Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 1995

In den Himmel aufgenommen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Festesfreude Versammelte!

Am 1. November 1950 hat Papst Pius XII. in Rom den Glaubenssatz feierlich verkündet: „Die unbefleckte, immerwährende jungfräuliche Gottesmutter Maria ist nach Vollendung ihres irdischen Laufes mit Leib und Seele in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen worden.“ Der Papst hat damit nicht eine neue Wahrheit verkündet, sondern er hat das, was eingeschlossen und unentfaltet immer im Glaubensbewußtsein des christlichen Volkes gelebt hat, nur zur Gewißheit erhoben. Von Anfang an hat sich die gläubige Betrachtung des christlichen Volkes Maria zugewandt, hat ihre Vorzüge erkannt und ihre wunderbare Berufung erfaßt. Und so ergab sich im Laufe der Jahrhunderte, daß Maria ausgezeichnet ist vor allen anderen Menschen, weil sie die Mutter des göttlichen Erlösers sein sollte.

Das Fest Heimgang Mariens oder Mariä Himmelfahrt ist das älteste Marienfest der Kirche. Bereits im 5. Jahrhundert wurde es gefeiert. Das gläubige Betrachten der Gottesmutter hat freilich allein diese Wahrheit von der himmlischen Glorie Mariens nicht ans Licht heben können. Es mußte die theologische Überlegung dazukommen. Man muß sich gegen die Einwände wehren, die vor allem von protestantischer Seite gemacht werden, daß der fromme Überschwang hier etwas hervorgetrieben hat, was vor der biblischen Botschaft nicht bestehen kann. Meine lieben Freunde, in der Heiligen Schrift ist vieles dunkel und sehr vieles in einer eingewickelten, unentfalteten Form enthalten. Aber dazu hat ja nun Gott seinen Heiligen Geist bestellt und bestimmt, daß er die Kirche einführt in alle Wahrheit. Diese seine Tätigkeit ist nicht abgeschlossen mit dem Tod der Apostel, auch nicht mit den ersten 4 Jahrhunderten der Kirchengeschichte. Nein, diese Tätigkeit vollzieht der Heilige Geist bis zum Ende der Zeiten. Und seinem Wirken ist es zuzuschreiben, daß Pius XII. am 1. November 1950 feierlich das Dogma, also den Glaubenssatz und das Glaubensgesetz, verkünden konnte: „Maria ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.“

Die theologische Begründung dieser Wahrheit ist eine dreifache. Einmal sagt Pius XII. in der Bulle, also in dem Schreiben zur Verkündigung des Dogmas: „Maria ist um der Ehre ihres Sohnes willen mit diesem Vorzug beschenkt worden.“ Um der Ehre ihres Sohnes willen. Jesus ist der gottgesandte Erlöser. Er besitzt ein Ansehen, und das nennen wir Ehre. Und dieses Ansehen erhebt bestimmte Forderungen, Forderungen auch an die Frau, die ihn gebären sollte. Diese Forderungen an die Frau, die Jesus im Schoße trug, waren vor allem ihre unbefleckte Empfängnis und ihre leibliche Aufnahme in den Himmel. Die Heimat, die Christus auf Erden bereitet wurde, sollte, wie es dem Allerreinsten geziemte, ganz rein sein. Deswegen ist Maria von der Erbsünde nicht befreit, sondern vor der Erbsünde bewahrt worden. Sie hat sie sich nicht erst zugezogen, um dann von ihr erlöst zu werden, nein, sie ist eine Vorerlöste. Bevor sie sich diese Erbschuld zuzog, hat sie durch ein besonderes Gnadenprivileg von Gott die Erlösung empfangen. Aber dann ist natürlich die Konsequenz: Wer die Erbsünde nicht in sich trug, der kann auch nicht den Sold der Sünde in sich tragen, das ist der Tod bzw. das Bleiben im Tode. Deswegen mußte Maria mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit eingehen. Sie konnte die Verwesung nicht schauen. Und es ist noch nicht einmal sicher, ob sie den leiblichen Tod gestorben ist. Der Papst sagt: „Nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes“. Er sagt nicht: „Nachdem sie gestorben ist“. Also eine letzte Gewißheit haben wir gar nicht, ob nicht Maria vielleicht in einer anderen Weise des Überganges in die himmlische Herrlichkeit erhoben. In jedem Falle geschah es um der Ehre ihres Sohnes willen. Er wird geehrt durch eine solche Mutter, die frei von Erbsünde und in der himmlischen Verklärung mit ihm vereinigt ist.

