Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 2008

Die Bedeutung des Festes Mariä Himmelfahrt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom als feierliches Dogma verkündet: „Die Lehre, dass Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden ist, ist eine Glaubenswahrhit, die von Gott geoffenbart ist.“ Die Kirche hatte schon lange vorher an diese Wahrheit geglaubt. Aber das Neue, was jetzt dazu kam, war die untrügliche Gewissheit, dass es sich dabei nicht um eine fromme Meinung handelt, sondern um ein von Gott geoffenbartes Dogma. Durch die Verkündigung dieser Glaubenswahrheit hat Gott uns eine gewaltige Fülle von Belehrungen erteilt.

Die Geschichte bis zu der Definition Pius’ XII. ist lang. Seit dem 4./5. Jahrhundert ist dieser Glaube in der Kirche nachweisbar. Der Kirchenlehrer Epiphanius etwa fragt im 4. Jahrhundert, ob Maria unsterblich gewesen sei, und im 4./5. Jahrhundert taucht auch eine Schrift auf, die erste Schrift, die wir zu diesem Thema haben: „Transitus Beatae Mariae Virginis“ – Der Übergang Mariens von der Erde in den Himmel. Zuerst wurde dieses Fest in der Ostkirche begangen. Der Kaiser Marikius hat es zu einem für das ganze Byzantinische Reich vorgeschriebenen Fest erklärt. Und bald finden wir es auch in Rom. Der Papst Sergius hielt an diesem Tage eine Prozession und bekannte sich damit zu diesem Glauben.

Es geht bei der Aufnahme Mariens in den Himmel nicht um eine fromme Meinung, sondern um eine definierte Glaubenswahrheit. Pius XII. hat mit aller Sorgfalt, die für eine Definition vorgeschrieben ist, erforscht, ob diese Glaubenswahrheit von der ganzen Kirche erkannt und anerkannt wurde. Im Jahre 1946 hat er eine Befragung aller Bischöfe der katholischen Kirche durchgeführt, ob sie der Meinung sind, dass diese Lehre feierlich als Dogma verkündet werden kann. 1169 Bischöfe bejahten diese Frage, 22 hatten Bedenken, aber nur 6 davon bezweifelten den Inhalt, die anderen waren lediglich in Unsicherheit über die Zweckmäßigkeit einer solchen Definition. In jedem Fall hat Pius XII., gestützt auf dieses Votum der ganzen lehrenden Kirche, am 1. November 1950 das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündet. Das ist die erste Dogmatisierung seit der Feststellung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem I. Vatikanischen Konzil. Damals hat sich die ganze Kirche dazu bekannt, dass der Papst, wenn er als oberster Hirt eine für alle verbindliche Wahrheit festlegt, im Besitze der persönlichen Unfehlbarkeit ist.

Ich habe diese Dogmatisierung lebendig miterlebt und auch die Einwände gehört, die sich gegen diese Dogmatisierung wendeten. Es waren vor allem zwei, nämlich einmal wurde gesagt, ein solches Dogma müsse von einem Konzil verkündet werden und dürfe nicht von einem Einzelnen, nämlich dem römischen Papst, der Kirche vorgelegt werden. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Der Papst ist im Besitze des unfehlbaren Lehramtes. Wenn er mit höchster Verbindlichkeit und letztgültig spricht, dann spricht in ihm und durch ihn die unfehlbare, irrtumslose Kirche. Im Wahrspruch des Papstes, der ja das Haupt der Kirche ist, ist gleichsam die Gesamtkirche zusammengefasst; in ihm verdichtet sich ihre Irrtumslosigkeit. Man kann in einem richtigen Sinne sagen: Der Papst ist die Kirche, weil er das Haupt der Kirche ist und die Kirche durch ihn redet.

Der zweite Einwand betraf die Tatsache, dass diese Wahrheit nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift ausgesprochen ist und durch die Tradition verhältnismäßig spät bezeugt ist. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Die Kirche schöpft ihre Wahrheit nicht ausschließlich aus der Heiligen Schrift. Gleichberechtigt neben ihr steht die Tradition. Das Konzil von Trient hat gelehrt, dass Schrift und Tradition „pari pietatis affectu“ behandelt werden müssen; mit der gleichen Ehrfurcht müssen Schrift wie Tradition von der Kirche angenommen werden. Ja noch mehr. Die Schrift ist jünger als die Tradition. Die Tradition ist älter als die Schrift. Bevor auch nur ein einziges Evangelium geschrieben war, wurde die Wahrheit um Jesus verkündet. Die mündliche Verkündigung geht der schriftlichen Niederlegung voraus. Die Kirche weiß darum, dass sie auf zwei Quellen des Glaubens ruht, auf der Schrift und auf der Überlieferung. In der Schrift sind häufig nur Spuren, Hinweise für die Dogmen enthalten. Aber sie genügen. Von dem Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel sagt der Heilige Vater: „Inititur“ – sie stützt sich auf die Schrift. Wir werden gleich sehen, wieso sie sich auf die Schrift stützen kann.

