Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Dezember 2010

Todsünden – Abkehr von Gott und Vernichtung der Gnade

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir müssen fähig sein, die schwere von der leichten, die Todsünde von der läßlichen Sünde zu unterscheiden; denn davon hängt viel ab. Wir Priester dürfen die Messe nicht lesen, wenn wir eine Todsünde begangen haben. Wir müssen vorher beichten. Die Gläubigen sind angewiesen, nicht die heilige Kommunion zu empfangen, wenn sie eine Todsünde begangen haben. Sie müssen vorher beichten. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen schwerer und leichter, zwischen Todsünde und läßlicher Sünde so bedeutsam.

Die Bezeichnungen sind verschiedenartig. Wir sprechen von Todsünde, weil diese Sünde den Verlust des göttlichen Lebens in der Seele, der heiligmachenden Gnade, zur Folge hat, von läßlicher Sünde, weil sie ihrer Natur nach nachgelassen werden kann, bisweilen auch von schwerer und von leichter Sünde. Es ist eine neue Unterscheidung aufgetaucht: Todsünde und Wundsünde. Das ist keine schlechte Unterscheidung. Todsünde, die eben das göttliche Leben in der Seele vernichtet, Wundsünde, die es beeinträchtigt. Die Heilige Schrift bezeichnet die Todsünde als Finsternis, als Gemeinschaft mit dem Teufel, als Abkehr von Gott, als Greuel vor Gott, als Gegenstand des Zornes Gottes und als Grund der ewigen Verderbnis. Der heilige Paulus hat in mehreren seiner Briefe sogenannte Lasterkataloge zusammengestellt, also Verzeichnisse von schweren Sünden. „Offenbar sind die Werke des Fleisches“, heißt es im Galaterbrief: „Unzucht, Unlauterkeit, Götzendienst, Giftmischerei, Feindseligkeit, Mordtaten, Trunkenheit, Völlerei. Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ Das ist der entscheidende Satz: Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben. Daran erkennt man, dass es Todsünden sind, weil sie das ewige Verderben nach sich ziehen.

Man kann das Wesen der schweren Sünde, der Todsünde, in mehrfacher Hinsicht erklären. Zunächst einmal in Beziehung zu Gott. Gott ist ja das Ziel unseres Lebens und Strebens. Gott ist das Ziel unserer sittlichen Anstrengung. Wer sich nun von diesem Ziel abwendet, der begeht eine Todsünde. Wer es aufgibt, zu Gott zu streben, wer das als unbedingt verpflichtend erkannte Gute preisgibt, der begeht eine Todsünde. Die bewußte Negation des Guten ist auch die Negation des Schöpfers des Guten, also Gottes. Dagegen ist die läßliche Sünde keine Abwendung von Gott. Sie ist kein Aufgeben der sittlichen Zielrichtung. Der Mensch bleibt unterwegs zu Gott, aber er hält auf dem Wege inne oder macht einen Umweg, einen Abweg. Die Todsünde ist Abkehr von Gott, die läßliche Sünde ist nur Verzögerung des Fortschreitens zu Gott.

Man kann auch den Unterschied zwischen beiden Sünden bestimmen, wenn man die Beziehung zur Gottesliebe betrachtet. Die Todsünde ist das Gegenteil von Liebe. Sie ist gegen die Liebe gerichtet, weil das Geschöpf ein irdisches Ding dem Schöpfer vorzieht. Darin liegt die Verletzung der Liebe. Gott wird hintangesetzt hinter einem scheinbaren irdischen Wert. Es wird der sittliche und der mystische Habitus der Gottesliebe in der Seele zerstört. Dagegen ist die läßliche Sünde kein unvereinbarer Gegensatz zur Liebe, denn sie läßt die Liebe zu Gott bestehen, sie ist nur eine Minderung, eine Trübung der Liebe.

Man kann die beiden Sündenarten auch noch unterscheiden im Verhältnis zum übernatürlichen Leben der Gnade, und das ist ja wohl die geläufigste Unterscheidung, nämlich die Todsünde zerstört, vernichtet die heiligmachende Gnade in der Seele, diese Schönheit, dieses Kleid, das Gott uns geschenkt hat, während die läßliche Verfehlung das göttliche Leben der Seele bestehen läßt. Es wird nur eine gewisse Minderung des heiligen Lebens in unserer Seele dadurch bewirkt. Das Gnadenleben wird gehemmt. So, könnten wir sagen, ist die Wirkung der läßlichen Sünde.

