12. Mai 1994
Über alle Himmel emporgestiegen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn Versammelte!
„Die Himmelfahrt Christi ist zugleich ein geschichtliches und ein transzendentes Ereignis.“ Dieser gewichtige Satz steht in dem neuen Katechismus für die katholische Kirche. Und dieser Satz ist fundamental und durchaus richtig. Die Himmelfahrt des Herrn ist zugleich ein geschichtliches und ein transzendentes Ereignis. Ein geschichtliches Ereignis ist jenes, das sich, in Raum und Zeit angebbar, zugetragen hat. Ein transzendentes Ereignis ist ein Geschehen, das eine über das Irdische, Anschauliche hinausgehende Mächtigkeit besitzt, das in die Tiefen Gottes hineinragt, das also von Gott gewirkt ist und eine göttliche Botschaft enthält.
Christus ist am vierzigsten Tage nach seiner Auferstehung mit seiner verklärten menschlichen Natur, kraft seines göttlichen Wesens in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen. Der Tag liegt fest: nicht der neununddreißigste, auch nicht der einundvierzigste, sondern der vierzigste Tag nach Ostern. Und deswegen wird Christi Himmelfahrt nicht am Sonntag gefeiert, weil das mit der Zählung nicht übereinstimmen würde, sondern am Donnerstag. Wir halten uns genau an die Vorgabe der Geschichte. Auch der Ort liegt fest: Gen Bethanien zu, auf dem Ölberg. Und die Jerusalempilger wissen, daß man eine bestimmte Stelle auf dem Ölberg angibt, wo sich die Himmelfahrt zugetragen hat; in jedem Falle – nach dem Lukasevangelium – „gen Bethanien“, in Richtung auf Bethanien.
Die Himmelfahrt Christi ist mit einer ganzen Reihe von äußeren Umständen umgeben. Er fuhr nach oben. Die Richtung „nach oben“ ist historisch; doch verbindet sich mit ihr ein tiefer Sinn. Diese Richtung wurde deswegen gewählt, weil in der Anschauung der Menschen oben das Helle, Lichte, Erleuchtete ist, denn oben sind die Gestirne, die Sonne, der Mond und die Sterne, während unten in der Erde das Dumpfe, das Dunkle, das Düstere ist. Durch diese historische Richtung sollte angegeben werden, daß Jesus nicht in die Verlorenheit der Verdammnis fährt, sondern in die Herrlichkeit und das Licht des Vaters. Der Himmel, in den der Herr aufgefahren ist, ist zunächst natürlich das Firmament, wo die Vögel sich bewegen und die Sterne sind. Aber der Wolkenhimmel ist ein Gleichnis für die Gott vorbehaltene Wirklichkeit, nämlich für jenen Himmel, der über alle irdischen Himmel erhaben ist. Auch das deutet die Kirche in ihrer Liturgie an, wenn sie betet: „Jesus ist heute über alle Himmel emporgestiegen.“ Er hat also eine überempirische Höhe erstiegen. Die Wirklichkeit, in die er eingegangen ist, ist mit keinem irdischen Himmel vergleichbar, sondern sie liegt jenseits desselben- sie ist transzendent. Sie transzendiert den irdischen Luftbereich, in dem sich die Flugzeuge und die Raumschiffe bewegen.
Eine Wolke umschattete ihn. Die Wolke ist im biblischen Gebrauch immer Zeichen göttlicher Gegenwart. Auch als der Herr auf dem Berge Tabor weilte, war eine Wolke um ihn. Das ist das Symbol für die Nähe und das Wirken Gottes. Bei der Himmelfahrt wird die Aufklärung über den Sinn des Erlebten durch Engel gegeben, so wie bei der Auferstehung. Engel erscheinen und deuten den Jüngern das Geschehnis, mahnen sie, nicht nur auf den Verlust zu starren, den sie jetzt erlitten haben, indem der Meister von ihnen ging, sondern auf die Verheißung zu schauen, die er ihnen gegeben hat.
