Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Oktober 1995

Die Ordnung der menschlichen Sinne

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Aus Adam sind wir; aus Christus zu werden, ist unsere Aufgabe. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe soll uns die Abtötung helfen, von der wir am vergangenen Sonntag gesprochen haben. Abtötung oder Selbstverleugnung besagt nicht Vernichtung des Gesunden und Starken, sondern Abtötung bedeutet Kampf gegen die Unordnung. Die Abtötung, von der wir sprechen, muß sich an erster Stelle auf die Sinne richten. Unsere Sinne sind herrliche Mitgift Gottes. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, das sind die fünf Sinne. Und wir wissen, daß diese fünf Sinne uns unentbehrlich sind, damit unserem Geist gleichsam Nahrung geliefert wird. Die Sinne tragen ja die Sinnesbilder in die Seele, und die Seele verarbeitet sie. Dadurch lernen wir, dadurch werden wir die, die wir sein sollen. Die Sinne sind also eine großartige Gabe Gottes. Aber sie müssen bewacht werden. Sie dürfen nicht alles, was sich ihnen darbietet, unbesehen dem Geiste zuführen; denn wenn die Sinne nicht bewacht werden, sind sie die Mutter des Bösen. Die Sinne liefern uns Sinnesbilder, Phantasien, und die Phantasien reizen zum Ergreifen, zum Besitzen dessen, was uns dadurch dargeboten wird. Deswegen ist es nötig, die Sinne abzutöten.

Wir beginnen mit dem Gesichtssinn, mit dem Sehen. Es ist die herrliche Gabe des Auges, die Gott uns geschenkt hat, und diese Gabe bringt uns Eindrücke in unsere Seele, die uns erheben und beglücken. Wie schlimm ist es, das Augenlicht zu verlieren! Aber das Auge kann auch gefährliche Bilder in unsere Seele tragen. Anders als die Phantasie, die uns einen nur gedachten Gegenstand darbietet, ist das Auge fähig, uns den Gegenstand selbst zu zeigen und deswegen einen um so stärkeren Eindruck in uns wachzurufen. Wir müssen also eine Wache an unser Auge stellen. Wir müssen wachsam sein, was wir mit den Augen aufnehmen. „Hefte deine Augen nicht auf eine Jungfrau, auf daß ihre Schönheit dir nicht zum Falle werde!“ heißt es im Buche Sirach. Hier sehen wir schon, daß das Auge eine Gefahr werden kann für die Tugend der Keuschheit, daß das Auge einen Eindruck im Menschen erwecken kann, der ihn zur Unreinigkeit führt. „Ich schloß einen Bund mit meinem Auge“, heißt es im Buche Job, „daß ich mein Auge nicht auf eine Jungfrau richte.“ Und der Bischof Cyprian, der im 3. Jahrhundert n. Chr. gelebt hat, schildert einmal die Gefahr, die von dem Sehen der Darbietungen auf der Bühne, im Theater – wir würden heute sagen, im Kino oder im Fernsehen – entsteht. „Man sieht den Ehebruch auf der Bühne und lernt ihn dabei“, sagt der heilige Cyprian. „Die Frau, die vielleicht züchtig ins Theater kam, geht mit unzüchtigen Gedanken nach Hause.“ Diese weise Bemerkung macht uns darauf aufmerksam, daß wir sorgfältig darüber wachen müssen, was wir unserem Auge zuführen, was wir lesen, was wir sehen, welche Illustrierten wir anschauen, welche Bilder wir unserer Seele zuführen, denn hier lauert die Gefahr: Sehen, Denken, Besitzenwollen liegen nahe beieinander. Darum muß der Gesichtssinn bewacht, muß das Übermaß der Neugierde abgetötet werden.

