Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juli 1992

Die Ehre

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unter den äußeren Gütern des Menschen ist eines der wichtigsten die Ehre. Die Ehre, richtig verstanden, ist nicht in uns, sondern ein Urteil der Menschen über uns. Die Ehre ist die äußere Anerkennung persönlicher oder mit der Person verbundener Vorzüge des Nächsten in seiner wenigstens gedachten Gegenwart. Wenn die Ehre dem Menschen gezollt wird, dann bekommt er einen guten Ruf, einen guten Leumund. Und wenn die Ehre sich auf weiteste Kreise ausdehnt und besondere Intensität annimmt, dann spricht man vom Ruhm.

Die unterste Stufe der Ehre ist der gute Name. Auf ihn hat jeder Anspruch, der nicht durch sein Verhalten dessen unwürdig geworden ist. Nicht immer treffen Ehre und Ehrenhaftigkeit, treffen äußere Anerkennung und innere Würdigkeit zusammen. Die weise Marie von Ebner-Eschenbach hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Man hat nie den Ruf, den man verdient, sondern entweder einen zu guten oder einen zu schlechten.“ Und auch der heilige Pfarrer von Ars warnte davor, die äußere Ehre immer gleichzusetzen mit der inneren Würdigkeit. „Man ist das“, sagt er, „was man vor Gott ist, nicht mehr und nicht weniger.“ Aber auch wenn wir diese Einschränkungen machen, bleibt die Ehre ein hohes Gut. Sie hat eine große Bedeutung für den Einzelmenschen und für die Gesellschaft. Der einzelne Mensch wird durch die Ehre im Guten gefördert; denn er sagt sich: Ich darf meine Ehre nicht aufs Spiel setzen, ich muß mich so verhalten, daß ich meine Ehre behalte. Ich muß ehrenhaft handeln, um der Ehre nicht verlustig zu gehen. Die Ehre ist ein Antrieb, recht zu handeln.

Für den Nächsten bedeutet die Ehre eine Festigung im Guten. Wenn er sich von ehrenhaften Männern und Frauen umgeben sieht, dann wird er danach streben, ebenfalls ehrenhaft zu sein. Er wird sich also ermutigt sehen durch Menschen, welche Ehre besitzen, ehrenhaft zu leben. Von der Ehre des einen geht eine heilsame Wirkung auf das Verhalten des anderen aus. Sie festigt ihn im Guten.

Schließlich hat die Ehre aber auch einen Bezug zu Gott. Der heilige Ignatius von Loyola hatte den Grundsatz: „Alles zur größeren Ehre Gottes!“ Wir sind gehalten, so zu leben, zu wirken und zu handeln, daß dadurch Gottes Ehre gemehrt wird, daß wir nicht mit unserem Handeln und Verhalten Gott Schande machen. Gott will Verehrer haben, die ihm Ehre eintragen. Er will durch die Menschen geehrt sein. Wir haben deswegen die Pflicht und das Recht, uns um die Ehre zu kümmern. Wir sind verpflichtet und berechtigt, für unsere Ehre zu sorgen. Die Heilige Schrift weist an vielen Stellen Aufforderungen auf, sich um die Ehre zu bemühen. Zum Beispiel schreibt der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief: „Niemand wollen wir irgendeinen Anstoß geben, damit nicht unser Amt getadelt werde.“ Er weiß, wenn man Ärgernis gibt, wenn man sich verfehlt, wird dadurch der Dienst, den man verrichtet, in seiner Wirkung gemindert, verliert man an Ansehen und Einfluß und Autorität. Deswegen: „Niemand wollen wir irgendeinen Anstoß geben, damit nicht unser Amt getadelt werde.“ Oder an einer anderen Stelle: „Wir nehmen Bedacht auf das, was recht und billig ist, nicht bloß vor dem Herrn, sondern auch vor Menschen.“ Es geht ihm also nicht nur darum, daß man ein gutes Gewissen hat, sondern daß das rechte Handeln auch vor den Menschen Anerkennung findet. Oder im Philipperbrief: „So werdet tadellos und lauter, Kinder Gottes ohne Fehl mitten unter einem verderbten und verkehrten Geschlecht.“ Hier ergeht die Aufforderung, sich nicht von der Umwelt hineinziehen zu lassen in den Schlamm und in die Fäulnis, sondern tadellos und lauter zu leben wie Sterne im Weltall. Und im 1. Thessalonicherbrief: „Meidet jeden Schein des Bösen!“ Auch den äußeren Anschein des Bösen muß man meiden, nicht nur das Böse. Und der Apostel Petrus schließt sich an, wenn er schreibt: „Führet einen ehrbaren Lebenswandel unter den Heiden. Sie sollen, während sie euch als Übeltäter schmähen, eure guten Werke sehen und um ihretwillen am Tage der Heimsuchung Gott die Ehre geben.“

