Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Februar 2011

Gute Früchte bringen mit Hilfe der Gnade

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus Christus sitzt am Rande des Galiläischen Meeres, des Sees Genesareth, und die Landschaft bietet ihm das Material zur Illustration seiner Wahrheit. Den See umgibt ein Pfad, aber er ist festgetramptelt von den Eseln und Pferden, die darauf schreiten. Darüber erhebt sich wie auf den Rebhängen der Mosel und des Rheins ein Fels, ein steiniges Gebiet. Zwischen den Felsen wachsen Disteln, Dornen, und erst ganz oben beginnt das fruchtbare Land. „Wer Ohren hat, zu hören, der höre!“ Das ist ein Aufruf  zum Vernehmen der Botschaft, die der Herr uns vermitteln will. Er spricht zu den Menschen, die aus der Nordprovinz, aus Galiläa, zu ihm geeilt sind aus den Städten und Dörfern. Aber er spricht auch zu seinen Jüngern. Es ist ja seine Gemeinschaft gewissermaßen ein wandelndes Priesterseminar, und der Herr unterrichtet sie über die Sämannsarbeit, die Arbeit, die dem Priester, die dem Seelsorger aufgegeben ist.

Alle Seelsorge ist Sämannsarbeit, und der Samen ist gut, aber das Erdreich, auf das er trifft, ist nicht immer gut. Einiges fiel auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels pickten es auf. So vieles, was vom Sämann, was vom Priester, was vom Seelsorger ausgeworfen wird, kommt unter die Räder, wird zertreten von den Hufen. So viele innere und äußere Gnaden werden mißachtet, abgewiesen, verschmäht. Heilsame Lehren von Eltern und Großeltern werden als nicht zeitgemäß, als veraltet, als überholt abgetan. Nützliche Begegnungen mit klugen und weisen Menschen werden in den Wind geschlagen. Vieles, was als Samen ausgeworfen wird, wird von den Menschen nicht einmal angenommen. Es gibt nicht einmal einen Anfang des Wachstums. Sie haben für alles Zeit. Sie haben Zeit für Fußball und Fernsehen, für Fassenacht und Reisen. Aber sie haben keine Zeit für Gott. Acht Prozent Kirchenbesucher in Budenheim, acht Prozent! Die Glocken laden ein zum Messopfer, aber die Geladenen folgen dem Ruf nicht. Das Gastmahl ist bereitet, aber die Gäste sind seiner nicht wert. Es ist gefährlich, die Gnade Gottes abzuweisen; es ist gefährlich!

Anderes fällt auf steinigen Boden. Es wird ein Anfang gemacht, aber es gibt keinen Fortgang. Der Glaube darf nichts kosten. Gott darf nicht Lästiges und Beschwerliches anordnen. Die Kirche soll sich der Zeit anpassen. „Herr May, Sie müssen mit der Zeit gehen“, sagte mir ein Nachbar. Diejenigen, bei denen der Samen auf felsigen Grund fiel, haben keine Wurzeln. Was ist denn die Wurzel? Die Wurzel ist der Glaube. Wer keinen Glauben hat, der ist im buchstäblichen Sinne wurzellos. Am Glauben hängt in gewisser Hinsicht alles. Wer nicht glaubt, der weiß nicht, wohin er gehen soll, denn der Glaube sagt ihm den Weg. Wer nicht glaubt, der kann weder im Glauben leben noch im Glauben sterben. „Der Glaube ist der Anfang des menschlichen Heils, die Wurzel und die Grundlage aller Rechtfertigung“, hat das Konzil von Trient definiert. Ohne ihn ist es unmöglich, Gott zu gefallen und zur Gemeinschaft seiner Kinder zu gelangen. Die heutige Krise der Kirche ist eine Glaubenskrise. Die Krise der Priesterschaft ist eine Glaubenskrise. Die Krise der Orden ist eine Glaubenskrise.