Der zweite Sinn ist der Gehörssinn. Wie nützlich und tröstlich ist es, gut zu hören. Viele unserer älteren Menschen hören schwer oder haben manchmal sogar das ganze Gehör eingebüßt. Beethoven war taub und konnte die eigene Musik, die er komponiert hatte, nicht mehr hören. Welch ein Unglück! Wir dürfen hören und sollen darauf bedacht sein, daß unsere Ohren Gutes hören. Es sind drei Gefahren, gegen die man sich beim Gehörssinn wehren muß. Einmal gegen das eigene Lob. Die Schmeichelei, die uns zugetragen wird, ist eine große Gefahr für die Seele. Sie ist häufig die Ursache des Falls, sie mindert unsere Verdienste. Wir sollen, wenn wir gelobt werden, das Gespräch abbrechen oder auf einen anderen Gegenstand übergehen. Durch Schmeichelei ist schon manche Tugend zu Fall gekommen. Die zweite Gefahr ist Ehrabschneidung und Verleumdung. Es ist etwas in uns, das es gern hat, wenn ehrenrührig über andere gesprochen wird. Wir haben das unbestimmte Gefühl: Wenn der andere sinkt, dann steigen wir, und das ist eine schäbige, eine hämische Gesinnung, die wir weit von uns weisen müssen. Wir dürfen nicht hämisch, wir dürfen nicht gehässig, wir dürfen nicht ungerecht über andere sprechen. Man kann es nicht vermeiden, daß man sich ein Urteil über andere bildet. Man muß sogar, zumal aus der inneren Not, gelegentlich über andere Urteile fällen, aber sie müssen gerecht sein, und das Gespräch über die Fehler anderer muß eine wirkliche Notwendigkeit sein. Die dritte Gefahr für das Gehör ist die Lüsternheit. Viele, viele Gespräche an der Arbeitsstätte, unter Kollegen, beziehen sich auf geschlechtliche Dinge. Diese Gespräche tragen etwas in unsere Seele, was ihr zur Gefahr wird. Wenn solche Gespräche aufkommen, sollen wir uns bemühen, sie auf ein anderes Gebiet zu lenken. In keinem Falle dürfen wir der Lüsternheit unser Gehör leihen. Auch das Gehör muß abgetötet werden.

Der dritte Sinn ist der Geruch. Mit dem Geruch vermögen wir Unterscheidungen zu treffen unter den verschiedenen Gewächsen, über den Zustand von Lebensmitteln. Der Geruch verrät uns, ob eine Ware noch frisch oder ob sie schon angefault, ob sie schon verdorben ist. Der Geruch hat eine wichtige Funktion. Die Kirche nimmt ihn in ihren Dienst, indem sie Weihrauch verbrennt. Dieser herrliche Duft soll die Gedanken des Menschen von der Erde zum Himmel lenken. Und der Weihrauch ist ja auch ein Bild unserer Gebete. Wie er nach oben steigt, so sollen unsere Gebete zu Gott gehen. Also der Geruchssinn ist etwas Gutes, etwas Beglückendes. Aber auch er kann zur Gefahr werden. Gewisse Gerüche, vor allem solche, die von Frauen ausgehen, können die Sinnlichkeit reizen und die Männer unruhig machen, und das ist ja manchmal auch beabsichtigt. Hier muß man also vorsichtig sein, damit nicht durch Gerüche, durch die Erregung des Geruchssinnes Gefahren für andere entstehen, daß man nicht über den Geruchssinn in unlauterer Weise die Aufmerksamkeit auf sich lenken will und so möglicherweise den anderen zur Verführung bringt.

Der vierte Sinn ist der Geschmackssinn. Der liebe Gott hat ihn uns gegeben, damit die Aufnahme von Speise und Trank nicht nur der Sättigung und der Erhaltung des Lebens dient, sondern daß wir auch Freude dabei haben. Wir dürfen Freude am Gebrauch des Geschmackssinnes haben. Er hat ja auch eine wichtige Funktion bei der Feststellung, ob etwas, das wir zu uns nehmen, noch in Ordnung ist oder bereits in Verwesung übergegangen ist. Der Geschmackssinn ist eine dankenswerte Gabe Gottes. Aber auch er muß im Zaume gehalten werden. Schon die Vernunft sagt uns, daß wir nur nach Bedürfnis essen und trinken sollen. Die Heilige Schrift weiß Beispiele zu berichten, wie das Übermaß an Nahrung oder an Trank Menschen in die Versuchung und in die Sünde geführt hat. Von den Israeliten heißt es: „Das Volk setzte sich zum Essen und zum Trinken und dann zum Tanzen“, und sie tanzten um das Goldene Kalb. Sie warnt vor dem übermäßigen Weingenuß. Die Schrift weiß auch, daß die Fülle der Nahrung die Sinnlichkeit im engen Sinne, also die geschlechtliche Sinnlichkeit anzuregen und zu fördern geeignet ist. Mäßigkeit wird dagegen von der Heiligen Schrift gepriesen. Wegen Mäßigkeit haben viele schon ein hohes Alter erreicht, die Unmäßigen aber verkürzen ihr Leben. Die Heilige Schrift mahnt uns also, den Geschmackssinn in der rechten Ordnung zu gebrauchen, was Quantität, Qualität und Art und Weise des Genusses betrifft. Die Quantität, d.h. die Menge muß dem Bedürfnis und der Arbeit angemessen sein. Wenn ein Schwerarbeiter mehr zu sich nimmt als ein Geistesarbeiter, so ist das ganz in Ordnung, aber häufig wissen auch viele andere Menschen, die keine schwere Arbeit leisten, sich nicht zu zähmen. Sie essen zu viel, zu vielerlei und zu oft. Die Qualität der Speisen darf selbstverständlich in Ordnung sein. Aber wir sollten nicht auf die Suche nach besonderen Delikatessen gehen, wir sollten keine Feinschmecker werden. Das verträgt sich schlecht mit einem Jünger Christi. Die Feinschmeckerei ist eine epikuräische Angelegenheit, die mit dem Jünger des Gekreuzigten schlecht in eins geht. Und so ist es mit allen Trieben: Sie verlangen immer bessere Qualitäten und immer stärkere Genüsse. Schließlich muß sich die Art und Weise, wie wir essen und trinken, nach dem Bedürfnis richten, muß sie einer vernünftigen Ordnung folgen, daß sie nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit geschehen. Von einem der Paladine Adolf Hitlers, von Göhring, wird berichtet, daß er sich in der Nacht aufwecken ließ, um noch einmal Nahrung zu sich zu nehmen. In der Nacht! Also auch da muß eine gewisse Ordnung eingehalten werden in der Aufnahme von Speise und Trank. Die Kirche wußte, zumindest in der Vergangenheit, warum sie Fast- und Abstinenztage festgesetzt hat. Fasttage, in denen wir uns nur einmal sättigen, Abstinenztage, in denen wir uns von Fleisch enthalten, haben einen guten Sinn, meine lieben Freunde, auch heute. Der Freitag ist der Sterbetag des Heilandes, und wir sollen ihm zeigen, daß wir wissen, was er für uns gelitten hat. Und dieses Wissen soll sich nach außen kundtun, gleichsam verleiblichen, auch in der Nahrungsaufnahme, indem wir auf das, was zumindest in unseren Breiten als besonders kostbar und wertvoll gilt, nämlich auf Fleisch oder Wurst, verzichten. Der Fasttage sind heute wenige, es sind ja nur noch der Aschermittwoch und der Karfreitag. Aber wir sollten darüber hinaus Tage auswählen, an denen wir uns enthalten, etwa in der Adventszeit, an den Quatembertagen, die viermal im Jahre sind, und in der Fastenzeit. Diese Übungen dienen dazu, die Geschmackslust zu dämpfen und Herr zu werden über die Aufnahme von Speise und Trank. Wer sich alles gestattet, was erlaubt ist, ist nicht mehr weit vom Unerlaubten.

