Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2002

Vom Ewigen Leben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In diesen Tagen erhielt ich einen Brief aus Belgien. In diesem Brief schreibt ein Herr: „Ich weiß nicht, ob Sie schon einen Artikel über das ewige Leben geschrieben haben. Ich möchte Ihnen darüber gern eine Frage stellen, die ich sehr wichtig finde: Worauf ist für uns christliche Menschen die Sicherheit gegründet, daß das ewige Leben ganz, ganz sicher wohl wirklich besteht? Ich kann meine Frage auch anders formulieren und fragen: Herr Professor, guter Freund in Christo, sagen Sie mir bitte, warum Sie selber hundert Prozent sicher sind, daß es wohl ein ewiges Leben gibt, so daß ich nicht mehr ängstlich oder besorgt sein muß, wenn ich das Bestehen des ewigen Lebens verneinen höre.“

Was der Schreiber dieses Briefes formuliert, ist wohl vielen unter uns bekannt: der Zweifel am ewigen Leben. Dieser Zweifel am ewigen Leben ist eine grundlegende und furchtbare Krankheit der Seele. Denn wenn es kein ewiges Leben gibt, dann gilt das, was Paulus in einem seiner Briefe schreibt: „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“ Wenn es kein ewiges Leben gibt, feiern wir vergeblich das Fest Allerheiligen; denn wie soll es denn Heilige im Himmel geben, wenn es kein ewiges Leben gibt? Wie sollen Heilige im Himmel für uns eintreten, wenn mit dem Tode alles aus ist? Wie sollen sie für uns Fürbitte einlegen, wenn mit dem Leibe ihre ganze Existenz vernichtet worden ist?

Der Tag Allerheiligen ruft uns also auf, uns klar zu werden über das ewige Leben. Gibt es ein ewiges Leben? Welche Gründe haben wir dafür? Worauf stützt sich unsere Überzeugung: Mit dem Tode ist nicht alles aus? Die Überzeugung vom ewigen Leben stützt sich einmal auf die Vernunft, und sie beruht zum anderen auf dem Glauben. Es hat immer Philosophen, tiefe Denker, bedeutende Forscher gegeben, die überzeugt waren, man könne das ewige Leben der Seele auch ohne Glauben beweisen, man sei für die Überzeugung vom ewigen Leben nicht auf den Glauben angewiesen. Die Vernunft sagt uns, daß im Menschen ein geistiges Prinzip ist, ein geistiges Prinzip. Geistig ist dieses Prinzip deswegen, weil es nicht mit dem Körper zusammenfällt, sondern vom Körper verschieden ist. Der Mensch vermag sich zu geistigen, unanschaulichen Wahrheiten zu erheben. Eine Flunder hat niemals gebetet, ein Hund hat niemals einen Begriff wie Wahrheit oder Gott geformt. Aber der Mensch kann das. Der Mensch kann sich zum Unanschaulichen erheben; er kann Unanschauliches denken; er kann Begriffe bilden, die in der Natur nicht vorkommen; er kann sich erheben über die Sinnlichkeit und das sinnliche Begreifen, das in ihm ist.

Nehmen wir an, jemand bekommt ein Telegramm: „Die Mutter ist angekommen.“ Wie wird er sich freuen, wie wird er in Jubel ausbrechen – die Mutter ist angekommen. Wenn aber das Telegramm lautet: „Die Mutter ist umgekommen“, da wird er in Bestürzung ausbrechen und in Trauer und Schmerz. Die Verschiedenheit der Reaktionen kann nicht darauf beruhen, daß zwei Buchstaben ausgewechselt werden. „Angekommen“ und „umgekommen“ – da ist nur ein Unterschied von zwei Buchstaben. Die unterschiedliche Reaktion ist darauf zurückzuführen, daß im Menschen ein Verstehen ist. Er versteht, was „angekommen“ heißt, und er versteht, was „umgekommen“ heißt, und er weiß, daß zwischen beiden ein himmelweiter Unterschied ist. Nicht irgendwelche Reaktionen im Gehirn, nicht irgendwelche Moleküle haben ihn diesen Unterschied gelehrt, sondern seine Seele, die etwas Geistiges – und das ist eine Mitteilung wie „angekommen“ oder „umgekommen“ – zu verstehen weiß. Diese Seele fällt auch nicht zusammen mit dem Gehirn. Selbstverständlich ist die Seele, solange sie mit dem Leibe verbunden ist, auf das Gehirn angewiesen. Das Gehirn ist gleichsam das Klavier, auf dem sie spielt; ein Klavierspieler kann ohne Klavier auch nicht spielen. Aber die Seele fällt nicht mit dem Gehirn zusammen. Das Gehirn ändert sich ja, wandelt sich; die Moleküle sind austauschbar. In sieben Jahren wird der ganze Körper des Menschen materiell erneuert. Aber das Ich des Menschen hält sich durch. Das geistige Prinzip bleibt im Menschen, und zwar als ein sich selbst treues Prinzip.

