Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. April 2014

Die Auferstehung Jesu als Tatsache und Geheimnis

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Auferstehung unseres Herrn Versammelte!

Der evangelische Theologe Paul Schütz ist ein gläubiger Christ. Für ihn ist die Auferstehung des Herrn überhaupt keine Frage. Er glaubt an sie fest. Aber er spricht von der „Ungesichertheit und Unzulänglichkeit der historischen Bezeugung“ der Auferstehung. Er meint, es gäbe keine genügenden Beweise, keine historisch durchschlagenden Beweise für die Auferstehung. Man müsse sich allein auf den Glauben verlassen. Ungesichert, ohne historische oder vernünftige Beweisführung, müsse man sich auf die Auferstehung des Herrn einlassen. „Die Wirklichkeit“, so sagt er, „die der Glaube erfassen will, ist mit Hilfe der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht fassbar.“ Die angebliche Ungesichertheit des Glaubens soll also durch die Gewissheit des Glaubens selbst ersetzt werden. Meine lieben Freunde, diese Sichtweise auf die Auferstehung des Herrn ist nicht die katholische. Wir sind vielmehr davon überzeugt, dass sich mit hinreichender Sicherheit die Tatsächlichkeit, die Geschichtlichkeit dieses Ereignisses beweisen lässt. Es muss so sein. Ein Glaube, der die Bodenhaftung der Geschichte aufgibt, ist in Gefahr, zu einer luftigen Spekulation zu werden. Es kann der Glaube nicht durch die Geschichte gewissermaßen aufgerollt werden. Ein Glaube, der die Vernunft und die Wissenschaft gegen sich hat, ist kein christlicher Glaube. Ein Glaube, der ohne die Vernunft und ohne die Wissenschaft auskommen will, ist kein katholischer Glaube. Gewiss, Vernunft und Wissenschaft erzeugen nicht den Glauben – der Glaube ist ein Geschenk Gottes, gnadenhaft hervorgebracht –, aber Vernunft und Wissenschaft rechtfertigen den Glauben vor dem Denken, vor dem fragenden Denken des Menschen. Wir wollen deswegen am heutigen Festtag der Auferstehung des Herrn, uns drei Gegenständen zuwenden. Nämlich

1.    der Unterscheidung zwischen der geschichtlichen Auferstehungstatsache und dem Glaubensgeheimnis der Auferstehung, 

2.    der Eigenart der Auferstehungsberichte der Evangelien und                                       

3.    der Erklärung der Lücken und Differenzen in den Auferstehungsberichten.       

Unser erster Gegenstand ist die Unterscheidung zwischen geschichtlicher Auferstehungstatsache und dem Glaubensgeheimnis der Auferstehung. Die Auferstehung liegt nach Ort und Zeit fest. Sie ist geschichtlich, denn sie erfolgt in einem bestimmten Zeitpunkt der Weltgeschichte unter dem Landpfleger Pontius Pilatus, und sie steht als geschichtliche Tatsache dem natürlichen Erkennen offen. Gleichzeitig aber ist das Wesen der Auferstehung ein übernatürliches Geheimnis, das nur im Glauben erfasst werden kann und der natürlichen Einsicht entzogen ist. Übernatürlich ist einmal die Art und Weise, wie ein toter Leib wiedererweckt wurde, und erst recht übernatürlich ist das Wesen dieses Leibes, der in einer verklärten Gestalt, in der das Göttliche durchschien, zum Leben erweckt wurde. Der Auferstandene hat sich gezeigt. Die Zeugen haben ihn gesehen, haben ihn betastet, sie haben mit ihm gesprochen, sie haben mit ihm gegessen. „Jesus hat sich als lebend erwiesen durch viele Beweise“, schreibt Lukas in der Apostelgeschichte. Nicht umsonst steht im griechischen Text das Wort „tekmerion“, d.h. eine sichere, einleuchtende, beweiskräftige Tatsache. Damit aber die Auferstehung gleichzeitig auch das göttliche Geheimnis den Menschen offenbart, erscheint der Auferstandene plötzlich, verschwindet wieder, geht durch verschlossene Türen, wird nicht erkannt. Die Tatsache der Auferstehung ist vom Herrn durch viele Beweise seinen Jüngern vorgeführt worden. Wozu? Nun, erstens, weil ihre Herzen nicht bereitet waren, sodass sie mit Leichtigkeit den Glauben angenommen hätten. Deshalb sagt der Herr zu ihnen: „O ihr Unverständigen. Wie ist euer Herz so stumpf, all das zu glauben, was die Propheten gesagt haben.“ Er schalt ihren Unglauben und ihre Herzenshärte. Zweitens sollte ihr Zeugnis größere Durchschlagskraft erhalten durch die von ihnen wahrgenommenen Zeichen. In diesem Sinne schreibt Johannes: „Was wir gesehen und gehört, was wir mit unseren Händen betastet haben, das verkündigen wir euch.“ Die Tatsache der Auferstehung Christi lässt sich von einem reinen, die Wahrheit liebenden Herzen mit den Mitteln historischer Forschung beweisen. Wodurch werden in der Vergangenheit liegende Ereignisse bewiesen? Durch Zeugen. Andere Beweismittel gibt es in zahllosen Fällen nicht. Zeugen bezeugen das, was sie erlebt haben, und so auch die Auferstehung oder besser den Auferstandenen Jesus Christus. Dessen übernatürliches Wesen dagegen ist uns unbegreiflich. Jawohl, es ist unbegreiflich. Wir können nicht verstehen, wie ein toter Leib erweckt und verwandelt werden kann.

