Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2015

Das göttliche Kind

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Geburt unseres Herrn und Heilandes Versammelte!

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ So haben wir eben in der dritten Weihnachtsmesse im Evangelium gehört. Aber „dieses Wort“, so geht es weiter, „ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Das ewige persönliche Wort: Gott von Gott, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt nicht geschaffen, das ewige persönliche Wort des ewigen Gottes ist hörbar geworden auf Erden. Und siehe, es ward hörbar im Weinen eines Kindes, im Lachen eines Kindes; so klingt das Wort Gottes auf Erden, wie Kinderworte klingen. Damit hat Gott uns eine Lehre erteilt. Seitdem Gott ein Kind geworden ist, ist Kindlichkeit – nicht Kindischkeit – die günstigste Voraussetzung für die religiöse Haltung, ja, für das Gewinnen der ewigen Seligkeit. Wenn dieses Kind von Bethlehem herangewachsen sein wird, dann spricht es die Worte: „Wenn ihr nicht werdet wie Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ Was ist denn damit gemeint: werden wie Kinder? Papst Leo der Große zählt auf, was unter Kindlichkeit zu verstehen ist: das rasche Abklingen der inneren Regungen, die schnelle Bereitschaft zum Verzeihen, kein Nachtragen von Beleidigungen, kein Haschen nach Rang und Würden, Liebe zu geselliger Gemeinschaft, natürlicher Sinn für Gleichheit untereinander. Und eine, die es auch gut verstanden hat, nämlich Theresia von Lisieux, fügt noch hinzu: „Kindlichkeit heißt: sein Nichts erkennen, alles von Gott erwarten, sich über seine Fehler nicht allzu sehr betrüben, sich über nichts beunruhigen.“ Kind sein, meine lieben Freunde, garantiert die Ähnlichkeit mit dem Krippenkind von Bethlehem. Wir verstehen, dass Angelus Silesius dichten konnte: „Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, wo Gottes Kinder sind: Die Tür ist gar zu klein.“

Dieses ewige Wort, das Gott ist, das auch das Licht der Menschen geworden ist, leuchtet in der Finsternis. Ein großes Licht ist aufgegangen, wie die Propheten vorausverkündet hatten, aber siehe, das Licht, das in dieser Nacht um Mitternacht aufging, das waren die zwei Augensterne eines Kindes. Das fleischgewordene Wort war das Licht der Menschen, das Licht, das in der Finsternis leuchtet. Es musste das Licht sein, denn so war es von ihm vorherverkündet worden. „Das Volk, das in Finsternis wandelt“, hat der Prophet Isaias 700 Jahre vor dem Geschehen in Bethlehem vorausgesagt, „schaut ein großes Licht. Über denen, die im finsteren Land wohnen, erstrahlt ein Licht.“ Die geheimnisvolle Menschwerdung des Wortes zeigt dem Auge unseres Geistes das neue Licht der Herrlichkeit. Als man es wenig später in den Tempel einführen wird, da hat es der greise Simeon erkannt: „Ein Licht zur Erleuchtung der Heiden.“ Wenn dieses Kind seine amtliche Tätigkeit aufgenommen haben wird, dann wird es sich zu diesem seinem Wesen bekennen: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Und er fordert die Menschen auf: „Glaubet an das Licht, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.“ Der LOGOS, das menschgewordene Wort Gottes, ist das Licht, weil er die Wahrheit ist; auf die Wahrheit kommt alles an. Er bringt die Wahrheit, er verscheucht das Dunkel des Irrtums, der Verhüllung, der Unwissenheit. Es sagt der Menschheit, wer Gott ist und was Gott von uns erwartet.

