Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Februar 2001

Über Form und Materie der Sakramentenspendung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am Pfingstfeste kam der Heilige Geist unter sichtbaren und hörbaren Zeichen auf die Apostel nieder. Die feurigen Zungen veranschaulichten, daß die Apostel mit der Sprachengabe und mit Begeisterung ausgesrüstet wurden. Der Sturm deutete an, daß ihnen Kraft vom Heiligen Geiste übermittelt wurde.

Ähnlich-unähnlich ist es auch mit den Sakramenten der Kirche. Die Sakramente der Kirche sind sichtbare und hörbare, von Christus eingesetzte Zeichen, vermittels derer Gott den Empfängern Gnaden austeilt. Die Sakramente veranschaulichen etwas. Schon durch ihre Gestalt, durch das Zeichen, wie die Theologie sagt, wird veranschaulicht, welches ihre Wirkung ist; denn es sind nicht leere Zeichen, es sind wirksame Zeichen. Und deswegen kann man sie auch als Werkzeuge bezeichnen, Werkzeuge, die eine Wirkung hervorbringen.

Das Zeichen eines jeden Sakramentes besteht aus einem Ding und einem Wort. Ding und Wort, Sakrament und Verkündigung, sind schon die Aufbauelemente der Kirche. Die Kirche wird gebildet durch das Offenbarungswort, das die Verkündiger ausrufen, und durch die Sakramente, die sie spenden. Die Glaubenskongregation hat deswegen ganz recht, wenn sie in der Erklärung, die vor kurzem veröffentlicht wurde, sagt: Es kann niemand, keine Gemeinschaft, den Anspruch erheben, eine Kirche zu sein, eine wahre, eine echte, eine eigentliche Kirche, die nicht die beiden Aufbauelemente, Wort und Sakrament, in Reinheit und Fülle besitzt. Wer nur zwei Sakramente besitzt, der kann nicht in Anspruch nehmen, Kirche im eigentlichen Sinne zu sein. Ihm fehlt etwas; er hat Defekte.

Schon Christus hatte sich sichtbarer und hörbarer Zeichen bedient bei seinem heilenden Wirken. Er berührte beispielsweise die Augen des Blindgeborenen und trug einen Teig auf. Er berührte die Aussätzigen. Er hat also nicht nur mit seinem Willen oder mit seinem Wort die Kranken geheilt, sondern er hat sich sichtbarer und hörbarer Zeichen bedient. Und die Kirche ist in der Weisung des Herrn daran gehalten, sichtbare und hörbare Zeichen zu setzen, um den Menschen das Heil zuzuwenden. Sie kleidet diese sakramentalen Zeichen ein, sie stellt sie nicht nackt hin, sie bekleidet sie gleichsam, und das, was ihr Kleid ist, nennt man Zeremonien, Gebräuche, mit denen die Kirche die Sakramente umgibt, sinnreiche Gebräuche, die drei Funktionen haben:

1. Sie veranschaulichen das, was das Sakrament beinhaltet. Sie geben den Menschen eine Erklärung für das, was jetzt im Sakrament geschieht.

2. Sie verherrlichen Gott, denn es sind Gebete, die sich an Gott richten, die ihm danken für die Gnaden, die er im Sakrament vermittelt, und die ihn preisen ob seiner Herrlichkeit, die sich in den Sakramenten den Menschen zuwendet.

3. Sie bereiten die Beteiligten vor. Die Sakramente wollen den Empfänger, ja auch den Spender auf die große Gnade des Sakramentes vorbereiten.

Veranschaulichen, verherrlichen, vorbereiten, das sind die drei Funktionen der Zeremonien, mit denen die Kirche die Sakramente umgibt. Die Zeremonien sind normalerweise immer ohne Auslassung vorzunehmen. Nur im Notfall darf man sie auslassen. Es gibt so eine Nottaufe. Auch bei der heiligen Ölung werden sinnreiche Zeremonien verwendet, die das Sakrament umgeben. Aber wenn der Kranke oder Sterbende in den letzten Zügen liegt, begnügt man sich mit der bloßen Spendung des Sakramentes.

