Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. Juni 2008

Die Vergeblichkeit im menschlichen Bemühen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ So haben wir eben im Evangelium nach Lukas gehört. Die Jünger hatten sich mit großer Mühe und Anstrengung auf das „Galiläische Meer“, wie man den See Genezareth nannte, hinausbegeben, aber ihre Arbeit war vergeblich.

Die Vergeblichkeit, meine Freunde, begleitet unser Leben. Vergeblich ist oft unser Denken und Planen; es kommt ganz anders. Vergeblich ist menschliches Schaffen und Bauen; ein Wirbelsturm, ein Erdbeben vernichtet ganze Landschaften. Vergeblich ist oft das Mahnen und Warnen der Eltern; die Kinder handeln ganz anders. Vergeblich scheint auch häufig die Arbeit der Seelsorger. Mir sagte einmal ein Priester: „Mir ist es, als ob ich mit Erbsen gegen eine Wand würfe.“

Die Vergeblichkeit sucht nach einer Erklärung. Oft, zu oft ist es die eigene Schuld. Wir waren zu schwach, zu feige, zu bequem, zu ängstlich. Wie oft haben wir etwas begonnen und nicht vollendet! Wie oft haben wir in einer Bewährungsprobe versagt! Wie oft haben wir Verheißungen erweckt und sie nicht erfüllt! Wie oft haben wir bauen wollen und den Grund gelegt, aber wir konnten den Bau nicht vollenden. „Was ich begangen, lässt sich nicht sühnen. Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen. Allein das Herz, das Herz in der Brust ist sich unendlicher Schuld bewusst.“ So hat der Dichter Wedekind einmal die Situation beschrieben. Nicht immer ist es eigene Schuld; es gibt auch schuldlose Tragik. Es gibt auch den Zwiespalt zwischen Wollen und Unvermögen. Wir haben uns gemüht, wir haben uns eingesetzt, wir haben das Beste versucht, aber es ist uns nicht gelungen. „Über jeder Freude seh ich schweben den Geierwald, der sie bedroht. Was du gesucht, geliebt im Leben, bald ist’s verloren oder tot“, dichtet Nikolaus Lenau. In der Tat: das beste Wollen, die reinste Absicht, das edelste Beginnen wird oft zerschlagen, scheitert, geht zugrunde. Der Widerstand war zu groß, die Kräfte waren zu gering, die erwartete Hilfe blieb aus. „Frei geht das Unglück durch die ganze Erde“, heißt es in Schillers „Wallenstein“.

Was versuchen die Menschen für Reaktionen auf die Vergeblichkeit ihres Wollens und ihres Schaffens? Wie kommen sie damit zurecht? Die einen ergreifen die Flucht. Sie suchen den Wachposten zu verlassen und zu entfliehen. Das Geschehen scheint sinnlos, das Leben ohne Wohlsein erscheint wertlos. Man kommt sich unnütz vor. Und so berichtet schon die Heilige Schrift wiederholt von Menschen, welche das Leben satt hatten und die Flucht ergriffen haben. „Ich habe es aufgegeben, ich will nicht leben fürderhin“, heißt es im Buche Job. Der Prophet Jonas wünschte sich den Tod und sagte: „Es ist besser für mich zu sterben als zu leben.“ Und manche haben den Tod nicht nur gewünscht, sondern sie haben ihn gesucht. Der König Saul ließ sich nach der verlorenen Schlacht von seinem Waffenträger töten, eine Art Selbstmord durch einen anderen. Und ihm haben es viele nachgemacht. Kurt Tucholsky nahm sich am 21. Dezember 1935 das Leben aus Verzweiflung über seine Krankheit und die Lage in Deutschland. Stefan Zweig beging am 23. Februar 1942 Selbstmord in Petropolis in Brasilien, ebenfalls aus Verzweiflung und Enttäuschung über sein Leben und über die politische Lage in Europa. Es wird wenige Menschen geben, denen nicht schon einmal der Gedanke gekommen ist: Ach, wenn ich doch sterben könnte! Wenn ich doch endlich Ruhe fände!

