Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Mai 2017

Der Mensch Jesus Christus ist in den Himmel emporgestiegen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Heilandes Versammelte!

Die Botschaft von der Himmelfahrt Jesu bedeutet, dass der Auferstandene als der Erhöhte erschienen ist, der an der Existenzweise Gottes teilhat. Sie ist eine Aussage über die Macht, die dem Auferstandenen verliehen wurde. Die Botschaft von der Himmelfahrt bedeutet, dass der gekreuzigte Mensch Jesus in die Sphäre des göttlichen Wesens eingetreten ist. Die menschliche Natur ist damit für immer mit Gott verbunden und die Dimension einer neuen Gemeinsamkeit mit Gott begründet. In den Himmel kommen heißt von hier aus nichts anderes, als eins werden mit dem Menschen Jesus, und so in die Einung der Menschheit mit Gott eintreten. Die Himmelfahrt Jesu ist nicht einfach der Abschluss seiner irdischen Wirksamkeit, etwa in dem Sinne, dass er nach Erledigung seiner Aufträge in den Himmel zurückgekehrt ist. Nein. Der Auferstandene musste in den Himmel zurückkehren, weil er nicht mehr den beschränkten Existenzbedingungen dieser Erde unterworfen ist. Seine verklärte menschliche Natur passte nicht mehr zu den vergänglichen Formen der Erde.

Der Unglaube bestreitet die Tatsache der Himmelfahrt Christi. Er behauptet, der Glaube an die Himmelfahrt sei aus dem Alten Testament entlehnt. Dabei weist man auf die Entrückung Henochs und die Himmelfahrt des Elias hin. Andere meinen, der Glaube an die Himmelfahrt sei aus der heidnischen Mythologie entnommen. Dabei denken sie an den babylonischen Adapa- oder Etana-Mythos, und sie verweisen auf die angebliche Himmelfahrt des Herakles oder des Mithras. Auf diese Behauptungen ist zu antworten, meine lieben Freunde: Die Entlehnung aus der Mythologie scheidet schon deswegen aus, weil Mythen, auch nach dem Verständnis ihrer Anhänger, Produkte der Phantasie sind. Sie beanspruchen nicht, wirklich geschehen zu sein, während die Himmelfahrt Christi eine geschichtliche Tatsache ist. Die Himmelfahrt Christi geschah auch nicht aus fremder, sondern aus eigener Kraft. Sie war ähnlich wie die Auferstehung ein selbstmächtiges, aktives Emporsteigen. Dadurch unterscheidet sie sich grundlegend von dem passiven Hinauf- oder Weggetragenwerden durch Gottes Kraft, wie es bei Elias oder Habakuk oder dem Diakon Philippus der Fall war. In der Heiligen Schrift wird von der Himmelfahrt Christi bald in der aktiven Form (hinaufsteigen), bald in der passiven Form (aufgenommen werden, emporgehoben werden) gesprochen. Das geschieht deswegen, weil Gott die letzte und seine Gottheit die hauptsächliche Wirkursache der Himmelfahrt Christi ist. Wenn der durch eigene Kraft Auffahrende als der vom Himmelvater Aufgenommene bezeichnet wird, so ist das insofern berechtigt, als die eine und nämliche wirkliche Kraft im Vater und im Sohn wirksam ist.