Die Himmelfahrt Christi hat eine tiefe theologische und anthropologische Bedeutung. Für ihn selber ist sie der Abschluß seines irdischen Wirkens, der Abschluß der Erscheinungen, die endgültige Aufnahme in die Herrlichkeit des Vaters, die Ergänzung und Vollendung der Auferstehung. Jetzt ist er unwiderruflich und für immer allen Gefahren und Risiken auf Erden entzogen, die ihn bis zum Tode ans Kreuz gebracht hatten. Jetzt ist ihm aber auch der Lohn zuteil geworden für seinen Gehorsam gegen den Vater. Jetzt nimmt er Platz zur Rechten des Vaters, um, über alle Engel erhaben, seine Gewalt und Herrschaft über die Erde und die ganze Schöpfung auszuüben.
Im Brief an die Philipper hat der Apostel Paulus den wunderbaren Hymnus aufgenommen: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze. Darum – wegen des Gehorsams – hat ihn Gott auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, auf daß im Namen Jesu sich beugen alle Knie derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und daß alle Zungen zur Ehre Gottes des Vaters bekennen: Jesus Christus ist der Herr!“
Jesus hatte diese Erhebung vorausgesagt. Er hatte davon gesprochen, daß er einmal zur Rechten des Vaters sitzen werde. Die Jünger waren also nicht völlig unvorbereitet auf dieses Geschehen; und wenn man zurückging in die Geschichte, dann erinnerten sie sich, daß der Prophet Daniel vorhergesagt hatte in einem Nachtgesicht, daß plötzlich einer kam, der aussah wie ein Menschensohn, auf den Wolken des Himmels. „Als er bei dem Hochbetagten angelangt war, führte man ihn vor denselben. Ihm ward nun Herrschaft, Ehre und Reich verliehen. Ihm müssen alle Völker, Nationen und Zungen dienen. Seine Herrschaft wird ewig dauern und nie vergehen. Sein Reich wird niemals zerstört werden.“ Was hier vom Propheten Daniel geschaut wurde, hat sich in der Himmelfahrt Christi erfüllt. Jetzt ist er tatsächlich zu dem Hochbetagten – das ist ein Ausdruck für Gott, der ja ewig ist –, geführt worden und hat die Herrschaft übernommen.
Auch hier können wir nur mit menschlichen Ausdrücken reden. Wir sagen, er „sitzet“ zur Rechten Gottes. Damit ist eine tiefe theologische Aussage gemacht. Sitzen ist nämlich die Körperhaltung, die der Richter einnimmt; und da Jesus Richter ist, sitzt er. Er steht nicht, und er liegt auch nicht, er sitzt, wie ein Richter eben zu Gericht sitzt, und er sitzt „zur Rechten des Vaters“, weil die Rechte der Ehrenplatz ist. Es soll damit ausgedrückt werden, daß er die höchste Ehre, die der Vater zu vergeben hat, erlangt hat. Er ist in der Glorie Gottes erhaben über alle Geschöpfe.
Das ist der Sinn, den die Himmelfahrt Christi für ihn selbst hat. Aber alles, was an Christus geschehen ist, ist für uns geschehen. Über seinem ganzen Leben, Wirken, Sterben, Auferstehen und In-den-Himmel-Auffahren steht das Wort pro nobis – für uns. Er ist das Haupt, und was am Haupte geschieht, das muß an den Gliedern geschehen. Er ist der Mittler, und was der Mittler erwirkt hat, das muß den Vermittelten zugute kommen. Deswegen: Er ist uns „vorangegangen“. Im Johannesevangelium spricht Christus ganz offen: „Ich gehe hin, um euch eine Stätte zu bereiten.“ Er will nicht, daß die Seinen von ihm getrennt bleiben, sondern er will sie in das Haus seines Vaters aufnehmen, und dort sind, wie er sagt, viele Wohnungen. Er ging hin, eine Stätte für uns zu bereiten. Was ihm widerfahren ist, das soll auch an uns geschehen. Er ist nur als der Erstling in die Herrlichkeit Gottes eingegangen, und wir sollen ihm nachfolgen.