Der Mensch ist über die reine Materie erhaben. Er hat ein geistiges Prinzip in sich, das einfach ist und nicht aus Teile zusammengesetzt ist. Das ist das Wesen des Geistes: er ist einfach; er ist nicht aus Teilen zusammengefügt. Und weil er nicht aus Teilen zusammengefügt ist, deswegen kann er nicht in Teile zerfallen. Und weil er nicht in Teile zerfallen kann, kann er nicht vernichtet werden. Ob Häuser über Menschen zusammenfallen wie jetzt in Italien, ob Folterwerkzeuge den Leib zerstören, ob der Krebs den Leib zerfrißt: die Seele ist all diesen äußeren Einwirkungen nicht erreichbar. Sie steht jenseits dieser Martern und dieser Qualen. Die Seele hält durch, auch wenn der Leib zerstört wird. Sie ist eine geistige einfache Substanz, die weiterlebt.

In früheren Jahrhunderten war die Unsterblichkeit der Seele den meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit. Als auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution der Materialismus sein Haupt erhob, da verkündete Maximilian Robespierre: „Es gibt ein ewiges Leben. Nein, Hébert, nein, Chaumette, der Tod ist kein ewiger Schlaf.“ Das hat Robespierre damals bekannt, als es höchst unpopulär war, davon zu sprechen, seine Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele.

Was die Vernunft uns nahelegt, das wird vom Glauben bestätigt. Die Seele erhebt sich zu geistigen Tätigkeiten über den Körper, sie erfaßt rein geistige Objekte, sie erstrebt geistige Güter und besitzt ein eigenständiges Sein, und das eben wird uns bestätigt durch die Offenbarung, durch die Selbstmitteilung Gottes in Christus. Einmal rief der Heiland seine Jünger zu furchtlosem Bekenntnis auf und sagte zu ihnen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können! Fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib in der Hölle zu verderben vermag!“ Also die Jünger sind furchtbaren Gefahren ausgesetzt. Es werden Menschen aufstehen, die sie töten, die ihren Leib zermalmen. Aber das, was in ihnen unsterblich ist, ist den Folterwerkzeugen nicht zugänglich – die Seele. Die Seele überlebt den Tod des Leibes, kann aber jenseits des Todes von Gott in den Zustand der Unseligkeit gestoßen werden. Das macht der Herr noch viel deutlicher in dem Gleichnis von dem reichen Prasser und dem armen Lazarus. Beide haben sehr ungleich gelebt in ihrem irdischen Leben, und ungleich war auch das Los, das sie nach dem Tode erwartete. Der reiche Prasser starb, und der arme Lazarus starb. Im Tode waren sie gleich, aber der reiche Prasser wurde in der Hölle begraben, und der arme Lazarus kam in den Schoß Abrahams. Das ist ein Bild für den Zustand der Seligkeit, denn Abraham ist ja der Anführer der Seligen; er ist der Erstbeseligte wegen seines Glaubens. Mögen also Prasser und Lazarus dem gleichen Todeslos verfallen, ihre Schicksale im Jenseits sind verschieden: der eine unselig, der andere selig.

Und in der letzten Stunde seines Lebens, in der Todesstunde, hat der Herr uns noch eine wunderbare tröstliche Wahrheit gegeben. Er starb, und mit ihm starben zwei andere. Aber bevor er starb, kam es noch zu einem Zwiegespräch. Die Schächer wandten sich an ihn, der eine höhnend und lästernd, der andere vertrauend und bittend. Der rechte Schächer wußte, er muß sterben, und er kommt in die Hölle. Aber er will etwas von dem, der in der Mitte hängt; er will ein Gedenken von ihm. Er will nicht mehr als ein einziges Gedenken: „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Er ist davon überzeugt, daß der in der Mitte in sein Reich kommt; er kommt in die Hölle, denn er hat sie verdient. Aber diese Bitte hat ihm den Himmel erschlossen. Jesus sagt ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Heute ist die Stunde des Todes. In wenigen Minuten werden sie abgeschieden sein, alle drei, aber dieser Abschied von der Erde ist für Jesus und den rechten Schächer der Eintritt in das Paradies, in die Freude des Himmels. „Heute noch“, nicht erst beim Tag der Auferstehung, „heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Es gibt im Menschen ein geistiges Prinzip, es gibt ein Prinzip, das die Persönlichkeit ausmacht, und dieses Prinzip überlebt den Tod. Es war von Anfang an die Überzeugung der christliche Kirche, daß es ein ewiges Leben der Seele gibt. Wir alle wissen, was mit Stephanus geschehen ist. Er wurde wegen seines furchtlosen Zeugnisses für Christus gesteinigt, und er ist den Martyrertod gestorben, der Erstlingsmartyrer der Kirche. Als er mit erstickender Stimme noch etwas sprechen konnte, da sagte er: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf.“ Also auch Stephanus wußte: Die Steine, die ihn zu Tode treffen, beenden nicht seine geistige Existenz: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf.“ Er war davon überzeugt, und es war ihm klar, daß Jesus, den er ja hat stehen sehen, auf ihn wartet, um ihn aufzunehmen in die Freude des Himmels.