Was die Apostel hier lehren, ist nur der Widerhall dessen, was unser Herr und Heiland uns aufgetragen hat. Die Menschen sollen eure guten Werke sehen, sagt er. „Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater preisen, der im Himmel ist.“ Aus der Ehre seiner Anhänger gewinnt Gott Lob und Preis.

Besonders wichtig ist die Standesehre, also die Ehre, die mit bestimmten Berufen verknüpft ist. Es soll ein Handwerker ein ehrbarer Handwerker sein. Es soll ein Kaufmann ein redlicher Kaufmann sein. Es soll ein Beamter ein gewissenhafter Beamter sein. Es soll ein Lehrer ein verständiger Erzieher sein. Die Standesehre ist von großem Gewicht. Wer einen Stand verunglimpfen will, der kratzt an seiner Ehre.

Wir sollen auch die Ehre verteidigen, wenn sie angegriffen wird; denn dieses hohe Gut ist immer gefährdet. Die Feinde trachten danach, einen Stand, eine Elite, dadurch zu Fall zu bringen, daß sie sie verleumden, daß sie ihr die Ehre nehmen, daß sie Falsches gegen sie vorbringen.

Auch der Herr hat seine Ehre verteidigt. Einmal sagten die Pharisäer, als sie seine Teufelsaustreibungen erlebten: „Durch Beelzebub, den obersten der Teufel, treibt er die Teufel aus.“ Sie bezichtigten also den Herrn, der vom Heiligen Geiste erfüllt war, des Teufelspaktes, der Verbindung mit dem Satan. Das hat der Herr nicht hingenommen. Er hat seine Ehre verteidigt. Wie denn? „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, fällt dahin.“ Wenn der Teufel den Teufel austreibt, ist das Reich des Teufels gespalten und müßte zugrundegehen. Es geht aber nicht zugrunde. Infolgedessen ist es unmöglich, was ihr sagt, daß der Satan durch den Satan ausgetrieben wird. Und selbst im Angesichte des Todes hat der Herr seine Ehre verteidigt. Als er vor Pilatus stand und ihm ein Knecht ohne Grund eine Ohrfeige verabreichte, da sagte er: „Habe ich unrecht geredet, so beweise es mir! Habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“ Wir können, wir dürfen, wir sollen also unsere Ehre verteidigen.

In der heutigen Zeit ist die Ehre jener Christen gefährdet, welche noch im vollen katholischen Glauben stehen. Solche Menschen werden heute von Modernisten und Zerstörern des Glaubens verunglimpft. Der Hauptvorwurf ist der des Fundamentalismus. Diejenigen, die am katholischen Glauben festhalten, die so glauben, wie die Kirche immer geglaubt hat, werden als Fundamentalisten, d.h. als engstirnig, fanatisch, verbohrt, rückständig und darum gemeingefährlich diffamiert. Auf diese Weise will man die Kritik an zerstörerischen Aufstellungen der Modernisten unterbinden. Es gibt heute wenige Hoffnungszeichen in unserer Kirche. Aber die wenigen Hoffnungsträger leiden ganz besonders unter Verunglimpfung und Ehrabschneidung. Ich nenne an erster Stelle das große Opus Dei und an zweiter Stelle die Pfadfinder Mariens. In beiden Gruppierungen sammeln sich lautere, gotterfüllte, tadellose und auf die Förderung des Reiches Gottes bedachte Persönlichkeiten, Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche. Und niemand wird in der heutigen Zeit so verfolgt wie diese beiden Gruppierungen. Der Satan wird rebellisch, wenn sich Großes im Reiche Gottes tut, und er greift zu der furchtbaren Waffe der Vernichtung der Ehre. Die angegriffenen Formationen haben sich mit Recht dagegen gewehrt. Aber wir wissen, die Verleumdung ist oft stärker als die Entlarvung der Verleumdung. Deswegen muß man bis zu einem gewissen Grade bereit sein, um Jesu willen, um des Reiches Gottes willen, Verfolgung zu leiden.