Meine lieben Freunde, es gibt wenige Wahrheiten unseres Glaubens, die so angefochten sind wie die Himmelfahrt Christi. Der deutsche Sozialistenführer August Bebel hat einmal den Satz gesprochen: „Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir alle die Gelackmeierten.“ Und ich habe heute morgen noch in dem evangelischen Lexikon „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ den Satz gelesen: „Die Himmelfahrt Christi ist eine späte Legende.“ Das steht in dem evangelischen Lexikon „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“. „Die Himmelfahrt Christi ist eine späte Legende.“ Also weder geschichtlich noch überhaupt irgendwiewirklich, sondern erfunden von Leuten, die Christus nicht richtig verstanden haben. Das sind die Leute, mit denen wir Ökumenismus machen, nebenbei gesagt.
Das Geschehen bei der Himmelfahrt, meine lieben Freunde, ist so wirklich wie die Auferstehung Christi. Und die Auferstehung Christi ist so wirklich wie sein Wirken in der irdischen Zeit seines Lebens. Die Geschehnisse sind von den Evangelien und der Apostelgeschichte beglaubigt, und diese Quellen sind zuverlässig. Sie sind geprüft im Feuer der Kritik, und sie haben Bestand gehabt.
Jesus ist wahrhaftig in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen, und er zeigt dort seine Lebendigkeit, indem er sein Priestertum ausübt. Was Jesus im Himmel tut, das ist sehr leicht zu sagen: Er übt sein Priestertum aus, er tritt für uns ein. Er bleibt der Priester, der er immer war, und er übt sein Priestertum im Himmel aus.
Freilich ist er auch gleichsam noch im Wartestand, denn es steht noch ein Ereignis aus, wie die Engel angekündigt haben: „Er wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt auffahren sehen.“ Die Lebendigkeit des in den Himmel aufgefahrenen Heilands hat sich schon wenige Tage später gezeigt, nämlich in der Geistsendung. Durch die Himmelfahrt war der Herr in die Glorie des Vaters aufgenommen, sein ganzer Leib war durchlichtet und durchstrahlt und durchleuchtet, vom Geiste erfüllt, und darum konnte er jetzt den Geist senden. So hat er wenige Tage nach der Himmelfahrt seine Lebendigkeit – und auch sein priesterliches Wirken bewiesen durch die Geistsendung.
Die Kirche liebt dieses Fest, und sie feiert dieses Fest in erhabener Weise. Eben haben wir gesehen, wie die Osterkerze, die ja Christus darstellt, ausgelöscht wird; denn jetzt ist der Herr am Ende seiner Erscheinungen angekommen, und infolgedessen ist es geziemend, daß sein Symbol erlischt. Auch die Prozessionen, die wir in den vergangenen Tagen gehalten haben, hängen zusammen mit dem Himmelfahrtsfest. Sie sind nämlich eine Nachahmung des Ganges nach Bethanien. Diese Flurprozessionen, diese Bittprozessionen wollen in bildlicher Weise nachahmen, was der Herr getan hat, als er nämlich mit seinen Jüngern zu dem Platze ging, wo er in die Herrlichkeit des Vaters aufstieg.
So hat die Himmelfahrt in allen Glaubensbekenntnissen der Kirche ihren Platz. Sie ist in den ältesten Glaubensbekenntnissen enthalten und ist immer in dem Sinne verstanden worden, wie ich es versucht habe, Ihnen darzubieten. Die Umdeutungen, die heute versucht werden, zerstören den Glauben an die Himmelfahrt in der Wurzel. Man hat einmal einen evangelischen Theologen gefragt, ob man nicht das Glaubensbekenntnis angesichts des theologischen Unglaubens ändern sollte. Da sagte er: „Warum? Wir deuten das einfach um. Wir lassen die Worte stehen, nur interpretieren wir sie anders.“ Das ist zutiefst unredlich und verfehlt sich gegen den Geist der Wahrheit, den der Vater verheißen hat.
Wir wollen in den kommenden Tagen bis Pfingsten jeden Tag den Geist der Wahrheit anrufen, daß er die Herzen durchleuchte und durchfeuere, daß er uns Kraft schenke und tiefen, unerschütterlichen Glauben, Glauben auch an die wirkliche, leibhaftige Aufnahme unseres Herrn in den Himmel.
Amen.