Und schließlich der letzte Sinn, nämlich der Gefühlssinn. Er sitzt im ganzen Körper, vor allem natürlich in den Händen, mit ihnen tasten wir. Auch er ist eine große Gabe. Wir unterscheiden z.B. warm und kalt mit dem Gefühlssinn, und das ist eine Gabe Gottes zur Erhaltung unserer Gesundheit. Wir können mit dem Tastsinn auch anderen Freude bereiten. Niemand wird es verübeln, wenn man einem Kind den Kopf streichelt oder einem Sterbenden den Schweiß von der Stirn wischt. Diese Ausübung des Tastsinnes ist durchaus berechtigt. Aber wir wissen, das Gefühl kann auch zu einer großen Gefahr werden. Man kann den eigenen Körper aufregen, um gewisse Gefühle zu erzeugen, die nicht rein sind. Und noch gefährlicher ist das Gefühl im Umgang mit anderen. Leicht wird das Betasten oder das Ergreifen einer anderen Person zu einer Art der Besitzergreifung. Und wenn man einmal damit angefangen hat, ist die Gefahr gegeben, daß man immer weiter geht, daß es keine Grenze gibt. Wie immer es um die Vergangenheit des Wiener Kardinals Groer bestellt sein mag, eines ist sicher, daß er unvorsichtig gewesen ist im Umgang mit Jugendlichen. Und deswegen ist sein Fall eine Mahnung für uns, mit dem Gefühlssinn, vor allen Dingen gegenüber dem anderen Geschlecht, aber heute muß man ja auch leider sagen, gegenüber dem eigenen Geschlecht, vorsichtig zu sein, wachsam zu sein, sich nicht selbst zu betrügen und nicht unter dem Schein des Wohlwollens eine Art Besitzergreifung zu vollziehen.

Die Sinne, meine lieben Freunde, sind eine große Gabe Gottes. Sie sind ein beglückendes Geschenk, für das wir nicht genug danken können. Wir sollen sie benutzen mit Vernunft und in Dankbarkeit, vor allen Dingen, wenn wir essen und trinken, dankbar genießen, was Gott uns gegeben hat, danken für das, was uns seine Allmacht beschert hat. Aber die Sinne müssen auch bewacht werden. Zu leicht drängt sich bei uns Adamskindern der Mißbrauch ein. Die Sinne müssen in Ordnung gehalten werden, ja sie müssen auch bis zu einem gewissen Grade abgetötet werden. Ihr Übermaß muß beschränkt werden, damit sie heilsam für unser Leben und für unsere Umwelt benutzt werden. „Wer auf das Fleisch sät, der wird vom Fleisch Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist Leben ernten.“

Amen.

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