Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
19. Januar 1997

Das metaphysische Bild Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer sich Gott zu klein vorstellt, verfehlt ihn; und wer sich Gott anders vorstellt, als er in Wirklichkeit ist, der wird überrascht, wenn Gott anders handelt, als er ihn sich gedacht hat. Deswegen ist es unerläßlich, sich das richtige Gottesbild zu machen, kein geschnitztes, kein gegossenes, aber auch kein gedachtes, sondern wir müssen Gott so nehmen, wie er uns aus seiner Offenbarung, aus der Werk- und Wortoffenbarung entgegentritt. Was wir von Gott wissen, das können wir nicht nur entnehmen den Geschöpfen, die auf ihn als den Schöpfer verweisen, sondern auch den Aussagen, die uns seine Offenbarungsorgane, also die Könige, die Propheten, die Patriarchen und vor allem natürlich der Offenbarer des Neuen Bundes, Jesus Christus, gemacht haben.

Sich mit Gott zu befassen ist die eigentliche, höchste und beanspruchendste Aufgabe der Kirche. Sie hat ingewissem Sinne nichts anderes zu tun, als Gott zu verkünden und das, was sich aus dem göttlichen Wesen und aus dem göttlichen Willen ergibt. Unsere Aufgabe ist es eigentlich, nichts anderes zu tun, als auf das zu hören, was Gott sagt, und das zu tun, was er will. Wie lautet doch in dem schönen Katechismus, den wir als Kinder gelernt haben, die Antwort auf die erste Frage: „Wozu ist der Mensch auf Erden? Der Mensch ist auf Erden, um Gott zu dienen, Gott zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Wahrhaftig, in diesem einfachen Satz ist unsere Aufgabe gegenüber Gott beschlossen: ihm zu dienen, ihn zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen.

Freilich bedarf es großer Anstrengungen, um das wahre Bild Gottes in den Griff zu bekommen, um Gott so zu sehen, wie er gesehen werden will. Wir haben uns bemüht, das Wesen Gottes begrifflich zu fassen. Wir hatten dabei die Begrifflichkeit aufgenommen, welche in jahrtausendelangem Bemühen der größten Geister geschaffen worden ist. Wir sagten: Das metaphysische Wesen Gottes, die Wesensgestalt Gottes besteht darin, daß er das ens a se ist, das heißt: Er ist ein Wesen, das aus sich und durch sich ist. Kein anderes Wesen ist aus sich und durch sich, sondern ein jedes andere Wesen ist ein ens ab alio, ein Sein, das sein Dasein wieder einem anderen verdankt. Aber wenn man in dieser Reihe immer zurückgeht, kommt man zu seinem Schlußpunkt, und dieser Schlußpunkt heißt ens a se, ein Wesen, das sein Dasein nicht mehr einem anderen verdankt, sondern das den Grund seines Daseins in sich selbst trägt, das das subsistierende Sein, das selbstbestehende Sein, das ruhende Sein ist. Und das nennen wir Gott.

Wir können auch von Eigenschaften Gottes sprechen und bezeichnen diese als das Wesensgefüge Gottes. Die Eigenschaften Gottes kleben Gott nicht gleichsam an, wie uns Eigenschaften ankleben. Wir sind durch eine bestimmte Schulbildung gegangen, wir haben ein bestimmtes Wissen erworben, wir haben bestimmte körperliche und geistige Merkmale. Wenn wir sagen, daß Gott Eigenschaften hat, dann meinen wir damit, daß sich das eine göttliche Wesen in uns in verschiedener Weise spiegelt. Die Eigenschaften, die Gott hat, fallen mit seinem Wesen zusammen. In Gott ist alles eins, und nur unser begrenztes, endliches Denken vermag sich dem göttlichen Wesen allein so zu nähern, daß wir ihm verschiedene Vollkommenheiten zuschreiben. Wir sprechen von Eigenschaften des Geistes, des Willens, des Denkens Gottes, wir sprechen von Eigenschaften des Seins. Man unterscheidet negative und positive Eigenschaften. Negativ sind jene Eigenschaften, die Gott eine Unvollkommenheit absprechen, die sich beim Menschen findet. Positive Eigenschaften sind jene, die ihm eine Vollkommenheit zusprechen, die der Mensch hat, die aber bei Gott unendlich gesteigert ist. Wir sprechen von mitteilbaren und unmitteilbaren Eigenschaften. Gott kann seine Weisheit in einer dem Menschen angemessenen Fassungskraft mitteilen, aber er kann nicht seine Ursprungslosigkeit mitteilen, er kann nicht seine Ewigkeit mitteilen, er kann nicht seine Unwandelbarkeit mitteilen. Wir unterscheiden schließlich Eigenschaften des Seins und des Tuns. Die Eigenschaften des Seins sind seine innere Struktur, gewissermaßen die Bedingungen seines Seins. Die Eigenschaften seines Tuns sind die Wirklichkeiten, die aus dem Wesen Gottes gleichsam hervorgehen, aber, wie wir wissen, mit seinem Wesen zusammenfallen. Wir müssen von Gott jede irgendwie geartete Zusammensetzung abweisen. Gott ist einfach; er ist ein einfaches Wesen. In ihm ist also das Dasein und das Sosein identisch. In ihm fallen Wesen und Eigenschaften zusammen. Es gibt von ihm keine Gezweiung zwischen Anlage und Tätigkeit, und es gibt bei ihm keinen Unterschied zwischen der einen Tätigkeit und der anderen. Gott ist absolut einfach. Er ist nicht zusammengesetzt aus inneren Seinsgründen wie wir – Dasein und Sosein, Gattung und Art –, er ist auch nicht zusammengesetzt aus Naturteilen, sondern er ist absolut einfach. Deswegen sagt die Heilige Schrift: „Gott ist die Wahrheit, Gott ist die Liebe, Gott ist das Licht“, nicht: Er hat die Wahrheit und er beweist Liebe, nein, er ist die Liebe, er ist die in sich stehende Liebe. In ihm ist die Liebe Person und gleichzeitig Natur geworden.

