Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Dezember 1995

Das Übel des menschlichen Hasses

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Gegenbild zu der Leidenschaft der Liebe ist die Leidenschaft des Hasses. Wenn die Liebe, die Leidenschaft der Liebe, ein sinnliches Wohlgefallen an einem von der Phantasie vorgestellten Gegenstand hat und eine Hinneigung zu demselben ist, dann ist der Haß ein sinnliches Mißfallen gegen ein von der Phantasie vorgestelltes Übel und eine Abneigung dagegen. Wenn sich die Abneigung gegen Menschen richtet, dann sprechen wir vom Haß der Feindschaft. Wenn sich die Abneigung gegen Sachen richtet, reden wir vom Haß des Mißfallens. Es ist verständlich, daß das, was der sinnlichen Natur zuträglich ist oder scheint, Sympathie hervorruft, und das, was ihr widerwärtig oder schädlich ist oder scheint, Abneigung, Antipathie weckt. Der Wert oder der Unwert einer Abneigung richtet sich nach der Liebe. Je nachdem, ob unsere Liebe geordnet ist oder nicht, ist auch unsere Abneigung geordnet oder nicht.

Es sind viele Gegenstände, die unser Mißfallen hervorrufen. Wir wenden unsere Augen ab von allem, was häßlich ist. Das Wort häßlich ist ja sprachlich verwandt mit „Haß“, und häßlich ist eben das, was hassenswert ist. Häßlich kann sehr vieles sein, eine zerstörte Landschaft, eine ungeordnete Wohnung, ein schäbiges ethisches Verhalten. Das alles ist häßlich, was besagt, es ist der Abneigung wert.

Besonders leicht mißfallen uns Eigentümlichkeiten von Menschen. Wie Menschen sich geben, wie sie sich verhalten, wie sie sich äußern, das weckt leicht in uns Abneigung und Mißfallen. Wir haben unsere eigenen Maximen und Grundsätze. Andere Menschen haben häufig andere Maximen und Grundsätze, und so stoßen sie aufeinander. Da besteht die Gefahr, daß wir das, was andere anders tun als wir, leicht zum Anlaß nehmen, unser Mißfallen darüber zu empfinden oder gar zu äußern. Einer, der oft sehr melancholisch ist, empfindet Abneigung gegen einen anderen, der stets sehr heiter gestimmt ist. Jemand, der von Natur aus fröhlich ist, nimmt Anstoß an einem anderen, der immer von traurigen Gedanken erfüllt ist. Jeder Mensch muß ertragen werden; jeder Mensch hat sogar etwas Unerträgliches an sich. So erklärt sich leicht, warum wir Mißfallen an anderen Menschen empfinden.

Sogar die Wahrheit kann hassenswert erscheinen, denn die Wahrheit deckt dem Menschen die Wirklichkeit auf und die Wirklichkeit ist oft anders, als der Mensch in seinen Wünschen und Illusionen sich vorstellt, und so wehrt er sich gegen die Wahrheit, er lehnt sie ab. Die Wahrheit vor allem in der Gestalt der Gebote Gottes wird von Menschen oft als bedrohend, lästig und deswegen hassenswert empfunden. Denn die Gebote Gottes sind dem entgegen, was sie sich in ihren Träumen und Wünschen vorstellen, und so hassen sie das Gesetz Gottes, und oft hassen sie denjenigen, der es auf Anruf verkündet. Wir wollen ruhig zugeben, daß die Glieder der Kirche versagen, häufig versagen, in starkem Maße versagen, aber es bleibt ein Rest, der nicht durch ihr Versagen erklärt werden kann. Dieser Rest ist der Haß gegen die Institution, die Gottes Gesetz, die Gottes Wahrheit verkündet.

Die letzte Stufe erreicht der Haß, wenn er sich gegen Gott selbst wendet. Gott, die Quelle alles Guten, Gott, die Quelle aller Schönheit, kann vom Menschen als bedrohlich empfunden werden. Denn Gott ist der Gesetzgeber, und er ist der Rächer der Übertretungen seiner Gesetze. So kann es dazu kommen, daß Menschen zum Gotteshaß gelangen. „Wenn es Gott gäbe,“ hat einmal Bakunin gesagt, „dann müßte man ihn vernichten.“ Die Quelle des Hasses ist, so merkwürdig es klingt, die Liebe. Denn wir hassen das, was uns im Besitze von Werten stört, denen unsere Liebe sich zuwendet; wir hassen das, was uns in der Erstrebung von Gütern hindert, die uns angenehm und nützlich erscheinen. Das heißt: Ist die Liebe geordnet, dann ist auch der Haß berechtigt, ist die Liebe dagegen ungeordnet, dann ist der Haß unberechtigt. Wir dürfen, ja wir sollen hassen, was böse ist. Dem Bösen muß unser unversöhnlicher Haß gelten, also die Abneigung, das Mißfallen, die Trennung, die müssen wir dem Bösen in uns und um uns zuwenden. Zwischen dem Bösen und dem Guten gibt es keinen Kompromiß. Da muß in unserer Seele der Widerwille, die Abneigung aufstehen und darf sich nicht entmutigen lassen.

