Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Juli 2009

Die hohe Tugend der Treue

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es gibt Tage, die mit einem herrlichen Sonnenschein beginnen und die sich gegen Abend verdüstern. So ist es auch im Menschenleben. Es gibt Menschenleben, die licht und hell beginnen und die am Abend in tiefe Nacht stürzen. Das Sprichwort des Volkes: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“ hat seinen tiefen Sinn. Keine Tugend, keine Größe, keine belobigte Wirksamkeit hat einen letzten Sinn, wenn der Mensch nicht treu bleibt, wenn er nicht ausharrt. Denn nur der Getreue verdient die Anerkennung der Mitwelt und der Nachwelt. Nur der Getreue findet die Zufriedenheit Gottes. Und nur der Treue kann auch vor sich selbst bestehen. Gewiß ist es etwas Großes, den Anfang zu wagen; manchmal ist der Anfang das Schwerste. Aber der Anfang ist nur der erste Schritt; die Arbeit muss weitergehen. Die Begeisterung des Anfangs muss bewahrt werden. Ich traf einmal einen Priester, der mir sagte – nach 40 Priesterjahren: „Ich habe mir die Begeisterung des Primizianten bewahrt.

„Der Ausgang gibt den Taten ihre Titel“, sagt der Dichter. Das Ende, der Tod, entscheidet, was das ganze Leben wert war. Die Treue ist gefragt. Was ist Treue? Treue ist die Tugend, die uns veranlaßt, das, was wir versprochen haben, zu erfüllen. Treue ist die Übereinstimmung von Wort und Tat. Die Treue entspricht einer natürlichen Forderung. Man erwartet voneinander, dass man die Treue hält. Die Treue veredelt die Persönlichkeit. Ein treuer Mensch ist immer ein edler Mensch. Ihre Verbindlichkeit wird durch Ehre und Vertrauen von Gott und dem Gewissen begründet.

Man spricht von „deutscher Treue“, und das Wort hat zumindest in der Vergangenheit eine Berechtigung gehabt. Viele von Ihnen oder manche von Ihnen haben in der Schule im Lateinunterricht das Büchlein „Germania“ von dem römischen Schriftsteller Tacitus gelesen. Tacitus preist in diesem Büchlein, das er seinen Landsleuten zur Belehrung schrieb, die Treue der Germanen. Da kommt er auch auf ihre Liebe zum Würfelspiel zu sprechen. Sie würfelten gern um Vermögenswerte, und es kam vor, dass einer, der nichts mehr zu versetzen hatte, seine eigene Freiheit im Würfelspiel einsetzte, und wenn er verlor, mußte er in die Knechtschaft gehen. Tacitus berichtet: „Wortlos und treu gingen sie in die Knechtschaft.“ Vielleicht kann man nicht von jedem Volke sagen: „Ein Mann, ein Wort“. Man spricht von welscher Untreue, und es gibt Historiker, die sagen: Wenn Italien in einen Krieg zog, war es am Ende des Krieges nicht mehr auf derselben Seite wie am Anfang, außer es hatte die Seite zweimal gewechselt. Und von einem französischen Staatsmann ist das Wort überliefert: „Die Sprache ist dem Menschen gegeben, damit er seine Gedanken verberge.“

Deutsche Treue hat sich auch immer im Kriege bewährt. Im letzten Kriege visitierte einmal ein Leutnant seine Wachtposten. Er traf einen Posten, der auf dem Bauche lag und das Gewehr im Anschlag hatte, schußbereit. Als er sich näherte, meinte er ein leises Stöhnen zu hören. Er fragte den Mann, warum er nicht aufstehe. Da richtete der Gefragte seinen Oberkörper ein wenig empor und sagte: „Herr Leutnant, ich kann nicht mehr stehen, mir sind vor einer halben Stunde beide Beine zerschossen worden.“ Der Leutnant war überrascht: „Ja, warum sind Sie denn nicht zurückgekrochen und haben um Hilfe gerufen? Sie können ja verbluten.“ Der Mann antwortete: „Herr Leutnant, ich muss hier Wache stehen zwei Stunden, bis die Ablösung kommt.“ Das ist Treue im Feld.

