Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Juni 1991

Über außerevangelische Zeugnisse der Geschichtlichkeit Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Nachrichten über Jesus kommen uns zu aus den Evangelien. Es hängt also von der Zuverlässigkeit der Evangelien ab, ob unser Glaube auf Tatsachen oder auf Phantasien beruht. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns bemüht, die Zuverlässigkeit des Zeugnisses der Evangelien kennenzulernen. Am heutigen Sonntag wollen wir dieses Zeugnis noch stützen durch einen anderen Weg der Erkenntnis. Außerhalb der Evangelien werden auch Nachrichten von Jesus überliefert, einmal durch die unechten Evangelien. Es hat viele solche unechten Evangelien gegeben, man nennt sie apokryphe, verborgene. Die Kirche hat sie abgelehnt. Aber auch dort ist von Jesus die Rede. Sodann gibt es Nachrichten aus der jüdischen Welt. Die Juden haben bestimmte Mitteilungen über Jesus aufbewahrt. Und schließlich haben auch einige heidnische Schriftsteller uns von Jesus berichtet. Alle diese drei Schriftengruppen können uns in der Zuverlässigkeit der Evangelien bestärken. Wieso?

Erstens die unechten Evangelien. Es hat viele solche unechte, apokryphe Evangelien gegeben, das Hebräer-Evangelium zum Beispiel, das Hiernonymus noch kannte, das Ebioniten- und das Ägypter-Evangelium und das Petrus-Evangelium, die um das Jahr 100 nach Christus etwa entstanden sind. In diesen Evangelien gibt es keine glaubwürdige Nachricht über Jesus, die nicht schon in den echten Evangelien enthalten wäre. Aber außerdem bringen sie eine ganze Menge unechtes Material. Sie suchen die Lücken, die das Evangelium, das wahre Evangelium aufweist, auszufüllen. Und da sie keine sicheren Nachrichten haben, tun sie es durch erfundene, durch phantastisch erzeugte Nachrichten. Im echten Evangelium wird zum Beispiel berichtet von dem Manne mit der verdorrten Hand, den der Heiland an einem Sabbat in der Synagoge heilte. Eines der unechten Evangelien weiß zu berichten, daß der Mann gesagt habe: „Ein Maurer war ich. Mit meiner Hände Arbeit habe ich meinen Unterhalt verdient.“ Hier hat man versucht, das echte Evangelium zu ergänzen. Im echten Evangelium wird berichtet von dem reichen Jüngling, dem der Heiland sagt: „Verkaufe alles, was du hast, und dann komm und folge mir nach!“ Das unechte Evangelium läßt diesen jungen Mann eine typische Geste der Verlegenheit machen: „Er kratzt sich am Kopfe“, so wird da berichtet. Die echten Evangelien melden an keiner Stelle den Vorgang der Auferstehung selbst. Sie berichten vom Auferstandenen, sie melden die Erscheinungen des Auferstandenen, aber das Ereignis der Auferstehung selbst wird nicht berichtet. Diesem Mangel suchen die unechten Evangelien nachzuhelfen. Sie schildern, wie zwei Männer vom Himmel steigen und in das Grab hineingehen; ein dritter kommt dann mit heraus, aber der überragt die beiden anderen, und seine Gestalt ragt bis zum Himmel. Ein Kreuz folgt ihm, und eine Stimme ertönt: „Hast du den Entschlafenen gepredigt?“ Die Antwort lautet: „Ja.“

Das sind krampfhafte Versuche, die echten Evangelien zu ergänzen, Lücken zu füllen, die Neugierde zu befriedigen, Anschaulichkeit zu liefern. Manche dieser unechten Evangelien überschreiten sogar die Grenze des guten Geschmacks. Das sogenannte Thomas-Evangelium versucht zu schildern, was Jesus vom fünften bis zum zwölften Lebensjahr getrieben hat. Die echten Evangelien berichten davon nichts. Aber eben dieses Schweigen hat dieses Evangelium oder dessen Verfasser bewogen, etwas zu erfinden. Da ist zum Beispiel die Rede, daß der Knabe Jesus seinen Lehrern hat Belehrungen zuteil werden lassen; er habe dem Vater Bretter verlängert; in seinem Oberkleid habe er Wasser getragen; aus Lehm habe er Sperlinge gebildet, in die Luft geworfen, und dann seien sie lebendig geworden. Das sind märchenhafte, legendenhafte Züge, die wir nicht ernst nehmen können und die die Kirche von Anfang an abgelehnt hat. Sie hat diese Evangelien abgewiesen, weil sie unecht sind, weil sie Erfindungen menschlicher Neugierde sind. Das spricht für die Echtheit unserer kanonischen Evangelien. Die Kirche hat mit ihrem untrüglichen Sinn für das Echte unterschieden zwischen dem, was Tatsachenbericht ist, und dem, was gut gemeinte oder weniger gut gemeinte Erfindung ist.

