Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. August 2015

Die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor wenigen Tagen besuchte mich eine Dame. Die erste Frage, die sie an mich stellte, lautete: „Glauben Sie an die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist?“ Diese Frage kann ich nur dahin beantworten, dass ich sage: Wenn ich nicht an die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist glaubte, würde ich sogleich meinen Kirchenaustritt erklären. Ich zahle keine Kirchensteuer für eine Gemeinschaft, die nicht im Besitz des Heiligen Geistes ist. Die Kirche selbst ist davon überzeugt, dass sie immerfort unter dem maßgebenden Einfluss des Heiligen Geistes steht und dass sie alles, was sie unter seinem Antrieb tut, im Heiligen Geiste vollbringt. Freilich muss man erklären, was die Leitung des Heiligen Geistes bedeutet; man muss sich vor allem vor übertriebenen Vorstellungen bewahren. Denn die Kirche besteht aus Menschen, und es braucht die Klarstellung, wie sich menschliches Verhalten und Einwirkung des Geistes miteinander vertragen. Das Christentum ist das Ergebnis der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Er ist in die Welt gekommen, um der Welt Zeugnis von der Wahrheit zu geben. Die Wahrheit des Christentums ist zusammengefasst im Sein und im Wirken Jesu Christi. Der Heilige Geist erinnert an Christus, er sorgt dafür, dass die Christenheit die Erinnerung an ihn nicht vergisst – diese Gefahr besteht nämlich. Es gibt evangelische Theologen, die erklären, in das ursprüngliche Evangelium gehöre nur der Vater, nicht der Sohn; das ist das Vergessen Jesu Christi. Der Heilige Geist bewahrt uns davor, Christus zu verunstalten. Der Unglaube und der Irrglaube haben Christus mannigfach verzeichnet. Sie haben ihn als einen Propheten ausgegeben oder ihn als Wanderprediger bezeichnet. Renan, der französische abgefallene Theologe, spricht von Jesus als dem „charmanten Tischler“. Der Heilige Geist sorgt dafür, dass Christus in der Kirche so geglaubt wird, wie er sich selbst verstanden hat und wie seine Apostel ihn begriffen haben, also als den verheißenen Messias, als den im Buche Daniel angekündigten Menschensohn, als den wahren seinshaften Sohn des ewigen Vaters, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen. In unserer Kirche ist diese Wahrheit lebendig; das ist die Wirkung des Heiligen Geistes.

Die Kirche entnimmt ihre Wahrheit der Heiligen Schrift und der Überlieferung. Die Heilige Schrift ist das Buch des Heiligen Geistes. Wir sprechen von der Inspiration, von der Eingebung, von der Anhauchung der menschlichen Schriftsteller, die die Heilige Schrift hervorgebracht haben durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist zieht sich nach Verfassung der heiligen Schriften von seinem Werk nicht zurück; er bleibt bei ihm, indem er es auslegt. Bei der Auslegung bedient er sich der Kirche, und zwar maßgeblich der Träger des Lehramtes. Der Heilige Geist ist der Bürge dafür, dass der Inhalt der Heiligen Schrift und ihr rechtes Verständnis in der Kirche stets lebendig bleiben. Der Heilige Geist erhält die Kirche in der Wahrheit. Er sorgt dafür, dass die Kirchenglieder das Verständnis des Glaubensinhaltes bewahren, dass es ihnen aufgeschlossen wird und dass es gegen Missverständnisse gesichert wird. Die Leugnung eines Gegenstandes der Offenbarung zwingt die Kirche, ihn klarer und tiefer zu durchdringen. Das Ergebnis bildet das Dogma. Dogma ist die von der Kirche vorgenommene Formulierung des Glaubensgegenstandes. In der Dogmatisierung gewährleistet der Heilige Geist die Übereinstimmung des Glaubensverständnisses mit dem Glaubensinhalt. Wenn die Kirche endgültig und für alle Kirchenglieder bestimmt eine Glaubenswahrheit definiert, erfreut sie sich des Beistandes des Heiligen Geistes. Sie ist, wenn sie solche Definitionen vornimmt, unfehlbar. Die Unfehlbarkeit der Kirche ist zusammengefasst in der Unfehlbarkeit des Papstes; er ist ja gleichsam die Kirche in Konzentration. Der einzelne Gläubige mag im Glauben irren und auch der einzelne Bischof, sogar der Papst, wenn er für seine Person ein Buch schreibt, wenn er einen Brief an andere richtet, wenn er für Gruppen von Zuhörern predigt; in allen diesen Fällen kann der Papst irren. Aber wenn er als Bischof der gesamten Kirche für die ganze Kirche endgültig und verbindlich das Wort Gottes verkündet und auslegt, dann ist er unfehlbar. Solche Entscheidungen sind äußerst selten; die letzte ist im Jahre 1950 geschehen, als Pius XII. das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel verkündete. Die Unfehlbarkeit ist nicht aus menschlicher Kraft zu erklären, sondern aus der Wirksamkeit des Geistes. Was den Glauben angeht, meine lieben Freunde, kann man die Leitung durch den Geist in drei Sätzen zusammenfassen.

