Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Mai 1986

Geheimnis des Glaubens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn der Priester in der heiligen Messe die Wandlungsworte spricht, dann nimmt er damit einen Text auf, der vom Herrn selbst stammt. Es sind dieselben Worte, mit denen der Heiland in der Nacht, da er verraten wurde, das Allerheiligste Altarssakrament eingesetzt hat. Aber es gibt zwei Worte in diesem Text, die nicht vom Heiland stammen, zwei Worte, welche die Kirche eingefügt hat. Diese beiden Worte heißen Mysterium fidei, zu deutsch Geheimnis des Glaubens.

In diesen beiden Worten deutet die Kirche an, daß das Geschehen der heiligen Messe, daß die Wirkung der heiligen Wandlung von einer Höhe, Tiefe und Dichte ist, daß sie menschlichem Begreifen nicht zugänglich ist. Geheimnis des Glaubens! Geheimnis bedeutet eine Wirklichkeit, die verschleiert ist, die verschlossen ist. Wir unterscheiden irdische und himmlische, natürliche und übernatürliche Geheimnisse. Irdische Geheimnisse sind manche Krankheiten. Wir wissen immer noch nicht, woher die Multiple Sklerose kommt, und wir haben immer noch kein Mittel, um den Krebs wirksam zu bekämpfen. Es sind Geheimnisse für uns. Wir hoffen, diese Geheimnisse zu entschleiern, wie der Menschengeist schon viele natürliche Geheimnisse aufgedeckt hat, etwa die Keime der Tuberkulose oder der Cholera gefunden hat.

Neben den irdischen, natürlichen Geheimnissen gibt es überirdische, himmlische Geheimnisse. Das sind jene Geheimnisse, die mit der Wirklichkeit Gottes zu tun haben. Diese Geheimnisse sind nicht nur für eine Zeitlang dem Menschengeist unzugänglich, sie sind es immer. Der Mensch wird nie, auch nicht in der Gottesschau, Gott durchdringen können, wie er irdische Geheimnisse mit dem forschenden Geiste entdecken und entschlüsseln kann. Die himmlischen Geheimnisse, die übernatürlichen Geheimnisse sind für den Menschen unzugänglich. Sie nehmen teil an der Unzugänglichkeit Gottes, an der souveränen Herrlichkeit Gottes, die jedes geschöpfliche Vermögen übersteigt. Diese Geheimnisse liegen jenseits einer Grenze, die das Geschöpf nicht überschreiten kann. Es ist die Grenze, die die Schöpfung vom Schöpfer trennt.

„Geheimnis des Glaubens“ heißt es da. Das bedeutet, dieses Geheimnis ist nicht dem Verstand aufgegeben zur Entschleierung, sondern es ist einer übernatürlichen Erkenntniskraft anvertraut, eben dem Glauben. Der Glaube setzt nämlich da ein, wo der Verstand endet. Der Glaube ist nicht wider den Verstand, aber er ist über dem Verstand.

Selbstverständlich bedeutet „Geheimnis des Glaubens“ nicht, daß der Mensch sich nicht bemühen soll, soweit es ihm möglich ist, in aller Ehrfurcht und Demut dieses Geheimnis glaubwürdig zu machen, d.h. verständlich zu machen, daß es sinnvoll ist, zu glauben, was hier an Geheimnis vorgelegt wird. Und dieses Bemühen hat die katholische Theologie zweitausend Jahre beschäftigt. Selbstverständlich haben die großen Gottesgelehrten sich angestrengt, Erklärungen zu finden für dieses Geheimnis des Fronleichnams. Die Texte der heutigen heiligen Messe stammen vom heiligen Thomas von Aquin. Sie sind von ihm zu diesem Zweck verfaßt – im Auftrag des Papstes. Und die Sequenz, von der wir eben einige Strophen gesungen haben, bemüht sich, das Geheimnis, soweit es dem Menschen zugänglich ist, verstehbar zu machen. Die Lehre des heiligen Thomas geht dahin: Bei der heiligen Wandlung in der Messe wird die Substanz von Brot und Wein in die Substanz des Leibes und Blutes des Heilandes verwandelt. Was übrig bleibt, das sind die Akzidenzien. Akzidenzien ist das, was man sieht, was man betasten kann, was man riechen und schmecken kann. Das sind Akzidenzien. Aber in einer für uns Menschen unerreichbaren Tiefe, die keine Physik und keine Chemie, kein Apparat jemals entschlüsseln kann, in dieser Tiefe vollzieht sich wirklich, wahrhaft und wesentlich – nicht in der Phantasie – eine Veränderung, die den Leib und das Blut des Herrn herbeibringt. Es hat immer Irrlehrer gegeben, die das Geheimnis dem menschlichen Verstand anpassen wollten. Die sind immer aufgetreten, und die gibt es auch heute. Ich erinnere also an die Männer, die im 16. Jahrhundert die Kirche angeblich reformieren wollten. In Ottobeuren gibt es ein schönes Bild im Kloster, das die Ansichten der Neuerer des 16. Jahrhunderts mit der wahren, katholischen, vom Heiland stammenden Lehre konfrontiert. Da sieht man, wie der Heiland mit den Glaubensneuerern zu Tische sitzt. Jeder hat ein Spruchband vor sich, auf dem – in Kürze – seine Eucharistielehre enthalten ist, nämlich Luther: „Das enthält meinen Leib.“ Calvin: „Das ist Kraft von meinem Leib.“ Zwingli: „Das bedeutet meinen Leib.“ Nur der Herr hat ein Spruchband vor sich, auf dem steht geschrieben: „Das ist mein Leib!“