Man kann auch versuchen, in ein Traumland zu gehen und das Leben in seiner Flüchtigkeit anzusehen wie eine Welle, die emporgehoben wird und versinkt, wie ein Wolke, die zerrinnt. „Erglühen und Verbleichen gabst du uns als Traum. Ach wie flüchtig ist die Zeit. Was wir gestern kaum begonnen, heute liegt es schon so weit, grau und nebelhaft zerronnen. Ach, wie flüchtig ist die Zeit!“ hat Clemens von Brentano gedichtet. Und tatsächlich: „Rauch ist alles irdische Wesen. Wie des Dampfes Säule weht, schwinden alle Erdengrößen. Nur die Götter bleiben stet“, heißt es bei Schiller.

Viele, sehr viele machen das Schicksal für die Erfolglosigkeit und die Ergebnislosigkeit ihres Lebens verantwortlich, die Schicksalsverstrickung, die schon in der Antike eine große Rolle spielt. Das Schicksal ist mächtiger nach den griechischen Philosophen und Dichtern als alles menschliche Bemühen. Und so kommen manche zu pessimistischen Aussagen wie etwa Sophokles: „Niemals geboren zu werden wäre das beste. Auch in der Kindheit zu sterben, ist gut. Rings auf dem Meere des Lebens umdrohen dich Brandung und Klippen. Es treibe dein Kiel west- oder ostwärts, stets bleibst du in Sorgen, Wogen und Winden ein sicheres Ziel.“ Nicht nur die griechischen Philosophen und Dichter haben das Schicksal angerufen, auch in unserer Gegenwart gibt es Äußerungen, die das Schicksal für die Ergebnislosigkeit, ja manchmal sogar für die Sinnlosigkeit des Lebens verantwortlich zu machen versuchen. „Es murmeln die Wogen ihr ewiges Gemurmel. Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken. Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr wartet auf Antwort“, heißt es bei Heinrich Heine. „Ja, Schicksal, ich verstehe dich. Mein Glück ist nicht von dieser Welt. Es blüht ein Traum der Dichtung nur. Du sendest mir der Schmerzen viel und gibst für jedes Leid ein Lied.“ So hat uns Ludwig Uhland gedichtet.

Die Dichter und Philosophen sprechen oft von der Unentrinnbarkeit des Schicksals. Wir sind ihm ausgeliefert. „Sic erat in fatis“, heißt es bei Ovid, so stand es im Schicksalsbuche. Sic erat in fatis. „Wissend, schauend, unverwandt muss sich mein Geschick vollenden“ spricht Kassandra bei Friedrich Schiller. „Willst du mit den Kinderhänden in des Schicksals Speichen greifen, seines Donnerwagens Lauf hält kein sterblich Wesen auf“, dichtet Franz Grillparzer.

Viele Menschen, vielleicht auch wir reagieren auf die Ergebnislosigkeit ihres Mühens mit Lebensangst. Die Angst begleitet unser Leben. Die Lebensangst ist der natürliche Aufschrei der Kreatur. Lebensangst, die sich häufig mit Übermut paart, Lebensangst, die gierig nach dem Becher greift, um zu trinken; sie sucht Lebenswasser, aber sie findet nur Abwasser. Ich habe mich immer gewundert, wie sich die deutschen Unterseebootfahrer im letzten Kriege verhalten haben. Keine deutsche Waffe hatte so hohe Verluste wie die Unterseebootfahrer. Wenn sie von ihren Stützpunkten in Frankreich ausfuhren, wussten sie mit größter Wahrscheinlichkeit: Wir kommen nicht zurück. Und wie reagierten sie darauf? Sie feierten am letzten Abend vor der Ausfahrt wilde Feste mit Alkohol und Frauen. So gingen sie in den fast sicheren Tod. So suchten sie die Lebensangst zu betäuben.

