Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Oktober 2012

Der Sieg der Wahrheit in Nicäa

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eines Tages, als die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus: „Was dünkt euch vom Messias? Wessen Sohn ist er?“ Sie antworteten: „Der Sohn des David!“ Jesus entgegnete: „David nennt ihn seinen Herrn. Wie kann er da sein Sohn sein?“

Die Frage nach dem Wesen Jesu ist in 2000 Jahren Kirchengeschichte nicht verstummt. Immer wieder und immer erneut unternehmen es Menschen, eine Antwort zu finden auf die Frage: „Was dünkt euch von Christus?“ Die Christenheit hat von Anfang an versucht, in das Wesen und in die Art Jesu einzudringen. Die Heilige Schrift bezeugt dieses unaufhörliche Bemühen, Jesus zu verstehen. Die Jünger Jesu und seine Anhänger gaben ihm „Würdenamen“, „Hoheitstitel“, die seine Wesensart aufdecken sollten. „Jesus ist der Christus“, das heißt „der Messias“, er ist der „Menschensohn“, der Menschensohn, den der Prophet Daniel verkündet hatte. Er ist der „Gottessohn“. Das ist wohl die höchste Aussage: „Der Gottessohn!“ Das alles ist richtig und notwendig. Aber es beantwortet nicht die entscheidende Frage, nämlich: „Wie steht Jesus zu Gott, dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde?“

Im Johannesevangelium wird uns darüber genauere Auskunft gegeben. Da sagt Jesus von sich: „Ich und der Vater sind eins. Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Aber auch: „Der Vater ist größer als ich!“ Das sind gewaltige Selbstzeugnisse, aber wie sind sie zu verstehen? Wie lassen sie sich widerspruchsfrei vereinen? Das christliche Denken hat einen Ausgleich gesucht. Die Kirche konnte sich mit der Wiederholung der biblischen Aussagen nicht begnügen. Warum nicht? Weil damit dem Verstehen keine Hilfe geleistet worden wäre. Und weil die falschen Ansichten damit nicht zurückgewiesen werden konnten. Sie mußte die biblischen Bilder in Begriffe der Philosophie übersetzen. Sie hat diese Aufgabe geleistet. Die Gelehrten, das Gottesvolk, sie alle haben daran mitgearbeitet, in das Wesen Jesu einzudringen.

Die Gelehrten, die es unternahmen, das Wesen Jesu zu bestimmen, gingen damit ein erhebliches Risiko ein, nämlich das Risiko, sich zu verirren, das Risiko, die Wirklichkeit Jesu zu verfehlen. Aber ohne Versuch gibt es kein Gelingen. Entscheidend war die Antwort auf beiden Fragen:

1. Ist Jesus Gott oder ein Geschöpf Gottes?

2. Wenn er Gott ist, wie ist der Glaube an die Gottheit des Sohnes mit dem Glauben an die Einheit Gottes zu vereinigen?

Es wurden zwei Lösungen vorgeschlagen, die beide in die Irre gingen. Die einen erklärten: „Christus ist ein bloßer Mensch, aber er ist mit Gottes Kraft in besonderem, in einzigartigem Maße ausgestattet.“ Die anderen sagten: „In Jesus ist der Vater auf die Erde gekommen. Der Vater hat verschiedene Offenbarungsweisen angenommen.“ So war entweder die Gottheit des Sohnes oder der persönliche Unterschied zwischen Vater und Sohn preisgegeben. So ging es nicht! Die Kirche hat deswegen diese beiden Gruppen aus ihrem Schoße ausgeschlossen. Weit verbreitet war die Neigung, den Sohn, ohne freilich seine Gottheit zu leugnen, dem Vater unterzuordnen. Man nennt das Subordinationismus. Die andere Weise Jesus zu verstehen, vor allem in der Römischen Kirche, bestand darin, dass gelehrt wurde: „Vater und Sohn sind im Wesen gleich.“ Diese Lehre, die in der Schrift begründet ist, „Ich und der Vater sind eins“, diese Lehre trat im Glaubensbewusstsein der Kirche immer deutlicher hervor und wurde auch im vierten Jahrhundert bestätigt, aber nach langdauernden Kämpfen. In Alexandrien, das ist das heutige Ägypten, in Alexandrien trat ein Mann, ein Priester auf namens Arius. Er war ein gescheiter Mann, er war ein Gelehrter, aber er ging in die Irre. Er ordnete den Sohn dem Vater unter. Er sprach ihm das göttliche Wesen und die göttlichen Eigenschaften ab. Namentlich die Ewigkeit und das „Aus-Gott-Sein“. Er lehrte: „Es gab eine Zeit, wo der LOGOS, also Jesus, nicht war. Aus Nichtseiendem ist er geworden.“ Das waren seine Hauptsätze. Der LOGOS Jesus Christus ist also ein Geschöpf, ein Gebilde des Vaters. Er ist als erstes und vornehmstes Geschöpf geschaffen, aber eben als Geschöpf. Er ist veränderungsfähig, er ist entwicklungsfähig, er ist dem Wesen nach dem Vater fremd, dem Wesen nach dem Vater fremd, nur dem Willen nach mit ihm geeint. Und in der Voraussicht seiner Verdienste hat ihn der Vater als Sohn angenommen. Er ist Gott, aber in einem übertragenen Sinne, nicht im wirklichen Sinne, nicht im metaphysischen Sinne. Das heißt: Arius hat Jesus Christus zu einem Halbgott, zu einem Heros, wie man ihn aus den heidnischen Religionen kannte, erniedrigt.