Wort und Sakrament sind Aufbauelemente der Kirche. Im Wort der Offenbarung wendet sich Gott an den Menschen, daß er auf ihn hört. Im Zeichen der Sakramente wendet er sich an den Menschen, daß er ihn zur Liebe entflamme. Ein Büchlein, meine lieben Freunde, das zu den schönsten der ganzen theologischen und Frömmigkeitsliteratur gehört, nämlich das Büchlein von der Nachfolge Christi, vor über 500 Jahren geschrieben, hat den Zusammenhang zwischen Wort und Sakrament in der Kirche sehr einleuchtend beschrieben. „Ja, ich gestehe es“, schreibt der fromme Verfasser, „zweier Dinge bedarf ich, solange ich im Kerker dieses Leibes festgehalten bin, nämlich der Speise und des Lichtes. Darum hast du mir deinen Leib gegeben zur Stärkung meiner Seele und meines Leibes und dein Wort zur Leuchte für meine Füße. Ohne diese zwei könnte ich nicht leben, denn das Wort Gottes ist das Licht für meine Seele, und das Sakrament ist das Brot des Lebens. Man kann sagen, daß dies zwei Tische sind, die in der Schatzkammer der Kirche aufgestellt sind, der eine hier, der andere da. Einer ist der Tisch des heiligen Altares. Auf diesem liegt das heilige Brot, der kostbare Leib Christi. Der andere ist der Tisch des göttlichen Gesetzes. Auf diesem liegt die heilige Lehre, die uns im rechten Glauben unterweist.“ Schöner, ergreifender, einleuchtender könnte ich es nicht sagen, daß die Kirche aufgebaut wird durch die beiden Tische des Wortes und des Sakramentes.

Das Wort, das über das Element gesprochen wird, ist kein ohnmächtiges Wort, es ist ein mächtiges Wort, es ist ein wirksames Wort, es ist ein Wort der Kraft. Das Wort, das über die Elemente gesprochen wird, verleiht ihnen Sinnhaftigkeit und Heilskraft. Und die Elemente, also meinetwegen das Wasser oder das Öl, verleihen dem Worte Daseinsmacht und Beständigkeit. Wort und Element ergänzen sich im Sakrament. Diese Redeweise stammt übrigens vom heiligen Augustinus. Er hat das Zeichen des Sakramentes aufgegliedert in Wort und Element. Bei den meisten Sakramenten ist es leicht, diese Unterscheidung zu treffen. Bei der Taufe, bei der Firmung, bei der Eucharistie, bei der Letzten Ölung, da kann man sehr leicht Element und Wort unterscheiden. Schwieriger ist es bei der Ehe, beim Weihesakrament und bei der Buße.

Deswegen, weil bei diesen drei Sakramenten die Durchführung der Unterscheidung zwischen Element und Wort schwierig ist, hat die Kirche seit dem 13. Jahrhundert eine andere Einteilung gewählt, um die beiden im Sakrament vorhandenen Bestandteile zu bezeichnen, nämlich man spricht seitdem von Materie und Form. Materie ist das Unbestimmte, Form ist das Bestimmende. Materie ist das Passive, Form ist das Aktive. Die Kirchenversammlung von Trient hat diese Unterscheidung zwischen Materie und Form, die vom Philosophen Aristoteles entnommen ist, aufgenommen und sie zum Beispiel beim Bußsakrament durchgeführt. Was ist Materie beim Bußsakrament? Was ist die Form beim Bußsakrament? Hier gibt es keinen Gegenstand wie meinetwegen Wasser und Öl, sondern hier sind nur der Pönitent und der Beichtvater beteiligt. Nun, das Konzil von Trient sagt: Die Form des Bußsakramentes sind die Worte des Spenders: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“ Das ist die Form; das ist das Bestimmende; das ist das Wirksame. Aber es gibt auch eine Materie oder gleichsam eine Materie, und das sind die Werke des Büßenden: Reue, Bekenntnis, Genugtuung. Das ist das zu Bestimmende, weil der Priester beurteilt, ob Reue, Bekenntnis und Genugtuungswillen vorhanden sind, und er gibt dann entweder die Lossprechung oder verweigert sie. Insofern kann man also tatsächlich bei diesem Sakrament auch Materie und Form unterscheiden. So kann man es bei allen anderen Sakramenten tun.

