Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. Dezember 2002

Das Dogma von der Gottessohnschaft Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es war allezeit die Sehnsucht der Menschen, Gott zu schauen. Sie meinten ihn zu finden im Sturm und im Feuer, in der Wolke und im krachenden Donner, aber es war niemals Gott selbst. Es war im günstigsten Falle ein Werk seiner Macht, vielleicht sogar ein Wunder seiner Allmacht, aber es war niemals Gott selbst. Nur in einem Punkte ist Gott sichtbar, fühlbar und greifbar geworden, nämlich in dem Menschen Jesus Christus. Es hat einmal einen Menschen gegeben, einen historischen Menschen, der unter uns gelebt hat, der von sich sagen konnte: „Ich und der Vater sind eins.“ Wir haben am vergangenen Sonntag die Tatsache der Menschwerdung betrachtet. Wir müssen uns heute das Ergebnis dieser Menschwerdung vor Augen führen, nämlich das Dogma, daß Jesus der Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist.

Dieses Dogma ist die Grundlage des christlichen Glaubens, die Grundlage der christlichen Kirche. Das hat Rudolf Augstein gewußt, als er in seinem „Spiegel“ die Grundlagen des Christentums zu vernichten unternahm. Das hat er gewußt. und deswegen müssen wir heute uns diese Grundlagen vor Augen führen: Jesus, der genannt wird der Christus, der da ist der lebendige Gott. Wir wollen in drei Schritten uns die Wirklichkeit Jesu vor Augen führen, nämlich 1. Jesus, der Mensch, 2. Jesus, unser Gott und 3. Jesus, der Gottmensch.

Jesus war ein wirklicher Mensch, ein Mensch, dem nichts Menschliches fern war, ausgenommen das allzu Menschliche und das Untermenschliche. Denn das haben auch alle seine Gegner und seine Feinde gesehen, daß an ihm keine Sünde war. Aber alles, was zu einem Menschen gehört, das war in ihm, also Lachen und Weinen, Leid und Glück, Lieben und Zürnen. In ihm waren die menschlichen Verhältnisse, also Freunde und Feinde, Kinder und Kranke, eine Mutter und eine Heimat, aber auch eine Fremde und eine Heimatlosigkeit. Er war ein voller und ganzer Mensch. Auch die Natur stand in seinem Leben, die Berge und das Meer, die Blumen und die Felsen, aber auch die Nacht und der Tod. Jesus war ein ganzer und voller Mensch.

Er war auch ein hochbegabter Mensch. Nicht in dem Sinne, wie wir es meinen, daß er Entdeckungen oder Erfindungen oder Eroberungen gemacht hat. Er hat kein Buch geschrieben. Seine Begabung lag in seiner Persönlichkeit, in dem, was er war. In seiner Wirklichkeit, da war seine Begabung geborgen. Er war ein Mensch, in dem die größten Spannungen waren, ohne daß sie zu einem Gegensatz führen. Er war ein harmonischer und ausgeglichener Mensch. In ihm war die größte Ferne und der größte Abstand von den Menschen und gleichzeitig die größte Nähe. In ihm war Kraft und Herrentum und gleichzeitig Weichheit und Güte. In ihm war eine Hoheit, die kein anderer Mensch mit ihm teilt, und gleichzeitig eine Schlichtheit, eine Einfachheit und eine Anspruchslosigkeit, wie sie anderen nicht zu eigen war. Wenn er vor seinen Jüngern kniet und ihnen die Füße wäscht, da wissen wir: auch das ist sein selbstverständlicher Platz. In ihm war Scharfsinn und Gemüt; in ihm war Energie und Gelassenheit; in ihm war Kritik und gleichzeitig Erbarmen. Er war ein vollkommener Mensch – das alles in Ausgeglichenheit und in Harmonie.

Er war auch ein liebenswürdiger Mensch. Gewiß hat er auch Bewunderung erregt und zuweilen Furcht gefunden, aber vor allem hat er die Liebe der Menschen auf sich gezogen. Als die Hirten und Simeon ihn sahen, da flammte die Liebe zu ihm auf. Als die Johannes-Jünger nach ihm gingen und dann seine Frage hörten: „Was wollt ihr?“, da waren sie voller Liebe. Und so ist es im ganzen Leben dieses Menschen gewesen. Liebe fand er bei dem Volk, bei den Mühseligen und Beladenen; Liebe fand er bei den Kindern und bei den Kranken; Liebe fand er bei den Jüngern und Aposteln; Liebe hat ihn gefunden bei den Müttern und bei den Bedrückten. Es gab auch welche, die ihn gehaßt haben, das waren die Pharisäer und die Priester, das war Kaiphas, das war Herodes, das war Judas. Aber die Besten haben ihn geliebt und sind ihm nachgefolgt. Und so ist es die ganze 2000jährige Geschichte des Christentums über geblieben: Die Besten haben Jesus geliebt und nicht gehaßt wie Rudolf Augstein, und sie sind ihm gefolgt, Augustinus, Paulus, Vinzenzius, Theresia, Hedwig und wie sie alle heißen. Die Besten haben ihr Herz in Liebe an ihn gewendet.

