Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. August 1995

Die Heiligkeit der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die erste wesentliche Eigenschaft der Kirche, die wir betrachtet haben, war ihre Einheit und Einzigkeit. Wir haben uns heute zu beschäftigen mit der Heiligkeit der Kirche. Das ist ein schweres Thema. Denn offensichtlich ist es, daß es zu viele Unheilige gibt in der Kirche, daß zu viele Sünder in der Kirche leben und die Heiligkeit der Kirche verdunkeln. Dennoch müssen wir versuchen zu ergründen, was es bedeutet, wenn wir im Glaubensbekenntnis beten: „Ich glaube an die heilige Kirche.“

Die ersten Christen haben sich als Heilige verstanden. Was ist damit gemeint? Das will besagen, daß sie von Gott berufen sind, daß sie herausgerufen sind aus der Welt und Gott zu eigen gegeben sind. Wenn die Kirche als heilig bezeichnet wird, dann besagt das, daß sie das auserwählte Volk Gottes ist, daß sie eine Gemeinschaft von Menschen ist, die Gott sich zu eigen erworben hat. Die Herkunft von Gott und die Zugehörigkeit zu Gott machen die Heiligkeit der Kirche aus. Die Kirche ist von oben, nicht von unten. Sie ist nicht eine religiöse Kulturmacht, sie ist nicht eine wissenschaftliche Schule, sie ist überhaupt kein Gebilde dieser Welt, sondern sie ist die Schar derer, die Gott aus der Welt herausgerufen hat und geheiligt hat.

Gott selbst ist ja der Allheilige. Die Heiligkeit Gottes ist sowohl seinshaft als auch ethisch zu verstehen. Gott ist seinshaft heilig, weil er der ganz andere ist. Er ist von allem, was geschöpflich ist, wesentlich verschieden. Schöpfer und Geschöpf besitzen eine gewisse Ähnlichkeit, aber die Unähnlichkeit zwischen ihnen ist größer. Und diesen Abstand, den Gott gegenüber der Schöpfung besitzt, nennt man die Heiligkeit, die seinshafte Heiligkeit Gottes. Diese seinshafte Heiligkeit verwirklicht er in ethischer Weise, d.h. er handelt nur heilig. Seine Gesinnung ist so heilig, wie es seinem Sein entspricht. Er wirkt nur das Heilige, weil er selbst heilig ist.

Heilig ist auch sein Gesandter, Christus. Er ist der Heilige Gottes. So bekennen ihn die Dämonen, und die Dämonen sind schlau. Sie rufen ihm zu: „Du bist der Heilige Gottes!“ Jawohl, so ist es. Er ist von oben, nicht von unten. Er gehört ganz in die Welt Gottes, er ist seinshaft heilig, weil er an der göttlichen Natur Anteil hat. Und er verwirklicht seine seinshafte Heiligkeit in seinem Handeln. Seine Speise ist es ja, den Willen des himmlischen Vaters zu tun. Er lebt in radikalem Gehorsam gegen Gott, und das macht seine ethische Heiligkeit aus.

Nun ist aber dieser Heilige Gottes, Jesus Christus, das Haupt der Kirche. Deswegen geht die Heiligkeit vom Haupte auf seinen Leib über. Die Kirche ist durch ihn geheiligt. Sie nimmt teil an der Heiligkeit des Christus. Diese Heiligkeit wird dem einzelnen Christen mitgeteilt durch Glaube und Taufe. Wenn der Mensch sich gläubig Christus zuwendet und übergibt, wenn er sich ihm überantwortet und schenkt im Glauben und wenn er gleichzeitig im Wasserbad der Taufe gereinigt wird, dann wird er ein Heiliger. Diejenigen, die ihr Christentum ernstnehmen und im Zustand der Taufunschuld beharren, werden mit Recht als Heilige bezeichnet. Jeder, der im Zustand der heiligmachenden Gnade ist, ist ein Heiliger, nämlich ein durch Christus Geheiligter. Ihm ist eine seinshafte Heiligkeit zu eigen durch die heiligmachende Gnade. Es ist das freilich eine mitgeteilte Heiligkeit, aber dennoch eine echte und wahre Heiligkeit. Absolut heilig ist nur der Herr. „Du allein bist der Heilige“, so haben wir im Gloria der heiligen Messe gebetet. Aber seine Heiligkeit als mitgeteilte wird auch denen zuteil, die sich in Glaube und Taufe zu ihm bekennen. Die Heiligkeit bedeutet Herkunft von Gott und Zugehörigkeit zu Gott. Wer heilig ist durch die heiligmachende Gnade, der stammt aus Gott und der ist Gott gehörig.

