Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Dezember 2007

Freut euch im Herrn, denn er ist nah

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Advent ist eine Zeit der Buße, Buße zur Vorbereitung auf das große Fest der Christgeburt. Wir haben ja eine zweite Bußzeit im Jahre, nämlich die Fastenzeit. Aber es besteht ein Unterschied. In den wehmutsvollen und sehnsuchtsvollen Gesängen der Adventszeit leuchtet ein Licht auf, ein Licht, das heute den Apostel veranlasst, uns zuzurufen: „Freuet euch! Abermals sage ich euch: Freuet euch!“ Das klingt wie ein Befehl, wie ein Kommando, das der Apostel uns gibt. Ja, kann man denn die Freude befehlen? Ist es möglich, dass wir die Freude herbeirufen, dass wir sie erwerben, dass wir sie erzwingen?

Meine Freunde, wir sind in der Mehrzahl völlig widerstandslos den Einwirkungen von außen ausgesetzt, Einwirkungen von Menschen, Einwirkungen von den Umständen, von den sozialen Verhältnissen, Einwirkungen durch das Wetter. Wir sind fröhlich, wenn die Sonne lacht, und wir sind traurig, wenn der Regen fällt. O wie töricht! Denn wir sind es ja nicht, die sich da freuen, sondern die Sonne freut sich. Der Regen ist kein Anlaß zur Traurigkeit, er ist ein Anlaß zur Dankbarkeit. Die Freude kann befohlen werden, ja, sie muss befohlen werden, denn sie ist eine christliche Tugend, und Tugenden kann man erwerben und soll man erwerben, muss man nach Gottes Willen erwerben. Die Freude ist eine Tugend, und eine Tugend kann man erwerben. Das sollen uns die beiden großen Adventsheiligen lehren, nämlich Johannes und Maria.

Ja, Johannes, wie kann er ein Lehrer der Freude sein? War er nicht ein strenger, herber Mann? Hatte er nicht etwas Alttestamentliches an sich in seiner strengen Bußpredigt? Gehen wir aus von einer Legende. In der Hölle wurde eine Beratung gehalten, wie man die Menschen unglücklich machen könnte. Da sprach ein Teufel: „Schickt mich! Ich werde die Menschen mit Krankheit schlagen, dann werden sie unglücklich sein.“ Die anderen widersprachen ihm jedoch: „Es gibt doch viele Kranke, die trotz ihrer Krankheit heiter sind.“ Da trat ein anderer Teufel vor und sagte: „Schickt mich! Ich werde die Menschen mit Armut schlagen, dann werden sie unglücklich sein.“ Wiederum widersprachen ihm andere und sagten: „Es gibt auch Arme, die zufrieden und glücklich sind.“ Schließlich trat ein dritter Teufel vor. Es war der Teufel der unerfüllten Wünsche. Er sprach: „Sendet mich! Ich werde den Menschen Wünsche, zahlreiche Wünsche, unerfüllte Wünsche in die Seele werfen, und dann werden sie unglücklich sein.“ Da stimmten ihm alle bei und sagten: „Ja, geh du und mache die Menschen unglücklich!“ Der Teufel ging dann über die Erde. Er zeigte den Arbeitern das Wohlleben des Arbeitgebers. Er ging zu dem Kaufmann, und er zeigte ihm den Erfolg seines Konkurrenten. Er ging in die Kinderseelen und weckte in ihnen Wünsche, viele Wünsche, so dass sie Ansprüche stellten wie die Erwachsenen. Da zog die Unzufriedenheit in die Menschen ein, ein Murren ging durch das Volk, und das Unglück wuchs bergehoch an.

Das ist eine Legende, aber sie ist von der Wirklichkeit nicht weit entfernt. Das Institut Allensbach hat dieser Tage eine Erhebung durchgeführt und gefragt, ob die Menschen in Deutschland zufrieden seien. Nur 15 Prozent der Menschen waren zufrieden – 15 Prozent. Der Teufel der unerfüllten Wünsche hat reiche Ernte gemacht. Die Hölle des Menschen sind seine unerfüllten und unerfüllbaren Wünsche. Nehmen Sie ein Kind und stellen Sie ihm Wünsche vor, die Sie ihm nicht erfüllen können, und sie haben das unzufriedenste Kind, das man sich denken kann. Wir wissen es selbst, wie diese Wünsche uns hetzen und quälen. Um Ruhe zu finden, müssen wir die Wünsche preisgeben. Man spricht mit Recht davon, es sei jemand „wunschlos glücklich“. Das ist ein gutes Wort, denn wenn man die Wünsche verabschiedet, dann kann man glücklich werden. Wir sind in dem Maße glücklich, als wir wunschlos sind.

Im Gegenbild zu dem unersättlichen heutigen Menschen ist Johannes ein Mensch der Zufriedenheit. Man kann ihn nicht unglücklich nennen, nichts deutet darauf hin, er sei unglücklich. Er war zu anspruchslos, um unglücklich zu sein. Er war zu demütig, um unglücklich zu sein. Solche Menschen sind nicht unglücklich. Die Pharisäer haben es darauf abgesehen, ihn zu kränken, aber es ist ihnen nicht gelungen. Bei anderen wäre es gelungen, bei Johannes nicht. Solche Naturen kann man nicht kränken, weil sie nichts sein wollen. Man kann ihnen nichts nehmen, weil sie nichts besitzen. Wenn wir Ruhe finden wollen für unsere Seelen, dann müssen wir anspruchslos, demütig und bedürfnislos leben. Wir können nicht alle in der Wüste leben wie Johannes, aber wir können alle uns bescheiden. Das müssen wir lernen. Von der heiligen Theresia wird berichtet, wie ein Mitschwester unglücklich war, weil sie eine Nadel nicht fand, eine Nadel verloren hatte, eine Nadel verlegt hatte. Da sagte Theresia: „Wie sind Sie noch so reich! Da können Sie nicht glücklich sein.“ Wie sind Sie noch so reich! Da können Sie nicht glücklich sein. Vielen möchte man sagen: Sie sind zu reich, um glücklich zu sein. Menschen, die fortwährend nach Vergnügungen aus sind, denen müßte man sagen: Sie sind zu reich, um glücklich zu sein. Man muss den Mut haben, sich zu bescheiden, und dann: Freuet euch! Abermals sage ich: Freuet euch!

Das ist das erste, um zur Freude zu kommen. Anspruchslos werden, bedürfnislos werden, sich bescheiden. Das Zweite, um in der Freude zu leben, besteht darin, dass man anderen Freude macht, mit erfinderischer Liebe die Bedürfnisse und die Nöte der Menschen erspürt, ihnen zu Hilfe kommt, sie beobachten, sich bemüht, ihnen Freude zu spenden. Die Zuwendung zum anderen besitzt heilende Kraft für unsere Seele. „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück! Freude, die wir anderen geben, kehrt ins eigene Herz zurück.“ Noch einmal: Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück! Freude, die wir anderen geben, kehrt ins eigene Herz zurück. Mich fragte einmal ein Nachbar: „Was machen Sie denn mit dem vielen Zeug, das Sie in Ihrem Garten anbauen? Das können Sie doch gar nicht selbst verbrauchen.“ Er hatte nicht begriffen, dass man auch für andere anbauen kann.

Das dritte, wie wir zur Freude kommen, besteht darin, dass wir unsere Umwelt beachten, die Natur. Wer ein offenes Auge hat, der freut sich an der Natur, an den Gräsern und an den Sträuchern, an den Bäumen, an den Blumen. Die Schönheit der Pflanzen kann uns eine Freude sein. Man muss sie nur sehen und darf nicht achtlos vorübergehen. Die Natur hat eine Freude für uns bereit. Wie schön ist ein Weizenfeld, das sich im Winde wiegt! Wie herrlich ist ein Apfelbaum, an dem die Früchte hängen!. Wir müssen das Schöne an der Natur sehen. Ähnlich ist es mit den Tieren. Ich bewundere immer die Kühe auf dem Weidefeld. Wie schön sind die Tiere, so ruhig und so nützlich für uns! Aber wir müssen sie dankbar betrachten. „O Gott, wie wunderbar ist deine Erde, wie wunderbar ist die Welt, die du geschaffen hast“, so können wir mit dem 8. und 18. Psalm sagen.

Wir können uns auch viertens freuen an dem, was bei uns Natur und Technik geschaffen haben. Meine lieben Freunde, wir gehen in unser Zimmer und knipsen, und auf einmal ist das Zimmer hell erleuchtet durch das elektrische Licht. Ich erinnere mich, dass mein Großeltern noch eine Petroleumlampe hatten. Sie erhellten ihre arme Wohnung mit einer Petroleumlampe. Wie können wir dankbar sein, dass uns die Technik so viel Annehmlichkeit, ja Luxus verschafft hat! Die Menschen, die vor hundert Jahren lebten, würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie erleben würden, was wir heute an technischen Möglichkeiten besitzen, an den Errungenschaften unserer Kultur. Und das kommt ja von Gott, denn Gott hat den Menschen das Denken und das Forschen und das Erfinden in die Seele gelegt. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er Entdeckungen und Erfindungen macht. Wir dürfen also Gott danken für die Errungenschaften der Kultur und der Technik.