Der zweite theologische Grund ist die Sohnesliebe. Jesus hat ja die Frau, die ihn geboren hat, mit einer alles menschliche Maß übersteigenden Sohnesliebe umfangen. Die Frau, die ihn getragen, die ihn geboren, die ihn genährt, die mit ihm die Freuden und Leiden geteilt hat, diese Frau stand ihm zweifellos am nächsten von allen Menschen auf Erden. Und so hat er diese Frau geliebt, wie eben nur ein Sohn, ein göttlicher Sohn, seine Mutter lieben kann. Diese Liebe duldete nicht, daß Maria von ihm, wenn auch nur leiblich, getrennt war. Er hat dafür gesorgt, daß das, was er vermochte, auch an ihr geschah, nämlich daß er sie mit Leib und Seele in seine himmlische Herrlichkeit aufnahm. Die Sohnesliebe Jesu ist dafür ursächlich, daß Maria nicht bloß, wie andere Verstorbene, mit der Seele in der himmlischen Herrlichkeit lebt, sondern daß sie in der Vollendung auch des Leibes mit ihm vereint ist. Alle anderen warten noch auf diese Vollendung, unsere lieben Verstorbenen, unsere lieben Eltern und Großeltern und Verwandten. Sie sind noch im Wartestand. Es gibt nur einen Irdischen, der nicht mehr im Wartestand ist, das ist Maria. In ihr ist die Vollendung der Herrlichkeit bereits geschehen. Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen. Sie wartet nicht auf die Auferstehung des Leibes, sondern die Auferstehung des Leibes ist an ihr erfolgt wegen der Liebe ihres Sohnes, wegen der Liebe, die Christus zu ihr getragen hat.

Der dritte Grund ist der Sieg Mariens über Sünde und Teufel. Das Proto-Evangelium, also die erste Verkündigung des Heiles im Buche Genesis, dem ersten Buch der Heiligen Schrift, lautet: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen.“ Hier war angekündigt die Feindschaft zwischen dem Schlangentreter und seiner Mutter und dem Satan; und Maria ist ihm niemals erlegen. Sie war, wie ich schon am Anfang sagte, vor der Erbsünde bewahrt, und sie hat keine persönliche Sünde begangen. An ihr hat der Satan keinen Anteil; und weil der Satan keinen Anteil hatte, sollte auch die Verwesung an ihr keinen Anteil haben. Denn der Satan herrscht im Tode, der Tod ist der Knecht Satans, der Tod ist der Vollstrecker der Satansmacht. Maria hat die Sünden überwunden, und deswegen sollte ihr der Tod nicht schaden. Sie ist durch das Geschehen, das wir in einer unbegreiflichen Weise noch nicht letztlich entschlüsseln können, in die ewige Seligkeit eingegangen. Sie hat die Vollendung empfangen, die denen verheißen ist, an denen der Satan keinen Anteil hat.

So ist sie die neue Eva geworden. Wir haben einen neuen Adam, das ist Christus. Er ist das Stammhaupt der neuen Menschheit, der erlösten Menschheit. Aber diesem zweiten Adam ist eine zweite Eva hinzugesellt, die Mutter der Lebendigen, Maria, die Königin des Himmels. An ihr hat sich erfüllt, was der Engel gesagt hat: „Du bist voll der Gnade.“ Wenn voll, dann aber in der Fülle der Gnade und in der Fülle der Erlösung, die sie empfangen hat, als der Herr sie in die himmlische Herrlichkeit einziehen ließ.

Wenn wir also Maria als die in den Himmel Aufgenommene bekennen, dann treiben wir keinen frommen Überschwang, dann vertreten wir keine mariologische Häresie, wie von protestantischer Seite gesagt wird. Damit mindern wir auch nicht die Ehre ihres Sohnes, sondern ganz im Gegenteil, wir bekräftigen die Ehre unseres Herrn und Heilandes, wir preisen sein Wunder, das er gewirkt hat an seiner heiligsten Mutter, und wir freuen uns, daß wir eine Fürsprecherin in der himmlischen Herrlichkeit haben.

Im Gesang der Büßerinnen im 2. Teil des großen Dichtwerkes von Goethe, Faust, heißt es: „Du schwebst zu Höhen der ewigen Reiche. Vernimm das Fleh'n, du Ohnegleiche, du Gnadenreiche!“ Wie schön hat der Dichter hier die Wahrheit der Himmelfahrt Mariens in Worte gefaßt! „Du schwebst zu Höhen der ewigen Reiche. Vernimm das Fleh'n, du Ohnegleiche, du Gnadenreiche!“ Wenn wir sie heute preisen und feiern, wenn wir glücklich sind und uns freuen über ihre Auserwählung, dann ist doch gleichzeitig auch unsere Bitte an sie gerichtet, geht unser Flehen, unser Rufen, unser unstillbares Weinen zu ihr: „Du schwebst zu Höhen der ewigen Reiche. Vernimm das Fleh'n, du Ohnegleiche, du Gnadenreiche!“  Amen.

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