Der Bischof von Alexandrien, anders als unsere Bischöfe, der Bischof von Alexandrien trat ihm sofort entgegen und hat ihn, als er unbelehrbar blieb, aus der Kirche ausgeschlossen. Aber seine Lehre war damit nicht erledigt. Sie nahm größere Ausdehnung an, sie fand Anhänger, vor allen bei den Germanenstämmen. Sie waren die hartnäckigsten Anhänger des Arius. Und auch unter Bischöfen gab es Gefolgsleute, vor allem den Eusebius von Nikomedien. Nikomedien war damals die Hauptstadt des Reiches. Und Eusebius wirkte dort und hatte das Ohr des Hofes. Es regierte damals Kaiser Konstantin. Konstantin war noch ungetauft. Er war höchstens Katechumene, aber Konstantin trat auf die Seite der Gegner des Arius. Er schickte den Hosius, einen Bischof aus Spanien, nach Alexandrien, um die Versöhnung zwischen dem Bischof und dem Priester zu betreiben, aber sie mißlang. Da beschloß der Kaiser ein Reichskonzil einzuberufen, und zwar nach Nicäa. Nicäa ist das heutige Iznik in der Türkei. Dort trat das Konzil im Jahre 325 zusammen, und zwar von Mai bis Juli. Arius war zugegen. Er durfte seine Lehre verteidigen, siebzehn Bischöfe traten auf seine Seite. Aber es waren immerhin dreihundert oder dreihundertachtzehn Bischöfe anwesend. Die Synodalverhandlungen gestalteten sich außerordentlich bewegt, so dass der Kaiser eingreifen musste und zur Eintracht und zum Frieden mahnte.

Es wurden drei Glaubensbekenntnisse vorgelegt. Das erste war arianisch und wurde sofort abgewiesen. Das zweite war vermittelnd. Man beschränkte sich bei diesem zweiten vorgelegten Glaubensbekenntnis auf biblische Wendungen, aber damit war eben keine Klarheit geschaffen, denn die biblischen Wendungen wurden verschieden ausgelegt. Und so kam ein drittes Glaubensbekenntnis zustande, von Bischof Hosius und Athanasius formuliert. Es ist das Glaubensbekenntnis, meine lieben Freunde, das wir heute, wie in jeder Sonntagsmesse feiern und bekennen. Da heißt es, dass der Sohn Gottes aus dem Wesen des Vaters sei. Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, nicht halber Gott, gezeugt. Damit wird abgewiesen, dass er geschaffen sein soll. Zeugung ist der Hervorgang eines Wesensgleichen. Gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater. Das ist das entscheidende Wort: homoousios im Griechischen. Wesensgleich dem Vater. Das wurde das Fanal und das Banner der Rechtgläubigen. Homoousios – wesensgleich! Und dann wurden die Sätze des Arius abgewiesen, dass es eine Zeit gegeben habe, wo er nicht existiert habe. Dass er aus dem Nichts geworden sei, dass er der Wesenheit nach dem Vater verschieden sei. Arius wurde aus der Kirche ausgeschlossen, mit dem Anathema belegt, und seine Bücher, seine Schriften wurden verbrannt. Das Konzil von Nicäa wurde fast allgemein angenommen, zunächst – fast allgemein angenommen. Aber die Irrlehre war damit nicht besiegt, sie hatte hohe Gönner. Zwar nicht den Konstantin, aber dessen Nachfolger Konstantius. Dieser Kaiser Konstantius war Arianer, und er verschaffte dem Arianismus wieder weite Verbreitung. Es traten mehrere Synoden zusammen, die die arianische Lehre verkündeten, so dass Hieronymus schreiben konnte: „Der Weltkreis wunderte sich, dass er arianisch geworden war.“ Dabei ist es aber nicht geblieben. Erstens einmal starb der Konstantius im Jahre 350, und es kamen andere Kaiser. Es traten auch viele rechtgläubige Bischöfe mit Wort und Schrift für die reine Lehre ein, vor allem die großen Kappadokier. In unseren Gegenden Hilarius in Gallien, die Päpste Liberius und Damasus, und unter Kaiser Theodosius dem Großen wurde die rechte Lehre zum Siege geführt. Er hat 380 ein Gesetz erlassen: „Das ganze Reich hat die Lehre von Nicäa anzunehmen!“ Nur bei den Goten, bei unseren Germanen, da hielt sich die Lehre noch länger.