Dadurch, dass der Auferstehungsglaube auf eine geschichtliche Tatsache bezogen ist, unterscheidet er sich grundsätzlich von den Mythologien, in die so manche – Gott sei es geklagt –, in die so manche evangelische Theologen die Auferstehung versetzen wollen. In den Religionen des Orients ist tatsächlich von sterbenden und auferstehenden Heilsgöttern die Rede: Marduk, Adonis, Attis, Osiris, Persephone, der kretische Zeus, das alles sind sterbende und auferstehende Götter. Aber diese Vorstellungen sind durch zwei massive Gründe von der Auferstehung Christi zu unterscheiden. Erstens: Die Erzählungen von den Göttern sind naturhaft. Es handelt sich bei ihnen nicht um einmalige, auf den eschatologischen Höhepunkt der Heilsgeschichte bezogene Tatsachen, sondern um immer wiederkehrende Vorgänge aus der Natur. In ihnen wird das Sterben und Auferstehen der Natur abgebildet. Was wir in den Mythologien vor uns haben, das sind personifizierte Symbole der vergehenden und werdenden Natur. Die leibliche Auferstehung Jesu dagegen ist ein einmaliges, geschichtliches Ereignis, das sich nicht wiederholt! Zweitens: Die Mythologien sind ungeschichtlich. Es ist zwecklos zu fragen, in welcher Olympiade Orpheus in die Unterwelt gegangen sei, um seine Gemahlin wieder heraufzuholen. Es ist zwecklos zu fragen, unter welchem Konsulat Isis den Leichnam ihres Mannes Osiris gefunden hat. Es ist zwecklos zu fragen, in welchem Jahre, seit der Gründung der Stadt Rom, Dionysos zerstückelt worden ist. Der griechische Schriftsteller Plutarch warnt in seinem Buche über Isis und Osiris die Leser davor, bei der Erzählung von den Göttermythen anzunehmen, es handele sich um wirkliche Begebenheiten. „Mit dergleichen Fabeln“, so schreibt Plutarch, „mit dergleichen Fabeln“ dürfe man sich nicht wie mit geschichtlichen Tatsachen abgeben.

