Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. März 2002

Über Vermeidung und Überwindung der Sünde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir die Sünde, das Unglück und die Schrecken der Sünde betrachtet. Heute wollen wir überlegen: Wie können wir uns vor der Sünde bewahren? Und: Wie können wir die Sünde überwinden? Was wir dazu tun müssen, läßt sich zusammenfassen in drei Worte, nämlich wir müssen Selbstberatung, Selbstüberwachung und Selbsterziehung üben. Selbstberatung, Selbstüberwachung, Selbsterziehung.

An erster Stelle steht die Selbstberatung. Man muß sich kennen, man muß sich kennenlernen. „Gnosti sauton“, so stand über dem Tempel in Delphi, „Erkenne dich selbst!“ Das ist der Anfang von allem. Wer sich nicht selbst erkennt, ist unfähig, gegen die Fehler und Sünden seines Lebens anzugehen. Erkenne dich selbst! Die Erkenntnis des eigenen Selbst beginnt damit, daß man die Gefahren, die einem drohen, in seinem Leben ausmacht. Die Gefahren zerfallen in zwei Gruppen, in entfernte und in nähere. Die entfernte Gefahr ist jene, die sich allmählich einschleicht, die einen Stein nach dem anderen in dem Gebäude lockert, bis das ganze Gebäude zusammenstürzt. Wir bezeichnen diese entfernte Gefahr mit dem Wort Lauheit. Lauheit ist das Schrecklichste, was im menschlichen, im christlichen Leben geschehen kann. „Weil du weder kalt noch warm bist, sondern weil du lau bist“, so heißt es im Buch der Apokalypse, „will ich dich ausspucken aus meinem Munde.“ Die Lauheit beginnt mit einer Nachlässigkeit. Häufig ist es das Unterlassen der regelmäßigen Beicht. Wer nicht mehr regelmäßig beichtet, ist als Christ und Katholik in Gefahr. Die Beicht ist unangenehm, zugegeben. Wer schaut schon gern auf seine Schwächen, Sünden und Fehler und bekennt sie vor einem Menschen, wenn auch dieser Mensch der Vertreter Gottes ist! Aber die Beicht ist notwendig. Wer nicht regelmäßig beichtet, bei dem ist die Axt an die Wurzel gelegt. Dann kommen andere Nachlässigkeiten hinzu: Man unterläßt das Morgengebet, weil man nicht rechtzeitig aufgestanden ist; man vergißt das Abendgebet, weil man zu müde ist; man unterläßt die Werktagsmesse, weil man in der Woche mit anderem beschäftigt ist. Schließlich fällt auch hie und da die Sonntagsmesse weg, weil man eben ausschlafen will oder etwas vorhat. Das Schlimme bei der Lauheit ist das Fortschreiten, das Progressive, daß ein Stück nach dem anderen vom religiösen Leben dahinfällt. Dazu kommen dann die Fehler. Zunächst sind es kleine Fehler, aber wer auf die kleinen Fehler nicht achtet, bei dem entwickeln sich große Fehler. Dazu kommt die Selbstzufriedenheit. Man nimmt das alles nicht mehr so ernst. Wie die Leute heute so oft sagen: „Heute ist alles anders.“ Jawohl, heute ist alles anders, das ist wahr; aber es fragt sich nur, ob es besser ist!

Die nähere Gefahr sind die Versuchungen. Die Versuchungen sind zu unterscheiden von Zwangsvorstellungen. Viele Menschen, viele gute, gläubige, sittlich hochstehende Menschen leiden unter Zwangsvorstellungen. Sie werden gepeinigt von Gedanken gegen den Glauben, gegen die Reinheit. Oft in den heiligsten Augenblicken, bei der heiligen Messe, anläßlich der heiligen Kommunion, da kommen ihnen solche Gedanken ein. Das sind keine Versuchungen. Versuchungen und Zwangsvorstellungen unterscheiden sich wesentlich, denn Zwangsvorstellungen sind lästig und erschreckend, Versuchungen sind köstlich und verlockend. Das ist der wesentliche Unterschied. Über Zwangsvorstellungen geht man hinweg, man ignoriert sie, man kämpft nicht dagegen an, sondern man tut so, als ob sie einen nichts angingen. Gegen Versuchungen dagegen muß man kämpfen.