Einiges fiel unter die Dornen. Es wurde erstickt von den Dornen, denn der Samen braucht nun einmal Feuchtigkeit und Sonne. Die Dornen der heutigen Zeit heißen Arbeit, Erwerb, Lohn, Gehalt. Alles wichtig. Ohne das können wir nicht leben. Aber es muss auch anderes neben Arbeit und Erwerb, neben Lohn und Gehalt geben. Abspannen, Erholung, Urlaub; notwendig, zugegeben. Aber es muss auch anderes geben neben Abspannen, Erholung und Urlaub. Auch Freude und Genuß sei euch gegönnt, aber es muss auch anderes geben. Daneben muss Raum sein für die Religion. Die Religion muss Arbeit, Erholung und Genießen durchdringen, sonst erstickt der Same. Ohne Gebet, ohne regelmäßigen Gottesdienst, ohne Heiligung des Sonntags, ohne Reinigung des Gewissens in einer guten Beicht ersticken Arbeit, Erholung und Genuß die Religion.

Der schottische Schriftsteller Bruce Marshall schildert einmal ein Gespräch zwischen einem Arzt und einem Priester. Der Arzt sagt zu ihm: „Die Religion scheint den Leuten nicht zu helfen.“ Darauf antwortet der Priester: „Vielleicht, weil die Leute der Religion nicht helfen.“ Genau das ist es. Die Menschen müssen der Religion helfen, dass sie sich entfalten kann, dass sie nicht erstickt in der eigenen Sorge.

Ein Viertel des Samens bringt Frucht. Er fällt auf gutes Erdreich, und er trägt Frucht. Oft und oft ist in unseren Evangelien die Rede vom Fruchtbringen. Schon Johannes der Täufer fordert die Frucht: „Bringt würdige Früchte der Buße!“ Und „jeder Baum, der keine Frucht bringt, wir umgehauen und ins Feuer geworfen.“ Auch Jesus fordert wiederholt auf, Frucht zu bringen. „Wer in mit bleibt, der bringt viele Frucht.“ Wir sollen hingehen und Frucht bringen, und dadurch wird der himmlische Vater verherrlicht. Aber er droht auch: „Die Reben, die keine Frucht bringen, verdorren und werden verbrannt.“ Welches ist denn die Frucht der Religion? Dass der Mensch den Blick nach oben lenkt, dass er sich verpflichtet weiß, Gott anzubeten. Das ist seine Pflicht. Es ist seine erste, seine oberste Pflicht, Gott anzubeten, seine Geschöpflichkeit zu erkennen und den Schöpfer zu verherrlichen. Welches ist die Frucht der Religion? Dass der Mensch auf Gottes Gesetz achtet, dass er sein Leben nach diesem Gesetz einrichtet. Ach, meine lieben Freunde, ich bin jedesmal glücklich, wenn ich am Sonntagmorgen den Psalm 118 beten kann, wo dutzende Male das Lob und der Dank für das Gesetz Gottes ausgesprochen ist. Wir wissen dank des Gesetzes Gottes, wie wir handeln müssen. Wir wissen, wohin wir gehen dürfen. Wir wissen, was wir meiden müssen.

Wie steht es bei uns mit unserer Sämannsarbeit? Wo sind denn die Früchte des Samens: harmonische Ehen, kinderreiche Familien, Priesterberufe, Missionare. Sie alle wissen um den beklagenswerten Zustand der Kirche in unserem Lande. Warum gibt es mehr Abgefallene als Dazugewonnene? 28 Kirchenaustritte in Budenheim und 22 Taufen. Warum macht die Kirche in Deutschland den Eindruck des Absterbens? Darauf gebe ich eine doppelte Antwort. Es besteht kein Zweifel, dass die Sorge der Kirchendiener, der Priester und der Laien im kirchlichen Dienst, dass diese Sorge der Verbesserung fähig und bedürftig ist. Zu viele Angestellte der Kirche sind mit fremden Dingen beschäftigt statt mit der Pflege der Seelen, mit dem Ringen um Seelen. Wer für Gott arbeitet, muss seine ganze Zeit und Kraft in den Dienst dieser Arbeit stellen. Als ich vor einigen Jahren meine letzte Vorlesung an der Universität hielt, da habe ich den Studenten gesagt: „Ich habe in meinem Leben kein Privatleben gehabt.“ So muss es sein. Im Dienste Gottes gibt es keinen Acht-Stunden-Tag; der Dienst Gottes duldet keine zeitaufwendigen Hobbys. Man kann nicht als Pfarrseelsorger Studien über Hexenprozesse machen, wie es einer der Priester der Diözese Mainz gemacht hat. Die Sorge der Kirchendiener für die Seelen ist der Verbesserung fähig und bedürftig. Wer im Dienste der Kirche steht, muss loyal und treu und ohne Abstriche seinem Arbeitgeber folgen. Zu viele Bedienstete der Kirche halten sich nicht an die Vorgaben der Autoritäten. Sie lehren nicht die katholische Wahrheit vollständig und lauter und ohne Abstriche. Sie feiern den Gottesdienst nicht nach den Formularen, die die Kirche ihnen an die Hand gibt. Sie unterschreiben Memoranden, Memoranden, die den Marsch in den Protestantismus weisen. Die Sorge der Kirchendiener für die Seelen ist der Verbesserung fähig und bedürftig. Seelsorge muss Menschenfischen sein, Menschen gewinnen, Menschen zurückholen. Missionarische Seelsorge ist gefragt. Aber wo geschieht sie denn? In Budenheim bestimmt nicht. Zu viele Seelsorger begnügen sich mit der kargen Betreuung der wenigen, die den Weg noch in die Kirche finden. Das Werben um die Entfernten und Abständigen findet nicht statt.