Auch das ist vom Herrn vorhergesagt. In den Seligpreisungen der Bergpredigt heißt es: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und alles Schlechte lügnerisch wider euch reden um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel!“ Und ähnlich schreibt der Apostel Paulus: „Wir sind Toren um Christi willen. Ihr aber seid klug. Wir sind schwach, ihr aber seid stark. Ihr seid geachtet, wir aber sind verachtet. Wir werden verleumdet. Zu Sündenböcken für alle Welt sind wir geworden, der Abschaum von allem bis zur Stunde.“ Oder an einer anderen Stelle im Galaterbrief: „Suche ich noch Menschen zu gefallen? Wenn ich Menschen zu gefallen suchte, wäre ich nicht Christi Diener.“ Wer den Menschen nach dem Munde redet, wer ihnen gefallen will, der ist angesehen bei ihnen. Wer aber Christi Diener ist, der kann ihnen nicht nach dem Munde reden, der muß ihnen vielmehr einen Spiegel vorhalten, den Spiegel der Tugend, den Spiegel des Heiligen, den Spiegel des Guten. Ein solcher Mensch ist unwillkommen. Und um sich seiner zu entledigen, greift der Haß zu der tödlich wirkenden Waffe der Verunglimpfung. Denn man weiß: Wer keine Ehre mehr hat, wer kein Ansehen mehr hat, dem wird die Wirksamkeit beschnitten. Ohne Ansehen, ohne Ehre verfällt auch die Autorität.

Und schließlich der Apostel Petrus in seinem ersten Brief: „Wenn ihr um des Namens Christi willen beschimpft werdet, seid ihr selig, weil der Geist der Herrlichkeit und Gottes Kraft auf euch ruht.“ Also auch Petrus rechnet damit, daß diejenigen, die lauter und rein Christi Nachfolge antreten, deswegen – deswegen! – verfolgt und verleumdet werden. Das ist das Schicksal derer, die am wahren Glauben festhalten, die sich bemühen, ein Leben nach den Geboten zu führen. Gegen sie macht der Satan mobil. Und eine der wirksamsten Waffen ist die Verleumdung, die Ehrabschneidung, die Verunglimpfung.

Es ging einmal, meine lieben Freunde, ein Bauer mit seinem Sohne über die Felder. Der Sohn sagte zu dem Vater: „Sieh, Vater, diese Ähren, diese Halme, die sich so hoch aufrichten, das sind wohl besonders vornehme; und diejenigen, die sich neigen, das sind wohl geringere.“ Da nahm der Vater einen Halm, brach ihn und zeigte ihn. „Siehst du, mein Sohn“, sagte er, „dieser Halm trägt keine Frucht. Deswegen steht er aufrecht. Und die anderen, die schwer beladen sind von Ähren, die neigen sich.“ Ähnlich-unähnlich ist es oft in unserem Leben, meine lieben Freunde. Es haben diejenigen  Ehre und Ansehen, die taub und leer und hohl sind, und es werden jene verdächtigt, verunglimpft und verleumdet, die für das Reich Gottes am meisten bedeuten.

Das soll uns nicht irremachen auf unserem Wege. Wir wollen in Demut die Verdächtigungen und die Verleumdungen ertragen. Wir wissen, daß wir damit unserem Herrn und Heiland ähnlich werden. In aller Demut wollen wir uns beugen unter die mächtige Hand Gottes und wollen vertrauen, daß er zu seiner Zeit die Wende herbeiführen wird, die das Recht zum Siege führt und die das Laster brandmarkt.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt