Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Mai 1993

Aufgefahren in den Himmel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir alle die Gelackmeierten.“ So hat der Gründer der deutschen Sozialdemokratie, August Bebel im vorigen Jahrhundert zu seinen Genossen gesprochen. Wenn es einen Himmel gibt, dann sind wir – die wir nicht daran glauben – die Gelackmeierten!

Die Feier der Himmelfahrt Jesu Christi lenkt unsere Blicke zum Himmel. Der Inhalt des heutigen Festes läßt sich in dem einen Satz zusammenfassen: Jesus Christus ist kraft seiner göttlichen Natur mit seiner verklärten menschlichen Natur am 40. Tage nach seiner Auferstehung an jenen Ort gegangen, an dem die Seligen schon vor der Auferstehung der Toten das Antlitz des Vaters im Himmel schauen. Die Himmelfahrt Jesu ist nicht, wie die Mainzer Allgemeine Zeitung gestern schrieb, eine späte Legende. Die Himmelfahrt Christi ist ein geschichtliches Ereignis. Ihre Tatsächlichkeit ist mit der Geschichtlichkeit der Evangelien und der Apostelgeschichte untrennbar verknüpft. So wahr wie Jesus über den See Genesareth gewandelt ist, so wahr ist auch seine Auffahrt in den Himmel. Er hat dieses Ereignis vorhergesagt. Vor seinen Richtern im Hohen Rat kündigte er an: „Ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Dabei hat er nur aufgenommen, was im Alten Testament schon der Prophet Daniel geschaut hatte: „Während ich noch die Nachtgesichte hatte, kam plötzlich einer, der aussah wie ein Menschensohn, auf den Wolken des Himmels. Als er bei dem Hochbetagten angelangt war, führte man ihn vor denselben. Ihm ward nun Herrschaft, Ehre und Reich verliehen, ihm müssen alle Völker, Nationen und Zungen dienen, seine Herrschaft wird ewig dauern und nie vergehen. Niemals wird sein Reich zerstört werden.“ Diese Prophezeiung hat sich in der Himmelfahrt unseres Herrn und Heilandes erfüllt.

Man kann den Inhalt dieses Festes in vier Teilinhalte zerlegen, und das wollen wir tun, um einzudringen in das Geheimnis dieses Festes, soweit es menschlichem Denken möglich ist.

1. Die Himmelfahrt Christi ist die Vollendung der Erhöhung.

2. Die Himmelfahrt Christi ist das Ende der Erscheinungen.

3. Die Himmelfahrt Christi ist die Voraussetzung der Geistsendung.

4. Die Himmelfahrt Christi ist Vorbild und Unterpfand unserer eigenen Aufnahme in den Himmel.

Der erste Satz, mit dem wir den reichen Inhalt des heutigen Festes zu beschreiben versuchen, lautet: Die Himmelfahrt Christi ist die Vollendung der Erhöhung. Das ist der Fachausdruck, mit dem das Neue Testament das Herrlichkeitsgeschehen an unserem Heiland beschreibt: Erhöhung, Hypsosis – das ist der griechische Ausdruck. Diese Erhöhung hat begonnen mit Kreuzigung und Auferstehung. Jawohl, schon die Kreuzigung war eine Erhöhung, weil sie nämlich die Voraussetzung seiner Verklärung war. Im Auferstehungsgeschehen ist dann die Macht Gottes durch die menschliche Natur Jesu hindurchgebrochen, da begann sie zu glühen von dem Licht Gottes und von der Herrlichkeit Gottes, aber dieses Glühen war, wenn man so will, noch nicht ganz vollendet. Erst mußte die menschliche Natur Jesu Platz nehmen zur Rechten Gottes. Erst mußte sie jene Herrlichkeit empfangen, die ihr immer eigen war, aber die zur irdischen Zeit des Jesus von Nazareth verborgen war. Jetzt bricht sie hervor, jetzt erfüllt sich, was im Psalm 109 steht: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich dir deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege!“ Jetzt endlich hat Gott ihm den Namen gegeben, den er verdient, den Namen, der über allen Namen ist, den Namen, in dem sich alle Knie beugen müssen im Himmel, auf Erden und unter der Erde, den Namen, bei dem alle Zungen bekennen müssen: Jesus Christus ist der Herr in der Herrlichkeit Gottes des Vaters! Ja, die Himmelfahrt Jesu ist die Vollendung der Erhöhung, ein Komplement, eine Ergänzung der Auferstehung.

Zweitens: Die Himmelfahrt Jesu ist der Abschluß der Erscheinungen. Vierzig Tage hindurch ist der Herr in verklärter Gestalt den Seinen erschienen. In dieser Zeit hat er wichtige Belehrungsarbeit geleistet. Er befestigte in den Jüngern den Glauben an seine Auferstehung, an seinen Sieg über Hölle, Satan und Tod. In dieser Zeit gab er ihnen Weisungen für den Aufbau seiner Kirche. Vierzig Tage hindurch schulte er die Apostel, um sie zu befähigen, bis an die Grenzen der Erde zu gehen und allen Völkern die Heilsbotschaft zu bringen. Aber jetzt ist diese Zeit endlich und unwiderruflich vorbei. In dieser Gestalt, in dieser verklärten Menschengestalt, die aber gleichzeitig fähig war, gesehen zu werden, zu essen und zu trinken, in dieser verklärten Menschengestalt wird Christus nicht mehr erscheinen bis zum Ende der Zeit. Dann allerdings wird er in dieser Gestalt wiederkommen, und dann werden ihn alle sehen, die ihn sehen wollen und die ihn nicht sehen wollen, die auf ihn warten und die ihn zu fürchten haben. Jetzt also, mit der Himmelfahrt Christi, ist das Ende der Erscheinungen gekommen.

Drittens: Die Himmelfahrt Christi ist die Voraussetzung der Geistsendung. Ich weiß nicht, ob Sie, meine lieben Freunde, schon einmal nachgedacht haben über diese merkwürdige Wendung in den Abschiedsreden Jesu, wo er sagt: „Es ist gut für euch, daß ich hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, kann der Beistand nicht zu euch kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“ Warum kann denn der Beistand nicht kommen, wenn der Herr nicht hingeht? Warum muß er erst hingehen, also geopfert werden, auferstehen und in den Himmel auffahren? Warum muß er erst hingehen, damit der Beistand kommen kann? Die Antwort lautet: Der Heilige Geist strömt aus der verklärten und erhöhten Natur unseres Heilandes auf die Menschheit über. Erst muß das Haupt der Menschheit verklärt und erhöht, vom Geiste durchglüht sein, bevor von diesem Haupte Ströme des Geistes auf die Menschheit ausgehen können. Erst muß am Haupte vollendet sein, was dann an den Gliedern geschehen soll. Wenn es am Haupte vollendet ist, dann soll es aber auch an den Gliedern geschehen. Das ist der innere Zusammenhang für die Verknüpfung von Himmelfahrt Christi und Geistsendung. „Wenn ich nicht hingehe, kann der Beistand nicht kommen. Wenn ich aber hingehe, werde ich ihn euch senden.“

Viertens: Die Himmelfahrt Christi ist Vorbild und Unterpfand unserer eigenen Aufnahme in den Himmel. Er geht hin als der Mittler, er geht hin als das Haupt der Menschheit, und deswegen ist sein Ziel, alle dahin mitzunehmen, wohin er geht. Er sagt es ja selber: „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, euch eine zu bereiten. Und wenn ich sie bereitet habe, dann werde ich kommen und euch zu mir nehmen.“ Er ist also gewissermaßen der Quartiermacher für uns. Er bereitet uns eine Wohnung, die wir in Besitz nehmen sollen, wenn das irdische Zelt abgebrochen wird. Seine Himmelfahrt – die aus eigener Kraft geschah – ist das Vorbild und das Unterpfand unserer eigenen Aufnahme, die aus fremder Kraft geschehen soll, nämlich aus der Kraft unseres Herrn und Heilandes, der in der Auferstehung lebendig und in der Himmelfahrt erhöht worden ist.

Wenn wir das Empfinden haben, meine lieben Freunde, daß die Wahrheit von der Himmelfahrt Christi wie alle Wahrheiten unseres Glaubens überhaupt außerordentlich und außergewöhnlich ist, dann ist dieses Empfinden richtig. Beim Christentum handelt es sich  durchgängig um Außerordentliches und Außergewöhnliches, ja um Einzigartiges und Konkurrenzloses. Keine religionsgeschichtliche Parallele vermag mit dem Christentum zu konkurrieren. Was das Christentum uns bietet, ist einmalig und einzigartig, und deswegen ist ein gewisses Befremden durchaus angemessen. Man kann nicht mit Gott – mit dem wahren Gott, mit Göttern schon – umgehen wie mit seinesgleichen, sondern wenn Gott ins Spiel kommt, dann setzt das menschliche Begreifen aus. So ist es auch bei der Himmelfahrt unseres Herrn. Billiger Spott vermag daran nichts zu ändern. Es geht nicht um das Sternenzelt, zu dem sich unser Herr begeben hat, es geht nicht um den Wolkenhimmel, es geht nicht um den Luftraum, wo Vögel oder Flugzeuge sich bewegen, sondern es geht um jene Wirklichkeit, wo Gott sich den Seinen, die er durch den Tod hindurch gerettet hat, jetzt schon in unverhüllter Herrlichkeit offenbart. Wir wissen nicht, wo dieser Ort sein mag. Daß jedoch Christus mit seiner menschlichen Natur an einem Orte sein muß, ist selbstverständlich, denn sonst, wenn er an keinem Orte wäre, hätte sich die menschliche Natur aufgelöst. Sie existiert aber. Doch es ist uns unmöglich, mit unseren Erfahrungsmitteln anzugeben, wo sich die verklärte Natur Jesu befindet.

Wir werden Antwort bekommen, wenn wir ihr nach unserem seligen Scheiden begegnen. Für jetzt bleibt uns der Glaube. Und in diesem Glauben, meine lieben Freunde, wollen wir das alte Gebet sprechen: „O Christus, als Sieger bist du heute über alle Himmel emporgestiegen. Laß uns nicht als Waisen zurück, sondern sende auf uns herab den Geist der Wahrheit, den der Vater verheißen hat, auf daß er uns einführe in alle Wahrheit und uns unerschütterlich mache im Bekenntnis und in der Treue zu dieser Wahrheit!“

Amen.

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