Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Mai 1994

Pfingsten – Macht der Sprache

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, aus den Gleichnissen, die Gott gefunden hat, um die dritte Person in der Trinität den Menschen nahezubringen, die Gleichnisse aus der Natur und aus der Menschenwelt zu betrachten. Gestern hatten wir den Sturm und das Feuer als Symbole des Heiligen Geistes erkannt. Wir haben heute noch einzugehen auf die Sprache als ein Zeichen des Geistes.

Die Menschen, die beim ersten Pfingstfest zugegen waren, haben die Macht der Sprache, der einigenden Sprache, erfahren. Sie hörten nämlich, obwohl sie aus allen möglichen Ländern und Nationen gekommen waren, die Apostel in ihrer Sprache reden. In der Macht des Heiligen Geistes wurde ein unbeschreibliches Wunder gewirkt, daß die Menschen imstande waren, eine Sprache aufzunehmen, die sie nie gelernt hatten.

Die Wirkung des Geistes war das Verstehen. Die Menschen, die da beim ersten Pfingstfest zusammen waren und sich dem Geiste, dem Wirken des Geistes geöffnet hatten, verstanden einander. Sie waren eins im gegenseitigen Verstehen. Das ist also die Wirkung des Geistes, daß er die Menschen, die sich ihm öffnen, die sich ihm erschließen, eins macht im gegenseitigen Verstehen.

Umgekehrt muß man sagen: Wo sich Menschen nicht mehr verstehen, wo sie eine Sprache sprechen, die den jeweils anderen fremd und unverständlich ist, da kann nicht der Heilige Geist sein. Das Nicht-Verstehen, das Nicht-Verstehen-Mögen und das Nicht-Verstehen-Wollen, das kann nicht vom Heiligen Geist bewirkt sein.

Es gab einmal, meine lieben Freunde, eine katholische Kirche, in der alle einander verstanden. Ob ein Lehrer vom Norden oder vom Süden kam, ob er eine andere Muttersprache als der Hörer sein eigen nannte, alle verstanden ihn; denn sie waren eins im gegenseitigen Verstehen durch den Heiligen Geist geworden. Heute ist diese Einheit und Einigkeit im Verstehen in der katholischen Kirche verschwunden. Heute verstehen sich die Menschen nicht mehr, auch wenn sie dieselbe Sprache sprechen, weil sie die Worte, die sie gebrauchen, in jeweils verschiedenem Sinne verwenden.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Heute sprechen Lehrer der Wahrheit und Irrlehrer von der Realpräsenz, d.h. von der wirklichen Gegenwart Christi im eucharistischen Opfersakrament. Aber mit diesem Wort sind völlig verschiedene Aussageweisen gemeint. Wir, die wir am katholischen Glauben festhalten, verstehen unter Realpräsenz die Wirkung der heiligen Wandlung. Wenn Brot und Wein durch Gottes Macht mit Hilfe des Priesters gewandelt sind, dann ist Jesus Christus wahrhaft, wirklich und wesentlich, mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit auf dem Altar zugegen, und das ist eine wirkliche Präsenz, eine wirkliche Gegenwart. Die Falschlehrer dagegen leugnen die Wandlung, sie bestreiten sie, sie lehnen den Begriff der Transsubstantiation, womit das Geschehen in der Wandlung bezeichnet wird, ab. Wie soll dann das Ergebnis dessen, was da geschieht, wenn überhaupt etwas geschieht, noch als Realpräsenz bezeichnet werden?

Wo der Heilige Geist nicht mehr wirkt, meine lieben Freunde, da gibt es kein Verstehen mehr. Und heute stehen sich in unserer eigenen Kirche Lehrer der Wahrheit und Falschlehrer gegenüber. Die Lehrer der Wahrheit nehmen immer mehr ab, und die Falschlehrer nehmen immer mehr zu. Die Falschlehrer wollen die Lehrer der Wahrheit nicht anhören, sie wollen sie nicht verstehen, sie wollen sie vielmehr vernichten. Sie wollen ihnen die letzten Positionen nehmen, die sie noch haben. Sie wollen sie mundtot machen, womöglich auch ihre bürgerliche oder kirchliche Existenz zerstören. Das ist die Lage in der heutigen katholischen Kirche.

Und in dieser Lage muß man wissen, wo der Heilige Geist ist. Er kann nicht bei denen sein, die mit Haß und Bosheit die Lehrer der Wahrheit verfolgen. Das kann nicht die Wirkung des Geistes sein. Der Geist ist heute ausgewandert in jene wenigen gläubigen katholischen Laien und Priester und Theologen, die an der Wahrheit festhalten. Die anderen gehorchen ihrem eigenen Geist, dem Ungeist der Welt, sie haben den Heiligen Geist nicht empfangen.