Die Versuchungen sind mannigfacher Art. An erster Stelle Versuchungen gegen den Glauben. Es ist nicht zu verwundern, daß heute viele Christen, viele gläubige Christen unter Versuchungen gegen den Glauben zu leiden haben; denn unsere ganze Atmosphäre ist geschwängert mit Keimen des Unglaubens. Wo immer Sie hinschauen und was immer Sie hören, der Unglaube dringt in die Seelen wie ein Regen in die Kleidung ein. Der Unglaube versucht den Gläubigen davon zu überzeugen, daß sein Glaube Unsinn ist. Er stellt ihm die Schwierigkeiten vor, die der Glaube zweifellos hat. Es gibt aber gegen diese Schwierigkeiten Hilfsmittel, meine lieben Freunde. Wer einmal begriffen hat, daß ein Gott existiert, daß Gott Allmacht, Güte, Gerechtigkeit und Heiligkeit in einer Person ist, wer einmal Gott in seinem vollen Begriff in seine Seele aufgenommen hat, der ist, wenn er logisch denkt, gegen alle Versuchungen gefeit. Denn wenn ein Gott existiert, dann ist alles andere, was von Gott herrührt, eine Kleinigkeit, eine Winzigkeit. Das mag noch Schwierigkeiten aufwerfen, aber das kann unseren Glauben nicht umwerfen.

Schwierigkeiten gibt es überall. Denken Sie an die Physik. Es gibt zwei Theorien des Lichtes. Die eine sagt: Das Licht sind Corpuskel, die andere sagt: Das Licht sind Wellen. Beide Ansichten sind mathematisch experimentell bewiesen, können aber nicht übereinkommen. Kein Physiker denkt daran, deswegen die ganze Physik über den Haufen zu werfen. Es bleiben eben Schwierigkeiten; man muß Schwierigkeiten ertragen können. Selbstverständlich soll man sich bemühen durch Lektüre, durch Befragen der Schwierigkeiten Herr zu werden. Es gibt auch heute gute, hilfreiche Bücher, die uns den Glauben erklären, die uns im Glauben festigen können, die uns über Schwierigkeiten hinwegheben können. Ich habe in meiner Studienzeit ein Experiment gemacht, das sich das ganze Leben bewährt hat. Ich habe nämlich in dieser Zeit die hauptsächlichen ungläubigen Bücher gelesen und mir die Argumente dagegen zusammengesucht. Seitdem bin ich – Gott sei es gedankt – von Glaubenszweifeln unangefochten geblieben. Wer einmal einen festen Stand gefaßt hat, wer einmal in die Tiefe gegraben hat, vor dem fliehen die Glaubensschwierigkeiten. Außerdem ist das Wort des Kardinals Newman zu beachten: „Tausend Schwierigkeiten machen keinen Zweifel aus.“ Die Schwierigkeiten liegen nämlich im Verstand, der Zweifel liegt im Willen. Wer nicht will, dem ist der Glaube freilich nicht zu beweisen; aber wer nicht zum Unglauben übergehen will, der wird auch mit den Schwierigkeiten fertig. Dein Glaube wankt nicht, wenn dein Wille es nicht will. Wir können uns auch immer wieder aufrichten am Beispiel großer gelehrter Männer und Frauen, die fest im Glauben gestanden haben. In Paris lebte einst ein junger Mann namens Ozanam. Ozanam hatte unter heftigen Glaubensschwierigkeiten zu leiden. Eines Tages ging er in eine Kirche in Paris, und wen sah er da? Da sah er den großen Mathematiker und Physiker Ampère, der den Rosenkranz betete. „Von diesem Augenblick an“, sagt Ozanam, „waren meine Glaubensschwierigkeiten verschwunden.“