Die geschilderten Personen und Ereignisse zeigen, wie ernst die Kirche die Beantwortung der Frage genommen hat: „Was dünkt euch von Christus?“ Die Väter von Nicäa haben gewiß alle menschlichen Mittel benutzt, um zur Klarheit zu kommen. Die Denkgesetze, philosophische Begriffe, die Heilige Schrift, die Überlieferung. Die Kirche hat aber in Nicäa auch zum Heiligen Geist gefleht. Mit großer Intensität, damit er sie erleuchte und zur Erkenntnis der Wahrheit führe. Damit war sie bei der richtigen Adresse. Der Heilige Geist hat nicht nur durch die Propheten gesprochen. Der Heilige Geist hat nicht nur die Autoren der Heiligen Schrift inspiriert. Der Heilige Geist ist in der gesamten Geschichte der Kirche gegenwärtig, genauso wie im Urchristentum. Jede Periode der Geschichte ist unmittelbar zu Gott. Der Heilige Geist war daher in Nicäa nicht weniger wirksam als am ersten Pfingstfest der jungen Kirche. Der Sieg der Christen, welche die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn bekannten, ist nicht der Erfolg einer Partei, sondern der Triumph der Wahrheit. Die Konzilsväter, die diese Lehre durchsetzten, waren die Werkzeuge des Heiligen Geistes. Von ihm hatte Jesus einst verheißen, dass er seine Jünger in alle Wahrheit einführen werde. Auf dem Konzil von Nicäa hat er es in wunderbarer Weise getan.

Sie fragen mich vielleicht: „Warum erzählen Sie uns diese alten Sachen?“ Meine lieben Freunde! Ich bräuchte von der Irrlehre des Arius nicht zu sprechen, wenn sie nicht heute auf protestantischer Seite herrschend geworden wäre! Und leider, leider auch von manchem katholisch sich nennenden Theologen vertreten würde. Fast die gesamte neuere protestantische Theologie gibt das christologische Dogma von Nicäa auf. Die Lehre von dem ewigen Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, wird als Mythologie ausgegeben. Jedes Seinsurteil über Christus wird abgelehnt. Die altkirchlichen Dogmen stellen nach dem Urteil der meisten protestantischen Theologen einen Fremdkörper dar. Die Dogmenautorität wird radikal bestritten. Leider fehlt es nicht an katholischen Theologen, die mehr oder weniger offen die Gotteswürde Jesu verschweigen oder ablehnen. Der bekannteste ist der Tübinger Theologe Küng. Das kirchliche Lehramt ist in diesem Falle nicht untätig geblieben. Die deutschen Bischöfe haben am 17. November 1977 erklärt: „Der Schweizer Theologe Küng lässt die Gottheit Jesu unter den Tisch fallen.“ Damit hat er sich nicht bloß vom Konzil von Nicäa verabschiedet, sondern sich vom Glauben der Kirche getrennt. Die Behauptung, man könne die Person Jesu auch anders bestimmen als das Konzil von Nicäa, ist unzutreffend. Noch niemand hat eine Wesensbeschreibung Christi vorgenommen, die mit der von Nicäa konkurrieren könnte. Was das Konzil von Nicäa verkündet hat, ist bleibend gültig! Deswegen beten wir eben, auch heute in unserer Heiligen Messe, das nicänisch-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis, wie in jeder Sonntagsmesse.

Lassen Sie sich, meine lieben Freunde, nicht irre machen. Was das Konzil von Nicäa verkündet hat, ist keine zeitgebundene, überholbare Meinung, sondern das Zeugnis des Geistes der Wahrheit. An uns ist es, den Glauben, der sich in Nicäa sieghaft durchgesetzt hat, festzuhalten und an kommende Generationen weiterzugeben.

Amen.

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