Manche meinen mit Stolz ihr Leben wenden zu können, mit stolzer Gleichgültigkeit: Ach, im Grunde ist alles halb so schlimm. Dieser Stolz ist jedoch eine seelische Verkrampfung. Er führt zur müden Resignation, zum Neinsagen. Dieser Stolz erkennt nur das Gesetz der Notwendigkeit und nicht das Gesetz der Liebe. Ein Stoiker hat einmal gesagt: „Ich denke mir die Natur wie eine Frau, die einen prächtigen Mantel trägt mit einer Schleppe, und mit dieser Schleppe schreitet sie dahin und tötet die Ameisen, die ihr in den Weg kommen. Und ich bin so eine Ameise.“

Das alles sind Irrwege, auch wenn sie manchen als Auswege erscheinen mögen. Die einzige richtige Haltung gibt uns das Christentum, und diese Haltung lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Geduld. Im Römerbrief ist uns das Hohelied der Geduld angeklungen, wenn Paulus schreibt: „Trübsal wirkt Geduld (nicht Verzweiflung, nicht Angst), Geduld wirkt Bewährung, Bewährung wirkt Hoffnung, die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.“ Geduld, christliche Geduld ist Ausdauer und Einsatz aller Kräfte in schwierigen Lagen. Geduld ist Kraftentfaltung der Seele gegenüber den Lasten, die uns zufallen. Geduld ist das Ertragen gegenwärtiger Übel ohne ungeordnete Trauer. Geduld müssen wir aufbringen, wenn wir unser Leben und die Ergebnislosigkeit, die scheinbare Sinnlosigkeit unseres Schaffens ertragen wollen. Die Jünger hatten die ganze Nacht gearbeitet, doch das durfte sie nicht zum Aufgeben zwingen. „Werft eure Netze aus!“ sagt der Herr, und die enttäuschten, ermatteten Jünger werfen ihre Netze aus. Moses hat einmal in einer trüben Stunde gläubig und in Zuversicht ausgeharrt. „Er hielt sich an den, den er nicht sah, als sehe er ihn.“ Er hielt sich an den, den er nicht sah, als sehe er ihn. Die Apostel haben neu begonnen: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.“ So nur wird die Vergeblichkeit der Nacht in den Erfolg des Tages verwandelt. Und so höre ich den Ruf heute an uns ergehen, meine lieben Freunde: Nicht aufgeben, weitermachen, warten können, Vertrauen haben. Ich höre die Stimme des Herrn: „Jünger Christi, werft eure Netze aus! Katholische Männer und Frauen, werft eure Netze aus! Priester des Herrn, werft eure Netze aus! Katholische Eltern, werft eure Netze aus! Überwindet Mutlosigkeit und Verzagtheit, habt Zuversicht und Vertrauen. Gebt Zeugnis von dem Glauben, der euch trägt, legt Rechenschaft ab von der Hoffnung, die euch bewegt!

Gewiß, wir sind ohnmächtige Kinder Gottes. Aber der Mensch mit Gott ist stärker als alle anderen Menschen. Nichts Gutes, was ich will und was ich vollbringe, nichts Gutes, meine lieben Freunde, kann umsonst sein. Was Menschen vergeblich scheint, das ist ein Gewinn vor Gott. Nichts Schweres, was ich trage, hinterlässt nur Narben, sondern bringt auch Früchte in die Scheuer Gottes. All dies, auch das menschlich Vergebliche, auch das was uns sinnlos scheint, schwingt sich zum allwissenden und verstehenden Gott empor. Joseph von Eichendorff hat es einmal in die Worte gefasst: „Wenn die Wogen unten toben, Menschenwitz zuschanden wird, weist mit feurigen Zügen droben heimwärts dich der Wogen Hirt. Sollst nach keinem anderen fragen, nicht zurückschaun nach dem Land. Faß das Steuer, laß das Zagen, aufgerollt hat Gottes Hand die Wogen zu bewahren und die Sterne, dich zu wahren.“

Amen.

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