Der zweite Gegenstand, dem wir uns zuwenden wollen, ist die Eigenart der Auferstehungsberichte der Evangelien. Die Evangelisten waren keine geschulten Historiker. Sie waren einfache Männer aus dem Volke, wenn auch gebildet wie Lukas, der Arzt. Aber sie waren keine geschulten Geschichtsschreiber wie Thukydides oder Tacitus und Herodot. Ihre Methode ist deswegen einfach referierend. Sie geben das wieder, was sie erlebt oder was andere ihnen berichtet haben. Freilich auch unter lehrhaften Gesichtspunkten, sie haben ihre bestimmten Absichten, warum sie etwas erzählen, wie wir gleich sehen werden. Aber noch einmal: Es ist diese einfache Geschichtsschreibung, wie sie von Männern, die keine geschulten Historiker waren, uns vorgetragen wird. Dazu kommt: Die Auferstehungsberichte sind relativ – nämlich verglichen mit der Passionsgeschichte – dürftig. Die Passionsgeschichte ist sehr umfangreich – wir haben sie ja viermal gehört in der vergangenen Woche –, aber die Auferstehungsberichte sind knapp und kurz gehalten. Wie kommt es dazu? Nun, die Kreuzigung Jesu ist in voller Öffentlichkeit geschehen, vor dem Stadttore von Jerusalem, an einer belebten Straße, Hunderte haben sie miterlebt. Die Auferstehung dagegen erfolgte in der Stille des Grabes ohne einen einzigen Zeugen. Die Wächter sahen nur den Engel. Weder sie noch die Hohenpriester noch das Volk haben den Herrn jemals gesehen. Sie werden ihn erst wiedersehen bei der Parusie. Man kann auch nicht auf Visionen ausweichen. Mag sein, dass manche Menschen Erscheinungen von ihren Verstorbenen haben, aber das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Erscheinungen Jesu vor seinen Jüngern. Denn die Visionen von Verstorbenen stellen den Menschen dar, wie er vor dem Tode war. Die Erscheinungen, die Jesus den Seinen gewährt hatte, zeigen ihn, wie er durch die Verklärung geworden ist. Die Visionen von Verstorbenen, die manche Menschen zu haben behaupten, ändern auch nichts daran, dass die Leichen der Verstorbenen in den Gräbern liegen. Anders bei den Erscheinungen des Auferstandenen. Das leere Grab und die Erscheinung gehören zusammen. Schon am Pfingsttage weist Petrus darauf hin, dass das leere Grab für den Nachweis der Auferstehung Jesu sehr wichtig ist. Er sagt: „Da habt ihr das Grab des David, und da ist er verwest; im Unterschied zum Grabe Jesu, das leer ist.“ Es hat niemals, meine lieben Freunde, es hat niemals eine Verkündigung von der Auferstehung Jesu gegeben, die nicht auf das leere Grab hingewiesen hätte. Aber das leere Grab war noch keine eindeutige Aufzeigung der Auferstehung Jesu. Magdalena nahm zunächst an, dass man den Leichnam Jesu fortgeschafft hätte; der Gärtner könnte ihn ja beseitigt haben. Die Jünger standen vor einem Rätsel. Im Jahre 1768 hat der evangelische Theologe Hermann Samuel Reimarus die These aufgestellt, der Leichnam Jesu sei von den Jüngern gestohlen worden. Er hat damit das Gerücht aufgenommen, das die Hohenpriester und der Hohe Rat verbreiten ließen. Meine lieben Freunde, die niedergeschlagenen und furchtsamen Jünger sollen den Leichnam Jesu entwendet haben. Woher nahmen sie den Mut, ein mit hohen Strafen bedrohtes Verbrechen zu begehen? Warum wurden keine Ermittlungen angestellt, um nach den Grabräubern zu forschen? Warum wurde keine Anklage erhoben gegen die Jünger? Weil diese Lüge in sich selbst zusammengebrochen ist. Die Jünger sollen dann durch das von ihnen begangene Verbrechen zum Glauben an die Auferstehung gekommen sein. Seit wann, meine lieben Freunde, lässt man sich für eine verbrecherische Handlung ans Kreuz schlagen? Seit wann lässt man sich geißeln, wenn man für eine Lüge eintritt? Erst die Erscheinungen haben eindeutig nachgewiesen, warum das Grab leer gewesen ist: Weil der, der sich darin befunden hat, in verwandelter Gestalt auferstanden ist. Erst die Erscheinungen geben dem leeren Grab die letzte Sicherheit. Freilich geschahen auch die Erscheinungen in einer gewissen Verhüllung. Der Auferstandene steht in der Mitte der Apostel, und sie erschrecken. Warum erschrecken sie? Weil sie ihn zunächst nicht wiedererkennen. Magdalena meint, den Gärtner vor sich zu haben, als sie Jesus sieht. Die Emmausjünger sprechen von einem „Fremdling“, der sich ihnen angeschlossen hat. Warum diese Verhüllung? Warum diese Verborgenheit? Sie wird ergänzt durch die Berichte über die Zeichen der Herrlichkeit, die sich an Jesus offenbar machen: Er kommt bei verschlossenen Türen; er verschwindet wieder; er ist wie ein Geist und hat doch körperliche Merkmale. Die ungläubige Exegese schließt aus dieser Gegensätzlichkeit des irdischen und des verklärten Christus, dass diese Erlebnisse erfunden seien. In Wirklichkeit ergänzen sie sich, fordern sie sich. Er musste als Mensch, als der Christus, der mit den Jüngern gewandelt ist, erkennbar sein; und er musste als Gott sich offenbaren, indem er wunderbare Vorgänge den Jüngern zeigte, die sie bisher an ihm noch nicht erlebt hatten.