Dieser Mensch, dieser liebenswürdige Mensch, war Gott. Wir wissen es aus seinem Selbstzeugnis: „Ich und der Vater sind eins“, sagt er. „Ich bin vom Vater ausgegangen, und ich kehre zum Vater zurück.“ „Ich bin das Licht und das Leben.“ „Ich bin der Weg und die Wahrheit.“ „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen werde ich mich schämen im Gerichte.“ Wir wissen es aus seinem Selbstzeugnis, daß er Gott war. „Wer Vater oder Mutter oder Frau oder Kind mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ So kann nur einer sprechen, nämlich der, der Gott ist. Er darf vor keiner Kreatur zurückgestellt werden, denn er steht vor allen Kreaturen. Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Man hat immer wieder versucht, ihm die Göttlichkeit abzusprechen. Man hat versucht, sie zu entschärfen, wie es meinetwegen Hans Küng getan hat: „Er ist der Sachwalter Gottes.“ Ja, Sachwalter Gottes waren viele andere auch, aber sie waren nicht Gott. Gehen Sie einmal in die Nähe des Bischöflichen Ordinariates zu Mainz, und schauen Sie mal in die Kästen, was da ausgestellt ist. Da steht auf der einen Seite die Biographie des Herrn Lehmann und auf der anderen Seite die Biographie des Herrn Küng. Passen die beiden zusammen? Ja oder nein? Und warum stehen sie dann in einem Schaufenster des Bischöflichen Ordinariates?

Von Jesus gibt es zwei Reihen von Aussagen, und weil zwei Reihen von Aussagen möglich sind, ist in ihm ein doppeltes Sein, nämlich das Menschsein und das Gottsein. Er ist von Ewigkeit und gleichzeitig in der Zeit geworden. Er betet, wie nur ein Knecht beten kann, zu Gott, nächtelang, und gleichzeitig sagt er den Jüngern: „So sollt ihr beten.“ Er spricht von seinem Gott und „eurem“ Gott, von seinem Vater und „eurem“ Vater, denn da ist ein Unterschied in dem Verhältnis. Er ist ein und derselbe mit dem Vater, und gleichzeitig sagt er: „Der Vater ist größer als ich.“ In ihm sind „zwei Naturen“, wie die Kirche definitorisch festgehalten hat, zwei Wesenheiten, aber nicht getrennt, sondern verbunden durch das eine Ich. In ihm ist, wie die Kirche mit der griechischen Philosophie aussagt, „eine Hypostase“, d.h. eine Person, ein einziger Träger der göttlichen und der menschlichen Wesenheit. Christus ist nicht gespalten, nein, er ist ein einziges Ich. Es ist ein einziger, der sagt: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ „Das ist mein Werk.“ „Das ist mein Wunder.“ „Das ist mein Kreuz.“ „Das ist mein Tod.“ „Das ist meine Herrlichkeit.“ „Das ist meine Auferstehung.“ Ein einziger ist es. Wenn wir uns also diese Augen anschauen, dann schaut uns der Allwissende an. Wenn uns diese Hände berühren, dann berührt uns der Allmächtige. Wenn dieser Mund zu uns redet, dann spricht Gott der Herr zu uns. Wer Jesus die Hand gibt, der gibt Gott die Hand, und wer ihm nachfolgt, der folgt Gott nach.

Jesus, der Mensch, Jesus, unser Gott, Jesus, unser Gottmensch. Jesus ist das Urbild des Menschen. In einer Stunde seines Lebens hat einmal einer zu ihm gesagt: „Seht, was für ein Mensch! Seht da den Menschen!“ Da war er blutüberströmt, mit einem Dornenkranz ausgestattet, in einen roten Mantel gehüllt und mit einem Bambusrohr in der Hand. Seht, was für ein Mensch! Er ist das Urbild des Menschen. In ihm erkennen wir uns wieder. So ist der Mensch. Das ist sein Schicksal. In ihm erkennen wir unser Los, nämlich gebeugt und gebrochen zu sein von Leid und Verfolgung und Siechtum. In dem menschlichen Antlitz Jesu schaut uns Gott an. In seinem Schicksal finden wir das menschliche Schicksal vorgebildet. Er ist der Mensch, in dem wir unser menschliches Los erkennen und lieben können. Er ist das Urbild des Menschen.

