Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. November 2014

Sterblicher, denk’ ans Sterben!

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zum Gedenktag Allerseelen Versammelte!

Die Abendglocken des Allerheiligenfestes läuten einen anderen Gedenktag ein: Allerseelen. Beide Tage gehören zusammen, denn die Heiligen des Himmels und die Seelen im Fegfeuer gehören zur Gemeinschaft, in der alle Glieder der Kirche stehen. Welche Zeit wäre geeigneter zu diesem Gedenktag als der November? Wo die Blätter fallen, wo die Natur sich zum Tod rüstet, wo überall das letzte Blühen vergeht, wo der Herbstwind über die kahlen Felder das „de profundis“ der Natur singt: Aus den Tiefen rufe ich zu dir, o Herr. Da stimmt auch die Kirche dieses Lied an: „Aus der Tiefe, o Herr, rufe ich zu dir. Höre auf mein Flehen.“ Der Allerseelentag, meine Freunde, ist ein tiefernster Tag. Er ist der Tag stiller Einkehr, der Tag eindringlicher Mahnung, der Tag des Trostes und der Tag des Gebetes.

Erstens ist der Allerseelentag der Tag der Einkehr. An diesem Tage sollen wir in die Stille gehen. Da soll die Seele zurückwandern in die Vergangenheit. Da sollen unsere Toten wieder aufstehen, um Zwiesprache mit uns zu halten. Und wie sie uns anschauen, unsere Verstorbenen. Da brechen alte Wunden wieder auf. Wir gedenken unserer Verstorbenen: unserer Eltern, Geschwister, Kinder, unserer Schulkameraden, Lehrer, unserer Arbeitskollegen und Mitarbeiter, unserer Freunde und Feinde. Wir lassen unser Leben und ihr Leben an unserem Geist vorüberziehen. Ich meine, meine lieben Freunde, am schmerzlichsten ist der Gedanke: Was habe ich alles versäumt und gefehlt an denen, die mir nahestanden, die mir anvertraut waren, denen ich begegnet bin? Wie war ich eng und kleinlich. Warum habe ich gezürnt? Warum nicht lieber geschwiegen und getragen, als getadelt und geschimpft? An diesem Tage pilgern wir zum Friedhof. Auch die unter uns, die keine Toten zu beklagen haben, sollten durch die Gräberreihen gehen und die Predigt der Gräber sich anhören. Die Grabsteine reden; es ist eine stumme, aber eindringliche Sprache. Nur wenige Worte stehen auf den meisten Grabsteinen: irgendein Name, manchmal auch ein frommer Spruch und dann Zahlen: Anfang und Ende einer Zeitspanne, die einmal ein Menschenleben umschloss. Manchmal viele Jahre, Jahrzehnte, aber auch zuweilen nur ein bis zwei Jahre. Aber das ist belanglos, denn immer heißt es: geboren – gestorben. Das ist das Wesentliche. Was dazwischenliegt, wer achtet darauf? Auf jedem dieser Steine steht es endgültig, unwiderruflich: geboren – gestorben. Das ist das Gesetz dieser Erde. Und das ist die Predigt, die alle Toten uns halten. Es ist den Menschen bestimmt, einmal zu sterben. Alle, die unter den Grabsteinen ruhen, haben einmal gelebt wie wir, haben gearbeitet und geruht, gesät und geerntet, haben sich gefreut und haben getrauert, haben gesündigt wie wir. Und jetzt ist für sie alles vorüber wie ein Schattenspiel. Jetzt steht unter jedem ihrer Namen: gestorben. Und es ist, als ob jeder aus dem Grabe uns zurufen würde: Ich war, was du bist. Ich bin, was du wirst. Das ist die erschütternde Predigt der Gräber. Die Predigt von Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des Menschenlebens. Wie viele von denen, die mit uns einst ein Stück des Weges gewandert sind, sind müde geworden und haben sich zur Ruhe gelegt? Wie viele Menschen, die wir erlebten und die wir liebten, Menschen, die uns Gutes getan haben, Menschen im weißen Haar, die ihr Tagewerk vollbracht haben, aber auch Menschen in Jugendlocken, die früh von uns gegangen sind. Nun sind sie tot. Und auch ihnen gilt der Allerseelentag. Und wenn wir ihn im nächsten Jahr erleben sollten, da wird mancher von uns dabei sein, für den wir auch beten müssen, weil er inzwischen heimgegangen ist.