Wenn wir von Gott jede Zusammensetzung aus Naturteilen ablehnen, dann sagen wir damit aus, daß er nicht körperlich ist, denn das geschöpfliche Sein ist in der Regel aus Teilen zusammengesetzt, unser Körper oder der Kosmos draußen. Gott ist ein Geist, und das will sagen: Er ist nicht nur über das Stoffliche erhaben, sondern er ist anders als alles, was geschöpfliches Sein heißt. Im Alten Bunde wurde verboten, ein geschnitztes Bild von Gott zu machen. Die Bedeutung dieses Gebotes liegt darin, daß die Israeliten, die ja von reichen und mächtigen Völkern umgeben waren, sich nicht Götzenbilder verschaffen sollten. Die Babylonier, die Perser, die Ägypter, die Griechen hatten Religionen von größter Eindruckskraft geschaffen. Aber sie hatten eines nicht gefunden, nämlich den Zugang zum einen, wahren,. lebendigen, weltüberlegenen und persönlichen Gott, und vor der Gefahr, von diesen Göttern geblendet zu werden, diesen Göttern zu verfallen, vor dieser Gefahr wollte das Gebot die Israeliten schützen, daß sie sich kein geschnitztes Bild machen durften. Es sollte auch kein Symbol Gottes angefertigt werden. In der Stiftshütte und im Tempel zu Jerusalem stand kein Bild Gottes, wie in den Tempeln der umliegenden Völker Götterbilder standen. Die Situation ist im Neuen Testament nicht anders. Auch im Neuen Bunde ist die Geistigkeit Gottes absolut gesichert, und seine Geistigkeit bedeutet natürlich auch seine Unsichtbarkeit. Aber es ist doch anders, denn wie ruft der Apostel Johannes seinen Hörern und Lesern zu, die aus den Welten des Mythos stammten: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater.“ Dieses Sehen geht auf das Sehen mit den Augen, mit den Augen des Körpers. Wir haben seine Herrlichkeit gesehen. Gott ist erschienen, Gott ist sichtbar geworden. Ähnlich sagt es Jesus bei einem Gespräch mit Philippus. Philippus spricht zu Jesus: „Zeige uns den Vater!“ „Philippus“, antwortet ihm Jesus, „so lange Zeit bin ich schon bei euch und du kennst mich nicht? Wer mich sieht, der sieht den Vater!“ Mit den Augen des Geistes und mit den Augen des Körpers. Denn nur der Gläubige vermag in der Gestalt Jesu den Vater zu erkennen. Und der Apostel Paulus sagt, daß auf dem Antlitz Jesu sich die Herrlichkeit Gottes zeige. Also: Gott ist tatsächlich in der Heilsveranstaltung des Neuen Bundes in einer bestimmten Weise sichtbar geworden, nicht wie er in sich ist, aber wie er sich in der Wirklichkeit des Jesus von Nazareth spiegelt, so ist er schaubar und sichtbar geworden.

Wir müssen also an der unbedingten Geistigkeit und Einfachheit Gottes festhalten. Wenn Gott zusammengesetzt wäre, dann müßte es einen Grund geben, auf den die Zusammensetzung zurückzuführen ist. Es wäre also eine Wirklichkeit zu suchen, die hinter Gott zurückführt, damit aber wäre Gott nicht die letzte Wirklichkeit, die er sein muß, wenn er Gott bleiben soll. Also kann Gott nur absolut einfach sein.

Meine lieben Freunde, wir müssen von Gott reden, weil wir von ihm nicht schweigen dürfen. Wir müssen Aussagen über Gott machen, auch wenn wir wissen, daß sie niemals erschöpfend, adäquat, ebenbürtig sind. Wie soll der endliche Mensch das Unendliche anders ausdrücken als mit endlichen Begriffen, Vorstellungen und Namen? Es kommt nur darauf an, daß wir uns der Analogie unserer Aussagen bewußt sind. Was wir von Gott sagen, trifft zu. Gott ist so, wie die von der Kirche unfehlbar gelehrten Wahrheiten es uns sagen. Aber die Ähnlichkeit zwischen diesen Aussagen und Gott, die besteht, ist geringer als die Unähnlichkeit. Gott ist noch viel mehr den Aussagen, die wir über ihn machen, unähnlich. als er ihnen ähnlich ist. Es muß so sein, meine lieben Freunde, es ist vielleicht für uns enttäuschend, daß wir nicht Gott so umgreifen und so begreifen können, wie wir einen Menschen oder wie wir die geschöpfliche Wirklichkeit begreifen. Aber es muß so sein, es muß so bleiben, denn nur dann bleibt Gott der weltüberlegene, absolute Herrscher und König, wenn er vom Menschen nicht erfaßt und nicht durchschaut werden kann. Gott muß Gott bleiben, und der Mensch muß Mensch bleiben. Das bedeutet, daß der Mensch nur in Annäherung Gott in seinem Namen, in seinen Vorstellungen und in seinen Begriffen zu erfassen vermag.

Amen.

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