Er ist aber auch zugleich die Norm, d.h. er ist der Vorbildliche, er ist der Vollkommene, er ist der Mensch, nach dem wir uns richten können. Wir suchen ja immer nach einem Weg, nach dem Weg, der uns bestimmt ist. Wir fragen immer: Ja, was soll ich denn tun, damit es richtig ist, damit mein Leben gelingt, damit es einen Sinn hat? Siehe da, da ist der Mensch, an den wir uns halten können. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit ihr auch so tut, wie ich euch getan habe.“ Da ist der Mensch, der sagt: „Ich aber sage euch.“ Wie man auch anderswo sagen mag und früher auch gesagt haben mag: „Ich aber sage euch.“ Und das gilt. Er ist der vorbildliche Mensch, er ist unsere Norm.

Er ist auch der Mensch unserer Gemeinschaft. Meine lieben Freunde, wir haben es schon oft gesehen: Der Mensch findet seine Erfüllung und seine Vollkommenheit nur im Du. Nur indem man sich dem anderen zuwendet in schenkender und dienender Liebe, findet man das Du, das einem bestimmt ist; nur so kommt man zur Vollkommenheit. Und das gilt erst recht für Jesus, den Menschen. Wir wollen Gott lieben, aber Gott lieben ist schwer. Gott hat es uns erleichtert: wir können ihn lieben in einem Menschen. Wenn wir diesen Menschen Jesus lieben, lieben wir Gott. Da haben wir etwas Sichtbares, etwas Greifbares, etwas Fühlbares, was wir lieben können, diesen Menschen Jesus. Wir können ihn warm und vertraulich, brüderlich, innig, kindlich lieben und brauchen nicht zu fürchten, daß wir uns in ihm verlieren. Das ist ja immer die große Bangigkeit einer Liebe, meine lieben Freunde, daß man dem anderen zum Gefängnis wird oder daß er selbst einen einengt. Das ist die große Banigigkeit aller menschlichen Liebe, und diese Banigigkeit setzt sich fort, nämlich indem man fürchtet, eines Tages an ihm zu zerbrechen, wenn er uns enttäuscht, oder an ihm zu verbluten, wenn er uns verläßt. Diese Bangigkeit ist bei Jesus nicht zu befürchten. Wenn wir uns ihm hingeben, verlieren wir uns nicht. Wenn wir uns ihm weihen, gewinnen wir uns selbst. Wir könen ihn lieben, wie man nur einen Menschen liebt und gleichzeitig unbeschränkt und furchtlos, wie man nur Gott lieben kann. Wenn wir Jesus lieben, dann wissen wir: Wir sind gesichert in seiner Liebe. Wenn er sagt: „Folge mir nach“, dann dürfen wir ihm sagen: Ich will dir folgen, wohin immer du gehst!

Jesus, der Gottmensch, ist unser Du, in dem wir auch alles andere Du finden. Es gibt im menschlichen Leben und auf dieser Erde drei Faktoren, die den Menschen höherführen, das ist der Meisterkult, also die Verehrung des Meisters, das ist der Herrendienst, also die Hingabe an einen Herrn, und das ist die Herzensliebe, also das Sich-Ausschütten gegenüber dem Geliebten. Diese drei Mächte sind auf Erden freilich immer in Gefahr. Wir finden nicht immer den Meister, dem wir unsere Verehrung weihen können; wir finden nicht immer den Herren, dem wir uns anvertrauen können; und wir finden auch nicht immer den Gegenstand der Liebe, den wir unbegrenzt und furchtlos lieben können. Aber hier ist einer, der von sich sagen kann: „Ihr nennt mich Herr und Meister, und ich bin es.“ Ich bin es wirklich. Diesem Meister können wir unseren Dienst, unsere Gefolgschaft, unsere Liebe weihen.

Alle Vollkommenheit, meine lieben Freunde, ist ausgedrückt in dem Worte Du. Zu dir, mit dir, für dich, um deinetwillen – das ist das Entscheidende, was in unserem Leben stehen muß. Zu keinem Menschen auf dieser Erde ist aber je so oft und so klingend und so eindeutig gesprochen worden; „Um deinetwillen“ wie zu Jesus. Um deinetwillen will ich meine Pflicht erfüllen; um deinetwillen will ich treu und tapfer und rein sein; um deinetwillen will ich das Kreuz umfassen, das du mir auferlegst; um deinetwillen will ich in diesem Leben dir nachfolgen; um deinetwillen will ich zu deinem Vater gehen mit dir, der du mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes lebst und herrschest in alle Ewigkeit.

Amen.

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