1. Führung durch den Heiligen Geist besagt, dass nichts von der Kirche zu glauben vorgelegt wird, was nicht in der Offenbarung enthalten ist.

2. Führung durch den Heiligen Geist besagt, dass nichts, was jemals als Inhalt der Offenbarung verbindlich vorgelegt worden ist, fallen gelassen oder ausgeschieden wird.

3. Führung durch den Heiligen Geist besagt, dass kein Zeitpunkt kommen wird, an dem die Wahrheit der Offenbarung in der Kirche nicht mehr zu finden sein wird.

Es mögen Schismatiker aufstehen, es mögen Häretiker ihre Stimmen erheben, es mögen Apostaten ihre gesammelten Werke veröffentlichen – wie es jetzt wieder geschieht mit dem Oberapostaten von Tübingen –, niemals wird es unmöglich sein, die Wahrheit des Glaubens in der Kirche zu finden. Sie ist der Hort, die Säule, die Grundfeste der Wahrheit. Sie ist dies alles, weil der Heilige Geist in ihr lebt.

Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist besagt aber auch, dass das gesamte geistliche Leben der Kirche durch den Geist bestimmt und gewirkt wird. Die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist vollzieht sich in einzigartiger Weise im Gottesdienst und im Sakramente. Nicht der Priester wandelt in der heiligen Messe die Gaben, sondern Christus wandelt sie durch den Heiligen Geist mit Hilfe des Priesters als des Werkzeugs. In der vorigen Woche bekam ich den Brief eines Arztes. Er behauptete, es gäbe Priester, welche nicht mehr an die Wesensverwandlung, an die Transsubstantiation glauben, und er fragte, ob man dann noch in diese Messe gehen könne, weil ja keine Wandlung geschieht. Ich habe ihm antworten müssen: Sie sind im Irrtum, Herr Doktor. Die Kirche lehrt und hat immer gelehrt: Der Glaube des Priesters ist für das Zustandekommen der Wandlung nicht notwendig. Der Priester ist nur Werkzeug, der Hauptwandler ist Gott, Christus, der Heilige Geist. Wenn der Priester bei der Konsekration nur das tut, was die Kirche tun will, also sich anschließt an das Formular, wenn er nur die Materie und die Form miteinander verbindet, dann kommt auch bei einem Priester, der nicht mehr glaubt, das Sakrament zustande. Die Kirche spendet 7 Sakramente; sie spendet sie durch ihre Glieder, vor allem durch die Priester. Aber die menschlichen Sakramentenspender sind eben nur Werkzeuge, sie vermitteln nicht eigene Gnade, sondern die Gnade Jesu Christi. Der Hauptspender ist Christus und er wirkt durch den Heiligen Geist. Bei jeder Sakramentenspendung wird der Heilige Geist angerufen. In den Sakramenten senkt Christus als der unsichtbare Hauptspender im Heiligen Geist den Gläubigen sein eigenes Leben ein. Christus wirkt durch ein würdiges wie durch ein unwürdiges Werkzeug mit der gleichen unwiderstehlichen Kraft.

Der Heilige Geist wirkt in allen Gliedern der Kirche; er wirkt jedoch verschieden. Er schafft ja nicht den Unterschied zwischen Amtsträgern und Laien ab, denn dieser Unterschied stammt von Christus. Der Heilige Geist unterstützt die kirchliche Hierarchie bei der Ausübung ihres Lehramtes, ihres Hirtenamtes, ihres Priesteramtes mit seinem Beistand. Wir sind gewöhnt, zu sagen: Papst und Bischöfe leiten die Kirche. Das ist ja auch nicht falsch, man muss nur dazusagen: Sie leiten sie unter dem Beistand des Heiliges Geistes. Ihre Leitungsvollmacht stammt von Christus, er hat die Hierarchie göttlichen Rechtes eingesetzt, aber die Ausübung dieser Vollmacht steht unter dem Einfluss des Heiligen Geistes. Er treibt die Amtsträger zu ihrem Tun an, er ruft dieses innerlich hervor und begleitet es. Wenn sie Gesetze geben, wenn sie Verwaltungsakte setzen, wenn sie Urteile sprechen, können und sollen sie sich der Leitung des Heiligen Geistes unterstellen. Darauf aber kommt es an, ob sie sich dieser Leitung unterstellen! Darauf kommt es an, ob sie sich von der liberalen Presse oder ob sie sich vom Heiligen Geist bestimmen lassen. Die Leitung der Kirche durch den Geist geht durch Menschen hindurch, und so hängt es von ihnen ab, wie weit sein Einfluss wirksam wird.