Die Himmelfahrt Christi ist ein geschichtlicher Vorgang. Sie hat sich vor Augenzeugen zugetragen; diese können sie mit ihrem Zeugnis belegen. Die Apostel sind Zeugen der Auferstehung, die Jesus gesehen haben, weil sie vom Vater als Zeugen vorausbestimmt wurden. Aber zum Zeugnis der Auferstehung gehört als Abschluss notwendig das Zeugnis für die Himmelfahrt Christi, denn die Auferstehung kommt erst in der Himmelfahrt zu ihrer Vollendung. Um hinreichende Zeugen der Auferstehung zu sein, müssen die Apostel auch Zeugen der Himmelfahrt gewesen sein. Das zeigt sich ganz deutlich bei dem Ersatz des Judas Iskariot durch einen anderen, den Matthias. Es musste einer gewählt werden, „der die ganze Zeit, da Jesus bei uns ein und aus ging, mit uns zusammen war, von der Taufe des Johannes angefangen bis zu dem Tage, da er von uns fort emporgetragen wurde“. Die Auffahrt Christi in den Himmel geschah an einem festliegenden Termin: 40 Tage nach seiner Auferstehung. Diese Zeitangabe ist nicht symbolisch zu verstehen, für einen längeren Zeitraum, nein, sie soll präzise die Periode aussagen, innerhalb der die Erscheinungen des Auferstandenen erfolgten. Schriften, die von der Kirche abgelehnt wurden, dehnten die Zwischenzeit von der Auferstehung zur Himmelfahrt über die 40 Tage auf 18 Monate oder gar auf 12 Jahre aus. Diese Angaben sind Produkte der Phantasie, nicht Wiedergabe der Geschichte. Was wir als christliche Himmelfahrt bezeichnen, ist der Abschluss der Erscheinungen, die sich über 40 Tage ausgedehnt hatten. Die Rückkehr in den Himmel geschah jedes Mal, nachdem Jesus den Jüngern erschienen war. Er erschien immer vom Himmel. Es ist ganz irrig, wenn man fragt: Ja, wo hat sich denn Jesus die 40 Tage aufgehalten? Die Antwort lautet: Auf Erden nicht, sondern im Himmel, und vom Himmel erschien er jeweils den Jüngern.

Was bedeutet die Himmelfahrt Christi für ihn selbst? Was bedeutet sie für uns? Nun, in christologischer Hinsicht, für ihn selbst, bedeutet die Himmelfahrt den Beginn bzw. die Fortdauer seines unveränderlichen Erhöhungszustandes. Die menschliche Natur Christi ist nun endgültig in den Zustand der göttlichen Herrlichkeit erhoben. In der Auferstehung und Himmelfahrt hat der himmlische Vater seinem Sohne alle erlittene Schmach mit Ruhm und Ehre, alle Traurigkeit mit Freude, den letzten Platz auf Erden mit dem Throne der Herrlichkeit vergolten. Sein Erniedrigungszustand ist zu Ende, der Erniedrigungszustand in der Knechtsgestalt hat dem himmlischen Erhöhungszustand Platz gemacht. Von der Himmelfahrt an tritt der Gottmensch in die volle Ausübung seines königlichen Amtes ein und herrscht inmitten der Engel und Heiligen mit dem Vater in Ewigkeit über die Schöpfung. Die glorreiche Himmelfahrt des Erlösers bezeichnet die förmliche Besitzergreifung der himmlischen Herrlichkeit. In der Heiligen Schrift wird dies als Sitzen zur Rechten Gottes beschrieben. Dieser biblische Ausdruck ist nicht buchstäblich zu nehmen, denn Gott ist ein körperloses, einfaches Wesen, ein einfacher Geist, er hat kein Rechts und er hat kein Links. Es ist dies eine bildliche Redeart. Sie bezeichnet einerseits den Ehrenplatz (rechts), den er vor allen Engeln und Heiligen eingenommen hat, und andererseits die Teilhabe an Gottes Herrlichkeit, an dessen ewiger Seligkeit, an dessen Herrscher- und Richtergewalt über die ganze Schöpfung. Ein solch überlegener Besitz kommt keinem einzigen Geschöpf zu. Und dass Jesus sitzt, nicht steht, dass er sitzt, das besagt, dass er einen dauernden und unruhefreien Besitz angetreten hat.