Man kann fragen: Warum hat sich Jesus nur der kleinen Jüngerschar gezeigt? Die Antwort lautet: Weil nur sie Jesus aus dem langen Umgang mit ihm kannten und deswegen imstande waren, ihn wiederzuerkennen. Denn der Auferstandene erschien in anderer Gestalt als der galiläische Wanderprediger. Der zweite Grund, warum Jesus nur der Jüngerschar erschienen ist, liegt darin, dass nur sie berufen waren, ihn, den Gekreuzigten und Auferstandenen, in die Welt zu tragen. Sie mussten überzeugt werden, damit sie das Zeugnis weitergeben konnten. Man kann weiter fragen: Warum waren die Erscheinungen so flüchtig, manchmal nur kurze Augenblicke? Meine lieben Freunde, wenn Jesus bleibend bei den Jüngern gewesen wäre, dann wären sie auf die Meinung gekommen, er habe sein früheres Leben wieder aufgenommen. Aber das ist eben gerade nicht der Fall. Jesus hat nicht das frühere Leben – wie Lazarus – wieder aufgenommen, sondern er ist in die Seinsweise der Verklärung eingegangen. Er gehört einer anderen Welt an, der Welt des himmlischen Vaters. Man kann noch eine andere Frage stellen, nämlich: Warum ist er nicht seinen Feinden erschienen? Dem Hohen Rat? Meine lieben Freunde, die Feinde Jesu haben nicht zum Glauben gefunden, als er unerhörte Wunder und Zeichen gewirkt hat, sie wären auch nicht zum Glauben gekommen, wenn der Auferstandene sich ihnen gezeigt hätte. Damals sagten sie: „Durch den Bund mit dem Teufel wirkt er die Wunder.“ Sie haben also die Tatsächlichkeit der Wunder nicht bestritten, aber sie haben sie verdächtigt. Jetzt hätten sie gesagt: „Der Auferstandene ist ein Gespenst.“ Gegen Verstocktheit ist auch Gott ohnmächtig! Warum erschien der Auferstandene in Verhüllung? Meine Freunde, die Mysterien Gottes können nicht anders offenbart werden als in einer Verhüllung, die auch der Glaube nicht beseitigen kann. Das ist gerade die wahre Situation des Glaubenden: diese Verborgenheit, diese Unanschaulichkeit des Geheimnisses. Dem Glauben würde das Verdienst fehlen, wenn sein Gegenstand leicht und ohne Anstrengung ergriffen werden könnte. Gott will aber mit seiner Offenbarung nicht überwältigen, sondern überzeugen. Der Unterschied zwischen Glaube und Schau, zwischen Pilgerstand und Vollendung muss bestehen bleiben. Das irdische Leben ist Vorbereitung; das himmlische Leben ist Erfüllung. Der Wanderer ist unterwegs und streckt sich nach dem Ziel aus; der Heimgekommene nimmt die beseligende Schau in Besitz.

