Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Februar 2008

Jesus auf dem Weg zu seinem Leiden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jetzt wirbeln noch einmal die Massen durch die Säle der Gastwirtschaften und der Rathäuser. Die Menschen suchen noch einmal Vergessen von dem grauen Alltag. Sie wollen sich Glück und Freude verschaffen, Seligkeit, wenigstens für gewisse Stunden. Zu diesem lustigen Kehraus passt das Evangelium des heutigen Tages gar nicht. Wir treffen den Herrn auf seinem Schicksalsweg nach Jerusalem. Dieser Weg führt von der Höhe des Taborberges auf den Golgothahügel, denn kurz nach der Verklärung lesen wir beim Evangelisten Lukas: „Und es geschah, dass sich die Tage seines Heimgangs erfüllten. Da wandte sich sein Angesicht stracks gegen Jerusalem.“

Der Herr weiß genau, was über ihn kommen wird. Doch mit keinem Schritt weicht er dem Willen seines Vaters aus. Der Weg nach Jerusalem ist noch weit, es sind noch einige Wochen bis zum Osterfest, aber unverrückbar folgt er seinem Ziele. Was wird aus den Jüngern geschehen? Wie werden die Jünger dieses schreckliche Geschehen ertragen, diese ahnungslosen Jünger? Da muss er sie vorbereiten. Und so spricht er einmal, zweimal dreimal seine Leidensweissagung. „Er aber nahm die Zwölf beiseite und sprach zu ihnen: ,Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und alles wird erfüllt werden, was durch die Propheten über den Menschensohn geschrieben worden ist.’“

Was über Jesus kommt, ist also nicht das Werk eines augenlosen Schicksals, ist auch nicht nur das Werk der gehässigen Juden, ist auch nicht nur das Werk der Heiden, und es ist auch nicht nur das Werk des Verräters. Nein, was ihm geschieht, das ist von Gott verordnet und durch seine Propheten vorherverkündet. Er wird den Heiden ausgeliefert, er wird misshandelt, er wird beschimpft, er wird angespuckt, er wird gegeißelt werden, und dann werden sie ihn kreuzigen. Diesem Schicksal geht er entgegen. Der Prophet Isaias hatte dieses Schicksal vorausverkündet: „Verachtet war er, der Letzte der Menschen; wir mochten ihn nicht ansehen.“ Und im Psalm 22 hatte der prophetische Dichter schon vorangekündigt: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, von den Menschen verspottet, von allen verachtet.“ Und doch ist es derselbe, den Daniel auf den Wolken des Himmels hat machtvoll kommen sehen. Beide Prophezeiungen gehören zusammen, die Prophezeiung über die Niedrigkeit und das Todesschicksal des Herrn und die andere über seine Erhöhung, über seine Macht, über sein Kommen mit den Wolken des Himmels. Und daran erinnert sie der Herr, an beide Propheten. Sie sollen nicht nur an den himmlischen Menschensohn beim Propheten Daniel denken, wenn sie an ihn als den Messias glauben. Sie müssen auch an den Gottesknecht bei Isaias denken. Aber die Jünger wollen so was nicht hören. Dreimal, dreimal sagt der Evangelist: Sie verstanden ihn nicht, es war ihnen dunkel, es war ihnen unbegreiflich, was der Herr ihnen sagte. Sie scheuchten diesen Gedanken von sich weg.

Der Mensch sträubt sich gegen zwingende Einsichten, wenn sie seinen Wünschen und seinen Plänen widersprechen. Der Mensch sträubt sich. Er will nicht wahrhaben, was doch vor aller Augen liegt. Ich erinnere mich, meine Freunde, es war im Jahre 1944. Die Rote Armee stand an der Weichsel. Die Katastrophe unseres Landes, der Zusammenbruch unseres Staates war abzusehen. Die Rote Armee sammelte sich zu ihrem letzten Todesstoß, und zuallererst musste er meine Heimat treffen, musste er Schlesien treffen, denn wir lagen im Osten. Da unterhielt ich mich mit einem meiner Lehrer über die Lage. Der Lehrer, ein Geschichtslehrer, sagte zu mir: „Ja, meinen Sie nicht, May, dass sich noch etwas Gutes herauskristallisieren wird?“ Im Jahre 1944, umgeben von einer wütenden Welt, die gegen das Großdeutsche Reich aufgebracht war, sollte sich noch etwas Gutes herauskristallisieren! Er wollte sich nicht eingestehen, was doch vor aller Augen lag, nämlich dass ein furchtbarer Zusammenbruch bevorstand. Das Menschenherz wehrt sich gegen das Leid. Es will nicht wahrhaben, was über uns kommen kann, und das ist in gewisser Hinsicht verständlich, denn der Mensch ist ja nicht für das Leid, sondern für das Glück geschaffen. Ursprünglich hat Gott den Menschen für die Freude geschaffen. Er hat ihm ein Paradies der Wonne bereitet. Er sollte in die Seligkeit des Himmels ohne den schmerzlichen Prozeß des Sterbens eingehen. Das Leid, der Tod, das sind Wirklichkeiten, die nach Gottes Willen nicht da sein sollten. Aber der Mensch hat sein Paradies verspielt, und so ist das Leid, so ist der Tod über ihn gekommen. Und jetzt steht Gott vor dem Menschen und fragt ihn: Wie willst du das Leid tragen? Willst du es tragen wie die Heiden, die es verwünschen und verfluchen, wenn es sie überfällt? Wehrst du dich dagegen in allen deinen Gedanken und mit deinem ganzen Herzen? Trägst du Groll und Verbitterung im Herzen und machst du Gott bittere Vorwürfe? Oder denkst du gar daran, sich dem Leid zu entziehen durch den selbstgewählten Tod?