Die Himmelfahrt Christi kam nicht unerwartet und unvorbereitet oder überraschend. Sie war im Heilsplan Gottes von vornherein vorgesehen. Vor dem Hohen Rat, also in einer feierlichen Stunde seines Lebens, hatte der Herr angekündigt, der Menschensohn werde zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzen. Diese Aussage war ja im jüdischen Prozess ausschlaggebend für seine Verurteilung. Den Aposteln hatte er den Eingang in seine Herrlichkeit vorhergesagt: „Musste nicht der Messias dies alles leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ In der Himmelfahrt sind Ankündigung und Voraussage erfüllt. Gottes Worte trügen nicht. Er hat seinen Heiligen nicht die Verwesung schauen lassen, sondern ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist. Das bedeutet die Himmelfahrt für Christus selbst.

Was bedeutet sie für uns, also in soteriologischer Hinsicht? Nun, sie ist der krönende Abschluss des Erlösungswerkes, insofern hat sie hohe Heilsbedeutung. Die Auferstehung ohne die Himmelfahrt wäre unvollständig. Nur der in die Seinsweise Gottes Eingetretene kann den Erlösten seine Gnade und Wahrheit zuwenden. Mit Christus zogen auch die Seelen der Gerechten des Alten Bundes in die Herrlichkeit des Himmels ein. Die gläubige Vernunft drückt das so aus, dass das Himmelstor verschlossen war, bevor es Jesus geöffnet hat. Die Seelen der Gerechten zogen mit Christus ein in die Herrlichkeit. Der Apostel Paulus beschreibt diese Wahrheit so: „Er hat Gefangene erbeutet.“ Die Himmelfahrt Christi konstituiert sodann den neuen christlichen Himmel als Raum des verklärten Christus. In den Himmel kommen heißt von nun an, zu Christus kommen. In diesem Sinne schreibt Paulus an die Gemeinde in Philippi: „Ich wünsche, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein.“ Den Seinigen schafft der Herr dort eine Stätte. „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, euch eine zu bereiten.“ Als unser Haupt nimmt er auch für uns vom Himmel Besitz. Der in den Himmel aufgefahrene Jesus ist nicht untätig. Er legt unablässig Fürsprache für uns ein. Der Apostel Paulus stellt im Brief an die Römer die rhetorische Frage: „Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen und verurteilen? Etwa Christus Jesus? Er, der gestorben, nein, der auferweckt ist, der zur Rechten Gottes sitzt, er ist es, der für uns eintritt.“ So setzt der himmlische Christus selbst im Erhöhungszustand noch seinen Erlöserberuf fort. Aber damit nicht genug. Er sendet schließlich als Frucht seiner Erlösertätigkeit den Aposteln den Heiligen Geist und teilt ihnen dessen Gaben mit. So hat er es angekündigt: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand senden, damit er auf ewig bei euch sei, den Geist der Wahrheit.“ Das Kommen des Geistes ist an den Hingang Jesu, also an seinen Tod und seine Auferstehung und seine Erhöhung gebunden. „Es ist gut für euch“, sagt der Herr in seiner Abschiedsrede, „dass ich hingehe (also getötet werde, gemartert werde), denn wenn ich nicht hingehe, kann der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“ Nur wenn die Himmelfahrt geschieht, kann der Geist kommen und so die Kirche, das Produkt des Geistes, entstehen.

