde in Ephesus (4,3). „Der Friede Gottes herrsche in euren Herzen“ ruft er der Gemeinde in Kolossä zu. „Trachtet nach Frieden mit allen“ heißt es im Brief an die Hebräer (11,14). Wir wissen, dass die Aufforderung, den Frieden zu bewahren, nicht von allen Menschen befolgt wird. Es ist viel Unfrieden in der Welt. Abneigung und Haß zerreißen die Bande, die Arbeitskollegen, Nachbarn und Familienangehörige umschlingen sollten. In Nigeria zünden Muslime katholische Kirchen an und ermorden die Gottesdienstbesucher, und das zu Weihnachten. Auch die Völker sind nicht immer imstande, Frieden zu halten. Streitigkeiten und Auseinandersetzungen flammen immer wieder auf. Vom Kosovo bis Darfur kämpfen verfeindete Völker und Stämme um Lebensrecht oder Übermacht. Alle Kämpfe werden übertroffen durch die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert. Der Erste Weltkrieg (1914-1918) war schon eine erdumspannende militärische Auseinandersetzung. Er wurde im Hinblick auf die Dimension vom Zweiten Weltkrieg (1939-1945) weit übertroffen. Der Erste Weltkrieg zählte 8,5 Millionen Gefallene, über 21 MillionenVerwundete, etwa 7,5 Millionen Kriegsgefangene und Vermißte. im Zweiten Weltkrieg rechnet man mit 55 -62 Millionen Toten.

Trotz der Erbitterung, mit der auf beiden Seiten gekämpft wurde, war die Menschlichkeit in den Kriegen nicht völlig ausgestorben. Ich erinnere mich, dass mir ein schwarzer amerikanischer Soldat (noch vor Beendigung des Krieges) eine Schachtel Zigaretten zuwarf. Viele Taten der Menschenliebe, der Hilfsbereitschaft und des Wohlwollens wurden von Soldaten aller Armeen verrichtet. Sie sind meist unbekannt geblieben, allein im Buche Gottes sind sie aufgezeichnet. Einige Begebenheiten aber haben sich uns erhalten. Ich möchte Ihnen drei vorstellen, eine aus dem Ersten, zwei aus dem Zweiten Weltkrieg. Die drei Begebnisse sind historisch gesichert durch einwandfreie, unverdächtige Augen- und Ohrenzeugen.

Sie kennen alle den Nobelpreisträger Otto Hahn. Am 17. Dezember 1938 eröffnete er ein neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte. Er lieferte den experimentellen Nachweis der Kernspaltung. Hahn war im Ersten Weltkrieg deutscher Offizier an der Westfront. Am 25. und 26. Dezember 1914 verfaßte er einen Brief an seine Frau, der jetzt bei einem Autographenhändler in New York aufgetaucht ist. Darin schildert er den Weihnachtsfrieden, der sich in dem Abschnitt der Front einstellte, in dem er Dienst tat. Hier standen sich Deutsche und Briten gegenüber, näherhin bayerische und schottische Soldaten. Ein bayerischer Jäger wagte am heiligen Tag den ersten Schritt über den Graben hinüber zu den schottischen Hochländern, weitere Kameraden folgten ihnen. Von der anderen Seite kam Schotten „in ihren kurzen Röckchen“ den deutschen Soldaten entgegen.  Es entstand eine weitgehende Verbrüderung zwischen „Schotten und Hunnen“, wie auf britischer Seite bemerkt wurde, an der auch Offiziere teilnahmen. Dieser inoffizielle Waffenstillstand endete am 26. Dezember 1914. Es gab kein Disiplinarverfahren, aber die Berichterstattung über das Ereignis wurde unterbunden. Für die kommenden Weihnachten im Kriege wurde jede Verbrüderung unter Androhung von Kriegsgericht unterbunden. Für ein paar Stunden war in einem Winkel der Erde, inmitten eines unbarmherzigen Krieges, der Friede gekommen, der Weihnachtsfriede. Die Christen auf beiden Seiten des Kampffeldes hatten sich erinnert, dass einst der auf Erden erschienen ist, der allen Menschen Frieden bringen will.