Dieses sehr sinnreiche Bild, das leider nicht mehr in der Kirche hängt, sondern in einem Gang des Klosters – ich habe es gesehen – zeigt uns die Verirrungen der Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts. Luther hat das Geschehen bei der Eucharistiefeier so interpretiert: Es ist gleichzeitig gegenwärtig Brot und der Leib Christi. Immerhin hat er an der Gegenwart des Leibes Christi festgehalten. Calvin ist weitergegangen. Er gibt die wahre Gegenwart des Herrn preis und sagt: Das ist Kraft von meinem Leibe, so wie eben ein anderer Kraft vermittelt, indem er Verheißungen gibt. Am weitesten geht Zwingli, der Ungläubigste von allen: Das bedeutet meinen Leib. Das ist ein Symbol meines Leibes. So wie die Fahne ein Symbol für die Bundesrepublik ist, so ist eben Brot und Wein ein Symbol für Jesus Christus, für seinen Hingang in den Tod.

Solche Lehren sind auch heute wieder im Schwange. Wenn Sie heute von sogenannten Reformen hören, können Sie fast immer davon ausgehen, daß hier Irrlehren der Protestanten aufgewärmt werden. Nichts anderes! Ein holländischer Irrlehrer vergleicht das, was in der heiligen Messe geschieht, mit der Anfertigung einer Fahne. Vorher ist ein Stück Stoff da. Jetzt aber, wenn man daraus eine Flagge herstellt, wird es ein Hoheitszeichen. Und so, sagt er, ist es ähnlich bei der Eucharistie. Das ist natürlich eine totale Verkehrung, eine absolute Verfälschung, eine Zertrümmerung des Geheimnisses der Wandlung und der Wirklichkeit des Herrn.

Die gläubige Vernunft muß andere Wege gehen, um sich dem Geheimnis zu nähern. Sie muß zunächst einmal auf die Worte des Herrn schauen. Diese Worte des Herrn lauten eben: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Nicht: Das bedeutet meinen Leib, das ist ein Gleichnis meines Leibes, auch nicht: Das ist Kraft von meinem Leib, auch nicht: Das enthält meinen Leib, sondern: Das ist mein Leib.

Ein junger Mann wollte einmal einen Priester wegen seines Glaubens an die Eucharistie lächerlich machen, und er sagte zu ihm: „'Das' bedeutet nichts. 'Ist' bedeutet nichts. 'Mein' bedeutet nichts. Und dann: 'Leib' soll plötzlich etwas bedeuten?“ „Ja, sagte der Priester, auf das letzte Wort kommt es an! Sehen Sie, wenn ich von Ihnen sage: 'Sie', das bedeutet nichts. 'Sind' bedeutet nichts. 'Ein' bedeutet nichts. 'Ignorant' – sehen Sie, auf das letzte Wort kommt es an: Sie sind ein Ignorant!“ Tatsächlich: Alle drei Worte vorher zielen auf das letzte Wort: Das ist mein Leib. Man kann versuchen, diese Wirklichkeit sich mit analogen Begriffen klarzumachen. In der Stadt Skutari in Jugoslawien wohnen auch heute noch viele Mohammedaner, gemischt mit Orthodoxen und Katholiken. Einer der Mohammedaner sprach einmal mit einem Knaben und sagte zu ihm: „Du kannst glauben, daß dein Jesus in so vielen Menschen ist, wenn sie die Kommunion empfangen haben? Wie kannst du so etwas glauben?“ Da antwortete der Knabe: „Wie viele Fenster sind in Skutari?“ Der Mohammedaner erwiderte: „Sehr viele, ich weiß es nicht genau, wie viele.“ „Siehst du, wenn die Sonne in diese zahllosen Fenster scheint, warum sollte es dann unserem Gott und Heiland nicht möglich sein, in viele Herzen zu kommen?“

