Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Dezember 1995

Für Wohltaten danken

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gott will, daß wir für empfangene Wohltaten dankbar sind. Dankbar sein heißt, Wohltaten anerkennen und zu vergelten suchen. Unsere Dankbarkeit muß sich an erster Stelle Gott zuwenden, denn er ist der Spender aller Gaben. Mögen auch die Gaben Gottes durch viele Zwischenursachen zu uns kommen, der letzte in der Reihe der Glieder ist immer Gott. Wenn wir beispielsweise beim Erntedankfest Gott danken für die eingebrachte Ernte, für die Früchte, die wir in unsere Scheunen getragen haben, dann sind gewiß viele Zwischenursachen beteiligt: der Wind und das Wetter, die Sonne und der Regen, der Bauer, der gearbeitet hat, die Maschinen, deren er sich bedient hat, der Dünger, den er eingestreut hat. Aber alle diese Zwischenglieder führen sich letztlich auf Gott zurück. So ist es angebracht, Gott zu danken. Wir geben Gott die Ehre, indem wir ihn als den mächtigen und gütigen Herrn anerkennen, der er ist. Gott danken ist sachgemäß, Gott danken ist seinsgerecht. Wenn wir Gott danken, tun wir nichts Überflüssiges, wir tun etwas Notwendiges. Wir leben wirklichkeitsgemäß, indem wir den ehren, der sich uns als unser Wohltäter erwiesen hat.

Jesus selbst ist ein Vorbild der Dankbarkeit. Er sprach immer, bevor er etwas wirkte oder wenn er etwas getan hatte: „Vater, ich danke dir! Vater, ich preise dich!“ Wir wissen es beispielsweise von der Erweckung des Lazarus. Er ging auch nie vom Tisch, ohne zu danken; er sprach das große Lob- und Dankgebet. Und die Heiligen haben es ihm nachgetan. Als Noe aus der Arche stieg, die ihn vor der Sintflut bewahrt hatte, da war das erste, was er tat, daß er auf die Knie fiel und Gott dankte, einen Altar errichtete und ihm ein Lob- und Dankopfer darbrachte. Als Tobias von seiner Blindheit geheilt wurde, da sprach er: „Ich danke dir, Herr, Gott Israels, daß du mich gezüchtigt und wieder geheilt hast.“ Als Kolumbus seine große Entdeckungsreise gen Westen unternahm, da war das erste Eiland, auf das er stieß, Guamahani. Er nannte dieses Eiland aus Dankbarkeit San Salvador, heiliger Erlöser. Und er pflanzte ein Kreuz ein und dankte Gott für die wunderbare Errettung aus mancherlei Gefahren und für das Finden des gesuchten Landes.

Gott zu danken ist unsere erste und oberste Pflicht. Wir tun es in jeder heiligen Messe; denn die Messe ist eine Danksagung. Eucharistie heißt Danksagung. Wir sagen Gott Dank für seine großen Wohltaten, die er in Christus Jesus erwiesen hat. Wir danken in der heiligen Messe in besonderer Weise nach den Lesungen. Wir sagen nach der Epistel: „Dank sei Gott!“ und nach dem Evangelium: „Lob sei dir, Christus!“. Wir danken nämlich für die Offenbarung. Daß Gott uns das Licht seiner Wahrheit geschenkt hat, ist ein Anlaß zu danken. Und Dankgebete sollten immer auf unseren Lippen sein, wenn wir Wohltaten empfangen. Wir sollten immer im Herzen oder auch mit den Lippen sprechen: „Dank sei Gott!“ oder: „Ehre sei dem Vater!“ Das Dankgebet ist ein unbedingt notwendiges Gebet, das wir Gott darbringen müssen. Wir sollen aber auch den Menschen danken; denn sie sind ja die Werkzeuge, die Dienstmänner und die Dienstfrauen Gottes. Die Menschen werden von Gott erweckt, um uns Wohltaten zu erweisen, und sie stimmen mit Gott überein, wenn sie uns Wohltaten geben.