Das ist der eine Grund für den Rückgang des Glaubens, für den Verlust so vieler Gläubiger. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Das Ungenügen der Seelsorge erklärt nicht alles. Das Evangelium des heutigen Sonntags zeigt die andere Ursache unseres Mißerfolgs: Der Samen fällt auf schlechten Boden. Es gibt auch sein Sich-Verschließen gegen die Botschaft Gottes. Es gibt auch ein Weghören gegenüber der Verkündigung der Kirche. Es gibt auch eine ausgesprochene Feindseligkeit gegenüber dem Priester.

Die Kirche wirkt seit 2.000 Jahren. Aber seit 2.000 Jahren stürmt auch der böse Feind gegen sie an. Der Herr erzählt in einem anderen Gleichnis von einem Manne, der guten Samen auf den Acker gesät hat. Aber als die Leute schliefen, kam der Feind und säte Unkraut zwischen den guten Samen. Was die Apostel Christi aufbauen, das suchen die Sendboten Satans einzureißen. Es gibt den Widerstand gegen das Gesetz Gottes. Gott ist anspruchsvoll, und deswegen ist die Erinnerung an seine Gebote vielen lästig. Die Kirche ist anspruchsvoll, und deswegen wird sie madig gemacht.

Manche, wie diese lächerlichen Memorandisten, meinen, die Kirche müsse ihre Sprache ändern, dann würden die Menschen auf sie hören. Zu dieser Meinung sagt der französische Domherr Litry: „Nicht wegen unserer Ausdrucksweise wollen die Leute nicht auf uns hören, sondern weil die Befolgung unserer Lehre sie in ihren Vergnügen stören würde.“ Weil die Befolgung unserer Lehre sie in ihren Vergnügen stören würde!

Unsere Aufgabe ist, säen zu dürfen, aussäen, Sämann sein zu dürfen. Das ist eine hohe Gnade. Der uns beruft, ist der Herr, der Herr, der gesagt hat: „Macht alle Menschen zu meinen Jüngern!“ Für Gott gewinnen, zum Glauben führen, mit der Kirche, mit Gott versöhnen, das ist unsere Aufgabe. „Ich mag nicht allein den Herrn verherrlichen, ich mag nicht allein ihn lieben, ich mag nicht allein ihn umfangen“, hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Nein, wir wollen auch die anderen gewinnen, die Ungläubigen und Irrgläubigen, die Abgefallenen und die Abständigen. Sämann sein, das ist die höchste Berufung, die uns zuteil werden kann. Ein Nachbar sagte einmal zu mir: „Das Schönste am Garten, an der Gartenarbeit, ist doch das Ernten.“ „Nein“, sagte ich, „für mich ist das Schönste das Säen.“ Diese Aufgabe ist hier und jetzt zu erfüllen. Keine Ausrede, keine Ausflüchte, keine Vorwände. Für das Auswerfen des Samens ist jede Zeit geeignet. Die Menschen eines schwachen Glaubens warten auf den Frieden, auf bessere Zeiten, um dann, wie sie sagen, zu handeln. Die Apostel eines starken Glaubens säen in die Stürme hinein, um in den guten Zeiten ernten zu können. Mutlosigkeit, Verzagtheit, kann einen Seelsorger anfallen ob der Erfolglosigkeit seines Wirkens. Ich verstehe die Apostel, die sagten: „Herr, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Ich verstehe sie. Aber dann haben sie doch das Netz wieder ausgeworfen: „Auf dein Wort hin wollen wir das Netz auswerfen.“