Treue im Großen, Treue im Kleinen. Manche meinen, im Kleinen könne man großzügig sein, Unterschleif dulden, auch schlampig arbeiten. Meine lieben Freunde, von dem gewaltigen Michelangelo stammt das schöne Wort: „Aus Kleinigkeiten setzt sich die Vollendung zusammen, und die Vollendung ist keine Kleinigkeit.“ Wahrhaftig ein gutes Wort. Aus Kleinigkeiten setzt sich die Vollendung zusammen, und die Vollendung ist keine Kleinigkeit.

Das Gewissen befiehlt uns, immer anzuschlagen, auch im Alltäglichen. Sie haben vielleicht gehört oder gelesen, dass im Zusammenhang mit der Abstimmungsaffäre bei der SPD in Hessen vier Abweichler vom Abstimmungsverhalten der Fraktion ihre Haltung damit begründeten, dass sie sagten, es handle sich um eine Gewissensentscheidung. Respekt. Respekt vor diesen Männern und Frauen. Aber ich wundere mich nur, was für ein Verständnis vom Gewissen die Menschen haben, wenn sie nur bei bedeutenden Entschlüssen sagen: Das ist eine Gewissensentscheidung. Das Gewissen ist doch bei jeder Entscheidung gefordert. Jede Handlung, jedes Wort muss sich vor dem Gewissen ausweisen. Wir müssen bei allem, was wir denken, reden und tun, fragen: Kann das vor Gott bestehen? Das ist die Funktion des Gewissens: Ist das im Einklang mit Gottes Geboten? Treue ist immer etwas Großes, auch wo sie aus kleinstem Anlaß beobachtet wird. Das ganze Leben besteht für die meisten von uns aus kleinen Gelegenheiten, aus Alltäglichkeiten, nicht aus großen Taten. Selbst unser Herr hat dreißig Jahre lang in der Stille gearbeitet und keine Gotteswunder verrichtet. Von der Treue im Kleinen lebt die menschliche Gesellschaft, lebt der Staat, lebt das Volk. Alles Gedeihen auch in der Kirche hängt von der Treue im Kleinen ab. Nur weil wir auf die Treue im alltäglichen Leben bauen, können wir uns zuverlässig in der Gesellschaft bewegen. Und der Herr sagt es ausdrücklich: „Weil du über Weniges getreu gewesen bist, will ich dich über Vieles setzen.“

Treue ist gefordert in der Familie, bei der Arbeit, gegenüber dem Vaterland. Es gibt aber zwei Verhältnisse, die besonders von der Treue geprägt sind, wo die Treue gewissermaßen sprichwörtlich ist. Das eine ist die Treue der Freunde. Wir sprechen von der Freundestreue. Ohne Treue gibt es keine wahre Freundschaft. Freundschaft heißt dasselbe wollen und dasselbe nicht wollen. Das ist und das begründet die Freundschaft. Freunde ehren und lieben einander, Freunde halten zusammen, Freunde können sich aufeinander verlassen. Der eine steht für den anderen, und die wahre Freundschaft erkennt man dann, wenn es um uns unsicher wird. Im Unglück zeigt sich der Freund. Ich habe vor mir, meine lieben Freunde, die Ballade von Friedrich Schiller: „Die Bürgschaft“. Da wird geschildert, dass über Syrakus in Sizilien Dionys, der Tyrann, herrschte, tyrannisch herrschte, und ein edler Bürger unternahm es, die Stadt vom Tyrannen zu befreien; er wollte ihn ermorden. Er wurde gefaßt und zum Kreuzestod verurteilt. Der Täter, Damon, sagte: Ich bin zum Sterben bereit, aber ich möchte noch vorher meine Schwester verheiraten. Gebt mir drei Tage Zeit. „Ich lasse einen Freund dir als Bürgen, ihn magst du, entrinn’ ich, erwürgen.“ Der König ließ sich auf den Handel ein. Damon eilte davon, verheiratete seine Schwester und machte sich sogleich auf den Rückweg. Aber da trafen viele Hindernisse auf ihn. Ein starker Regenguß brach hernieder, kleine Bächlein wurden zu rauschenden Flüssen, die er durchqueren mußte. Er wurde überfallen von Räubern, die wollten ihn ermorden. Mit letzter Kraft schlug er sie nieder. Er kam dann in die Nähe seiner Stadt, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Da eilte ihm sein Verwalter entgegen: „Zurück, du rettest den Freund nicht mehr, so rette das eigene Leben! Den Tod erleidet er eben. Von Stunde zu Stunde gewartet er mit hoffender Seele der Wiederkehr. Ihm konnte den mutigen Glauben der Hohn des Tyrannen nicht rauben.“ Jetzt war es also, so schien es, vergeblich, dem Treueversprechen nachzukommen. Der Freund, der für ihn gebürgt hatte, wurde schon mit Seilen am Kreuze hochgezogen. Sollte er jetzt noch zurückeilen und den Freund zu retten versuchen. „Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht ein Retter willkommen erscheinen, so soll der Tod mich ihm vereinen. Jetzt rühme der blut’ge Tyrann sich nicht, dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht. Er schlachte der Opfer zweie und glaube an Liebe und Treue!“ Die Sonne geht unter, er steht am Tor. Da sieht er das Kreuz schon erhöht, und die Menge steht gaffend herum. „Am Seile zieht man den Freund empor. Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: Mich, Henker, ruft er, erwürget, da bin ich, für den er gebürget.“ Das ganze Volk ist sprachlos ob einer solchen Haltung. Die beiden liegen sich in den Armen und weinen vor Freude. Man bringt dem Tyrannen die Nachricht von dieser Freundestreue, und auch der Tyrann ist ergriffen: „Die Treue, die ist doch kein leerer Wahn.“ Er schenkt beiden das Leben. „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!“ Also diese ergreifende Ballade von Schiller zeigt, was es um die Freundestreue ist.