Andere Versuchungen sind gegen die Reinheit. Es gibt für die meisten Menschen, fast für alle Menschen, wenigstens eine gewisse Phase des Lebens ein sexuelles Problem. Machen wir uns nichts vor, so ist es! Die Sexualität ist ein starker Trieb, der im Menschen ist und der den Menschen in sich hineinzuziehen versucht. Aber es ist kein Schicksal, ihm zu verfallen. Der Mensch ist fähig, ihn zu beherrschen. Er kann die Versuchungen überwinden. An erster Stelle steht hier das Meiden der Gelegenheit. Wer die Gelegenheit zur Unzucht meidet, dem ist vom Triebe her nicht beizukommen. Meide die Gelegenheit, und du meidest die Sünde. Heute bieten sich neue Gelegenheiten, etwa durch das Fernsehen und durch das Internet. Internetbenutzer sagen mir, man stoße darin ganz leicht auf Pornographie, die da offenbar in rauhen Mengen vorhanden ist, und das ist interessant aufgemacht, das ist prickelnd, das zieht an. Das sind Versuchungen. Diesen Versuchungen muß man zu entgehen suchen. Man geht nicht dahin, wo man fallen kann; man hält sich fern von dem, was eine Gefahr ist. Das gilt natürlich auch für Beziehungen zwischen Menschen, für Bekanntschaften. Es fängt häufig ganz harmlos an: Es sucht jemand Trost, Hilfe, Verstehen. Alles begreiflich. Aber dahinter kann sich der Trieb verbergen. Es gibt wenige Männer, die eine Schwesternseele haben können. Hier heißt es, vorsichtig, aufrichtig und überlegt zu sein, daß einem nicht das eigene Mitleid, die Trostbedürftigkeit des anderen zum Verhängnis wird.

Andere Versuchungen sind gegen die Liebe gerichtet, gegen die Nächstenliebe. Es gibt viele Menschen, die nicht liebenswürdig sind. Es gibt aber auch ein Mittel, um die Liebe zu den Menschen zu bewahren. Das besteht darin, daß man sich an das Wort der Frau Marie von Ebner-Eschenbach hält: „Einen Menschen kennen heißt entweder ihn lieben oder ihn bemitleiden.“ Das ist es. Einen Menschen kennen heißt entweder ihn lieben oder ihn bemitleiden. Also nicht das, was wir gerne tun möchten, nämlich ihn hassen, sich von ihm abwenden, ihn verstoßen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder den Menschen lieben wegen seiner Liebenswürdigkeit, oder ihn bemitleiden, ihn bedauern, weil er eben so ist, weil er so kratzbürstig, so häßlich, so unverständig ist. Aber dieses Mitleiden ist der Anfang der Liebe; in diesem Mitleiden ist die Liebe wirksam. Außerdem sind uns garstige, unangenehme Menschen gegeben, daß wir uns an ihnen bewähren. Wir sollen an ihnen wachsen. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat einmal geschrieben: „Feinde werden dem Menschen geschenkt, damit er an ihnen wachse und erstarke.“ Da haben wir’s . Feinde werden einem geschenkt, damit man an ihnen wachsen und erstarken kann. Sie haben also im Plane Gottes eine bestimmte positive Stelle, und sie gilt es zu erkennen und zu bejahen.

Eine andere Versuchung ist die, gegen Welt und Menschen in Verbitterung zu verfallen. Man kann es verstehen, daß jemand, der fortwährend getreten wird, dem man niemals die gebührende Aufmerksamkeit entgegenbringt, der immer abgewiesen wird, daß ein solcher Mensch verbittert, daß er böse wird gegen die Welt und gegen das Leben, gegen Gott und gegen die Menschen und gegen seinen Beruf. Die Verbitterung ist eine große Gefahr. Es gibt ein untrügliches Mittel gegen die Verbitterung, meine lieben Freunde, und dieses Mittel heißt: Sie müssen für alles, was Sie kränkt, was Ihnen weh tut, was Ihnen schmerzlich ist, sich bei Gott bedanken. Wenn Sie das tun, werden Sie mit jedem Schicksalsschlag fertig. Sich für alles, was einem an Unangenehmem, an Peinlichem, an Schmerzlichem begegnet, bedanken, nicht böse werden, nicht wütend werden, nicht wilde werden, sondern sich bedanken dafür. Wer das tut, ist gegen Verbitterung gefeit.