Drittens möchte ich etwas sagen zu den Spannungen und Differenzen, die zweifellos in den Auferstehungsberichten vorhanden sind. Wer bösen Willens ist, kann gewisse Unstimmigkeiten gegeneinander ausspielen. Wer guten Willens ist, vermag sie zu erklären und zu vereinbaren. Ein evangelischer Pfarrer in Bremen hat ein Buch geschrieben, in dem er die scheinbaren Gegensätze und Widersprüche aufzulösen bemüht ist. Ein Beispiel: Dass die Frauen am Grabe, nach Lukas, zwei Engel sehen, nach Markus aber nur einen, scheint ein Widerspruch zu sein. Es kommt aber, wenn man näher hinschaut, bei diesem Bericht allein auf die Botschaft an, welche die Frauen empfangen, nämlich dass der Herr auferstanden ist. Und diese Botschaft wurde von einem der Engel ihnen ausgerichtet, nicht im Sprechchor. Und deswegen genügte es, dass Markus und auch Matthäus nur von einem Engel sprechen. Außerdem haben die Evangelisten, die man neuerdings als Redaktoren bezeichnet, mit Absicht bestimmte Schwerpunkte in ihren Berichten gesetzt. Markus gibt den kürzesten Bericht von der Auferstehung. Er erzählt eigentlich nur die Ankunft der Frauen am Grabe, die einen weißgekleideten Jüngling sehen, der ihnen die Auferstehung verkündet, wie wir ja vorhin im Evangelium gehört haben. Markus schließt seinen Bericht damit, dass die Frauen aus Furcht zunächst nichts erzählen. Dieser karge Bericht wird dann durch einen zweiten Markusschluss ergänzt. Indem Markus nur das Allernotwendigste erwähnt, setzt er die Tatsache der Auferstehung bei seinem Leserkreis als vollkommen bekannt voraus. Es hat kein Christentum gegeben ohne die Überzeugung von der leibhaftigen Auferstehung Jesu. Aber: Markus will die Tür für eine Sinnesänderung der Hohenpriester und des irregeleiteten Volkes offenhalten. Und deswegen stellt er ihre Schuld und ihre Verstocktheit nicht in grellstem Lichte dar, fügt vielmehr hinzu, dass auch die Jünger nur schwer zum Glauben kamen. All das soll den Unglauben der Hierarchen und des Volkes nicht entschuldigen, aber es soll ihn verständlich machen. Markus ist bemüht, die letzen Brücken zu einer Bekehrung nicht abzubrechen. Er hofft noch auf eine Sinnesänderung. Anders ist die Situation bei Matthäus. Er muss seinen Lesern begreiflich machen, warum die Juden verworfen und das Heil an die Heiden übergegangen ist. Und deswegen berichtet er von den Erscheinungen nur die auf dem Berge in Galiläa, bei der Jesus die Jünger zu den Heidenvölkern entsandte. Matthäus will seinen Lesern zeigen, wie die Apostel von der Hauptstadt Jerusalem losgerissen wurden und in die Fremde nach Galiläa gingen, um so sinnbildlich darzustellen, dass das Evangelium jetzt seinen Weg aus dem Judenlande zu den Heiden nehmen wird. Wieder anders: Lukas. Er gibt die Worte des Auferstandenen wieder, es müsse auf seinen Namen die Herzensumkehr und die Sündenvergebung bei allen Völkern gepredigt werden, zuerst aber in Jerusalem. Lukas will mit seinen Lesern – das sind die Heidenchristen – die Sendung an alle Völker aus Jerusalem ausgehen lassen. Warum? Weil hier das heilbringende Leiden und Sterben des Herrn sich zugetragen hat. Weil er hier siegreich aus dem Grabe erstanden ist. Das ist seine Absicht, weswegen er die Jerusalemer Erscheinungen berichtet. Das ist kein Gegensatz, wie der Unglaube sagt, sondern das ist eine überlegte Absicht, die den Evangelisten bestimmen. Johannes vollends, als der letzte der Evangelisten, setzt die Fragen um die Auferstehung Jesu als bekannt voraus. In dieser Zeit war es für das Christentum überhaupt keine Frage mehr, dass der Auferstandene bei ihnen war. Er berichtet deswegen nur drei Erscheinungen, nämlich vor Magdalena, vor den Jüngern ohne Thomas und vor den Jüngern mit Thomas. Die Erscheinung vor Thomas ist besonders instruktiv. Warum legt Johannes so großen Wert auf diese Erscheinung? Man kann sagen: Ja, er wollte halt den Thomas gewinnen, er wollte ihn überzeugen. Gewiss mag das eine Rolle gespielt haben, aber ich könnte mir denken, dass noch eine andere Absicht dahinterstand. Nämlich: Nur Johannes weist hin auf die Seitenwunde Jesu. Er war ja unter dem Kreuz gestanden und hatte beobachtet, wie der Soldat mit seiner Lanze die Seite Jesu öffnete, und sogleich floss Blut und Wasser heraus. Aus dieser Seitenwunde quillen die Sakramente der Kirche: Taufe und Eucharistie. Und das will Johannes seinen Lesern unterbreiten, und deswegen betont er so, dass Thomas seine Hand in die Seitenwunde des Herrn legte. Jesus forderte ihn auf, und er tat es. Die Berichte von der Auferstehung Jesu lassen sich, meine lieben Freunde, wer guten Willen hat, widerspruchsfrei verstehen. Unser Glaube steht nicht im Gegensatz zur Geschichte. Von dem Auferstandenen gilt dasselbe wie von dem Prediger und Wunderheiler Jesus: „Was wir gesehen, was wir gehört, was wir mit den Händen betastet haben, das verkündigen wir euch.“ Der Auferstandene ist das Herzstück des Evangeliums. Christus, der Auferstandene, ist das Evangelium. Die Auferstehung Jesu ist eine Wende, aber nicht eine beliebige Wende, sondern die Weltwende, in der die Welt ganz anders wurde als durch alle früheren Wenden und Krisen. Der Gekreuzigte ist der Auferstandene. Von ihm gilt das Wort: „Christus siegt, Christus herrscht, Christus gebietet in alle Ewigkeit.“

Amen.

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