Otto Hahn verbrachte die Weihnachtstage beim Stab, also in relativ gesicherter und gemütlicher Lage. Die Männer in den Schützengräben spürten nichts von Behaglichkeit und Annehmlichkeit. Aber der Glaube an den Weihnachtsfrieden und das Ereignis der Christgeburt lebte auch in ihnen.  Einer der Soldaten hat es in Worte gefaßt, der Kesselschmied Heinrich Lersch, in der ergreifenden Dichtung: Die Muttergottes im Schützengraben. Da heißt es:

„Muttergottes, ich denke daran, wie dich damals die Menschen so schmählich verlassen, als du nach Bethlehem mußtest gehen, um dich anschreiben zu lassen. In diesem Jahr, so bitt ich dich, kehr ein bei uns, in unserem Schützengraben sollst du den besten und wärmsten Unterstand haben.

Auch braucht der heilige Joseph sich nicht um Essen  und Trinken zu sorgen, denn unsere Küche und die Feldpost kommen am frühesten Morgen. Alles, was wir haben, wollen wir euch so gerne geben, wir stellen eine Wache vor eure Tür und schützen euch mit unserem Leben.

Das werden wir tun, du brauchst keine Angst vor uns zu haben, wir sterben für unsere Frauen, lieben unsere Mütter und beten für unsere Knaben, wir leben ja immer und ganz in deinem heiligen Gottessohne, auch unsere Seele trägt der Liebe schmerzliche Dornenkrone.

O Mutter Gottes, wenn du kommst, wir falten um die Gewehre betend die Hände, denn du bringst uns den König des Friedens, der macht allen Leiden ein Ende, wir vertrauen auf dich so sehr, denn du und dein Sohn werden den Frieden uns bringen, unsere Seelen werden vor Glück schöner als damals die himmlischen Heerscharen singen.

O Mutter Gottes, du kannst ja nicht in die prächtigen Häuser der Reichen gehen, komm du nur zu uns, wir können die große Gottesliebe verstehen. Du willst ja nur die Armen, Reinen und Frommen, nur liebende Menschen um dich haben: O Mutter Gottes, dann komm zu uns, zu uns in den vordersten Schützengraben.“

Der zweite Bericht über den Weihnachtsfrieden im Kriege stammt von Hans Schäufler. Er war im Zweiten Weltkrieg Nachrichtenoffizier einer Panzerabteilung. Sie wurde in lange verlustreichen Kämpfen durch die Übermacht der sibirischen Truppen aufgerieben. Nur etwa 100 Mann überlebten. Sie erhielten den Befehl, sich in Kromy, einer Stadt südwestlich von Orel, zu sammeln und eine Widerstandslinie aufzubauen. Hier erwartete sie die Feldpost, Päckchen und Briefe aus der Heimat. Hier wollten sie das erste Weihnachtsfest in Rußland feiern. Der Divisionspfarrer war bei ihnen, um das Messopfer darzubringen. Abseits von Kromy stand eine halb verfallene Kirche. Das Gewölbe war gesprengt. Der Schnee lag kniehoch im Innenraum, Eiszapfen hingen aus den leeren Fensterhöhlen. Die Männer Schäuflers machten sich ans Werk. Sie stellten zwei Fichten auf und schmückten sie mit Kerzen und Lametta aus den Weihnachtspäckchen. Junge Soldaten zimmerten einen klobigen Altar und eine primitive Kommunionbank. Während der Arbeit kam ein dringender Funkspruch: „Kosakenregimenter im Anmarsch auf Kromy. Rege Partisanentätigkeit in der Stadt. Laut Agentenmeldung bereiten reguläre russische Truppen, in Zivil gekleidet, den Angriff vor und leiten ihn von hier aus.“ Schäufler fragte sich, ob alle Vorbereitungen umsonst gewesen sein sollten. Wenn er den Funkspruch an seinen Kommandeur weitergab, dann mußten seine Männer unverzüglich die Stellungen vor der Stadt besetzen, um den angekündigten Angriff in der Heiligen Nacht abzuwehren. Schäufler überlegte und erwog das Für und Wider. Er konnte und wollte nicht glauben, dass die Russen gerade in den nächsten zwei Stunden kommen würden. Er mochte es seinen Kameraden nicht antun, sie um die festliche Stunde des Weihnachtsgottesdienstes zu bringen. Er drängte alle Bedenken zurück und ließ den Funkspruch in seiner Tasche verschwinden.