Selbstberatung ist die erste Weise, wie wir gegen die Sünde angehen. Selbstüberwachung ist die zweite Weise. Man muß sich selbst überwachen; man muß eine bestimmte Kontrolle über sich haben. Der große Komponist Anton Bruckner hatte die Gewohnheit, Buch zu führen über seine Andachtsübungen, über seine Gebete, über seine Beichten. Er überwachte sich auf diese Weise und hat sich durch lange Übung und durch unermüdliche Arbeit an sich zu einer edlen, vornehmen und reifen Persönlichkeit entwickelt. Wir müssen uns selbst überwachen. Dafür gibt es drei Mittel, erstens das Partikularexamen, zweitens die allgemeine Gewissenserforschung und drittens das Bußsakrament. Das Partikularexamen besteht darin, daß man einen bestimmten Fehler oder eine bestimmte Sünde ins Auge faßt und sie sich solange im Auge hält, bis sie besiegt, bis sie ausgerottet ist. Das können Sünden sein, das können Fehler sein, Unarten. Viele Menschen haben Unarten an sich. Es gibt Menschen, die müssen immer zu spät kommen, die können nie pünktlich sein. Es gibt andere Menschen, die müssen immer Lärm machen, können nicht ruhig sein. Jedermann weiß, daß man sich die Nase schnauben muß, aber man muß dabei nicht wie ein Nilpferd trompeten. Das sind Unarten. Sie stören die anderen Menschen. Man muß auf diese Unarten achten, sie bekämpfen und sie auszurotten versuchen. Das gehört ins Partikularexamen. Da hinein gehört auch das Ringen um ein gewisses Gleichmaß, daß man sich bemüht, von Launen, Stimmungen unabhängig zu sein, daß man immer in einer Ausgeglichenheit gegenüber den Menschen ist, immer ruhig, gesetzt und freundlich und höflich. Die Übung der Geduld gegenüber den Mitmenschen bringt uns innerlich weiter als viele andere Übungen. Die Menschen ertragen, mit den Menschen gütig, geduldig umgehen, diese Übung, die ins Partikularexamen gehört, macht uns zu reifen, zu geformten, zu edlen Persönlichkeiten. Auch andere Fehler und Schwächen können Inhalt des Partikularexamens sein. Man muß nur daran festhalten, daß man hier unablässig kämpft, bis ein solcher Fehler ausgerottet ist, darf nicht von einem Punkt zum anderen schweifen, sondern muß so lange festhalten an diesem Punkt, bis man sich zu einer harmonischen Persönlichkeit entwickelt hat. Denn jeder Mensch hat ja auch seinen Charakterfehler. Unsere Tugenden haben die Eigenart, daß sie einen Buckel haben. Da ist einer sehr energisch und kraftvoll tätig, aber er ist auch hart und rücksichtslos. Da ist einer sehr fleißig und nimmt jede Arbeit in Angriff, aber es ist auch danach. Einer ist sehr demütig und sagt: Ja, ich bin zu dieser Arbeit nicht geeignet, ich kann das nicht, suchen Sie sich einen anderen, aber er ist auch schwankend und unbrauchbar. Ein anderer ist sehr gründlich, aber er kommt vor lauter Gründlichkeit nicht zu einem Ende. Das sind die Fehler unseres Charakters, das sind die Buckel bei unseren Tugenden. Sie gilt es im Partikularexamen ins Auge zu fassen.

Daneben steht die allgemeine Gewissenserforschung, die wir an jedem Abend halten sollen. Gehen Sie niemals zur Ruhe, meine lieben Freunde, ohne den Tag bedacht zu haben: Was war richtig, was war falsch? Was war gut, was war schlecht? Sich bedanken für das, was Gott Ihnen gegeben hat, und ihn um Verzeihung bitten für das, was wir wieder an Geschirr zerschlagen haben.

Die dritte Übung der Selbstüberwachung ist das Bußsakrament. Selbstverständlich ist das Bußsakrament an erster Stelle eingesetzt, um Sünden zu vergeben. Die meisten von uns werden, wenn sie sich nur genügend erforschen, etwas vorzuweisen haben, was Sünde ist, und wenn man in der Zeit seit der letzten Beichte nichts an Sünden entdecken kann, dann beichtet man eine vergangene Sünde. Auch sie kann noch einmal losgesprochen werden. Die Vergebung von Sünden ist also der Hauptzweck des Bußsakramentes. Aber das Bußsakrament hilft uns auch dabei, die Sünden zu erkennen und zu überwinden; denn wir müssen uns ja erforschen, wir müssen unsere Sünden formulieren, um sie dem Beichtvater zu sagen. Das ist eine Kontrolle, das ist eine Selbstüberwachung. Der Beichtvater hilft uns, sich zu erkennen, sich zu beurteilen. Wir wissen oft nicht, ist das eine Sünde oder ist es noch eine Unvollkommenheit, ist es eine läßliche Sünde oder ist es eine schwere Sünde. Der Beichtvater weiß normalerweise besser als das Beichtkind die Schatten des Bösen zu unterscheiden. Wie oft sollen wir beichten? Nun, wer ein gediegenes religiöses Leben führt, dem ist zu empfehlen die vierwöchentliche Beicht. Die Beichte ist in den letzten Jahren weitgehend in Abgang gekommen zum Schaden der katholischen Persönlichkeit. Was früher, also vor 50, 60 Jahren den Katholiken ausmachte, nämlich mehr sein als scheinen, ohne Angeberei zu sein, demütig, schlicht, gehorsam zu sein, das ist durch die Aufgabe der Beicht in den letzten Jahrzehnten weitgehend verloren gegangen. Die Selbstüberwachung durch die Beicht ist notwendig.