Treue wird auch in der Ehe verlangt. Bei der Eheschließung sind die Gatten zu unauflöslicher Gemeinschaft verbunden worden in guten und in bösen Tagen. Es gibt – Gott sei gedankt – Menschen, die diese Treue gehalten haben. Als Dostojewski, der russische Dichter, zum Sterben kam, da ließ er eine geweihte Kerze anzünden und nahm das Evangelienbuch in die Hand, das ihn nach Sibirien in die Verbannung begleitet hatte. Dann sprach er zu seiner Frau: „Anja, ich habe dich immer innig geliebt und dich nie, auch in Gedanken nicht, betrogen.“ Noch einmal: Ich habe dich immer innig geliebt und dich nie, auch in Gedanken nicht, betrogen.“ Doch leider kann das nicht jeder Ehemann von sich sagen. Die schlimmsten Vergehen gegen die Treue sind Ehebruch und Ehescheidung. Ehebruch ist die außereheliche geschlechtliche Betätigung. Der Leib der Vermählten ist heilig, und wenn einer der beiden Gatten seinen Leib, auf den der andere Gatte das Recht hat, ihm entzieht, begeht er ein schweres Unrecht. Untreue in der Ehe, das ist Totschlag an der Liebe und an der Treue. Die Sünden stehen dem Menschen nicht auf der Stirn geschrieben, aber ich weiß nicht, wie ein ehebrecherischer Gatte noch in das Auge seiner Kinder sehen kann, ohne versinken zu müssen vor Scham. Die Ehe ist ein Abbild der Vereinigung Christi mit der Kirche. Diese Vereinigung ist unauflöslich, so soll auch die Ehe unauflöslich sein. Die auflösliche Ehe ist kein Abbild der Verbindung Christi mit der Kirche, sie ist ein Zerrbild. Die Ehe ist kein Privatvertrag, wie man eine Ferienwohnung mietet und wieder kündigt. Gott hat den Ehevertrag am Altare mit unterzeichnet, und er zieht seine Unterschrift nicht zurück. Aber der Staat gestattet die Ehescheidung. Er hat sie immer mehr erleichtert, vielleicht auch deswegen, weil so viele der Gesetzgeber selbst an der Ehescheidung interessiert sind. Diejenigen, die sich für ihre Ehescheidung auf das weltliche Recht berufen, sollen wissen, dass sie am Gerichtstage nicht nach deutschem oder französischem Recht gerichtet werden, sondern nach dem Rechte Gottes, nach dem göttlichen und apostolischen Recht.