Früh kam die Nacht. Um die Kirche wurden Posten aufgestellt, um nicht überrascht zu werden. Die übrigen Männer sammelten sich in der zerstörten Kirche. Der Feldgeistliche stand an dem schmucklosen Altar. An den Christbäumen flackerten die Kerzen. Schneeflocken legten sich auf das Meßgewand des Priesters, auf die feldgrauen Ministranten und auf die Zweige der Fichten. Als sich Schäufler umsah, traute er seinen Augen nicht. Kopf an Kopf standen die Einwohner von Kromy hinter den Soldaten, bärtige Männer mit Rindensandalen an den mit Lumpen umwickelten Beinen, Frauen in abgeschabten Schafpelzen und dunklen Kopftüchern. Aber noch nie in seinem Leben hatte er so schöne, so gläubige verklärte Gesichter gesehen. Wie lange mochten diese gequälten Menschen schon keinen Gottesdienst erlebt haben! Tränen rannen durch zersorgte Gesichter. Obwohl die die Worte des Evangeliums kaum verstanden, wußten sie, dass hier das „Ehre für Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“ verkündigt wurde. Da entdeckte Schäufler plötzlich in einer Ecke eine Gruppe junger Russen, trotzig die Pelzmützen auf dem Kopf, ohne Teilnahme an der heiligen Handlung. Er meinte in den Augen einen unheimlichen Haß zu sehen. Schäufler bemerkte unter ihnen eine hohe, schlanke Gestalt mit scharf geschnittenem Gesicht und intelligentem Blick. Da fuhr es ihm wie ein Blitz durch den Kopf: Das was er, was der Funkspruch warnend angekündigt hatte. Er mußte den auffallenden Mann inmitten der Gruppe, die nicht in diese Stunde paßte, unentwegt ansehen; er mußte der Führer dieser Leute sein. Die Messe nahm ihren Lauf. Bei der Wandlung knieten Frauen in den Schnee und schlugen das Kreuzzeichen. Schäufler schien es, als blickten die jungen Russen nicht mehr so teilnahmslos. Als die deutschen Soldaten von der Kommunionbank zurückschritten, sah er auch das spöttische Lächeln nicht mehr. Dann geschah etwas Unerwartetes. Der Feldgeistliche erteilte den Segen, schlug das Kreuz über Deutsche und Russen, Freunde und Feinde. Da nahm der auffallende Mann in der Mitte der Gruppe – Schäufler konnte sehen, dass er Offziersstiefel unter dem Pelzmantel trug – die Pelzmütze ab und senkte den Kopf, und alle jungen Männer folgten seinem Beispiel, zögernd, doch ohne Ausnahme. Nach Beendigung des Gottesdienstes verließen alle das Gotteshaus, Schäufler als letzter. Draußen trat ihm der Mann mit den Offiziersstiefeln entgegen. Er war allein und sah Schäufler lange schweigend in die Augen. In seinem Blick war ein eigenartiger Glanz. Dann sprach er in holprigem Deutsch, feierlich und bedächtig: „Christ ist geboren.“ Dann küßte er ihn, wie es im alten Rußland Weihnachtsbrauch war, auf beide Wangen. Die beiden Männer drückten sich fest und lange die Hand. Dann ging der Russe hinaus in die Nacht. Der Friede der Weihnacht hatte Männer der deutschen Wehrmacht und der Roten Armee erreicht und vereint. Der gemeinsame Glaube an den Friedensfürsten hatte sie zusammengeführt. Wo Glaube an den zu Bethlehem geborenen Gottessohn ist, dort stirbt der Haß, dort wächst das Verstehen, dort erblüht die Liebe.