Und schließlich das dritte ist die Selbsterziehung. Jeder von sich hat etwas an sich, was unerzogen oder vielleicht sogar ungezogen ist. Da muß man sich erziehen. Die Erziehung muß den Teil der Seele betreffen, der dafür geeignet ist, nämlich den Willen. Erziehung, Selbsterziehung ist Erziehung des Willens. Die Erziehung des Willens setzt ein mit dem, was wir freiwillig tun; freiwillig sich etwas aufzulegen, was einem zuwider ist. Ja, sich üben; man muß den Willen üben. So wie man ein Instrument üben muß oder eine Sprache üben muß, so muß man den Willen üben. Man übt ihn in dem agere contra, indem man gegen Neigungen, Ansprüche, Wünsche angeht. Freiwillig etwas tun, was einem zuwider ist, das ist Willensübung. Die Übung des Willens wird aber selbstverständlich auch durch das betrieben, was wir berufsmäßig zu leisten haben. Wir sollen im Beruf zuverlässig, genau, gewissenhaft sein. Katholiken müssen sich auszeichnen nicht durch hohes Reden, sondern durch gutes Tun. Beruf ist ein Teil unseres Lebens, und den wollen wir nach Gottes Willen möglichst gediegen ausüben. Eine weitere Übung des Willens geschieht, indem wir die Heimsuchungen Gottes annehmen. Jeder von uns hat körperliche, seelische Beschwerden, hat unter Krankheiten, unter Schmerzen zu leiden. Diese Heimsuchungen Gottes annehmen, sich darunter beugen, nicht viel Aufsehens davon machen, sie möglichst vor anderen verbergen, das ist Übung des Willens. Durch Klagen und Jammern wird ja nichts besser. Aber indem man es Gott aufopfert, wächst unsere Kraft. Und schließlich gehört zu der Übung des Willens auch die Bewachung der Sinne. Man muß nicht alles sehen, was es zu sehen gibt; man muß nicht alles hören, was es zu hören gibt. Man muß auch nicht alles sagen, was man sagen möchte. Die Zunge ist ein kleines Organ, aber sie kann unermeßlichen Schaden anrichten. Deswegen auch die Zunge im Zaume halten, sich üben im heiligen Schweigen.

Schließlich gehört zu der Überwachung der Sinne auch die Bezähmung der Gaumenlust, daß man zufrieden ist mit dem Essen, das einem vorgesetzt wird, daß man nicht kritisiert. Das ist Übung des Willens, Bezähmung der Gaumenlust. Daß man sich enthält, vor allem am Freitag, daß man etwas weniger nimmt, als man nehmen möchte, das ist Übung des Willens auf einem ganz wichtigen Gebiete, und die Lehrer des geistlichen Lebens sagen uns allesamt: Die Bezähmung der Gaumenlust ist der Anfang des ganzen aszetischen Strebens. Wer hier versagt, der versagt auch auf anderen Gebieten. Ich erinnere mich an das schöne Wort, das uns der Regens des Priesterseminars, Professor Pascher, in München einmal sagte: „Man ist unbeherrscht nicht nur auf einem Gebiete.“ Die Unbeherrschtheit dehnt sich nämlich von einem Gebiet auf andere aus, und wer sich im Essen nicht beherrscht, der ist in Gefahr, auch auf anderen Gebieten sich nicht beherrschen zu können.

Ja, meine lieben Freunde, das ist es: Selbstberatung, Selbstüberwachung, Selbsterziehung sind uns aufgegeben, um die Sünde zu meiden. Das alles ist anstrengend, aber um das Reich Gottes wird nicht gewürfelt und gelost, sondern um das Reich Gottes wird gerungen in Kampf und Entsagung. „Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht. Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt ewig Knecht.“

Amen.

 

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