Noch wichtiger als die Erkenntnis des Wesens dieser beiden Sündenarten ist die praktische Unterscheidung von Todsünde und läßlicher Sünde. Das müssen wir ja täglich vollziehen, wenn wir unser Leben betrachten. Haben wir eine Todsünde oder haben wir eine läßliche Sünde begangen? Welche Handlungen bringen eine Todsünde hervor? Eine Todsünde wird begangen, wenn man das göttliche Gesetz in einer wichtigen Sache mit klarer Erkenntnis und in voller Freiheit übertritt. Ich wiederhole noch einmal: Eine Todsünde wird begangen, wenn man das göttliche Gesetz in einer wichtigen Sache mit klarer Erkenntnis und in voller Freiheit übertritt. Wenn nur eines dieser Elemente fehlt, kommt keine Todsünde zustande. Eine wichtige Sache ist also zu bestimmen, ein bedeutender Gegenstand ist zu erkennen. damit wir wissen, ob eine Todsünde vorliegt. Was ist eine wichtige Sache? Selbstverständlich ist ein wichtiger Gegenstand Gott selbst, Gott und Gottes Ehre, die sittliche Vollendung des Menschen, die sittliche Ordnung als solche. Jede ausdrückliche Zurückweisung des sittlichen Endziels, jede grundsätzliche Auflehnung gegen das Sittengesetz, der Haß und die Lästerung Gottes, das sind wesensgemäß schwere Sünden. Diese schweren Sünden werden verhältnismäßig selten vorkommen. Aber andere sind häufiger. Wichtige Gegenstände sind alle die Güter und die Aufgaben, die als nähere, geschaffene Ziele zur Erreichung des Endzieles notwendig sind. Also etwa die Menschennatur, die geistige und die körperliche Menschennatur, die Ordnung und der Friede der menschlichen Gesellschaft. Alles, was dieses irdische Abbild der göttlichen Weisheit zerstört, ist schwere Sünde. Die objektive Grenzlinie zwischen schwerer und leichter Sünde ist nicht immer einfach zu ziehen. Auch wir geschulten Theologen vermögen nicht immer mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen: Da ist die Grenze; jenseits ihrer beginnt die schwere Sünde, diesseits von ihr ist noch mit läßlicher Sünde zu rechnen. Denn es gibt eben zwei Möglichkeiten, wie etwas keine schwere Sünde sein kann, nämlich wenn eine wichtige Pflicht in unbedeutender Weise übertreten wird, wenn eine wichtige Pflicht in unbedeutendem Maße verletzt wird, oder wenn ein unbedeutendes Objekt, wenn ein unbedeutender Gegenstand in Frage kommt. In diesen beiden Fällen ist eine Todsünde nicht vorhanden.

Es handelt sich bei der Todsünde immer um die Verletzung einer Grundnorm, bei der läßlichen um eine untergeordnete Folgerung, die verletzt wird. Also: Der 14jährige Ladendieb, der vor ein paar Tagen in einem Drogeriemarkt im nordhessischen Homberg zwei Männer niedergestochen hat, als er ertappt wurde, hat sicher eine Todsünde begangen. Der Mann, der in seinem Koffer 7 kg Haschisch einschmuggeln wollte, hat auch eine Todsünde begangen. Leichtere Sünden sind beispielsweise Ladendiebstähle, geringfügige Schwarzarbeit, wenn sie überhaupt als Sünden zu bezeichnen ist angesichts der Umstände, in der sich unsere Wirtschaft mit dem Mangel an Arbeitskräften befindet. Also es muss ein wichtiger Gegenstand vorliegen. Den zu bestimmen ist nicht einfach.

Zweitens, es muss eine hinreichende Erkenntnis vorliegen. Es muss der unbedingte Widerspruch der Handlung zur sittlichen Ordnung im Gewissen erkannt sein. Die Bedeutung des Gegenstandes und das Verbotensein des Gegenstandes muss uns offenbar sein. Volle Erkenntnis der schwer sündhaften Handlung ist vorhanden, wenn man sich mit klarem Bewußtsein sagt, dass die Handlung eine schwere Sünde ist. Und außerdem muss hinzukommen die volle Aufmerksamkeit, also dass man nicht abgelenkt ist, sondern dass man tatsächlich auf das Sündigen acht hat. Volle Erkenntnis und volle Aufmerksamkeit sind erforderlich, damit eine schwere Sünde geschieht. Wenn man in einem angetrunkenen Zustand ist, ist es schwerer, eine schwere Sünde zu begehen. Freilich kann die Sünde schon vorher liegen, indem man sich nämlich betrunken hat. Auch im Zustand der Drogenabhängigkeit kann eine verminderte Zurechnungsfähigkeit gegeben sein. Schließlich auch im Halbschlaf. Wer im Halbschlaf Dinge tut, die er bei vollem Bewußtsein nicht tun würde, braucht sich keiner Todsünde für schuldig erklären.