Der Heilige Geist wirkt auch in den nichtamtlichen Gliedern der Kirche. Er regt mit seiner Gnade jede Heilstätigkeit an. Alle Gläubigen, die in der heiligmachenden Gnade sind, sind mit dem Heiligen Geist ausgestattet; sie sind Geistträger, sie sind Geistliche. Seine Wirksamkeit ist ein Ruf, eine Mahnung, eine Stärkung, eine Tröstung, eine Erleuchtung, eine Öffnung der Herzen, eine Hinwendung des Geistes, eine Bekehrung. Der Heilige Geist befähigt den Menschen, ein gläubiges Ja zu Christus, dem Herrn, zu sprechen. Er gibt dem menschlichen Geist Zeugnis, dass er ein Kind Gottes ist. Er betet im Menschen in unaussprechlichen Seufzern. Der Heilige Geist verleiht Charismen, wie wir soeben in der Epistel gehört haben. Charismen sind Gnadengaben zur Erbauung der Kirche, zum Nutzen der anderen. Der Heilige Geist erweckt Propheten. Sie rufen das Wort der Wahrheit aus, gelegen oder ungelegen. Sie prangern die Feigheit der Hirten an und die Müdigkeit der Herde. Der Heilige Geist erzeugt Lehrer. Sie verkündigen alte und ewig junge Wahrheiten ohne Rücksicht auf den Zeitgeist. Sie erhalten den Glauben zu ihrem Teil ungeschmälert am Leben. Die wichtigsten Träger der Charismen sind die Heiligen. Sie leben in einer besonders innigen Verbundenheit mit Christus und empfangen daraus besondere Einflüsse des Christusgeistes. Sie sind für die Lebendigkeit der Kirche unentbehrlich. Immer bedarf die Kirche der Heiligen; es wird ihr auch nie an Heiligen fehlen. Sie mögen bekannt oder unbekannt sein; nie werden der tapfere Glaube und die opferbereite Liebe der Heiligen in der Kirche untergehen.

Wir glauben, meine lieben Freunde, an die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist. Aber dann fragen Sie mich: Wie vertragen sich mit diesem Glauben Sünde, Versagen, Abfall, das Ungenügen und die Pflichtvergessenheit von Hirten, der Zusammenbruch von Gläubigen? Die Antwort lautet: Die Kirche arbeitet immer an sich, ohne jemals mit sich zufrieden zu sein. Wäre sie es, dann wäre sie den Versuchungen des Teufels erlegen. Die Kirche ist nie fertig, sondern immer werdend. Die Menschen, die sie bilden, müssen immer mehr hineinwachsen in die Liebe Christi. Es wäre fantastisch, zu erwarten, dass die Kirche die Menschen im Laufe der Jahrhunderte so zu bilden vermag, dass sie sich nicht mehr dem Bösen überlassen. Es liegt kein Versagen der Kirche vor, wenn nach so langer Wirksamkeit Grausamkeit und Hass immer noch unvermindert ausbrechen. Die Menschen – auch die Menschen in der Kirche – können sich der Einwirkung des Heiligen Geistes entziehen. Sie vermögen es, sich seinem Einfluss zu verweigern. Die menschliche Selbstsucht kann dem Wirken des Heiligen Geistes Widerstand entgegensetzen. Das Böse in der Kirche hat seinen Möglichkeitsgrund in der menschlichen Freiheit und in der göttlichen Vorsehung. Der Teufel suchte, Christus zu überwältigen, so sucht er auch, die Kirche zu überwinden. Die Heiligung der Gläubigen ist kein biologischer Vorgang. Sie wird nur gewonnen in der Entscheidung des Herzens und des Willens. Jeder Mensch und jede Generation muss die Entscheidung für sich treffen. In jedem Menschen und in jeder Generation muss deswegen die Kirche das Werk der Heiligung von Neuem anfangen; sie muss immer von vorne beginnen. Die Liebe und die Opferbereitschaft vererben sich nicht. Wir alle, die wir hier versammelt sind, wissen um den seit Jahrzehnten in unserer Kirche anhaltenden Niedergang: Die Priesterseminare sind leer, die Ordensgemeinschaften sterben aus, immer weniger Gläubige folgen dem Ruf der Glocken zum Gottesdienst, Hunderttausende wenden sich in Deutschland jedes Jahr von der Kirche ab. Alle diese Mängel und Schwächen sind kein Einwand gegen das Wirken des Heiligen Geistes, sondern im Gegenteil: Sie zeigen, dass die Kirche diesen Erscheinungen zum Trotz sich erhält und durch die Jahrhunderte schreitet. Wenn der Geist nicht ihr wirkte, wäre sie längst den Kräften des Bösen erlegen. Die Kirche verzweifelt nicht und kann nicht verzweifeln an ihrer Existenz, auch wenn sie aufs Äußerste bedroht ist und das menschliche Auge keinen Ausweg sieht. Die Kirche resigniert nicht; sie trägt eine unvergängliche Hoffnung in sich, die Hoffnung auf Unzerstörbarkeit. Und diese Hoffnung gründet sich auf das Wirken des Heiligen Geistes. Der Geist garantiert der Kirche die Unzerstörbarkeit bis zur Wiederkunft des Herrn.

Amen.

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