Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Februar 2004

Gründe für den Unglauben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn Sie am Sonntagmorgen zur heiligen Messe eilen, dann sind Sie oft allein. Ihre Nachbarn und Bekannten kommen nicht mit Ihnen zum Gottesdienst; sie sind abständig oder abgefallen. Eine Statistik, die mir sehr glaubwürdig scheint, berichtet, daß nur elf Prozent der katholischen Christen noch hinter dem Glauben der Kirche stehen – elf Prozent! Die meisten sind abständig oder abgefallen. Wir wollen heute die Frage stellen: Wie kommt es dazu? Wie kann es geschehen, daß Christen, die einmal durch das Licht der Taufe erleuchtet wurden, in der Firmung mit dem Heiligen Geist gestärkt wurden, vom Tisch des Schenkens gegessen haben, wie kommt es, daß diese Menschen ihren Glauben aufgegeben haben, nicht mehr beten, keinen Gottesdienst mehr besuchen und sich um die Gebote Gottes nicht kümmern? Ich will versuchen, in drei Punkten zu erklären, wie es zum Unglauben kommt.

Erstens, durch das Absinken ins Triebhafte. Der Mensch, der in feinerem oder brutalem Materialismus aufgeht, wird wertblind für das Geistige und erst recht für das Jenseits-Menschliche. Wem nur daran gelegen ist, es sich auf Erden behaglich zu machen, wer ständig in der Hauptsache besorgt ist um eine schöne Wohnung und ein reichliches Essen und einen guten Urlaub, einem solchen Menschen entschwindet das Göttliche und Jenseits-Menschliche. „Krankes Herz und voller Magen steigen nicht gern aufwärts.“ So sagt ein Sprichwort des Volkes. Krankes Herz und voller Magen steigen nicht gern aufwärts. Schon in der Zeit des Propheten Isaias gab es Menschen, die sich um Gott nicht scherten. Isaias beschreibt, wie diese Menschen ihr Leben zubringen: „Lustbarkeit und Jubel, Rinder töten und Schafe schlachten, Fleisch essen und Wein trinken: Eßt und trinkt, denn morgen sind wir tot.“ Diese Beschreibung, die vor 3000 Jahren gegeben wurde, könnte heute ebenso vorgebracht werden, und sie träfe zu. Wer nur an Berufsarbeit und Erholung, wer nur an Hausbauen und Verreisen interessiert ist, wer in Oberflächlichkeit und Lebensgenuß aufgeht, der verliert allmählich den Glauben.

Bruce Marhall hat einmal ein Gespräch beschrieben zwischen dem Kommunisten Bessier und dem katholischen Priester Gaston. Der Kommunist sagt zu dem Priester: „Du kannst deine Überzeugung predigen, bis du blau wirst im Gesicht, und kein Mensch kümmert sich darum. Aber die Arbeiter auf der ganzen Welt brauchen nur einmal unsere Lehre zu hören und begreifen sie sofort.“ Darauf entgegnet der Priester: „Jawohl, weil eine höhere Denkweise schwerer zu begreifen und mühsamer zu befolgen ist.“ Genau das ist es. Weil eine höhere Denkweise schwerer zu begreifen und mühsamer zu befolgen ist. Das Primitive bietet sich immer von selbst an; das Höhere kann man nur erlangen, wenn man sich aufschwingt und darum bemüht.

Zu diesem Materialismus gehört auch die Haltung des Spießbürgers, die nur nach dem Nutzen und nicht nach dem inneren Wert einer Handlung fragt, die nur dem unmittelbar Nützlichen Daseinsberechtigung und Wirklichkeit zuspricht. So fragen Menschen, die man einlädt zum Gottesdienst: Was habe ich davon? Was habe ich davon?! Wer nicht glaubt, hat nichts davon. Der Nutzen von Gottesdienst und Gebet erschließt sich nur dem, der glaubt. Der Herzog Alba war ein gläubiger Mann, aber von ihm wird eine merkwürdige Geschichte berichtet. Zu seiner Zeit fand eine Sonnenfinsternis statt, und ein Offizier fragte ihn, ob er sie beobachtet habe. „Nein“, sagte der Herzog Alba, „ich habe so viel auf Erden zu tun, daß ich nicht nach oben aufschauen kann.“ Mag ja sein, daß er viel zu tun hatte mit dem Aufstand in Holland z.B. Aber trotz der vielen Tätigkeit auf Erden muß man nach oben aufschauen. Wer nicht den Sternenhimmel sieht, sondern sich schon zeitig zur Ruhe begibt, der wird niemals das Licht dieser Herrlichkeiten am Firmament erblicken, die Gott geschaffen hat. Also das ist der erste Grund für den Unglauben, das Absinken ins Triebhafte.