Die Apostel haben dem ewigen Seelenleben eigentlich verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Warum? Weil die damalige Welt vom Leben der Seele überzeugt war. Die Griechen haben an der ewigen Existenz der Menschenseele festgehalten. Es war also gar nicht notwendig, sie ihnen zu erklären. Aber freilich haben die Apostel auch nicht davon geschwiegen. In erster Linie waren sie bemüht, die Auferstehung des Leibes ihren Zuhörern zu unterbreiten, denn das wollten die Griechen nicht annehmen. Der Leib war für sie der Kerker der Seele. Davon wollten sie nichts wissen. Der Leib ist tot, und die Seele lebt. Und da kommt die Botschaft der Apostel: Auch der Leib wird am Leben der Seele teilnehmen. Es wird eine Stunde kommen, wo Gott die Toten aus den Gräbern rufen und ihre Leiber mit den Seelen verbinden wird. Bei einem ist das schon geschehen, bei Christus. Er ist der Erstling, der Allererste, an dem es geschehen ist. Und was an ihm geschehen ist, muß an allen geschehen, die zu ihm gehören; sie werden mit ihm auferweckt werden. „Christus ist von den Toten auferstanden als Erstling der Entschlafenen, und gleichwie alle in Adam sterben, werden auch alle in Christus belebt werden.“

Nicht genug damit. An einer anderen Stelle bezeugt Paulus ausdrücklich. daß das Vergehen des Leibes nicht das Auslöschen der Person bedeutet. Im 2. Korintherbrief schreibt er: „Wir sind gewiß, daß, wenn dieses unser irdisches Gezelt abgebrochen wird, wir einen Bau von Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Wohnhaus im Himmel.“ Hier ist also vom Tod die Rede: Er besagt Abbruch der Zeltwohnung. Aber die Zeltwohnung findet einen Ersatz, nämlich durch ein nicht mit Händen gebautes ewiges Haus im Himmel. Freilich ist der, der den Leib  durch den Tod verliert, zunächst nackt. Paulus sagt nicht, er ist vernichtet, er sagt, er ist nackt; weil eben der Leib zerfallen ist. Und das bereitet ihm Kummer, denn, so schreibt er: „Wir seufzen beklommen, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollen.“ Er möchte eben nicht nackt dastehen, er möchte möglichst gleich einen Leib, einen anderen, einen verklärten Leib empfangen. Aber er weiß, daß das nicht möglich ist.

Die Unsterblichkeit der Seele bekennt Paulus auch im Brief an die Philipper. Er war damals in Gefangenschaft und hatte Todessehnsucht. Jawohl, auch ein Mann wie Paulus war von der Todessehnsucht nicht frei. „Es zieht mich nach beiden Seiten hin. Ich habe das Verlangen, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein.“ Hier spricht er vom Tode. Tod ist Auflösung, aber die Auflösung des Leibes bedeutet, daß er anfängt, mit Christus zu sein. „Ich habe das Verlangen, aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein.“ Ja, aber eben nur deswegen, weil die Vernichtung des Leibes nicht die Zerstörung seiner Persönlichkeit bedeutet. Wenige Zeilen vorher sagte er: „Für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn.“Ja, meine lieben Freunde, wie kann denn das Sterben Gewinn sein? Es ist doch ein Verlust, so meinen wir, weil der Leib zerstört wird, weil das irdische Leben beendet ist. Das Sterben ist für Paulus deswegen Gewinn, weil er dann anfängt, mit Christus zu sein, und das ist besser als das irdische Leben fortsetzen. Denn hier wandelt er im Glauben, dort aber im Schauen.

Diese vorgeführten Stellen aus der Heiligen Schrift, aus der Offenbarung Gottes, machen uns gewiß: Der christliche Glaube weiß um das ewige Leben. Wir brauchen nicht zu zittern und zu zagen wie dieser Herr aus Belgien, der mir geschrieben hat. Wir können gewiß sein: Es gibt ein ewiges Leben. Mögen die Ungläubigen, mögen die Materialisten, mögen die Gehirnpathologen uns vormachen, daß die Seele mit dem Gehirn zusammenfalle, wir sind überzeugt, daß sie sich über das Gehirn zu erheben vermag und daß auch diejenigen Menschen, deren Gehirn auf Erden verletzt war, in der Ewigkeit kraft des Durchhaltens ihrer Seele eine vollkommene Erkenntnis und ein reines Wollen zurückerhalten. Wir wollen uns deswegen in dieser Stunde zum ewigen Leben bekennen mit den Worten des 15. Psalms:

„Du gibst mein Leben der Totenwelt nicht preis,

du läßt deinen Frommen nicht sehen die Vernichtung,

du weisest mir den Weg zum Leben.

Wo du bist, sind Freuden in Fülle und Segensgaben in deiner Rechten immerdar.“

Amen.

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