Ich weiß, meine lieben Freunde, wie Schweres mancher von Ihnen im vergangenen Jahr durchgemacht hat. Ich weiß, wieviel Leid manchem in dieser Zeit widerfahren ist. Und doch wird ein jeder von uns, auch der Leidgeprüfte, sagen müssen: Wenn ich wachsam und ehrlich bin, wenn ich meine Augen öffne und recht schaue, dann habe auch ich Anlaß zu danken. Es hat Menschen gegeben, die mir ein gutes Wort, die mir einen freundlichen Blick erwiesen haben. Ich habe auf Ämtern oder in der Sprechstunde des Arztes Freundlichkeit erwiesen bekommen. Ich habe Anlaß zu danken. Und Anlaß zu danken habe auch ich, meine lieben Freunde, nämlich für diese wunderbare Gemeinde, die vor mir sitzt, für diese guten Menschen, die zu früher Stunde sich aufmachen, um diesen Gottesdienst zu besuchen, die mit einer beispiellosen Treue in diesen Gottesdienst kommen, die hier beten und singen in der bewährten Weise, wie es die Kirche immer getan hat. Ich danke auch für die reichlichen Gaben, die ja nötig sind, denn der Gottesdienst verursacht Kosten. Aber das, was hier gespendet wird, deckt die Kosten auch um ein Vielfaches. Diese Gemeinde, die hier vor mir sitzt, ist außerordentlich gebefreudig, und dafür sei sie bedankt. Und so können wir, wenn wir in unser Leben schauen, viel Anlaß zur Dankbarkeit finden. Eine Auskunft am Bahnhof, eine freundliche Behandlung an einem Behördenschalter, das sollte uns Anlaß zur Dankbarkeit sein. Es ist nichts selbstverständlich, sondern wir müssen alles, was uns an Güte und an Freundlichkeit begegnet, aus dankbarem Herzen aufnehmen und uns dankbar erweisen.

Gott will, daß wir dankbar sind. Der heilige Apostel Paulus fordert in mehreren seiner Briefe zur Dankbarkeit auf. „Seid dankbar für alles!“ sagt er. Die Dankbarkeit hat auch einen großen Nutzen. Sie schafft eine freundliche Atmosphäre. Wir haben es schon oft erfahren, wie Menschen sich freuen, wenn sie für einen Dienst Dankbarkeit empfangen. Ich traf vorgestern am Morgen die Zeitungsausträgerin, die sich in dieser frühen Stunde aufmachte, um den Menschen rechtzeitig die Zeitung zu bringen. Ich bedankte mich bei ihr, und sie war freudig bewegt, daß sich jemand für diesen kleinen Dienst bedankt. So können wir also durch Dankbarkeit Menschen erfreuen und wir machen sie geneigt, anderen Gutes zu erweisen. Wer für seine Guttaten Dank empfängt, der ist leichter bereit, wiederum Gutes zu tun als jemand, der unbedankt bleibt. Es gibt das furchtbare Wort: „Undank ist der Welt Lohn.“ Und tatsächlich gibt es rohe und gemeine Menschen, die auch durch große Gaben und Wohltaten nicht zum Dank zu bewegen sind. Aber das ist gegen Gottes Willen. Der Heiland hat es den Aussätzigen sehr übel genommen, daß sie sich nicht bedankt haben. „Sind nicht zehn rein geworden,“ sagte er, als nur einer zurückkam, „wo sind denn die anderen neun?“ Wer undankbar ist, verletzt eine sittliche Pflicht. Er macht sich schuldig. Jawohl, so ist es. Wir sind sittlich verpflichtet, uns dankbar zu erweisen. Die Dankbarkeit öffnet die Quelle der göttlichen Gnade, sie versichert uns, daß Gott auch weiterhin uns geben und schenken wird. Sie macht aber auch die Menschen geneigt, anderen Gutes zu erweisen und Wohltaten zu schenken.

So soll der letzte Tag dieses Jahres, meine lieben Freunde, ein Tag des Dankes sein. Mancher von uns hat in diesem Jahre die bange Frage erhoben: Wie wird es weitergehen? Wie soll es weitergehen? Wird die Lage in Kirche und Welt sich immer weiter verschlechtern? Werden wir durchhalten, oder werden wir zusammenbrechen unter der Last der Sorgen, die auf uns liegen? Es ist weitergegangen, wir haben es ausgehalten. Wir haben die 365 Tage dieses Jahres die Leiden und Schmerzen getragen, die uns von außen und von innen zugefügt worden sind. Das ist ein Anlaß zu danken. Wenn es wieder gegangen ist, gegen alle Erwartung, dann war Gott im Spiel. Und wenn wir Menschen getroffen haben, gute, liebenswürdige Menschen, die uns geholfen haben, die Last zu tragen, dann war Gott im Spiel. So soll also das letzte Wort dieses Jahres ein Dank sein gegen Gott.

„Ist die Gabe noch so klein, dankbar sollst du immer sein!“

Amen.

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