Das erste Anrecht auf unsere Treue hat Gott. Treue müssen wir ihm halten, Treue im Glauben, Treue im Leben. „Die ganze Welt ist wie ein Buch, darin uns aufgeschrieben in bunten Zeilen manch ein Spruch, wie Gott uns treu geblieben,“ hat Emanuel Geibel einmal gedichtet. Die ganze Welt ist wie ein Buch, darin uns aufgeschrieben in bunten Zeilen manch ein Spruch, wie Gott uns treu geblieben. Wenn Gott uns treu ist, müssen auch wir ihm die Treue halten. Treue im Glauben, Treue gegenüber seinen Geboten. Gott verlassen, meine lieben Freunde, heißt zugrunde gehen. Eine Seele, die nicht in Gott bleibt, wird sich selbst Ursache ihres Elends. Beim Propheten Jeremias heißt es: „Alle, die dich verlassen, gehen zugrunde, werden zuschanden. Die von dir abfallen, werden in den Staub geschrieben, weil sie den Herrn, die Quelle lebendigen Wassers, verlassen haben.“ Treue zu Gott, Treue auch zu seiner Kirche. Zur Kirche müssen wir uns halten, müssen ihr dienen, müssen sie mit unseren Tugenden schmücken, müssen sie verteidigen. Menschen verlassen die Kirche wegen anderer Menschen; sie verweisen auf untaugliche Bischöfe, auf schlechte Priester. Sie wissen es, meine lieben Freunde, der letzte Priester, der hier in Budenheim den Dienst verrichtete, hat seinen Dienst aufgegeben, angeblich – angeblich! – um einer Frau willen. Aber er hat sich bemüht, im Protestantismus als protestantischer Pfarrer unterzukommen. Die Protestanten haben ihn abgewiesen.

Schlechte Priester und schlechte Bischöfe sind kein Anlaß, die Kirche zu verlassen. Im 3. Jahrhundert hat Tertullian, der Kirchenschriftsteller, geschrieben: „Was folgt daraus, wenn ein Bischof, ein Lehrer, ja selbst ein Martyrer der Lehre der Kirche untreu wird? Wird dadurch die Irrlehre wahr? Prüfen wir den Glauben nach den Personen oder die Personen nach dem Glauben?“ Wie wahr, meine lieben Freunde. Was folgt daraus, wenn ein Bischof, ein Lehrer, ja selbst ein Martyrer der Lehre der Kirche untreu wird? Wird dadurch die Irrlehre wahr? Prüfen wir den Glauben nach den Personen oder die Personen nach dem Glauben? Und der Bischof Cyprian schrieb im gleichen 3. Jahrhundert: „Die Trennung von der Kirche ist ein viel größeres Übel als die Übel, denen man durch die Trennung entgehen will.“

Wer sich von der Kirche trennt, der trennt sich auch von Christus. Man kann nicht Christus treu bleiben wollen, wenn man sich von seiner Braut, der Kirche, lossagt. Um keines Vorteils willen, um keines Nachteils willen dürfen wir dem Glauben die Treue aufkündigen. Da kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen, eine wahre Geschichte, einer erlebte Geschichte. Nach dem Kriege kamen Millionen Heimatvertriebene aus dem Osten Deutschlands in das Restdeutschland, darunter auch viele Söhne von Bauern, deren Eltern einen schönen Bauernhof besessen hatten, nun aber mittellos waren. Ein solcher Bauernsohn aus katholischem Land, aus Schlesien, kam in protestantisches Gebiet zu einem großen Bauern. Er war anstellig und fleißig, er verstand und liebte die Arbeit des Bauern. Der Hofbesitzer hatte keine Kinder, und eines Tages sagte er zu dem heimatvertriebenen Jungen: „Du sollst meinen Hof haben.“ Da leuchteten die Augen des jungen Mannes. Glücklich, wieder eine Scholle unter den Füßen zu haben, Bauer auf eigenem Hofe zu sein. Doch der Hofbesitzer fuhr fort: „Hier ist alles evangelisch. Das mußt du noch ändern. Da mußt du auch evangelisch werden.“ Der junge Mann wurde traurig. Den Glauben preisgeben für einen Bauernhof? Nein, das kam für ihn nicht in Frage. Er blieb Tagelöhner und hat den Bauernhof fahren lassen.

Halten wir unserem Gott, halten wir unserem Glauben, halten wir unserer Kirche die Treue, meine lieben Freunde. „Das Ende krönt das Werk, das Leben ziert der Tod. Wie herrlich stirbt der Mensch, der treu war seinem Gott!“

Amen.

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