Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Dezember 2003

Dem Herrn die Wege bereiten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Ereignisse, die uns im Neuen Testament im Vorfeld des Weihnachtsfestes berichtet werden, sind einmalig. Sie sind in die Vergangenheit versunken; aber ihre Bedeutung it bleibend. Was einmal nach Gottes Willen in der Heilsgeschichte geschehen ist, das ist für alle Menschen aller Zeiten von untrüglicher Wichtigkeit und unabdingbarer Notwendigkeit. Die Gestalten, welche uns die Liturgie des heutigen 4. Adventssonntags vorführt, sind drei: Isaias, der Prophet, Johannes, der Vorläufer, und Maria, die Mutter des Herrn. Sie verkörpern je eine besondere Wahrheit der Menschwerdung Jesu. Isaias gilt als der Evangelist des Alten Bundes. Er verkörpert die Erlösungssehnsucht: „Siehe, der Herr wird kommen und sein Volk erlösen.“ Und so heißt es heute im Eingangslied der heiligen Messe mit Worten aus dem Buch des Propheten Isaias: „Tauet, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, regnet herab den Gerechten. Tu dich auf, o Erde, und sprosse den Heiland hervor.“ Johannes, der Vorläufer, steht eigentlich in den gesamten Wochen des Advents als Bußprediger vor uns. Er ist die beherrschende, ja, man kann sagen, er ist die zentrale Gestalt der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest, und zwar mit einer Verkündigung, die unbequem ist, nämlich mit der Verkündigung, die zur Buße ruft. Er ist der Bußprediger, der gewaltigste Bußprediger, den es je gegeben hat. „Bereitet den Weg des Herrn!“ Er verkörpert die Bereitschaft auf das Kommen des Herrn. Und Maria, von der im Opferungslied die Rede ist, ist die Erfüllung der Verheißungen. „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebendeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“

Die Botschaft des Vorläufers läßt sich zusammenfassen in dem Wort „Bereitet den Weg des Herrn!“ Aber diese große Gesamtbotschaft enthält drei Glieder, nämlich erstens: „Machet gerade die Pfade!“, zweitens: „Füllet aus die Täler!“ und drittens: „Traget ab die Berge!“ Selbstverständlich will der Vorläufer Johannes hier nicht von Tiefbauarbeiten reden; das ist natürlich im übertragenen Sinne zu verstehen, wenn er sagt: „Machet gerade die Pfade, traget ab die Hügel und füllet die Täler aus!“ Es ist das auf das seelische Feld zu beziehen, auf die Arbeit an der Seele, was uns hier vom Vorläufer aufgetragen und verkündet wird.

Machet gerade seine Pfade. Das heißt: Richtet euer Leben aus auf Gott. Macht keine Umwege und keine Abwege und schon gar keine Irrwege, sondern geht einen geraden Weg zu Gott, zu eurem Ziel. Alles andere ist vom Übel, führt euch nicht in die Ewigkeit zu Gott, sondern in das Verdammnisgeschehen der Hölle. Machte gerade seine Pfade, das heißt: Hört auf mit euren krummen Wegen. Hört auf, krumme Dinger zu drehen. Hört auf damit, Abweichungen vom Wege Gottes zu begehen.

Die zweite Mahnung lautet: „Traget ab die Hügel!“ Mit diesen Hügeln sind unsere Schwächen, unsere sittlichen Schwächen, unsere sinnlichen und geistigen Leidenschaften, unsere schlechten Neigungen gemeint. Die müssen beseitigt werden; die müssen abgetragen werden; die müssen aus der Seele fortgeschafft werden. Abtragen von Bergen und Hügeln ist einem jeden aufgegeben, und es ist keiner unter uns, der diese Aufgabe schon bewältigt hätte. Wir müssen daran gehen, unsere Schwächen, Leidenschaften und üblen Gewohnheiten zu ändern, zu bessern, um den Weg zu bereiten für den Herrn. Er kann nur Einzug halten, wenn der Weg gerade ist und wenn die Hügel und Berge abgetragen sind.

Die dritte Forderung lautet: „Jedes Tal soll ausgefüllt werden.“ Jeder Mensch hat Untiefen in sich, Untiefen, das heißt, es fehlt noch zu viel bei ihm. Es fehlen die Tugenden, die er beweisen sollte, die er erbringen sollte, die er nach Gottes Willen sich angeeignet haben sollte. Für jeden von uns gilt ja das erschütternde Wort des Dichters Hebbel: „Der, der ich bin, grüßt traurig den, der ich sein sollte.“ Der, der ich bin, grüßt traurig den, der ich sein sollte. Uns fehlen noch viele Fertigkeiten im Guten. Wir haben uns noch nicht genügend gemüht, wir haben noch nicht hinreichend gearbeitet, um die Tugenden zu erwerben, die Gott an uns sehen will: Wahrhaftigkeit, Demut, Selbstlosigkeit, Reinheit, Treue, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe. Wie können wir dem Liebesboten entgegengehen, ohne daß wir Menschen der Nächstenliebe sind? Wie können wir die Liebestat Gottes feiern, wenn es an der Opfertat in unserem Leben fehlt? Wie können wir jubeln am Weihnachtsfeste: „Jetzt ist er da und jetzt ist die Erlösung gekommen“, wenn unsere Herzen nicht erlösungsbereit und erlösungsgeöffnet sind?

„Bereitet den Weg des Herrn“, so mahnt der Vorläufer des Heilands. Machet gerade seine Pfade, das heißt: Schlagt endlich den Weg zum letzten Ziele ein! Traget ab die Berge und Hügel, eure sinnlichen und geistigen Leidenschaften, eure schlechten Neigungen und eure Laster! Füllet alle Täler auf, das heißt: Erwerbt die Tugenden, mit denen ihr euch selbst und eure Kirche und euren Heiland schmücken sollt!

Amen.

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