Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2007

Weihnachten – Heimweh nach Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

Weihnachten ist nicht das größte Fest im kirchlichen Festkalender, aber es ist das traulichste; es ist das gemütvollste Fest, und zwar deswegen, weil es das Fest des Heimwehs ist. Zu Weihnachten sehnt sich jedermann nach seiner Heimat. Niemals empfinden diejenigen, die keine Heimat haben, es so schmerzlich wie am Weihnachtsabend. Jetzt fliegen ungezählte Briefe in alle Gegenden, an Geschwister und Verwandte und Bekannte, um die Bande fester zu knüpfen, die sie mit ihnen verbinden. Wer nicht heim kann, der schickt seine Sehnsucht mit diesen Briefen nach Hause. Manche mögen in ihrem Zimmer auf und ab gehen, ihre Gedanken wandern lassen, heimsenden und sich sagen: Jetzt werden sie daheim den Christbaum anzünden; jetzt werden sie sich vor der Krippe versammeln; jetzt werden sie sich zur Christmette rüsten. Weihnachten ist das trauteste Fest, das wir kennen. Und es ist, als ob alle, die dazu gehören, jetzt irgendwie bei uns sind, die Lebenden und die Verstorbenen. Niemand ist vergessen, alle sind in unserem Herzen. Es ist, als ob die Türen sich öffneten und sie in unser Zimmer träten und wieder bei uns sein könnten.

Ja, es geht ein gewaltiges Sehnen nach Heimat, nach Liebe und Frieden durch die Welt. Das war so, meine lieben Freunde, in den Schützenlöchern des letzten Krieges, und es ist heute noch so in den Kellerwohnungen der Proletarier unserer Zeiten. Ein Priester hat einmal eine Christmette gefeiert in einem Fürsorgeheim. Da standen sie um den Altar, diese Männer und Frauen, die niemanden auf dieser Erde hatten, um die sich niemand annahm, die allein und einsam waren. Sie standen um den Altar mit der kleinen weißen Hostie, und das Heimweh brach in ihnen auf, und die Tränen rollten aus ihren Augen vor Heimweh. Ich möchte heim, ich möchte heim mit meiner Seele. Ja, Weihnachten weckt das ganze Heimweh in der Seele des Menschen.

Aber Weihnachten gibt auch eine Heimat, eine Heimat am Herzen unseres Heilandes. Das Weihnachten führt zum Heiland. Wo ist unsere Heimat? Die Menschen sagen: Dort, wo unsere Wiege stand, dort, wo die Mutter zum ersten Mal freudig unseren Namen nannte, dort, wo wir zuerst geliebt wurden. Aber das ist nur eine vorläufige Heimat. Christus sagt: Das ist deine wahre Heimat nicht. Wir sind nur Gast auf Erden, und unsere eigentliche Heimat ist im Himmel, von wo wir unseren Heiland erwarten, unseren Erlöser Jesus Christus.

In der dritten Messe des heutigen Festtages hebt es wuchtig an: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Diese Verse gehen zurück in jene Zeit vor jeder Zeit, als Gott allein war, als noch nichts geschaffen war, bevor es Engel und Menschen gab. Man hat gefragt, ob Gott da nicht einsam war. Nein, er war nicht einsam, denn Gott ist ein dreifaltiger Gott. In Gott ist eine Gemeinschaft; es sind drei Personen. Und Gott freute sich all der Dinge, die seine Allmacht schaffen würde. In seinem Geiste blühten die ungezählten Menschen auf, und einer dieser Menschen warst auch du, mein lieber Christ. Da freute sich Gott schon deiner, da war die Heimat vor Millionen Jahren, in Ewigkeit schon bereitet.

Es ist ein trautes Bild, wenn ein Kind im Schoße seiner Mutter schläft. Ja, schlafe nur zu, möchten wir ihm sagen, so geborgen wirst du in deinem Leben nie mehr sein wie jetzt auf dem Schoße der Mutter. Aber das ist nur ein schwaches Bild für unsere Geborgenheit in Gott. Beim Propheten Isaias heißt es: „Kann denn eine Mutter ihr Kind vergessen, dass sie nicht gedächte des Sohnes ihres Leibes? Und selbst wenn sie es vergessen könnte, ich will doch deiner nicht vergessen.“ Wenn eine Zeit kommen sollte, wo eine Mutter so gefühllos ist, dass das Kind auch an ihrem Schoße keine Heimat mehr hat, in Gott werden wir immer eine Heimat finden. Wo ist Heimat? Dort, wo eine Mutter zuerst unseren Namen nannte. Aber Gott rief unseren Namens schon von Ewigkeit her. Wo ist Heimat? Wo die Liebe zuerst uns empfing. Gott hat mit ewiger Liebe uns geliebt.

Wenn man gestern durch die Straßen ging und vor den Asylen der Obdachlosen halt machte, da sah man, wie sich da die Menschen drängen, die Ausgestoßenen, die Vergessenen, die Verlassenen. Sie sehnen sich nach einer Pritsche, wo sie diese Nacht verbringen können. Auch diese Menschen hatten einmal eine Heimat, ein Geborgensein, und jetzt gehen sie den Weg, heimatlos, mit zerrütteter Seele. Wenn ein solcher Mensch festhält an seinem Glauben, dann hat er eine Heimat, dann hat er ein Geborgensein am Herzen Gottes.

Und weiter möchte ich fragen: Wo ist Heimat? Dort, wo man unsere Sprache spricht, wo man uns kennt, uns versteht. Und wieder sagt Christus: Das ist deine Heimat nicht. Die letzte Sprache deiner Seele, die versteht doch kein Mensch, und das letzte Verstehen kann dir niemand bieten. Es hat mir einmal ein Herr, der in seiner Ehe sehr glücklich war, gesagt: „Ich bin jetzt ganz glücklich. Ich habe alles gefunden, was ich vorher ersehnte. Aber es ist merkwürdig, ich habe immer das Gefühl, es ist noch nicht das Letzte. Es muss noch etwas Schöneres kommen.“ Wiederum sagt Christus: Ich will euch Heimat sein. Ich will euch das Letzte an Geborgenheit, an Glück, an Seligkeit bieten. Und um das zu geben, hat er einen Leib angenommen mit einem Herzen, das schlagen kann mit unserem Herzen, mit einer Seele, um fühlen zu können wie unsere Seele. Als Christus auf Erden erschien, da ging eine Bewegung durch die Menschen, und sie zogen ihm nach in dem Bewusstsein: Das ist der Mensch, der uns versteht. Er hat alle verstanden, die Gebildeten und die Ungebildeten, die Männer und die Kinder, die Heiligen und die Sünder. Er hat auch die Reinste von allen, seine Mutter, verstanden und den Verworfenen, der am Kreuze neben ihm hing, den Schächer, der nach einem Sündenleben im letzten Augenblick ihn gesucht hat. Auch er ist verstanden worden und stirbt glücklich wie ein Kind.

Christus versteht uns bis in die Tiefen unserer Seele, so wie er die Samariterin am Jakobsbrunnen verstanden hat. „Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.“ Und wenn auch alle Steine warfen auf die Sünderin, er verstand sie doch, ohne ein Wort zu sagen. So ist Christus, und darum ist er uns Heimat. Wo ist Heimat? Dort, wo man die Sprache versteht, die wir sprechen. O Gott, du allein verstehst die Sprache, das Stammeln unserer Seele. Wo ist Heimat? Dort, wo Verstehen ist für uns. Du, o Gott, verstehst uns bis in die Abgründe unserer Seele. Und alle, die klagen, dass sie allein stehen, haben vielleicht keine Heimat mehr, aber es gibt einen, der sie versteht. Im letzten Grunde gibt es nur einen, nämlich unseren Heiland. Und alle, die nicht wissen, wohin sie gehören, zu Christus gehören sie, zum Weihnachtschristus. Das Letzte, was einer bieten kann, das Eine, das geboten werden muss, das bietet uns Christus.

Es war einmal einer, meine lieben Freunde, der sich von Gott getrennt hatte, der zum Feinde Gottes geworden war, der Gott für tot erklärte. Er schien fertig zu sein mit Gott, aber Gott war nicht fertig mit ihm. Er kam nicht los von Gott. Und in seiner Not hat er die ergreifenden Verse geschrieben: „Noch einmal, ehe ich weiterziehe und meine Blicke vorwärts sende, heb ich vereinsamt meine Hände zu dir empor, zu dem ich fliehe, dem ich aus tiefster Herzenstiefe Altäre feierlich geweiht, dass allezeit mich deine Stimme wieder riefe. Darauf erblüht tief eingegraben das Wort: Dem unbekannten Gott. Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte auch bis zur Stunde bin geblieben. Sein bin ich, und ich fühl die Schlingen, die mich im Kampf darniederziehen, und mag ich fliehen, mich doch zu seinem Dienste zwingen. Ich will dich kennen, Unbekannter, du tief in meine Seele Greifender, mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender, du Unfassbarer, mir Verwandter, ich will dich kennen, selbst dir dienen.“ So hat er gespürt, was er verloren hat, als er Gott aufgab, und so entringt sich ihm am Schluß der sehnsuchtsvolle Ruf: „Nein, komm zurück mit allen deinen Martern zum letzten aller Einsamen. O komm zurück! Alle meine Tränenbäche nehmen zu dir den Lauf, und meine letzte Herzensflamme, dir glüht sie auf. O komm zurück, mein unbekannter Gott, mein Schmerz, mein letztes Glück!“ So hat Friedrich Nietzsche, der Atheist und Antichrist, gesungen.

Wenn man sich fragt: Seit wann geht denn das Heimweh in unserer Seele um? Seit wann lebt denn das Heimweh in unserer Seele? Ich glaube, seit jener Zeit, da die Menschen aus dem Paradies gestoßen wurden. Da wanderte das Heimweh mit ihnen durch die Jahrtausende und die Jahrtausende. Eine alte Legende erzählt, als Adam alt und grau geworden war und gebückt von des Lebens Last, ist er noch einmal zurückgekommen an die Pforten des Paradieses und hat einen langen Blick hineingeworfen. Dann hat er mit letzter Kraft an den Pforten des Paradieses gerüttelt und ausgerufen: Ich will heim. Aber die Türen sind verschlossen geblieben für ihn und für uns, bis der kam, der so heimatlos war, dass für ihn kein Platz in der Herberge war, so dass er in einem Stalle geboren werden musste, er, der allen eine Heimat bot. Wenn Sie, meine lieben Christen,  in dieser heiligen Zeit den Herrn und Heiland in Ihr Herz aufnehmen, dann denken Sie daran: Das ist der Weg nach Hause. Wenn Sie an der Kommunionbank knien und der Priester den heiligen Leib des Herrn auf Ihre Lippen legt, dann denken Sie: Jetzt gehe ich heim, jetzt habe ich meine Heimat und den, der die letzten Gründe meiner Seele versteht, den, der mir das Letzte bietet, ihn, in dessen Geist ich zuerst gewesen bin, der mich geliebt hat mit ewiger Liebe.

Amen.

 

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