Das Böse tritt auch auf in der Gestalt der verkehrten Selbstliebe.  Wir meinen oft, bestimmte Dinge, bestimmte Erlebnisse, bestimmte Ziele seien uns notwendig, lebensnotwendig, während sie uns in Wirklichkeit Schaden bringen. O nein, meine Brüder und Schwestern, Gott weiß, was für uns notwendig ist, und wir dürfen nicht aus verkehrter Eigenliebe uns etwas anzueignen versuchen, was Gott uns nicht gewähren will. Wie sagt der Heiland: „Wer sein Leben verliert in dieser Welt, wird es bewahren für das ewige Leben. Wer dagegen sein Leben liebt in dieser Welt, wird es verlieren.“ Hier ist vom Selbsthaß die Rede, natürlich nicht in dem Sinne, als ob wir das Gute, das an uns ist, hassen sollen, sondern wir sollen das Böse, das Niedere, das in uns aufstehen will, hassen. Wir sollen auch geringere Werte preisgeben um höherer Werte willen. Das ist ein Prinzip unseres ganzen Lebens. Man muß weniger Wertvolles drangeben, um Wertvolleres zu gewinnen, denn wir wind zum Höchsten berufen. Wir dürfen uns nicht mit Geringem und Billigem begnügen. Wir sind zum Höchsten berufen und müssen deswegen unermüdlich niedere Werte den höheren zum Opfer bringen. Also Haß gegen das Böse, darum auch Ablehnung der verkehrten Selbstliebe.

Nun gibt es aber vieles andere, was unsere Abneigung hervorruft, Menschen, Eigentümlichkeiten von Menschen, Geschehnisse, Ereignisse, die nicht böse sind, aber die uns mißfallen. Solche Dinge und Geschehnisse, solche Menschen und Eigentümlichkeiten müssen wir durch übernatürliche Beweggründe zum Heil zu wenden versuchen. Wir leiden ja alle unter Mitmenschen; wir leiden unter ihren Schwächen, unter ihren Fehlern. Einer ist ein Schwätzer, der andere ist ein Verleumder, ein dritter ist eitel, ein vierter ist faul. Wir wollen uns keine Illusionen über die Mitmenschen machen. Wie treffend sagt einmal der schottische Schriftsteller Bruce Marshall: „Es waren ihrer zu viele, die man allein um Gottes willen lieben sollte.“ Es sind eben viele Menschen nicht liebenswürdig, aber das darf uns nicht hindern, sie zu ertragen und ihnen unsere Güte und Geduld zuzuwenden. Güte und Geduld schulden wir allen Menschen, auch den garstigen, auch den widerwärtigen, auch denen, die wir meinen nicht ertragen zu können. „Wenn ein Mensch einen anderen wegen seiner Fehler schlägt oder haßt, dann ist es, als ob ein Hinkender einen Lahmen prügelt“, hat einmal unser schlesischer Dichter Hermann Stehr geschrieben. Wahrhaftig, so ist es! Wir wollen nicht den Splitter im Auge des anderen herauszuziehen suchen und den Balken im eigenen Auge nicht anrühren, wir wollen nicht unseren eigenen Fehler übersehen gegenüber den Fehlern der anderen. Wer weiß, was für ein Schicksal dieser Mensch hatte, welches seine Erbanlagen sind, wie er aufgewachsen ist, welche Schicksalsschläge er erlitten hat, wie ihm zumute ist, auch körperlich. Man sieht es ja den Menschen oft nicht an, was sie leiden. Und so muß uns ein großes Mitleid, eine große Güte, eine große Geduld bewegen, den Mitmenschen zu ertragen. Geduld und Güte schulden wir unseren Mitmenschen. Und auch was uns an Unangenehmem trifft, kann ein Meilenstein auf dem Weg zum Himmel sein: Schläge, Niederlagen, Enttäuschungen, Unfälle, Verleumdungen, Verfolgungen, Zurücksetzungen. Alle diese unangenehmen Ereignisse können nach Gottes Willen uns zum Heile gereichen. Wir müssen sie nur richtig aufnehmen. Wir müssen uns nur unter die Hand Gottes beugen und mit Job sprechen: „Der Herr hat es gewollt, er hat es gegeben, er hat es genommen. Der Name des Herrn sei gepriesen!“

So wollen wir am heutigen 1. Adventssonntag, meine lieben Freunde, unsere Entschlossenheit erneuern, dem Bösen und der verkehrten Selbstliebe unseren Kampf anzusagen. Aber wir wollen gleichzeitig diesen Sonntag benutzen, um uns in der Güte und in der Geduld gegenüber unseren Mitmenschen zu erneuern. Wir wollen vor allem den Haß ablegen, der ja letztlich einen Vernichtungsaffekt in sich trägt, allen Haß gegen Menschen, seien es Angehörige, seien es Nachbarn, seien es Fremde, seien es Kollegen. Der Haß darf in unserem Herzen keine Stelle haben. Von Haß und Zorn und allem bösen Willen befreie uns, o Herr!

Amen.

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