Das dritte Erlebnis wird berichtet von Dr. Georg Kurz, einem Zahnarzt aus Illertissen. Er war mit den Überresten der 6. Armee bei Stalingrad in Gefangenschaft geraten und diente zu Weihnachten 1945 als Barackenarzt in einem Kriegsgefangenenlazarett in einer Stadt am Dnjepr. Die Temperatur in den Baracken  war eisig. Die ausgemergelten Kranken lagen dicht gedrängt auf ihren Pritschen unter einer dünnen Decke und litten Hunger. Dazu kam die Sorge um die Angehörigen in der Heimat nach der beispiellosen Katastrophe. Oft wurden am Tag zwei oder drei, gelegentlich 15 tote Kameraden aus der Baracke getragen. Die niedergeschlagenen, kranken und hungernden Männer fragten den Barackenarzt: Was wird das wohl für ein Weihnachten werden? Dieselbe Frage stellten sich die Sanitäter und Ärzte. Und doch wurde es Weihnachten!

In aller Heimlichkeit wurden leere Ampullen gesammelt und jeden Tag von der kargen Verpflegung ein paar Gramm Brot, ein wenig Zucker und einige Gramm Fett pro Kopf beiseite getan. Die russische Chefärztin hatte nach langem Zureden die Erlaubnis gegeben, dass diese Verpflegung für eine Weihnachtsüberraschung angespart wurde. Das war nicht ohne Risiko. Wenn die Polizei es erfahren hätte, wären den Beteiligten 25 Jahre Zwangsarbeit wegen Unterschlagung von Staatseigentum und Vorbereitung zur Flucht sicher gewesen. Auch ein kleiner Vorrat von Heizmaterial wurde heimlich bereitgestellt. Ein evangelischer Pfarrer hatte sich bereit erklärt, am Heiligen Abend eine Ansprache zu halten. All diese Vorbereitungen blieben unbemerkt, sodass die geplante Überraschung gelang. Es kam der Heilige Abend. Das kümmerliche Abendessen wurde ausgegeben, der Arzt machte die gewohnte Visite. Die Kranken hatten die Decken über den Kopf gezogen und taten, als ob sie schiefen. Jeder meinte: Nur nicht an Weihnachten denken, wie es einmal war. Und doch kam keiner davon los.

Plötzlich ging eine seltsame Verwandlung mit den Kranken vor sich. Die Barackentür öffnete sich, ein heller, ganz ungewohnter Schein breitete sich aus. Die Sanitäter trugen einen selbst angefertigten Weihnachtsbaum herein, auf dem Lichter angebracht waren, und stellten ihn auf einen Holztisch. Die Kerzen waren Ampullen, in die man Petroleum gefüllt hatte, das von einem Baumwollfaden aufgesogen wurde, der als Weihnachtslicht brannte. Auf einmal waren alle wach und starrten mit großen Augen auf dass Bäumchen mit seinen Lichtern. Vom Flur tönte das Lied „O, du fröhliche, o. du selige Weihnachtszeit.“ Danach verkündete der Pfarrer auf einer Tragbahre liegend die Botschaft der Weihnacht, dass auch in aller Not und Verlassenheit, in Hunger und Kälte Christus für jeden einzelnen geboren wurde. Die Männer waren ergriffen, und ihre Augen wurden noch größer, als die Sanitäter für jeden Kranken zwei dünne Scheiben Brot, bestrichen mit etwas Fett und Zucker, und eine Tasse süßen Tee brachten. Auf den Gesichtern lag freudige Überraschung. Es war doch noch Weihnachten geworden!

Die Güte und die Fürsorge der Menschen sowie das Wort und die Kunde vom menschgewordenen Gott hatten es Weihnachten werden lassen in der Trostlosigkeit des russischen Gefangenenlagers. Da hatte sich das das Wort erfüllt: „Wo da Güte ist und Liebe, da ist Gott.“ Weihnachten ist das Fest des Friedens. Der Friede, den der Engel den Hirten verkündet, ist das messianische Heil in seiner Fülle. Gott bietet es allen an, bereitet und schenkt es allen, die dafür offen sind und gewillt, es anzunehmen.

Uns obliegt es, die Gesinnung zu erzeugen, die geeignet ist, Gottes Heil zu empfangen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt