Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Oktober 2007

Die tiefe Bedeutung der Wundertaten Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht.“ Mit diesem Verweise antwortet der Herr auf die Bitte des königlichen Beamten, nach Kapharnaum zu kommen und seinen sterbenskranken Sohn zu heilen. Aber der Verweis gilt nicht nur dem Beamten; er gilt dem ganzen Judenvolke. Jesus hatte allen Grund zum Tadel. Er hatte zahlreiche Wunder gewirkt. Jedes seiner Wunder war ein gültiger Beweis für seine messianische Sendung, ja für seine Gottheit. Und doch steht er immer wieder vor einer Mauer des Unglaubens. Das Volk vertraut wohl seiner Wunderkraft. Sie bringen ihm die Kranken; sie bringen ihm die von Dämonen Besessenen. Er soll sie heilen; er soll Tote erwecken. Und dann drängt sich die Menge an ihn heran, sensationslüstern, begierig, ein Wunder zu sehen. Aber wenig, sehr wenig haben die Wunder Jesu ihren eigentlichen Zweck erreicht, nämlich den starken Glauben an ihn und seine Sendung zu erwecken. Das zeigt sich in der Stunde der Passion. Da begibt er sich ja seiner Wundermacht, und der Glaube des Volkes erlischt. Das ist ihre große Schuld.

Die Wunder haben eine tiefe Bedeutung für unser Glaubensleben. Sie sind nämlich der äußere Beweis für die Sendung Jesu, für die Tatsache der göttlichen Offenbarung. Sie sind die Beglaubigung Gottes für das, was Jesus beansprucht zu sein und zu lehren. Ein Werk, das nur durch Gottes Hand geschehen kann, gibt untrügliche Gewissheit, dass Gott durch den spricht, der dieses Werk wirkt. Deshalb hat Christus im eigenen Namen Wunder gewirkt. Er hat die Wunderkraft den Aposteln übertragen, und er lässt auch immer wieder Heilige Wunder wirken – eine überwältigende Fülle von Tatsachen für die Glaubwürdigkeit der göttlichen Offenbarung.

Aber die Irrlehrer unserer Tage leugnen die Tatsächlichkeit der Wunder Jesu. Sie sagen, die Wunder seien Wundergeschichten, von den Anhängern Jesu erfunden, um seine Bedeutsamkeit herauszustellen. Sie seien niemals geschehen, sondern sie seien Erfindungen der begeisterten Anhänger Jesu. Meine lieben Freunde, was für ein Unsinn wird uns hier zugemutet anzunehmen! Wenn die Wunderberichte erfunden sind, wie sollen sie etwas aussagen über die Bedeutsamkeit Jesu? Die Wunder sagen doch nur dann etwas über seine Bedeutsamkeit aus, wenn sie geschehen sind. Wenn sie nicht geschehen sind, dann sind nicht nur die Geschichten erfunden, dann ist auch die Bedeutsamkeit Jesu erfunden.

Die Leugnung der Wunder Jesu ergibt sich nicht aus der Wissenschaft, sondern aus einem weltanschaulichen Vorurteil. Die Irrlehrer unserer Tage, die teilweise auf theologischen Lehrstühlen sitzen, konstruieren einen Jesus, der kein anderer Mensch war als du und ich. Einem solchen Menschen kann man keine Wunder zutrauen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: Weil Jesus Wunder gewirkt hat, weil er unerhörte Wunder gewirkt hat, deswegen sind die Jünger zum Glauben an ihn gekommen. Als er dem Seebeben und dem Sturm gebot, da sagten sie: „Was ist denn das für einer, dass ihm sogar der Wind und die Wellen gehorchen?“ Nicht einmal die Feinde Jesu haben die Wunder Jesu geleugnet. Sie haben sie nur dem Teufel zugeschrieben. „Durch Beelzebub, den obersten der Teufel, treibt er die Teufel aus.“ Aber die Tatsache der Teufelsaustreibung haben sie nicht bestritten.

Aus der Gewissheit, dass Jesus Wunder gewirkt hat, ergibt sich für uns die Glaubenspflicht. Wenn unsere Vernunft uns sagt, dass Gott gesprochen hat in Jesus und durch Jesus, dann müssen wir die geoffenbarten Lehren annehmen, bedingungslos und ohne Einschränkung, auch wenn sie Geheimnisse enthalten, die wir nicht erfassen können, auch wenn sie uns Pflichten auferlegen, die uns schwer ankommen, auch dann, wenn wir nicht persönlich Zeugen eines Wunders geworden sind. Es wäre Vermessenheit, von Gott zu verlangen, dass er durch Wunder jedem einzelnen seine Offenbarung beglaubige. Die Wunder Jesu, seiner Apostel und aller Heiligen sind so sicher bezeugt, dass sie keinen vernünftigen Zweifel zulassen und jedem, der wahrhaft guten Willens ist, genügen. Nein, die Wundermacht bleibt in Gottes Hand. Er wirkt die Wunder, wann er will und wie er will, und er wirkt sie auch nur vor jenen, die er als Zeugen seiner Wunder sehen will. So heißt es bei dem Wunder über allen Wundern, bei der Auferstehung Jesu, er sei „erschienen den von Gott vorherbestimmten Zeugen“. Keine Sensation, kein Schauwunder für die ungläubigen Jerusalemiten, sondern eine wunderbare Auferstehung, die den gottgewollten Zeugen vorgeführt wurde und von ihnen uns übermittelt wurde. Gott lässt sich die Wundermacht nicht aus der Hand nehmen.

Die Menschen versuchen es freilich immer wieder, wollen ihn zu einem Wunder zwingen. Als er am Kreuze hing, da lästerten sie ihn und höhnten ihn: „Steig herab vom Kreuze, dann wollen wir dir glauben!“ Sie wollen ihm eine Bedingung setzen für ihren Glauben. Aber auf eine solche Bedingung lässt Gott sich nicht ein. Er bleibt am Kreuze; er harrt aus. Er harrt aus, weil er durch sein heiliges Kreuz die ganze Welt erlöst hat.

Auch heute noch geschehen Wunder, und der gläubige Christ freut sich dankbar dieser sichtbaren Erweise göttlicher Macht, die seinen Glauben festigen. Aber Glaube an Wunder und Wundersucht sind zwei verschiedene Dinge. Wundersucht ist kein Zeichen echten Glaubensgeistes, eher das Gegenteil. Christus sagt: „Selig, die nicht sehen und doch glauben.“ Deshalb ist die Kirche so vorsichtig, so zurückhaltend, bevor sie ein Wunder anerkennt. Sie prüft sie mit äußerster Gewissenhaftigkeit, und das ist recht so, denn schon so manches Mal hat sich ein angebliches Wunder als eine Täuschung herausgestellt. In der Oberpfalz gab es einmal angeblich eine weinende Madonna. In Wirklichkeit hat es durch das Dach hereingeregnet.

Die Kirche benötigt die Wunder nicht. Sie kann in Ruhe warten, bis bei einem wunderbaren Begebnis jeder Zweifel beseitigt ist. Sie weiß, dass sie auch ohne diese Wunder das Siegel Gottes in sich trägt. Die Wundersucht ist eine Gefahr, eine Gefahr für den echten Glauben, denn sie kann leicht in den Dienst von irdischen Interessen und von irdischen Bedürfnissen gestellt werden. Der unvergessliche Kardinal Faulhaber hat einmal das schöne Wort gesagt: „Ja, wenn man mit einem Ave Maria schönes Wetter machen, mit einem Rosenkranz eine Hypothek abstoßen, mit einer Wallfahrt unfehlbar eine Krankheit sich vom Leibe halten könnte, sie würden in Haufen zur Muttergottes laufen, und wir wären vor lauter Religion religionslos geworden. Der Glaube ist kein Geschäftsträger irdischer Vorteile.“ So ist es. Genau so ist es. Wunderbare Gebetserhörungen, meine Freunde, lassen sich von Gott nicht erzwingen. Er bleibt in allen Nöten und bei allem Flehen der souveräne Herr. Er wirkt, aber er wirkt nach seiner Allmacht und seiner Weisheit.

Eine Frage drängt sich freilich auf: Wie kommt es, dass es trotz der überzeugenden Kraft der Wunderbeweise so viele Ungläubige gibt? Diese Frage rührt an das Wesen des Glaubens. Der Glaube ist nicht ein Akt des Verstandes. Der Verstand sagt uns, dass es vernünftig ist, zu glauben, aber der Glaube selber ist eine Sache des freien menschlichen Willens in Verbindung mit der göttlichen Gnade. „Die menschlichen Dinge muss man erkennen, um sie zu lieben. Die göttlichen Dinge muss man lieben, um sie zu erkennen“, hat einmal Blaise Pascal geschrieben. Dadurch dass der Mensch mit freiem Willen die Autorität Gottes anerkennt, indem er auf das Wort Gottes hin die Lehren annimmt, die über unser Begreifen hinausgehen, wird der Glaube ein Akt höchster Gottesverehrung. Wer aber diese Lehren annimmt, der muss sich auch ihren Forderungen unterwerfen, der muss bereit sein zur Aufgabe der eigenen Selbstherrlichkeit. Hinter dem Glaubensakt wartet das Glaubensleben, das Leben, das aus dem Glauben gestaltet werden muss. Und darin liegt für viele das stärkste Hindernis des Glaubens. Sie wollen nicht gebunden sein; sie wollen sich nicht vom Glauben binden lassen. Ein Ungläubiger, der französische Enzyklopädist D’Alembert, hat einmal gesagt: „Der Wunsch, den Leidenschaften freie Zügel zu gewähren, hat mehr Menschen zu Ungläubigen gemacht als die spitzfindigsten Blendwerke der Philosophen.“ Der Wunsch, den Leidenschaften freie Zügel zu gewähren, hat mehr Menschen zu Ungläubigen gemacht als die spitzfindigsten Blendwerke der Philosophen. Und der ihm geistesverwandte Jean Jacques Rousseau hat in ähnlicher Weise gesagt: „Halte deine Seele in einem Zustand, dass sie wünschen kann, dass Gott lebt, und du wirst an Gott nicht zweifeln.“ Halte deine Seele in einem Zustand, dass sie wünschen kann, dass Gott lebt, und du wirst an seiner Existenz nicht zweifeln. Was diese Ungläubigen uns gesagt haben, das bestätigt der heilige Pfarrer von Ars, wenn er erklärt: „Brich mit deinen Leidenschaften, und morgen wirst du gläubig sein.“

Wer in demütiger Bereitschaft sein Leben in das Licht des Glaubens stellt, für den wird der Glaube eine unversiegbare Quelle des Segens und der Kraft. Wer wirklich glaubt, wer wirklich im Glauben lebt, der ist überzeugt davon, dass der Glaube Wahrheit ist. Das Leben aus dem Glauben ist ihm der sichtbarste Beweis für die Wahrheit des Glaubens. Denn der Glaube ist unser Licht, der Glaube ist unser Halt, der Glaube ist unser Glück. Ja, der Apostel jubelt sogar: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: Unser Glaube.“

Amen.

 

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