Nun muß ich noch etwas erklären, nämlich: Jahrhundertelang hat die Kirche die Lossprechung und auch andere sakramentale Formeln in deprekativer Form vollzogen. Das heißt, sie hatten die Form eines Gebetes an Gott. In späterer Zeit ist man von der deprekativen Form abgegangen zur indikativen Form. Man hat also eine Aussage gemacht, eine Erklärung abgegeben. Beides ist im Grunde gleich wirksam und gleich bedeutend. Wenn die fürbittende Form angewendet wird, meinetwegen: „Gott lasse dir die Sünden nach“, das ist ja fürbittend, dann ist damit immer die Gewißheit verbunden, daß dieses fürbittende Gebet unfehlbar erhört wird. Also auch wenn die Kirche die Sakramente in Form eines Gebetes spricht, hat sie die Gewißheit der unfehlbaren Erhörung. Wenn sie die indikative Form verwendet: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“, das ist ja indikativ, dann hat sie das Bewußtsein, daß das eine Bitte an Gott ist und daß Gott es ist, der die Wirkung vollzieht, daß der Mensch nur sein Werkzeug ist, sein Instrument, dessen sich Gott bedient. Aber die Wirkung wird von Gott, von Gott allein gesetzt, durch sein menschliches Werkzeug, gewiß. Also wir dürfen uns nicht wundern, wenn es im Laufe der Zeit durch die Jahrhunderte gewisse Wandlungen im Bereich des sakramentalen Zeichens gegeben hat. Die Kirche hat eben Vollmacht, im Rahmen des von Christus Festgelegten das sakramentale Zeichen auszugestalten. Auch hier gilt das Wort: „Wer euch hört, hört mich.“

Nun, meine lieben Freunde, sind bei der Spendung der Sakramente, bei der Setzung des sakramentalen Zeichens verschiedene, unbedingt notwendige Normen zu beachten. So muß das sakramentale Zeichen vollständig gesetzt werden; man darf nichts auslassen. Wort und Element, Materie und Form müssen vollständig gesetzt werden. Es muß die wesentliche Form des Sakramentes gewahrt werden. Wesentlich bei der Taufe ist das Wasser. Wenn einer Milch oder Wein verwenden würde, dann wäre die Taufe ungültig. Das ist keine geeignete Materie für die Taufe. Im Mittelalter hat es in Norwegen eine Biertaufe gegeben. Sie war selbstverständlich ungültig. Wer mit Bier tauft, tauft ungültig; Bier ist keine geeignete Materie für die Taufe. Dasselbe gilt natürlich auch für die Worte. Die Worte müssen vollständig über das Taufwasser gesprochen werden. Wenn einer sagt: Ich taufe dich im Namen des Vaters und der Tochter und des Heiligen Geistes, der tauft ungültig.

Weiter ist bei den Sakramenten zu beachten, daß Materie und Form gleichzeitig angewendet werden müssen. Man kann also nicht zum Beispiel erst Wasser über die Stirn des Täuflings gießen und, wenn es abgeflossen ist, sprechen: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Eine solche Taufe ist ungültig. Es müssen das Element und das Wort zusammenkommen; sie müssen gleichzeitig angewendet werden, denn sie bilden eine Handlung, und diese Handlung ist nicht vollständig, wenn nicht Materie und Form gleichzeitig gesetzt werden.