Freilich, das alles ist noch gar nichts gegenüber der Freude, die wir aus der Übernatur, aus der übernatürlichen Gnade erfahren. Dass wir eine Kirche besitzen, die uns die Wahrheit verkündet, dass wir Sakramente haben, aus denen die Gnade fließt, dass wir ein Opfer haben, in dem wir uns selbst dem Vater im Himmel darbieten können: Das ist ein Glück, ein unbeschreibliches Glück. Der schlesische Dichter Josef Wittig beschreibt einmal, wie er als Knabe den Vater fragte: „Was ist denn eigentlich katholisch?“ Da entgegnete der Vater: „Katholisch sein heißt glücklich sein.“ Das hat sich der kleine Junge zu Herzen genommen und gesagt, wenn er einmal traurig war: „Ich bin wohl nicht mehr richtig katholisch.“ Katholisch sein heißt glücklich sein. O meine Freunde, was ist es für ein Glück, die heilige Kommunion zu empfangen! Was ist es für ein Glück für den Priester, täglich am Altare stehen zu dürfen. Wer hier sein Glück nicht findet, der findet es überhaupt nicht. Und doch, jedes Jahr trennen sich Hunderte und Tausende, Zehntausende von dieser Kirche, die unser Glück ist, treten, wie man sagt, aus der Kirche aus. Sie wissen nicht, was sie tun. „Keiner, der dich fahren lässt, hat dich erfahren“, hat die große Dichterin Gertrud von Le Fort in ihren Hymnen an die Kirche gesungen. Keiner, der dich fahren lässt, hat dich erfahren.

In diese Zeit klingt das Magnifikat Mariens hinein, das Jubellied der Jungfrau. „Hoch preiset meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlocket in Gott, meinem Heiland.“ Wie hat dieses schlichte Mädchen den Ruf des Engels begrüßt! Wie hat sie sich in einem Jubellied ergossen. „Hoch preiset meine Seele den Herrn. Großes hat an mir getan der Mächtige und dessen Name heilig ist.“ Gottes Gnade hat sie, vor allen anderen Frauen begnadet. Doch, meine lieben Freunde, das ist nicht nur das Jubellied Mariens, dass müsste auch unser Jubellied sein. Auch wir haben Anlaß zu sagen: Großes hat an mir getan, der mächtig ist und dessen Name heilig. Allen, allen ist zu erklären, dass Gott Großes an ihnen getan hat. Jeder hat ein anderes Magnifikat, aber jeder muss ein Magnifikat singen, den Dank hinausjubeln für das, was Gott an ihm getan hat. „Sein Erbarmen währet von Geschlecht zu Geschlecht.“ So singt Maria weiter in ihrem Magnifikat. Gottes Erbarmen! Müßten wir nicht mit ihr singen: Großes hat er an mir getan. Sein Erbarmen währet von Geschlecht zu Geschlecht. Haben wir nicht in aller Not, in allem Jammer, in allem Elend immer wieder verspürt, dass Gottes Erbarmen uns hilft? Hat er uns nicht aus unserer Sünde emporgerissen und in die Gnade versetzt? Haben wir nicht, als wir darniederlagen, als wir nicht aus und ein wussten, als alles verloren schien, haben wir da nicht das Erbarmen Gottes erfahren? „All meine Hoffnung“, hat einmal der heilige Augustinus in seinen „Bekenntnissen“ geschrieben, „all meine Hoffnung ruht in deinem überreichen Erbarmen.“ Ja, das kann ein jeder von uns sagen. All meine Hoffnung ruht in Gottes überreichem Erbarmen.