Was ihm geschenkt ist, muß er täglich verwirklichen. Seine Gottgehörigkeit muß er realisieren in einem Leben in der Nachfolge Christi. Christus hat dazu Weisungen gegeben, eindeutige, hohe Weisungen. Es gibt keine Religion auf dieser Erde, meine lieben Christen, die es mit dem Christentum aufnehmen könnten in der Höhe und im Rang der sittlichen Werte. Sie haben ihre Zusammenfassung gefunden in der Bergpredigt. In den Kapiteln 5 bis 7 des Matthäusevangeliums haben wir ein Kompendium, eine Zusammenfassung der Forderungen, welche Gottes Heiligkeit an die von ihm Geheiligten stellt. Diese Bergpredigt suchen manche zu entschärfen. Sie sagen, das sei ein Ideal oder das sei eine zukünftige Angelegenheit. Nein, das ist ein Gebot, und das ist ein in dieser Welt, hier und jetzt, geltendes Gebot. Es zu verwirklichen ist schwer, aber es ist nicht unmöglich. Der Christ kann diese Gebote halten, wenn er sie halten will! Und er kann es in der Kraft dessen, der ihn stärkt.

Da sieht man die Verantwortung, meine lieben Christen, die jeder von uns hat, um die Heiligkeit der Kirche sichtbar werden zu lassen. Durch einen jeden von uns wird die Heiligkeit der Kirche entweder dargestellt oder verhüllt. Man kann sich nicht zurückziehen und sagen: Die Amtsträger, die sind verantwortlich für die Heiligkeit der Kirche. Sie sind gewiß auch verantwortlich. Sie haben sogar die größere Verantwortung, aber sie sind nicht allein verantwortlich. Auch was die Menschen an uns sehen, ist mitgestaltend für ihr Urteil über die Heiligkeit der Kirche. Und sie soll ja nicht nur eine Eigenschaft sein, sie soll ein Merkmal sein, d.h. man soll die Heiligkeit erkennen, um an der Heiligkeit festzumachen, daß es sich hier um die wahre Kirche Christi handelt. Welche Verantwortung ist uns da aufgegeben!

Es hat immer Menschen gegeben, die dieser Verantwortung in einem heroischen Maße gerecht geworden sind. Diese Menschen nennen wir die kanonisierten Heiligen. Gemeint sind im Heiligkeitszustande lebende Menschen, die heroische Tugend entwickelt haben. In der vergangenen Woche haben wir eines Heiligen gedacht, der im vorigen Jahrhundert gelebt hat, des heiligen Johannes Maria Vianney, des heiligen Pfarrers von Ars. Im Jahre 1818 schickte ihn der Bischof von Autun in das kleine Dörflein und sagte: „In diesem Ort ist keine Gottesliebe. Sie sind gesandt, um sie zu entzünden.“ Als Vianney nach Ars kam, hielt kaum jemand den Sonntag. Die Sonntagsheiligung war durchbrochen. Die Menschen empfingen keine Sakramente, selbst an Ostern gingen nur wenige zur heiligen Beicht und zur heiligen Kommunion. Das Fluchen war an der Tagesordnung. Gut besetzt waren die drei Wirtshäuser des Ortes, aber schlecht besucht die Kirche. Wenn der Pfarrer auf die Kanzel stieg, verließen die Leute das Gotteshaus. In dieser trostlosen Wüste hat nun der heilige Pfarrer von Ars sein Werk aufgebaut. Er hat gebetet, er hat gebüßt, er hat gerungen, er hat gemahnt, er hat gedroht, nämlich mit Gottes Strafe. Und siehe da, schon nach zwei Jahren zeigten sich die Wirkungen seiner Tätigkeit. Der Sonntag wurde geheiligt, die Gottesdienste waren gut besucht, die Menschen gingen sogar am Werktag zu den heiligen Sakramenten. Bald breitete sich der Ruf dessen, was sich in Ars zugetragen hatte, auf die ganze Region aus. Ja, ganz Frankreich wurde von Ars aus erneuert. Bischöfe und Kardinäle, Staatsmänner und Professoren eilten nach Ars, um den Pfarrer predigen zu hören und bei ihm eine Beichte abzulegen. „Gott allein weiß“, hat er einmal gesagt, „wie viele Menschen hier das Heil ihrer Seele erworben haben.“ Bis zu 18 Stunden am Tag hat der heilige Pfarrer von Ars im Beichtstuhl zugebracht.