Solche Gedanken enthalten eine ernste Mahnung: Bereit sein für den Tod. Der Tod wäre nicht so etwas Tiefernstes, wenn die unsterbliche Seele nicht wäre, wenn die Ewigkeit nicht wäre, wenn das Gericht nicht wäre, wenn das Sterben nicht die Brücke entweder zu ewiger Freude oder zu ewigem Leid wäre. Im spanischen Bürgerkrieg wurde ein Priester, ein gläubiger, frommer Priester, von den „Roten“ gefangengenommen. Er wurde verhört von einem ehemaligen Priester, der zu ihm sagte: „Ich möchte kein Missverständnis aufkommen lassen: Ich habe meinen Glauben aufgegeben und stehe außerhalb der Kirche.“ Da entgegnete der gläubige Priester: „Sie Glücklicher, Sie Glücklicher. Ich wollte, ich könnte meinen Glauben loswerden. Morgen in aller Früh erschossen zu werden, fiele mir nicht so schwer, wenn ich überzeugt wäre, danach in ewigen Schlaf zu fallen.“ Aber wir fallen nicht in einen ewigen Schlaf, wir fallen in die Hände Gottes. Und von diesen Händen steht in der Heiligen Schrift: „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Auch das steht in der Heiligen Schrift, nicht nur die Worte von der Barmherzigkeit! Viele Menschen hören nicht gern vom Tode reden. Am liebsten schlössen sie jedes Mal die Augen und die Ohren, wenn irgendetwas sie an den Tod erinnert, damit nicht die behagliche Ruhe ihrer Seele gestört werde. Aber es ist gut und heilsam für uns, uns an diese ernsteste aller natürlichen Wahrheiten zu erinnern. Nicht, damit wir niedergedrückt werden, sondern damit wir jederzeit gerüstet sind für die letzte Stunde. „Sterblicher, denk’ ans Sterben!“, so steht im Buch von der „Nachfolge Christi“. Niemand weiß, wann der Tod kommt. „Seid bereit! Ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ In meiner Heimat steht ein Kreuz – ein steinernes Kreuz. Und auf diesem steinernen Kreuz ist der Spruch angebracht: Der Weg zur Ewigkeit, der ist doch gar nicht weit. Um achte fuhr er fort, um neune war er dort. An dieser Stelle ist einmal ein Fuhrmann verunglückt. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde ein englisches Luftschiff von England nach Frankreich geschickt und bei Beauvais in einem jähen Absturz vernichtet. Die letzte Botschaft, die das Luftschiff aufgab, lautete: „Nach einem ausgezeichneten Mahle sind die Passagiere im Begriff, schlafen zu gehen.“ Eine halbe Stunde später schliefen alle – den ewigen Schlaf. Sie dachten, irgendwo im sonnigen Süden aufzuwachen, und sie erwachten in der Ewigkeit – nach einem ausgezeichneten Mahle. Der ganze furchtbare Ernst des Schrittes vom Diesseits zum Jenseits packt uns bei dieser letzten Botschaft. Ein üppiges Essen in einer Luxuskabine bei Wein und fröhlichem Plaudern und dann der jähe Tod. Und danach das Gericht. Ob sie bereit waren? Wir alle sind umwittert vom Geheimnis des Todes. Wohl erschüttert uns hin und wieder der Tod eines nahestehenden Menschen, aber dann vergessen wir es wieder und machen es wie der Mann im Gleichnis, der seine Scheunen gefüllt hatte mit Frucht und sagte: „Jetzt ruhe aus, meine Seele, lass es dir gut gehen, iss und trink, denn du hast reiche Ernte gehalten.“ Aber dem Gott sagte: „Heute nacht noch wird man deine Seele von dir fordern.“ Ja, die Wahrheit vom Leben nach dem Tode birgt eine ernste Mahnung an uns.