Dieses Licht ist schön. Die Lieder, die wir in der Weihnachtszeit singen, künden die Schönheit dieses Kindes. „Dies schönste der menschlichen Kinder ist Gott, in die Menschheit gekleidt. Er hat sich zum Mittler der Sünder aus göttlicher Liebe geweiht.“ „Wie schön bist du, o Kind, wie schön du Friedensfürst aus höchsten Höhn. Kein Menschenkind dir gleichen kann, dich betet deine Mutter an.“ „Schönster Herr Jesus“, singen wir, „Herrscher aller Herren, Gottes und Mariä Sohn, dich will ich lieben, dich will ich ehren, meiner Seele Freud’ und Kron’.“ Warum ist das Kind schön? Weil es ein Anfang ist, weil es jung ist, ein Aufgang, weil es noch nicht verbraucht, noch nicht verdorben ist, noch nicht vergangen ist und verwelkt. Alles ist noch im Beginn, und so will Gott sagen: So bin ich: der ewige Anfang, der ewige Aufgang, die ewige Jugend. Ja, genau das ist es, meine lieben Freunde, Gott ist immer ein Anfang, immer noch steht die ganze Herrlichkeit ihm zur Verfügung. Darum auch hat der Heiland einmal den Juden auf die Frage: „Wer bist du eigentlich?“ die geheimnisvolle Antwort gegeben: „Ich bin der Anfang, der zu euch predigt.“ Der ewige Anfang, der Aufgang, die unsterbliche Jugend, die Unvergänglichkeit ist unser Gott, so schön wie die Jugend, wie der Aufgang der Sonne. Von Gott wird nie etwas vergehen, nie etwas verbraucht werden, nie wird auch nur eine Sekunde seiner Ewigkeit hinter ihm liegen. Die Philosophen haben mit Recht gesagt: Gott ist das stehende Jetzt – nunc stans, das stehende Jetzt. Und im Brief an die Hebräer, da heißt es: „Du, Herr, hast im Anfang die Erde gegründet und deiner Hände Werk ist der Himmel. Sie werden vergehen, du aber bleibst. Sie werden altern wie ein Kleid, wie einen Mantel wirst du sie zusammenrollen, und wie ein Kleid werden sie gewechselt werden; du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht zu Ende gehen.“

Nun können wir sehen, wie Gott ist: wie ein Kind, liebenswürdig, der Liebe wert wie ein Kind. So liebenswürdig ist Gott wie ein Kindlein. Ein Kind kann man nur lieben, ein Kind weckt unwiderstehlich unsere Liebe. Als das Kind zum Manne herangewachsen war, wurde der Messias gefragt: Welches ist das größte Gebot im Gesetze? Er antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Gemüte und mit deinen Kräften; das ist das erste und größte Gebot.“ O ja, aber den unendlichen ewigen Gott zu lieben, das ist schwer, denn Gott ist unanschaulich. Wir lieben das, was wir mit unseren Augen sehen und mit unseren Händen betasten. Wir endlichen Wesen haben keine adäquate Vorstellung von Gott; das Unendliche kann man sich überhaupt nicht vorstellen, für uns Menschen geht alles zu Ende. So fällt es uns schwer, Gott zu lieben. Aber siehe da, Gott kommt unserem Unvermögen zu Hilfe. Er ist als Kind zu uns gekommen. Nun haben wir keinen Grund und keine Ausrede mehr, wenn wir ihn lieben sollen; ein Kind kann man nur lieben. So liebenswürdig, so liebenswert ist Gott wie ein solches Kind. Uns wird es doch leicht, ein Kind zu lieben; wir könnten nicht sagen, warum wir es nicht lieben sollen. Siehe, nun ist Gott in der Gestalt dieses Kindes gekommen, damit es uns leicht werde, ihn zu lieben. Wenn wir Jesus lieben, lieben wir unseren Gott. Es muss ihm unendlich viel daran liegen, dass er seine erfinderische Weisheit aufgeboten hat, um einen Weg zu finden, auf dem uns die Gottesliebe ganz leicht werden soll. So ist er als Kindlein zu uns gekommen. Clemens von Brentano hat die Liebenswürdigkeit des Kindes mit seiner Würde begründet: „Welche Würde trägt ein Kind! Sprach das Wort doch selbst die Worte: Die nicht wie Kinder sind, gehen nicht ein zur Himmelspforte. Welche Würde trägt ein Kind! Wer dies einmal je empfunden, ist den Kindern durch das Jesuskind verbunden.“ So sollen, so wollen, so können wir ihn lieben, den liebenswürdigsten aller Menschen. „O Kindelein, von Herzen dich will ich lieben sehr, in Freuden und in Schmerzen, je länger mehr und mehr.“