Der zweite Grund ist die Trägheit des Herzens. Das ist die unmerklichste, aber die gefährlichste Bedrohung des Gottesglaubens. Die Trägheit des Herzens stellt einen Mangel an Hochgemutheit vor. Sie will sich das Große nicht zumuten. Sie ist eine Art von Angst- und Schwindelgefühl, das den Menschen befällt, wenn er Gottes, der Größe Gottes inne wird, mit dem er in Verbindung treten soll. Er möchte der Verpflichtung zur Größe, die die Existenz Gottes für den Menschen mit sich bringt, entgehen. Er flieht daher vor Gott, weil er sich zu seiner Höhe nicht emporschwingen will. Er möchte in Ruhe gelassen sein, in Ruhe gelassen mit dem Sonntagsgebot, in Ruhe gelassen mit den Geboten überhaupt, in Ruhe gelassen mit dem täglichen Gebet. Er möchte in Ruhe gelassen sein. Er möchte sein Kaninchenglück haben. Kiergegaard, der große evangelische Theologe, nennt diese Haltung die Verzweiflung der Schwachen. Wahrhaftig, das ist es: die Verzweiflung der Schwachen. Besonders häufig ist die Flucht vor Gott aus schlechtem Gewissen. Der Böse empfindet Gott als Gefahr und Bedrohung. Deswegen sucht er ihn hinwegzureden. Er bemüht sich, sich selbst über das Dasein Gottes hinwegzutäuschen. Er will den Spiegel zerbrechen, der ihm seine Häßlichkeit zeigt. Es wird erzählt von einem Manne, der sehr häßlich war und sich im Spiegel sah, daß er den Spiegel zertrümmerte aus Zorn darüber, daß er selbst so häßlich war. Diese Menschen, die vom Glauben abfallen, zertrümmern den Spiegel des Glaubens, damit sie sich nicht mehr in ihrer Häßlichkeit erkennen können. Es täuscht sich, daß jemand zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen könnte, wenn er ein sittlich schlechtes Leben führt.

Wiederum hat Bruce Marshall ein Gespräch geschildert zwischen einem französischen Priester und dem Schaffner in der Untergrundbahn. Der Schaffner schimpft über die Menschen, über  die schlechten Zeiten, über die Politik. Der Priester fragt ihn: „Warum versuchen Sie es nicht einmal mit der Religion?“ Der Schaffner entgegnet, er hätte es wiederholt mit der Religion versucht, aber er sei davon abgekommen, er sei entmutigt worden. Er habe gelesen, die Religion sei gegen Mißmut und Faulheit, gegen freie Liebe und gegen Betrügerei, und da könne sie nicht erwarten, daß sie die Franzosen anziehe. Da sagte der Priester, das sehe er ganz von der falschen Seite. Die Religion sei nur gegen diese Dinge, weil sie für andere sei. Sie sei für Fleiß und Nächstenliebe, für Keuschheit und Enthaltsamkeit. Nein, entgegnete der Schaffner, die Dinge, für die die Religion sei, seien ja noch viel niederdrückender als die, gegen die sie sei. Da wolle er sich doch lieber an die Politik halten, denn die wende sich nur gegen Menschen, die man sowieso nicht ausstehen könne. In diesem Gespräch ist enthalten, was viele Menschen von der Religion abhält oder sie zum Abfall von der Religion bringt. Die Gebote des Christentums sind zu beschwerlich. Der Kardinal Faulhaber hat einmal das schöne Wort gesagt: „Wenn das Einmaleins und der Pythagoreische Lehrsatz ebenso große Anforderungen an das sittliche Vermögen des Menschen stellte wie die Gebote Gottes, sie würden genauso ungläubig aufgenommen werden.“ Tatsächlich, so ist es. Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre. Vor einigen Jahren fiel ein katholischer Theologieprofessor in Deutschland vom katholischen Glauben ab. Er gab seine kirchliche Sendung zurück, trat aus der Kirche aus, heiratete die Frau eines protestantischen Geistlichen, die er ihm ausgespannt hatte. Seine Haushälterin beging aus Verzweiflung Selbstmord. Die Welt wäre nicht ungläubig, wenn sie nicht unkeusch wäre. Mein Lehrer Mörsdorf kommentierte diesen Fall mit dem Satz: „So weit können einen Menschen die Hormone treiben!"

In der Gegenwart hat die Trägheit des Herzens noch eine andere Form angenommen, nämlich die völlige Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit. Sie ist geboren aus der Teilnahmslosigkeit des von der Härte und Betriebsamkeit des alltäglichen Lebens überbeanspruchten und daher übermüdeten menschlichen Herzens. In dem durch die Hast und die Unruhe, durch die Geschäftigkeit und Not des Alltags verkümmerten menschlichen Herzen sind die Fragen nach Gott verstummt. Der Pater Delp spricht davon, daß diese Menschen geradezu gottesunfähig geworden sind.

Die dritte Weise, wie es zum Unglauben kommt, sind Stolz und Haß. Sie widerstreiten der Hingabe an Gott am unmittelbarsten. Der Stolze schließt sich in sich selbst ab; er erkennt außerhalb seiner selbst keine Werte an. Er braucht sie nicht, so meint er; er genügt sich, wie er wähnt, selbst. Er empfindet Gott, dem er sich beugen soll, als Bedrohung, als Gefährdung der menschlichen Größe und Freiheit. Deswegen erklärt Bakunin: „Wenn es Gott gäbe, müßte man ihn vernichten.“ Stolz ist das größte Hindernis der Vereinigung mit Gott. Der Stolze ist blind, blind für die geistigen, überweltlichen Werte, blind für den Wert Gottes. Im Jahre 1953 sprach ich einmal in Erfurt mit einem Arzt, und wir unterhielten uns über den Unglauben und über die Gründe des Unglaubens. Ich brachte verschiedene Gedanken vor. Der Arzt ließ sie nicht gelten. Er hatte eine einfache Erklärung für den Unglauben: „Die wollen alle nicht mehr beichten!“ Das heißt, sie wollen sich nicht als Sünder erkennen, nicht als Sünder kundgeben, sie wollen nicht die Vergebung erbitten, sie wollen autonom, losgelöst von Gott, leben. Vielleicht hat er recht, dieser Arzt in Erfurt.

Der Haß ist die Antwort des selbstsüchtigen, ins Böse verstrickten menschlichen Herzens auf die Heiligkeit Gottes. Gott ist in allem anders als der Mensch; er ist ihm überlegen, er tritt ihm fordernd und verpflichtend gegenüber. Er bedeutet deswegen eine tiefe Beunruhigung für denjenigen, der in einer überspitzten Autonomie leben will. Die Beunruhigung führt zur Unbehaglichkeit, und die Unbehaglichkeit weckt den Widerwillen, und der Widerwille reift aus im Haß, im Haß gegen Gott. So sagt es schon der Apostel Johannes: „Jeder, der Böses tut, haßt das Licht und kommt nicht ans Licht, damit seine Werke nicht offenbar werden.“ Der Haß gegen Gott, meine lieben Freunde, ist stärker als jeder andere Haß, weil der Wert, gegen den er sich richtet, ungleich höher steht. Der Mensch muß gewissermaßen einen größeren Aufwand machen, um sich gegen Gott zur Wehr zu setzen, einen größeren Aufwand als gegen jeden anderen Wert. Das gilt besonders für die durch Christus eingeleitete Epoche der Geschichte. In Christus ist Gott dem Menschen gleichsam auf den Leib gerückt. Wenn sich der Mensch dieses in Christus ihm nahegekommenen Gottes erwehren will, muß er heftigere Anstrengungen machen als der Gottlose in der vorchristlichen Zeit. Der Gotteshaß gewinnt deswegen in der christlichen Epoche der menschlichen Geschichte eine besondere, in der vorchristlichen Zeit nicht bekannte, ja nicht mögliche Heftigkeit. Wir haben solche Ausbrüche des Hasses erlebt im vorigen Jahrhundert in Mexiko, in Rußland, in Spanien, aber auch in Deutschland. In Mexiko gab es einen Minister namens Carabal, der seinen drei Söhnen die Namen Satan, Luzifer und Lenin gab. Er gab seinen drei Söhnen diese Namen: Satan, Luzifer und Lenin. Ein anderer, ebenfalls in Mexiko, ließ eine Visitenkarte drucken mit der Aufschrift „Persönlicher Feind Gottes“. Solche Ausbrüche des Hasses sind nur möglich in der christlichen Epoche der menschlichen Geschichte. Gottlos wird der Mensch, um Gott los zu sein. Niemand leugnet Gott als der, dem etwas daran liegt, daß es keinen Gott gibt.

Wir, meine lieben Freunde, die wir gläubig sein dürfen, denen Gott den Glauben geschenkt hat und erhält, wir wollen an diesem Glauben festhalten, wollen ihn schützen, verteidigen und, soweit es in unserer Kraft liegt, verbreiten. Denn dieser Glaube ist der Inhalt und das Glück unseres Lebens. Er ist der Trost unseres Sterbens.

Amen.

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