Das ist ein Beispiel, meine lieben Freunde, wie die Heiligkeit der Kirche sich immer wieder durch alle Verschüttungen durchsetzt. Es gilt auch in Zeiten der Lauheit und des Abfalls, daß es immer wieder Menschen gibt, die deutlich machen: Es gibt einen heiligen Gott, und die, die er beruft und die sich ihm willig übergeben, führt er zur Heiligkeit. Da soll man nicht mit dem Finger auf andere zeigen, wie es der Pharisäer des heutigen Evangeliums gemacht hat, da soll man nicht sagen: Ja der und jener, die versagen. Richtig, sie versagen, aber was machst du denn? Wie steht es denn um dich? Was zeigst du für ein Bild von der heiligen Kirche?

Es kam einmal ein Mann zu einem Geistlichen und sagte: „Ich suche eine vollkommene Kirche und kann sie nirgends finden.“ „So“, sagte der Geistliche, „Sie suchen eine vollkommene Kirche? Die werden Sie auch nicht finden. Da können Sie so lange suchen, bis Sie sterben. Es gibt keine vollkommene Kirche. Und wenn es eine gäbe, würde sie sich weigern, Sie aufzunehmen, denn dann wäre sie nicht mehr vollkommen.“

Die Kirche ist heilig in ihren Schätzen. Heilig ist ihr Wort, das Wort Gottes, heilig sind ihre Sakramente, die heiligen Zeichen der Gnade, heilig sind ihre Ämter, denn in ihnen wirkt die Macht Gottes. Heilig sind ihre Aufgaben, die Christus ihr gestellt hat. Heilig sind die Ziele, die ihr gesetzt sind. Die Kirche als von Gott hervorgehende Gemeinschaft ist heilig und unverbrüchlich heilig und unzerstörbar heilig. Was unheilig sein kann, sind die Menschen, die sündigen Menschen, die die Heiligkeit der Kirche schmälern, die ihre Mutter mit Flecken bedenken, die versäumen, die Heiligkeit der Kirche in ihrem Leben sichtbar zu machen.

Vor einigen Jahren ist die These aufgekommen, die Kirche sei sündig. Diese These ist falsch. Nicht die Kirche ist sündig, sondern die Menschen der Kirche sind sündig. Viele Menschen der Kirche, allzu viele, sind sündig. Aber die Kirche als solche, wie sie von Christus hervorgeht, als der Leib Christi, die Kirche als solche ist heilig, unbefleckt und makellos. So sagt es der Apostel im Brief an die Epheser: „Christus hat die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort des Lebens. Herrlich wollte er die Kirche für sich selbst darstellen, ohne Makel, ohne Runzeln oder andere Fehler. Heilig sollte sie vielmehr sein und ohne Fehl.“

Die Heiligkeit der Kirche ist gewiß noch nicht vollendet. Sie wird es erst sein, wenn alle Menschen in die Seligkeit Gottes eingegangen sind. Jetzt ist die Heiligkeit der Kirche noch unvollendet und jetzt wird sie noch befleckt durch zu viele Sünden. Aber immer wieder wird sich die Kirche als die heilige darstellen in den Martyrern, die ihr Blut für Christus vergossen haben, in den Bekennern, die ihr Leben für Christus aufgewendet haben, in den jungfräulichen Menschen, die das Irdische im Feuer der göttlichen Liebe verbrannt haben, in jedem Christen, der Gott liebt und den Nächsten liebt.

Amen.

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