Aber sie ist natürlich auch eine Quelle des Trostes. Sie sagt uns, dass die Trennung der Toten von den Lebenden keine Trennung für immer ist. Es gibt ein ewiges Leben. Der Mensch besitzt eine unsterbliche Seele. Sie trennt sich im Tode vom sterblichen Leibe. Sie kehrt entweder unmittelbar zu Gott zurück und findet in seiner Gegenwart und in seiner Anschauung unendlichen Frieden, unendliche Liebe, unendliche Wonne – wir nennen diesen Zustand Himmel. Wenn sie noch nicht bereit ist für die Großartigkeit Gottes, dann geht sie ein in den Zustand der Reinigung: das Fegfeuer. Wer sich bewusst gegen Gott entscheidet, der gelangt in den Zustand immerwährender Unseligkeit. Das sind die letzten Dinge: Tod, Gericht, Himmel oder Hölle und das Fegfeuer als Vorletztes. Gewiss, das Leid der Verstorbenen erneuert sich am Allerseelentag. Aber wenn wir den Blick von den Grabhügeln heben, da sehen wir – auch auf unserem Friedhof in Budenheim – das Kreuz. Das Kreuz ragt auf über den Gräbern mit dem Bild des Erlösers. Und die gekreuzigte Gottesliebe neigt sich zu dem blutenden Menschenherzen, macht den Blick weit und tief, dass es schauen kann, was vom irdischen Glauben verhüllt ist. Da sieht es den Heiland durch die Gräberreihen schreiten, segnend und tröstend, ihn, der gesagt hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er gestorben ist.“ Der gesagt hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, euch eine zu bereiten.“ Das ist der tiefe Trost des Allerseelentages, die hoffende Gewissheit einstigen Wiedersehens. Die Gewissheit, dass der Tod nicht nur Ende, sondern auch Anfang ist. Wie trostlos steht daneben der Unglaube, der von einem Leben im Jenseits, von einem Wiedersehen nichts weiß, für den nur die große Nacht beginnt, das große Nichts. Die Ungläubigen singen das Lied von der Erde: Macht euch’s auf der Erde schön, kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn. Die Gläubigen singen das hohe Lied des Glaubens: Selig die Toten, die im Herrn sterben. Von nun an werden sie von ihren Mühsalen ausruhen, denn ihre Werke folgen ihnen nach – ihre Werke folgen ihnen nach. Ein trostvolles, aber auch ein ernstes Wort. Alle Werke folgen nach: die guten und die bösen. Sie begleiten uns zum Gerichte Gottes. Auch unseren Verstorbenen sind sie gefolgt. Gewiss dürfen wir hoffen und sollen wir hoffen, dass sie bei Gott Barmherzigkeit gefunden haben, aber wir wissen auch, dass der Mensch auf der Waage Gottes anders gewogen wird als im Urteil der Menschen, und dass nur Reines zum ewig Reinen eingehen kann. Der König des Weltalls ist kein Schattenkönig. Der Herr der Heerscharen lässt seiner nicht spotten. Im Buche Hiob steht das Wort: „Selbst die Himmel sind vor ihm nicht rein, geschweige denn der Mensch, der gänzlich verderbte, der die Sünde trinkt wie Wasser.“

 Darum muss der Allerseelentag für uns ein Tag des Gebetes sein. An diesem Tage tragen die Menschen Kränze und Lichter auf die Gräber. Das ist ein Ausdruck der Verbundenheit, ein Sinnbild der treuen Liebe, die über das Grab hinaus andauert. Aber wahre Liebe will nicht nur gedenken, wahre Liebe will auch helfen. Und wir können den Verstorbenen helfen durch unser Gebet. Es kommt nicht zu spät. Denn Gott, der alle freien Handlungen des Menschen voraussieht, hat auch die Gebete, die wir heute für längst Verstorbene verrichten, gesehen und in seine Entscheidung beim Gericht einbezogen. Es ist nicht überflüssig, für längst Verstorbene zu beten. Auch sie können durch unser Gebet Hilfe empfangen. Ich kannte eine Dame, die sagte: „Ich bin katholisch geworden, weil ich in dieser Religion für meine Verstorbenen beten kann.“ Manche Schuld der Dankbarkeit wird durch das Gebet abgetragen. Wir wollen beten und auf unsere Verstorbenen zugehen, denn sie strecken ja ihre Hände aus und sprechen: „Gedenket unser, wenigstens ihr, gedenket unser, unsere Freunde.“ Mit diesem Gebet folgen wir der Mahnung und dem Beispiel der Kirche, die am Allerseelentag wie an keinem anderen Tage zum Gebet für die Verstorbenen ruft. Der Priester darf an diesem Tag mehrmals die heilige Messe feiern. Und eine dieser Messen wird für alle Verstorbenen dargebracht. Für alle ihre Kinder betet die Kirche, dass sich an ihnen das Wort des Propheten erfülle: „Siehe, ich sende den Frieden über sie wie einen Strom.“ Das Gebet, das von den Altären aufsteigt, soll sich mit unserem Gebet vereinigen zu einem einzigen tiefen Strom der Barmherzigkeit. Er soll hinunterfluten in das Reich der Armen Seelen, soll eine Brücke bauen, auf der die Entsühnten heraufsteigen zum Vaterherzen Gottes, damit auch ihnen das Jubelwort gilt, das die Kirche am Allerheiligenfeste von ihren vollendeten Kindern im Himmel singt: „Jene aber sind im Frieden.“

Amen. 

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