Es ist eine definierte Glaubenswahrheit der Kirche: Christus ist als Mensch glorreich in den Himmel aufgefahren und sitzt als solcher zur Rechten des Vaters. Die Himmelfahrt dem Leibe nach wird in den kirchlichen Glaubensbekenntnissen eindeutig ausgesagt: cum eodem corpore, mit eben diesem Leibe; cum carne, qua surrexit et anima, er ist mit Seele und Leib auferstanden. Die Himmelfahrt war eine solche seiner menschlichen Natur nach, nicht seiner göttlichen Natur nach. Seiner göttlichen Natur nach hat er als Gott, der er ja ist und den Himmel erfüllt, den Himmel nie verlassen. Nein, seiner menschlichen Natur nach, also mit Leib und Seele, verließ er die Erde, begab sich an die Stätte der gemeinsamen Seligkeit der Engel und der Menschen. Die Versetzung der verklärten Natur Christi an den ihr gemäßen Ort geschah in der Gebärde des Emporschwebens. Darin liegt ein sinnbildlicher Hinweis auf die Erhabenheit der verklärten menschlichen Natur Christi. Wir kennen ja nur Existenzformen unserer Erfahrung. Das Aufsteigen über die Wolken war ein Sinnbild für ein unsichtbares geheimnisvolles Geschehen, nämlich die endgültige Hereinnahme der menschlichen Natur Christi in die verborgene Herrlichkeit des göttlichen Lebens. Ja, ich muss es noch deutlicher sagen: Die Himmelfahrt Christi ist die lokale, örtliche Versetzung der verklärten menschlichen Natur an einen ihrem verklärten und seligen Zustand entsprechenden Ort innerhalb der Schöpfung. Dass die menschliche Natur Christi an irgendeinen Ort versetzt wurde, ergibt sich aus ihrem stofflichen Charakter; sie kann nicht überall sein. Wenn die verklärte Natur an Raum und Zeit gebunden bleibt, muss sie irgendwo existieren. Wo freilich die menschliche Natur Christi sich befindet, können wir in keiner Weise bestimmen. Es gibt keinen uns bekannten Ort im Weltall, von dem wir sagen könnten, dass er der verklärten Natur Christi mehr angepasst wäre als ein anderer. Die Seinsweise des in den Himmel aufgenommenen Christus hat Teil an der Seinsweise Gottes. Sie ist demnach unanschaulich und für irdisches Bemühen unangreifbar. Gott wohnt in unzugänglichem Lichte. Paulus schreibt der Gemeinde in Ephesus: „Christus ist über alle Himmel emporgestiegen.“ Er deutet damit an, dass es eine Wohnung jenseits aller Orte, die der Erfahrung zugänglich sind, gibt, und dass diese Wohnung von Jesus bezogen wurde. Wenn wir jetzt die Pfingstnovene beten werden, dann heißt es auch in diesem Gebet nicht, Christus sei in den Himmel gegangen, sondern er sei über alle Himmel emporgestiegen. Diese Redeweise dürfte ein liturgischer Hinweis dafür sein, dass seine neue und einzigartige Existenzweise jede irdische Wirklichkeit übersteigt. Meine lieben Freunde, es muss so sein. Es muss so sein, wenn Gott Gott bleiben will. Wenn wir den Ort wüssten, an dem sich die menschliche Natur Christi befindet, wären wir imstande, sie zu ergreifen, ja uns ihrer zu bemächtigen. Das Nichtwissen um diesen Ort ist gewissermaßen ein Schutz gegen die Versuchung des eigenmächtigen Eindringens des Menschen in die Gott vorbehaltene Sphäre.

Wenn wir gläubigen katholischen Christen das Fest Christi Himmelfahrt begehen, geraten wir weder in Verlegenheit noch in Unsicherheit. Wir wissen unseren Herrn und Heiland geborgen in der Herrlichkeit des himmlischen Vaters, unangreifbar von seinen Feinden. Wir wissen, dass unser Erlöser und Mittler uns eine Wohnung in seiner himmlischen Herrlichkeit bereitet. Er ist vorausgegangen, wir dürfen ihm nachfolgen. Wir wissen, dass unser Messias und Retter unaufhörlich für uns eintritt, die wir auf Erden ringen und leiden. Er übt sein ewiges Priestertum auch am Ort und in der Seinsweise des Himmels aus. Wir wissen, dass unser König auf das Signal des Vaters wartet, um siegreich und endgültig das Weltall zu verwandeln in jenes Reich, in dem Gott fraglos und in alle Ewigkeit herrscht.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt