Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. November 1997

Der Gottheitsanspruch Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben uns seit vielen Sonntagen bemüht, die katholische christliche Religion als die einzige von Gott gestiftete zu erweisen. Die christliche Religion steht und fällt mit ihrem Stifter Jesus Christus. Die entscheidende Frage lautet: „Was haltet ihr von Christus?“ Wie man zu Christus steht, so steht man auch zum Christentum. Und wer Christus als den gottgesandten Erlöser, als den Heiland und Lehrer der Menschheit, als den eingeborenen Sohn Gottes bekennt, der wird auch am Christentum als der einzigen übernatürlichen Religion festhalten.

Wir haben erkannt, daß Jesus der gottgesandte Messias, der Heiland und Erlöser ist. Er nimmt göttliche Autorität in Anspruch, und zwar nicht bloß aufgrund seiner Sendung, also deswegen, weil er von Gott gesandt ist, sondern aufgrund seiner Person. In seinen Worten und in seinen Handlungen leuchtet eine Majestät und Macht auf, die nicht verliehen ist, sondern die ihm kraft Wesens zukommt. Jesus Christus überschreitet das bloß Menschliche. „Hier ist mehr als Jonas! Hier ist mehr als Salomon! Hier ist mehr als der Tempel!“ In Jesus ist Gott selbst in diese Welt eingebrochen.

Die Propheten haben immer, wenn sie göttliche Aufträge ausrichteten, eine bestimmte Formel in Anspruch genommen. Sie sagten: „Also spricht der Herr.“ Natürlich durch sie. „Also spricht der Herr.“  Im Munde Jesu findet sich diese Formel nicht ein einziges Mal. Er ist nicht ein Prophet wie andere, sondern er ist Gottes Sohn, der aus eigener Vollmacht das Gesetz des Gottesreiches verkündet. Deswegen heißt es in der Bergpredigt: „Den Alten ist gesagt worden...“, und er fügt hinzu: „Ich aber sage euch.“ Er ist Gesetzgeber im Reiche Gottes. Seine Macht ist nicht bloß Vollmacht, seine Macht ist Allmacht.

Jesus nimmt Vergebungs- und Gerichtsgewalt in Anspruch. Er vergibt Sünden. Seine Zuhörer haben sehr wohl gemerkt, welchen Anspruch er damit erhebt. Als er dem Gichtbrüchigen die Sünden nachließ, da sagten die herumsitzenden Schriftgelehrten: „Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ Natürlich. Nur Gott kann Sünden vergeben. Wenn also hier einer auftritt, der die Macht beansprucht, Sünden zu vergeben, muß man doch wohl die Folgerung ziehen: Hier ist Gott in unserer Mitte.

Ähnlich, als Jesus gütige Nachsicht gegenüber der Sünderin zeigt, die seine Füße salbt. Da vergibt er ihr die Sünden. Die dabeisitzenden Tischgäste bemerken: „Wer ist dieser, daß er sogar Sünden vergibt?“ Ihm ist die Gewalt, Sünden zu vergeben, eigen. Er ist der von Gott bestellte Richter am Ende der Zeiten. „Der Vater hat das ganze Gericht dem Sohn übergeben. Er wird kommen mit den Engeln des Himmels und einen jeden richten nach seinen Werken.“

Jesus nimmt religiöse Macht in Anspruch. Er besitzt auch Macht über die Natur. Er befiehlt den Krankheiten, und sie weichen. Er gebietet dem Tod, und er zieht sich zurück. Er befiehlt dem Meer und dem Wind, und sie gehorchen. Meine lieben Freunde, wer die Naturwunder Jesu aus dem Leben Jesu streicht, wie es meinetwegen Herr Kasper in Rottenburg tut, der zerstört damit Jesus Christus in seinem Wesenskern. Wenn die Wunder, die Jesus an der Natur gewirkt hat, nicht geschehen sind, dann kann man nicht mehr von seiner Bedeutsamkeit sprechen. So reden nämlich diese falschen Lehrer. Sie sagen: Die Wunder sind erfundene Geschichten, welche die Bedeutsamkeit Jesu wiedergeben wollen. Ja, wenn Jesus die Wunder nicht gewirkt hat, dann hat er keine Bedeutsamkeit, dann ist er genauso unbedeutsam wie die erfundenen Geschichten. Die Evangelisten lassen keinen Zweifel daran, daß für sie die Stillung des Seebebens genauso real ist wie die Aufnahme Jesu im Hause des Zachäus.