Unsere Aufgabe, meine lieben Freunde, kann nie überflüssig werden, denn Gott hat sie gestellt, und Gott ändert sich nicht. Unsere Aufgabe kann nie überflüssig werden, denn die Menschen werden immer wesensmäßig auf Gott verwiesen bleiben. Sie haben eine Anlage für Gott, und die gilt es zu entdecken. Unsere Aufgabe kann nie überflüssig werden, weil die Wahrheit nicht veraltet. Das Evangelium wird nicht überholt. Und wenn die Menschen unsere Botschaft nicht annehmen, haben wir auch noch eine Aufgabe, wir machen sie nämlich unentschuldbar. Es wird ihnen ergehen, wie es Jerusalem ergangen ist. „Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, aber du hast nicht gewollt.“ Es ist gefährlich, Gottes Wort zu verachten. Es ist gefährlich, den Samen verkommen zu lassen. „Wenn man euch nicht aufnimmt“, sagt der Herr, „und auf eure Worte nicht hört, dann geht hinaus aus dieser Stadt und aus diesem Hause und schüttelt noch den Staub von euren Füßen. Ich sage euch: Es wird Sodoma und Gomorrha an jenem Tage erträglicher ergehen als dieser Stadt.“

Welche Mittel, meine Freunde, welche Mittel haben wir, um den Samen auszustreuen? Wir haben drei. Erstens unsere Überzeugung, zweitens unseren Seeleneifer und drittens unser beispielhaftes Leben. Unsere Überzeugung. Wir haben den Glauben überkommen von unseren Eltern, unseren Großeltern, den Priestern. Aber wir haben ihn auch angenommen. Er ist uns vermittelt worden, aber er ist auch unser Besitz geworden. Wir bekennen den Glauben nicht deswegen, weil wir am Alten hängen, sondern weil wir von der Wahrheit durchdrungen sind. Wir vertreten den Glauben nicht, weil wir dafür bezahlt werden, sondern weil wir davon erfüllt sind. Es kommt alles darauf an, immer tiefer überzeugt und überführt vom Glauben zu sein und aus der Überzeugung zu reden. „Was nicht aus deinem Herzen stammt, das dringt auch nicht zum Herzen. Das Licht, das dir im Auge flammt, es leuchtet sehr und zündet mehr als hunderttausend Kerzen.“

Ein zweites Mittel: unser Seeleneifer. Christus hat uns vorgelebt, wie man im Reiche Gottes arbeiten muss: rastlos, unermüdlich, solange Zeit dafür ist, denn es kommt die Zeit, wo man nicht mehr wirken kann. Als Jesus die Händler aus dem Tempel trieb, da kam den Jüngern der Psalmvers ins Gedächtnis: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Verzehrenden Eifer verlangt der Herr von seinen Sämännern. Wir müssen Menschenfischer, Seelenjäger sein. Augustinus ruft uns zu: „Packt an, treibt herbei, schleppt herzu, wen immer ihr könnt. Ihr wißt, ihr führt ihn zu dem, dessen Anblick nur beseligen kann.“

Das dritte Mittel ist unser beispielhaftes Leben. Leben wir, meine lieben Freunde, was wir glauben! Verwirklichen wir, was wir bekennen! Anders hat der Same, den wir auswerfen, keine Chance. Man kann andere Menschen nur zu dem bekehren, was man ihnen selbst vorlebt. Werden wir Christen, die mit ihrer Persönlichkeit die Kirche zieren! Werden wir Christen, von denen die anderen sagen: So möchte ich auch werden. Werben wir für unseren Glauben, indem wir aus dem Glauben leben! Erwerben wir die Tugenden, die der Herr an uns sehen will! Streben wir unermüdlich nach dem Guten! Zeigen wir den Menschen, was die Gnade Gottes in uns vermag! Bestätigen wir das Wort des heiligen Apostels Johannes: „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube!“

Amen.

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