Der Kirche ist das Gesetz der Entwicklung eingeboren. Entwicklung heißt, dass etwas vorhanden ist, aber noch nicht offenbar gemacht ist, das erst im Laufe der Zeit „ausgewickelt“ wird. Es ist eingewickelt da, aber es muss entwickelt, es muss ausgewickelt werden. Vieles wurde in früheren Zeiten nur einschlußweise geglaubt, was später ausdrücklich anerkannt wurde. Die Ablehnung der Lehre des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel hat auch in einer bei manchen Christen vorhandenen Allergie gegen Maria ihren Grund. Katholischer Glaube, meine lieben Freunde, ist unvollständig ohne die Wahrheit über die Mutter unseres Herrn. Katholische Frömmigkeit ist undenkbar ohne Verehrung der allerseligsten Jungfrau. Auch ungenügende oder falsche Vorstellungen über das Jenseits können zur Abweisung dieses Dogmas führen. Wir, die wir gläubig sind und belehrt wurden vom Herrn, wissen, die Erde ist eine Stätte des Durchgangs zur Ewigkeit. Wer hier in Geist und Leben sich zum Herrn bekannt hat, den erwartet er im Jenseits. Die Seligkeit des Himmels umfasst vorläufig nur die Seelen der Verstorbenen, aber sie wird einmal auch den verklärten Leib umfassen. Und das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel macht uns gewiß, dass der Leib einen bleibenden Wert hat, einen gottgegebenen Sinn und eine unvergängliche Würde.

Gerade in unserer Zeit der Verbrauchshaltung gegenüber dem Leib, in unserer Zeit der überbordenden Leibespflege, in unserer Zeit des Missbrauchs des Leibes ist es besonders wertvoll, zu wissen: Unser Leib ist bestimmt, einmal an der Seligkeit, der Glorie Gottes teilzunehmen. Einmal wird das vollkommene göttliche Leben auch in unserem Leibe durchbrechen, und das ist bei einer von uns schon geschehen, bei Maria.

Welches sind nun die Gründe, weshalb die Kirche diesen Glauben an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel festhält? Der erste Grund ist ihre Freiheit von der Sünde. Der Zerfall des Leibes, der Tod, ist ja eine Straffolge der Sünde. Maria aber ist die Sündlose. Sie ist die unbefleckt Empfangene, die in ihrem Leben sündlos geblieben ist. Sie war also geeignet, ja berufen, dass ihr Leib nicht die Verwesung schauen musste, sondern alsbald in die Herrlichkeit des Himmels eingeführt wurde.

Der zweite Grund für die Unverweslichkeit des Leibes Mariens ist ihre Gottesmutterschaft. Sie hat dem Erlöser den Leib bereitet. Aus ihr ist der Erlöser ein Mensch geworden. Deswegen war es geziemend, dass ihr Leib das Los des Leibes Jesu teilte, d.h. nicht verweste, sondern verwandelt und erhöht wurde.

Ein dritter Grund für die Verklärung des Leibes Mariens ist ihre immerwährende Jungfräulichkeit. Wir sind mit der Kirche überzeugt, dass Maria vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt jungfräulich blieb durch ein Wunder, durch ein unbegreifliches Wunder Gottes. Sie war also unversehrt in Jungfräulichkeit, und deswegen war es geziemend, dass ihr Leib nach dem Tode nicht der Zerstörung anheimfiel.

Und schließlich können wir noch einen vierten Grund für ihre Unverweslichkeit anführen: Sie war Mitarbeiterin am Heilswerke Christi. Sie hat teilgenommen am Werke des Erlösers. Sie hat ihn geleitet und begleitet. Sie stand unter dem Kreuze, und sie war im Abendmahlssaal versammelt, als der Heilige Geist herabkam. Das zeigt ihre innige Verbindung mit dem Werke Christi, und deswegen sollte sie auch die volle Erlösung erfahren. Maria ist die radikal Erlöste, die Vorerlöste, die Vollerlöste. In ihr verehren wir die ganzheitliche Erlösung, wie sie allen Menschen verheißen ist. Sie ist der Mensch, der sich mit letzter Konsequenz der Dienstbarkeit Gottes verschrieben hat und sich in den Dienst der Erlösung der Welt gestellt hat. An ihr können wir ablesen, was den Menschen, was uns bestimmt ist. Wir gehen nicht der Zerstörung entgegen, auch wenn wir uns vom Leibe trennen müssen, wir gehen der Seligkeit entgegen, in die Maria bereits aufgenommen ist mit Leib und Seele. Sie wartet auf uns, und sie geleitet uns. Zu ihr geht unser Rufen, zu ihr geht unser Weinen, zu ihr geht unser Flehen: „Du himmlische Mutter, du Königin des Himmels, die mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Vaters Aufgenommene, sieh unsere Not!“

Amen.

 

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