Die Jünger haben seine Macht gespürt. Als er den Seesturm stillte, da sagten sie: „Was ist denn das für einer, daß ihm sogar der Wind und die Wellen gehorchen?“ Und als er über den See wandelte, da sprachen die im Boot Befindlichen: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“

Jesus stellt sich in den Mittelpunkt der Religion.  Er lehrt nicht nur andere, wie man religiös sein muß, sondern er ist der Gegenstand der Religion. Er zeigt nicht nur, wie man anbeten muß, sondern er nimmt Anbetung entgegen. Vor ihm fällt der Aussätzige nieder, und die Männer im Boote knien vor ihm. Die Frauen am Grabe umfassen seine Füße; sie werfen sich vor ihm nieder. Er stellt Forderungen auf, die nur Gott aufstellen kann. Er verlangt Glauben und Bekenntnis zu ihm. „Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ Er verlangt Nachfolge ohne menschliche Rücksichten. Er sagt einem, er solle ihm nachfolgen. Der bittet um Aufschub; er sagt: „Laß mich zuvor meinen Vater begraben!“ Jesus entgegnet ihm: „Laß die Toten ihre Toten begraben! Du komm und folge mir nach!“ Ein anderer, den er auffordert, bittet: „Laß mich Abschied nehmen von meinen Hausgenossen!“ Jesus entgegnet ihm: „Keiner, der die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist tauglich für das Reich Gottes.“ Um seinetwillen muß man das Liebste, was es auf Erden gibt, verlassen. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Ihm muß man nachfolgen bis zum Kreuze. „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert.“ Ihm muß man die Treue halten auch in der Verfolgung. „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Böse wider euch reden. Selig seid ihr, wenn das alles um meinetwillen geschieht!“

Diese Äußerungen zeigen, daß Jesus eine Macht und eine Autorität beansprucht, wie sie kein Mensch beanspruchen kann, wenn er nicht wahrhaftig Gottes Sohn ist. Er hat ein einzigartiges Verhältnis zum himmlischen Vater. Natürlich kann man mit den liberalen Theologen sagen: Er ist eben ganz dem Willen des Vaters ergeben; er ist also moralisch verbunden mit dem Vater. Das stimmt. Natürlich kann man sagen: Er hat eine besondere Verbindung mit dem Vater, weil er von ihm gesandt ist. Auch das ist richtig. Selbstverständlich ist er dem Vater besonders zugeordnet, weil er der Messias ist. Aber das reicht nicht aus. Er stellt sich in seinem Sein, in seinem Erkennen und in seinem Wirken an die Seite des Vaters. Sein Sohnesverhältnis ist nicht mit dem Kindesverhältnis der übrigen Menschen zu vergleichen. Sie finden keine einzige Stelle im ganzen Evangelium, wo Jesus sagt: „Unser Vater.“ Er spricht immer von „mein Vater“ und „euer Vater“. Denn das Verhältnis, das er zum himmlischen Vater hat, ist unvergleichlich mit dem, das die übrigen Menschen zu Gott haben. „Wenn ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wißt, um wieviel mehr wird euer Vater im Himmel denen gute Gaben geben, die ihn darum bitten!“ Oder nach der Auferstehung: „Ich fahre hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“

Jesus hat Äußerungen über seine Wesensnatur gemacht, die entweder zutreffen – und dann müssen wir ihn anbeten –, oder die nicht zutreffen, dann müssen wir ihn verwerfen. „Ich bin das Brot des Lebens.“ – „Ich bin das Licht der Welt.“ – „Ich bin die Tür.“ – „Ich bin der gute Hirt.“ – „Ich bin der Weinstock.“ – „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ – „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ In völliger Selbstverständlichkeit kommen diese hohen Bezeichnungen aus seinem Munde. Und noch mehr sagt eine andere Selbstaussage, die im Johannesevangelium vorkommt, das absolute, prädikatslose „Ich bin“- „Ego eimi“ im Griechischen. „Ich bin.“ – „Ehe Abraham ward, bin ich!“ – „Wenn ihr den Menschensohn erhöht haben werdet, werdet ihr erkennen, daß ich bin.“ – „Wenn ihr nicht glaubet, daß ich bin, dann werdet ihr in euren Sünden sterben.“ Das sind ganz präzise Aussagen, die Jesus an die Seite Gottes rücken. Denn sie sind textgleich mit jenen Selbstbezeichnungen Gottes, die beim Propheten Isaias vorkommen. Im 43. Kapitel des prophetischen Buches des Isaias heißt es: „Ihr seid meine Zeugen – Spruch des Herrn – und mein Knecht, den ich erwählte, damit ihr erkennet und mir glaubt und einsehet, daß ich bin.“ Und im 52. Kapitel heißt es ähnlich: „Drum soll mein Volk meinen Namen erkennen; drum soll es erkennen an jenem Tage, daß ich bin, der da spricht: Hier bin ich.“ Wenn Jesus diese Offenbarungsformeln übernimmt, dann wird damit in einer letzten Weise deutlich, daß er sich an die Seite des lebendigen, wahren Gottes setzt. Man mag vor den Abgründen erschaudern, in die uns das Selbstbewußtsein Jesu blicken läßt, leugnen oder weginterpretieren kann man sie nicht! Das Zeugnis der Quellen ist zu eindeutig.

Amen.

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