Gott ist liebenswürdig. Er ist auch liebevoll, d.h. die Liebe geht auch von ihm aus. Der dankbarste Liebesempfänger ist immer ein Kind. Ein Kind ist unendlich dankbar für jedes gute Wort, für jedes Zeichen der Liebe und für jede Zuneigung. Es schenkt seine Liebe dem, der es gern hat. Und dazu ist Gott nun gekommen als Kind, um uns liebzuhaben, um uns seine Liebe zu beweisen. Aus Liebe zu uns hat er den Schoß der Jungfrau nicht verschmäht; aus Liebe zu uns wählt er den Futtertrog der Tiere zu seinem Bettchen; aus Liebe zu uns hat er sich müde gewandert; aus Liebe zu uns hat er sein kostbares Leben dahingegeben. Der tiefste Grund für die Menschwerdung des LOGOS ist der Wille Gottes, uns seine Liebe zu zeigen. Die frohe Botschaft des Evangeliums lautet nicht: Der Mensch kann zu Gott kommen, sondern: Gott kommt zum Menschen. In unserem schönsten Weihnachtslied singen wir ja: „Gottes Sohn, o wie lacht Lieb aus deinem göttlichen Mund.“

Jedes Kind ist auch ein Geheimnis. Sein Geist, seine Seele wohnt in seinem Körper, das Kind ist hellwach; seine Augen, seine Gesten verraten es. Es ist unvergleichlich anders als Junge von Tieren, ein junger Hund, eine junge Katze. Nein, das junge Kind ist wach, nimmt alles wahr, was um es vor sich geht, aber es hat noch nicht das Instrumentarium, um sich eindeutig und differenziert zu äußern, es fehlt noch die Ausbildung des Gehirns und die Sprache. Jedes Kind ist ein Geheimnis, erst recht natürlich das Kind von Bethlehem. Es ist von einzigartiger Beschaffenheit. Von ihm hat der Prophet vorhergesagt: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; die Herrschaft ruht auf seinen Schultern. Wunderrat, Gottheld, Vater der Zukunft, Friedensfürst, so heißt sein Name“ – unerhörte Aussagen über dieses Kind von Bethlehem. Dieses Kind ist wahrer Gott und wahrer Mensch; er musste beides sein. Wäre er nicht wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung; wäre er nicht wahrer Mensch, so böte er kein Beispiel. In diesem Kind vereinigen sich in einmaliger Weise Wirklichkeiten, die ansonsten getrennt sind. Er, der allen Nahrung gibt, hungerte; er, der allen Trank geschaffen hatte, dürstete. Auf seiner Erdenwanderung ward er müde, der uns selbst der Weg zum Himmel ist. Das Kirchenlied sagt deswegen mit recht: „Der die ganze Welt regieret, Sonne, Mond und Sterne führet, als ein Mensch die Armut spüret, hat die Krippe sich erkoren. Dieses Kind ist uns gegeben, das uns allen schenkt das Leben, Tod und Hölle vor ihm beben, ohne dies Kind wären wir verloren.“ Wahrhaftig, welch ein Geheimnis ist ein Kind, welch ein Geheimnis ist dieses Kind! „Gott ist auch ein Kind gewesen. Weil wir Kinder Gottes sind, kam ein Kind, uns zu erlösen. Welch Geheimnis ist ein Kind! Wer dies einmal je empfunden, ist den Kindern durch das Jesuskind verbunden.“

So ist Gott in dieser Gestalt zu uns gekommen, in der er uns sagen will: Seht, ich bin so wie dieses Kind. Ihr braucht mir nur ein gutes Wort zu geben, ihr braucht euch nur meiner anzunehmen, ihr braucht mich nur gernzuhaben, und ich gehöre euch wie ein Kind. So kommt er zu uns mit keinem anderen Anspruch, als uns zu gehören. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“, nur geschenkt will Gott uns werden, sonst überhaupt nichts. Das ist das Ziel seiner Weltschöpfung und seiner Welterlösung und das Ziel aller seiner Heilsanstalten, dass er uns gehören will, dass er uns in seine Arme und in sein Herz schließen will. Selbst wenn er Gebote gibt, wenn er uns droht, wenn er straft – er tut es nur, um uns zu gehören, um die Tore aufzusprengen, die in unsere Seele führen. Er will uns geschenkt werden, sonst gar nichts. Er will uns nicht gebrauchen oder ausnützen, wie die Menschen einander gebrauchen und ausnützen. Er will nichts von uns empfangen, er ist ja unendlich reich. Er will nur, dass wir ihn aufnehmen, wie man ein Kind aufnimmt, dass wir ihn empfangen, dass wir Kommunion mit ihm halten. „Ach, könnte nur dein Herz zu einer Krippe werden, Gott würde noch einmal ein Kind auf Erden.“

Amen.

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