Und dann singt Maria weiter: „Er schafft Gerechtigkeit den Armen und Unterdrückten.“ Gerechtigkeit, das ist es ja, was wir verlangen. Fortwährend ist die Rede von sozialer Gerechtigkeit. Auch ich bin der Meinung, dass die soziale Gerechtigkeit nicht überall verwirklicht ist. Auch ich bin der Meinung, dass die Manager zu hohe Gehälter bekommen. Jawohl. Aber einmal wird es einen Ausgleich geben. Einmal wird Gott alle Unterschiede ausgleichen. Einmal wird er den armen Lazarus höher stellen als den reichen Prasser. Einmal kommt der Ausgleich. Es kann auf Erden noch so viel Ungerechtigkeit sein, aber Gott lässt es nicht dabei bewenden. Wenn auch nicht jetzt, wenn auch nicht gleich, aber es kommt die Stunde, wo er Gerechtigkeit schafft mit Macht den Armen und Unterdrückten. Dann gedenkt Maria der Verheißungen Gottes an die Väter. Gott ist ein treuer Gott. Er erfüllt seine Verheißungen. Die Versprechungen der Welt trügen oft. Aber die Versprechungen Gottes gehen in Erfüllung. Wir müssen uns nur ihrer würdig machen. Meine Freunde, das müssen Sie immer beachten, wenn wir die Litaneien beten: „Auf dass wir würdig werden der Verheißungen Christi.“ Wir sind es nicht würdig. Wir sind es nicht wert. Ich habe schon erzählt, wie einmal eine alte Frau, die täglich in die heilige Messe kam, zu mir sagte, wenn der Regen ausblieb: „Wir sind es nicht wert.“ Die Frau hatte begriffen, dass wir uns wert machen müssen der Verheißungen Gottes. Viele sind der Verheißungen im Neuen Testament: „Wenn ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, um wie viel mehr wird der Vater im Himmel denen den guten Geist geben, die ihn darum bitten!“ Das ist ein Verheißung. Wer sich der Armen, der Krüppel, der Lahmen annimmt, von dem sagt der Herr: „Dir wird vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“ Eine andere Verheißung. „Wenn man euch verhört und vor die Könige führt, dann überlegt nicht lange, was ihr da sagen sollt. Es wird euch gegeben werden in jener Stunde, was ihr sagen sollt.“ Wieder eine Verheißung. Und dann die Seligpreisungen der Bergpredigt. „Selig sind die Armen, denn euer ist das Gottesreich. Selig, die ihr jetzt hungert, ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weinet, ihr werdet lachen. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen verfolgen, denn euer Lohn ist groß im Himmel.“ Machen wir uns also, meine Freunde, würdig der Verheißungen Gottes. Machen wir uns wert seiner Erbarmungen, die er an uns erfüllen will.

Ich denke, dass das Magnifikat nie mehr in der Seele Mariens verhallt ist. Es hat wohl auch hineingeklungen in die Heilige Nacht, in die Weihenacht. Es klang wohl auch nach bei der Flucht nach Ägypten und beim Staunen über die Wunder und Machttaten ihres Sohnes. Ich kann mir auch nicht denken, dass das Magnifikat verstummt ist unter dem Kreuze. Denn wie sagt Johannes: „Maria stand unter dem Kreuze.“ Sie stand; sie ist nicht zusammengebrochen. Auch in der schwersten Stunde wird der Gedanke an Gott und seine Gnade, an sein Erbarmen und seine Treue in ihr nicht gestorben sein. Ich kann mir nicht anderes denken, als dass Maria zwischen den Hammerschlägen und dem Hohngelächter der Menge und dem Todesröcheln ihres Kindes ganz leise hineingerufen hat: „Hoch preiset meine Seele den Herrn.“

Ach, meine Freunde, vor einiger Zeit wurde einmal in einer Zeitschrift berichtet von einem Feldgottesdienst im letzten Kriege. Die Männer nahmen eifrig daran teil. Nach dem Gottesdienst unterhielten sich zwei junge Soldaten. Der eine sagte, worum er gebetet hat. Er hat nicht gebetet um Rettung aus der Gefahr; er hat nicht gebetet, um nicht zu fallen, sondern er flehte: „Herr, wenn es sein soll, dann gib mir die Gnade, dass ich vor meinem Tode noch so viel Zeit habe, um das Magnifikat zu beten.“ Das hat er sich gewünscht. Er wurde schwer verwundet, aber er hat noch ein halbes Jahr gelebt. In diesem halben Jahr hat er noch viel Zeit gehabt, das Magnifikat zu beten. Ist das übertrieben? Nein, das ist Christentum. Wir sind Christen. Wir sind katholische Christen. Wir sind auserwählte Lieblinge, überschüttet mit seinen Gnaden. Für uns gilt das Wort des Apostels: „Freuet euch. Abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!“

Amen.

 

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