Es gibt in der Natur Analogien zu dem, was sich in der heiligen Wandlung vollzieht. Wir erleben es jeden Tag auf unserer Erde. Da ist eine Pflanze, und durch die Photosynthese, wie man diesen Vorgang nennt, also durch die Aufnahme von Licht, Wasser und Nährstoffen, treibt diese Pflanze Blüten und bringt Früchte hervor. Man muß jedes Jahr wie vor einem Wunder stehen, wenn man das Blühen, Wachsen und Früchtetragen im Garten verfolgt. Die Pflanze verarbeitet diese Stoffe, Licht, Wasser, Nährstoffe und bringt daraus wunderbare Früchte hervor. Und dann sehen wir die Tiere. Die Biene hüpft von Blüte zu Blüte und sie erzeugt wunderbaren Honig. Der Mensch nimmt dann diese Früchte und diese Erzeugnisse zu sich, und er wandelt sie um in sein Fleisch und in sein Blut. Ich meine, das sind Analogien, Ähnlichkeiten – freilich Ähnlichkeiten, die auch mit Unähnlichkeiten behaftet sind –, aber Ähnlichkeiten, die uns eine Ahnung davon geben können, was in der heiligen Wandlung geschieht. Da neigt sich tatsächlich der Himmel zur Erde. Da wird Gott durch seinen Knecht, den man Priester nennt, wirksam. Nicht der Priester wandelt – ich habe es schon einmal gesagt –, Gott wandelt durch den Priester. Der Priester ist ein notwendiges Werkzeug, er spricht in der Person Christi. Er sagt ja nicht: Das ist der Leib Christi; er sagt: „Das ist mein Leib.“ Er spricht also wie Christus, gleichsam als ein zweiter Christus. Und wenn er diese Worte spricht, dann hat ihm Gott die Vollmacht gegeben, den Leib und das Blut des Heilandes auf den Altar herabzurufen. Das ist die große Würde, das ist der unsterbliche Vorzug des Priesters. Ähnlich wie Maria durch ihr „Es geschehe, so wie du gesagt hast“ eine Pforte dem himmlischen Worte war, so ist der Priester eine Pforte für das Eintreten des Heilandes in diese Welt.

Daß es sich hier um ein Verständnis handelt, das von Anfang an in der Kirche war, das sehen wir an der heutigen Epistel. Der Apostel Paulus sagt bekanntlich: „Wer unwürdig ißt und trinkt, der versündigt sich am Leibe und Blute des Herrn.“ Ja, warum denn? Doch deswegen, weil eben Leib und Blut des Herrn gegenwärtig sind. Man könnte sich nicht versündigen, wenn es sich hier nur um ein Bild des Leibes und des Blutes handeln würde. An einem Bilde kann man sich nicht versündigen. Man kann sich nur an der Wirklichkeit versündigen. Also Paulus hat schon das heutige, das heute bestehende, das heute noch gültige Verständnis der Eucharistie gehabt. Die Kirchenväter haben es genauso wie Paulus gesagt. Der heilige Augustinus schreibt einmal: „Christus trug sich selbst in seinen Händen, da er den Jüngern seinen Leib darreichte.“ Und der heilige Ambrosius: „Nachdem die geheimnisvollen Worte über das Brot gesprochen worden sind, ist aus dem Brote das Fleisch Christi geworden.“

Wenn der Herr bei uns bleiben wollte, wenn er uns seiner Gegenwart versichern wollte, dann genügte es nicht, zu sagen: Ich bin mit meiner Kraft bei euch, mit meiner Führung, mit meinem Geist, sondern dann mußte er wirklich und wahrhaftig und leibhaftig unter uns bleiben. So hat er es gewollt, und so hat er es ausgeführt. Und so haben wir seit zweitausend Jahren das größte Glück, das Menschen haben können, daß wir den Gott und Heiland, verborgen unter den Gestalten von Brot und Wein, bei uns haben, anbeten und genießen dürfen.

„Laßt uns tief gebeugt verehren dieses heilige Sakrament. Der Neue Bund soll ewig währen, denn der Alte hat ein End. Und der Glaube soll uns lehren, was das Auge nicht erkennt.“

Amen.

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