Aber es kommt nicht nur auf das Verstehen und die Sprache an. Es kommt auch auf den Inhalt dessen an, was da gesagt wird. Die Menschen des ersten Pfingstfestes verstanden den Petrus und die übrigen Jünger so gut, weil sie die Großtaten Gottes verkündeten. Sie sprachen nicht von sich, von eigenen Vorstellungen und „Erfahrungen“, Wünschen und Anregungen. Sie waren keine Subjektivisten, sondern sie waren Menschen, die das Geschehen Gottes in ihren Mund nahmen und den anderen deuteten. Sie sprachen von den Großtaten Gottes.

Die Falschlehrer in unserer Kirche sprechen immer nur von sich selber, von ihren eigenen Meinungen, Ansichten und Auffassungen. Sie preisen sich gegenseitig und jubeln sich gegenseitig hoch – denken Sie nur an die unablässigen Jubiläen, Verleihungen von Auszeichnungen und Ehrungen –, aber sie vergessen darüber, die Großtaten Gottes zu verkünden. Sie sprechen von den Menschenrechten, von den Bürgerrechten und von den Christenrechten, aber sie sprechen nicht von den Rechten Gottes! Sie haben die Rechte Gottes vergessen.

Es gibt in der Kirche seit geraumer Zeit eine sogenannte anthropologische Wende. Sie ist verknüpft mit dem Namen des Falschlehrers Karl Rahner. Diese sogenannte anthropologische Wende besteht darin, daß man immer vom Menschen ausgeht und zum Menschen hin denkt. Und das ist gerade der falsche Ansatz. Der Christ muß von Gott ausgehen und auf Gott hin denken!

Wenn Sie heute, meine lieben Freunde, Theologiestudenten fragen, was sie in ihrem Studium gelernt haben, dann werden Sie fast immer die Antwort bekommen: Der eine sagt so, und der andere anders. Und wenn Sie heute unsere Kinder befragen, die Religionsunterricht erhalten, dann werden Sie immer wieder auf falsche Lehren stoßen, auf abwegige Meinungen, die ihnen beigebracht worden sind. In unserer Kirche herrscht weithin nicht mehr die Wahrheit, sondern der Irrtum.

Der Heilige Vater hat den Katechismus der katholischen Kirche herausgegeben. Und was tun die maßgebenden Theologen? Sie fallen über ihn her, sie lehnen ihn ab, sie machen giftige Bemerkungen über diesen Katechismus. Und was tun die Bischöfe? Sie lassen sie gewähren. Statt ihnen den Katechismus verpflichtend aufzuerlegen, statt zu sagen: Ihr Theologen, haltet euch in euerer Lehre an den katholischen Katechismus, weil er die Wahrheit ist, stattdessen sehen sie zu, wie dieser Katechismus zerrissen und zerfetzt wird.

Vor vielen Jahren hat Hans Milch einmal gesagt: „Es müßte ein Hagel von Exkommunikationen über die falsch lehrenden Theologen niedergehen.“ Und er hat recht gehabt! Aber dieser Hagel von Exkommunikationen ist natürlich nicht niedergegangen, und so hat der Krebs weitergefressen in unserer Kirche, immer weiter, bis zur Übermacht der Falschlehrer über die Lehrer der Wahrheit.

Der Heilige Geist ist an Pfingsten über die Kirche gekommen, und er ist immer noch im Kommen, auch heute. Noch immer rauschen Gottes Sturmwinde über uns, noch immer senken sich Gottes Feuer auf uns herab. Aber nicht alle sind bereit, sie aufzunehmen. Auch am ersten Pfingstfest war es nur eine bescheidene Zahl, die sich aus der großen Volksmenge vom Heiligen Geist zur wahren Kirche führen ließ. Die Sonne scheint auf öde Felsen, aber sie werden von ihrer Glut nur zerrissen. Der Geist möchte einkehren auch in harte Herzen, aber sie werden unter seinem Anhauch nur noch härter.

Deswegen muß am heutigen Pfingstmontag die Mahnung an uns ergehen: Heute, wenn ihr die Stimme des Geistes hört, verhärtet euere Herzen nicht! Heute, wenn ihr die Stimme des Geistes vernehmt, der neue Herzen, neue Gesinnungen, neue Liebe zur Wahrheit verlangt, verhärtet euere Herzen nicht! Heute, wenn er seine Wärme, sein Licht, seine Erleuchtung anbietet, verschließet euere Augen nicht! Heute, wenn ihr seinen Anhauch verspürt, macht euere Herzen nicht hart wie Kieselstein, sondern schließt sie auf für das Wirken des Heiligen Geistes!  

Amen

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