Schließlich ist für eine gültige Sakramentenspendung auch die Intention wesentlich. Der Spender muß wenigstens die Absicht haben, das zu tun, was die Kirche bei der Sakramentenspendung tut. Entscheidend ist der Wille, dieses Minimum an Intention zu erbringen, denn der Spender ist gewissermaßen ein Verwendungsglied der Kirche, wenn er ein Sakrament spendet. Die Kirche verwendet ihn bei der Sakramentenspendung als Werkzeug zur Vermittlung des Heiles, und wenn er nicht in die Intention der Kirche eingeht, kann er nicht vollziehen, was die Kirche bei den Sakramenten vornimmt.

Das also sind die wesentlichen Bestandteile des sakramentalen Zeichens: Element und Wort. Der heilige Augustinus sagt: „Es kommt das Wort zum Element, und es wird das Sakrament.“ Das kann man sich ja, weil es sich fast reimt, leicht merken. Es kommt das Wort zum Element, und es wird das Sakrament. Diese beiden Bezeichnungen sind nicht ungültig geworden dadurch, daß man sie ersetzt hat durch Materie und Form, aber Materie und Form scheinen besser geeignet, die Bestandteile des Sakramentes vor Augen zu führen, weil eben nicht bei jedem Sakrament ein Element zu erkennen ist. Wie soll man etwa bei der Priesterweihe ein Element erkennen? Der zu Weihende ist eben derjenige, der vom Sakrament die Formung empfängt, aber ein sichtbares und hörbares Element kann man eigentlich nicht feststellen. Und deswegen ist die Einteilung des sakramentalen Zeichens in Materie und Form der anderen überlegen.

Wir, meine lieben Freunde, wollen Gott danken, daß er uns hörbare und sichtbare Zeichen gegeben hat. In der Heiligen Schrift sind mehrere dieser Sakramente in ausführlicher Form uns vorgelegt. Denken wir etwa an die Taufe, von welcher der Apostel Paulus im Epheserbrief schreibt: „Christus hat die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort.“ Sehen Sie, hier haben Sie die beiden Bestandteile des Sakramentes: indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort. Ähnlich wird uns die Firmung bezeugt in der Apostelgeschichte, wo es heißt: „Die Apostel Petrus und Johannes kamen nach Samaria. Da legten sie ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist.“ Sie legten ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist. Die Handauflegung ist das sichtbare Zeichen bei der Firmung. Selbstverständlich ist damit auch das Gebet verbunden. Ganz deutlich ist es bei der Einsetzung des eucharistischen Opfersakramentes, wo Jesus Brot in seine heiligen Hände nahm, es segnete und brach, den Jüngern gab, indem er erklärte: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib.“ Und ähnlich beim Kelch: „Trinket alle daraus, denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Elemente Brot und Wein und Worte, die darüber gesprochen werden, Worte voll Macht und voll Kraft. Und ähnlich ist es schließlich auch bei der Letzten Ölung, wie uns der Apostel Jakobus bezeugt: „Wenn jemand krank ist, soll er die Priester der Kirche rufen. Sie sollen über ihn beten und ihn mit Öl salben.“ Beides ist notwendig: Gebet – das Wort – und Salbung mit Öl – das Element.

Die Sakramente, meine lieben Freunde, sind die Liebeszeichen Gottes. Sie wenden sich an uns, daß wir ihm Liebe entgegenbringen. Sie sind aber auch die Zeichen, mit denen Gott Gehorsam fordert. Im Wort spricht er zu uns und fordert uns zum Gehorsam auf. Deswegen ist in den Sakramenten immer beides wirksam: die Aufforderung zur Liebe und zum Gehorsam und, von uns gesehen, unsere Leistung der Liebe und des Gehorsams.

Amen.

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