Gott steht vor uns und fragt uns: Wie trägst du das Leid? Trägst du das Leid wie die Juden, die in allem Leid nur den Fluch und die Strafe Gottes sahen? Nein, das ist es nicht! Es ist nicht alles Leid nur Fluch und Strafe Gottes. Es gibt auch Leid, das über den Unschuldigen kommt. Das ist das Leid der Prüfung; das ist das Leid, in dem Gott seine Auserwählten auf ihre Treue, ihre Liebe und ihre Selbstlosigkeit prüft. Wir sollen das Leid tragen, wie es der Herr getragen hat. Er hadert nicht, er sträubt sich nicht, er grübelt nicht. Er weiß, der Vater will es, und so ist es gut. Das haben ja letztlich auch seine Jünger verstanden. Zwar sind sie noch einmal geflohen, als die Übermacht im Ölgarten den Herrn ergriff. Aber dann haben sie verstanden, was sein Leid bedeutete, dass es erlöserische Qualität hatte. Endlich haben sie begriffen, dass der Menschensohn sterben musste, damit die Menschheit leben konnte. Wie schwer war ihm der Weg nach Jerusalem hinauf! Und niemand war, der ihn tröstete. Die Jünger verstanden ihn nicht, sie wollten ihn nicht verstehen. Er musste allein diesen Opfergang auf sich nehmen.

Und ähnlich wie die Jünger dachte auch das Volk, das ihn in immer stärkeren Scharen begleitete, es stand ja das Osterfest bevor. Sie drängten sich zur heiligen Stadt, und am Wegesrande, am Stadtrande, da saßen Bettler, unter ihnen auch ein Blinder. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wie schrecklich es ist, meine Freunde, blind zu sein. Als junger Priester hatte ich die Aufgabe, eine Blindenanstalt zu betreuen, also ein ganzes Haus voller Blinder, junge und alte, die diesem furchtbaren Schicksal unterworfen waren. Nicht sehen können ist ein früher Tod. Da saß nun ein Blinder am Wege und bettelte. Er sah die Scharen, die vorüberzogen, und er fragte, was das sei. Sie sagten ihm, Jesus von Nazareth ziehe vorbei. Von dem hatte er schon gehört, und er hatte auch vernommen, dass er mächtig sei, dass er Heilungskraft besitze, ja dass er Blinden das Licht gegeben hatte. Und da bricht es aus ihm aus: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Achten Sie bitte darauf, dass er nicht sagt: Jesus von Nazareth, denn so sprachen von ihm seine Gegner. Nazareth, dieser verrufene Ort im heidnischen Galiläa. Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Er sagt nicht: Jesus von Nazareth, er sagt: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner! Das heißt, er weiß, Jesus ist der Messias; Jesus ist der Heilige Gottes, Jesus ist der von Gott gesandte Erlöser. Und deswegen, auch wenn ihn die Vorausgehenden abhalten wollen: er schreit: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Und der Herr fragt ihn: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ „Herr, dass ich sehe.“ Und der Herr erbarmt sich seiner. Er wirkt sein letztes Wunder auf dieser Erde. „Ich will, sei sehend!“ Und der Blinde konnte sehen. Er jauchzte und jubelte zu Gott. Und das Volk, das es sah, war ergriffen und pries Gott. Jetzt hatte Jesus von Nazareth seine messianische Würde, seine messianische Fähigkeit bewiesen, zum letzten Mal bewiesen.

Die körperliche Blindheit ist ein unsagbares Leid. Aber noch schlimmer ist die geistige Blindheit, die Unkenntnis Gottes, die Verschlossenheit gegenüber dem Evangelium. Und noch immer gibt es Menschen, viele, allzu viele Menschen, die von dieser Blindheit befallen sind. Meine lieben Freunde, wir haben mit unseren schwachen Kräften die Aufgabe, die Blindheit der Menschen zu lösen. Wir sollen alles tun, um sie zu Gott, dem Heiland, unserem Herrn und Meister, zu führen. Sagen wir ihnen: Wenn dir keine Ewigkeit leuchtet, dann bist du auf ewig verloren!

Amen.

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