Schließlich muss hinzukommen die volle Einwilligung in die Sünde, denn der Wille, der personale Wille ist ja die eigentliche Ursache der Sünde. Es muss also die freie Zustimmung vorhanden sein. Freie Zustimmung bedeutet, dass kein Zwang und keine Nötigung vorliegt, sondern dass man sich mit freiem Willen zu der Tat entscheidet, obwohl man die Schwere der Sündhaftigkeit klar erkannt hat. Hemmungen der Willensfreiheit würden eine freie Zustimmung nicht zustande kommen lassen. Auch hier sind etwa Zustände des Halbschlafs oder der Bewußtseinstrübung anzunehmen, die eine schwere Sünde nicht zustande kommen lassen.

Eine läßliche Sünde wird begangen, wenn man das Sittengesetz in einer geringfügigen Sache oder mit unvollkommener Aufmerksamkeit und Freiheit übertritt. Die Natur der läßlichen Sünde zeigt sich am klarsten bei unvollkommener Aufmerksamkeit und Freiheit. Es gibt ja in uns naturhaft aufsteigende Regungen, vor allem aus der sinnlichen Sphäre, die der Wille nicht billigt, die er aber auch nicht unterdrückt, wo er könnte, wo man also dem unziemlichen Streben einen zu weiten Raum läßt, wo man dem niederen Streben einen unziemlichen Raum läßt; da kommt läßliche Sünde zustande. Wenn man mit unvollkommener Aufmerksamkeit und Einwilligung ein Gesetz übertritt – mit unvollkommener Aufmerksamkeit und mit unvollkommener Einwilligung. Wir Theologen bezeichnen das als „imperfectio actus“, als Unvollendetsein der Handlung. Imperfectio actus. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass eben der Wille zwar frei ist, aber dass er in einer unbedeutenden Sache sich verfehlt. Die allermeisten Lügen sind keine schweren Sünden. Eine geringe Vermögensschädigung, indem man von einem Apfelbaum etwas abreißt, ist keine schwere Sünde. Die Grenze zwischen Geringfügigkeit des Gegenstandes und bedeutendem Gegenstand ist nicht leicht zu bestimmen. Wir sprechen als Theologen von der „parvitas materiae“, von der Geringfügigkeit des Gegenstandes. Parvitas materiae. Durch bloße Addition von läßlichen Sünden kommt eine Todsünde nicht zustande. Läßliche Sünden bleiben läßliche Sünden, auch wenn sie wiederholt vorkommen.

Es kann natürlich sein, dass eine kriminelle Energie mehrere läßliche Sünden so häuft, dass sie anwachsen. Sie haben vielleicht gelesen: Eine Angestellte des Mainzer Staatstheaters hat in zehn Jahren 1 Million Euro unterschlagen. Durch kleine Beträge, die sie immer wieder abgebucht hat, ist das allmählich so angewachsen, dass der Schaden 1 Million beträgt, den sie dem Staatstheater in Mainz zugefügt hat. Jahrelange Veruntreuung von Geldern. Das wird man nicht mehr als läßliche Sünde bezeichnen können. Eine läßliche Sünde kann auch durch besondere innere und äußere Umstände zur Todsünde werden. Wer zum Beispiel irrtümlich eine läßliche Sünde für eine Todsünde hält, der begeht eine Todsünde, weil sein Gewissen ihm eben sagt, das ist eine Todsünde, auch wenn es ein irriges Gewissen ist. Dann kann auch der Zweck der läßlichen Sünde so bedeutsam sein, z. B. schweres Ärgernis hervorrufen, dass eine schwere Sünde aus der läßlichen Sünde wird. Die läßliche Sünde kann auch für einen Menschen die nächste Veranlassung, die nächste Gelegenheit zur schweren Sünde sein, und dann wird auch die läßliche Sünde zu einer schweren Sünde.

Wir müssen uns, meine lieben Freunde, über unser Handeln klar sein. Wir müssen unser Handeln wägen, bevor wir es tun. Fragen wir uns bei unserem Handeln: Wie denkt Gott darüber? Paßt dieses Handeln zu mir als einem Kinde Gottes? Verletze ich die Gott geschuldete Hingabe? Also Abwägen vor der Handlung. Zweitens Meiden. Meiden der läßlichen Sünde. Warum? Damit wir uns nicht daran gewöhnen, damit die Sünden nicht anschwellen, damit sie nicht zur Todsünde umschlagen. Wer die läßliche Sünde nicht zu meiden beabsichtigt, der wird auch die Todsünde auf die Dauer nicht meiden können. Und schließlich drittens: Schenken wir unserem Gott und Heiland die ganze Treue, die Treue, die keine Abstriche macht und die keine Ausnahme zuläßt.

Amen.

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