Die zweite außerevangelische Quelle sind jüdische Berichte. Der Talmud ist das Buch der Juden, in dem ihre gesetzlichen Vorschriften und auch geschichtliche Partien enthalten sind. Im Talmud ist auch die Rede von Jesus. Dort wird Jesus Jeshua genannt, „Jeshua aus Nazareth“, heißt es da. Und was wird von ihm berichtet? Er wird dort verächtlich dargestellt; der Haß führt den Verfassern die Feder. Er habe das Volk Israel verführt und irregeleitet; er habe Zauberei gewirkt – das ist ein Nachklang der Wunder Jesu. Man kann sie nicht leugnen, aber man erklärt sie durch Zauberei; er habe Jünger gesammelt, fünf Jünger, so ist davon die Rede, und am Sabbat vor dem Pessach-Feste sei er aufgehängt worden am Kreuze. Diese Nachrichten von Jesus bezeugen in jedem Falle seine geschichtliche Existenz und auch manches von seinen Wundern. Sie berichten auch darüber, daß er die Thora, also das Gesetz des Alten Bundes, ausgelegt habe. Insofern können wir also sogar in den Nachrichten des Talmud eine Bestätigung unserer Evangelien finden.

Ganz eigenartig ist eine Schilderung, die ein Jude gibt, der Flavius Josephus. Das war ein Jude, der bei der Belagerung von Jerusalem im Jahre 70 dabei war und dann ein Buch geschrieben hat: „Jüdische Altertümer“. In diesem Buche steht nun Folgendes geschrieben: „Um diese Zeit trat Jesus auf, ein weiser Mensch, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte auffallende Werke und lehrte die Menschen, welche die Wahrheit freudig aufnehmen. Viele Juden, aber auch viele aus der hellenischen Welt brachte er auf seine Seite. Er war der Christus. Auf die Anzeige der Vornehmsten von uns hat Pilatus ihn zum Kreuzestod verurteilt. Gleichwohl ließen seine Anhänger nicht von ihm ab, denn er erschien ihnen nach drei Tagen wieder lebend, nachdem die gottgesandten Propheten dieses und viele andere wunderbare Dinge von ihm vorhergesagt hatten. Und noch bis jetzt ist die nach ihm benannte Sippe der Christen nicht erloschen.“ Das wäre ja nun ein sehr schönes Zeugnis für das, was wir in den Evangelien lesen, wenn es echt wäre. Dieser Text ist unzählige Male untersucht worden. Die äußere Beglaubigung reicht nicht über das 9. Jahrhundert zurück. Wir haben also nur Handschriften aus dem 9. Jahrhundert, aber Flavius Josephus hat im Jahre 93-94 nach Christus geschrieben; also acht Jahrhunderte liegen dazwischen. Deswegen ist es durchaus möglich, ja wahrscheinlich, daß die Stelle, die ich Ihnen eben vorgetragen habe, von Christen in seine ursprüngliche Schrift eingefügt worden ist, interpoliert, wie man das nennt; denn es ist nicht anzunehmen, daß ein Jude, der Jude bleibt, von Christus als dem Messias spricht und gleichzeitig gläubig seine Auferstehung bekennt. Dann hätte er ja Christ werden müssen. So ist also dieses Zeugnis für uns insofern wertlos, als es nicht echt ist.

Es gibt dann eine dritte Gruppe von Zeugnissen, die von Heiden stammen. Einer der größten heidnischen Schriftsteller war Tacitus, der Geschichtsschreiber der Kaiserzeit. Er schrieb im Jahre 115 bis 117. Und dieser Tacitus, der uns auch die „Germania“ überliefert hat, wo er von Germanien schreibt, erwähnt bei der Beschreibung des Kaisers Nero den Brand von Rom, und er fügt hinzu, daß Nero versucht habe, die Schuld auf das Volk der Christen abzuwälzen. Und dann beschreibt er die Christen. „Christus, auf den dieser Name zurückgeht, war unter der Regierung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden. Der verderbliche Aberglaube war damit zunächst unterdrückt worden, brach aber dann wieder hervor, und zwar nicht bloß in Judäa, wo das Übel seinen Ursprung hatte, sondern auch in Rom, wo alles Häßliche und Schändliche zusammenfließt und Anklang findet.“ Das ist nun ein sehr wertvolles Zeugnis, denn Tacitus war ein sehr genauer Schriftsteller; er hat das wiedergegeben, was er aus den besten Quellen erheben konte. Und hier haben wir nun ein sehr prägnantes Zeugnis von Christus und den Christen. Was hier berichtet wird, das bestätigt die Evangelien. Judäa, Pontius Pilatus, Christus, seine Bewegung – dieses Zeugnis des Tacitus reiht sich nahtlos in die Mitteilungen ein, die wir in den Evangelien finden.

Ein anderer römischer Schriftsteller der Kaiserzeit war Sueton. Er hat uns Biographien, Lebensbeschreibungen der Kaiser übermittelt. In einer dieser Biographien, nämlich über den Kaiser Nero, spricht er von dem neuen und verruchten Aberglauben der Christen, ordnet also zeitlich richtig, wenn auch mit gehässiger Unterstellung, das Christentum in die Zeit des Kaisers Nero in Rom ein. An einer anderen Stelle berichtet er von Kaiser Claudius, der ein Vorgänger des Nero war. Der Kaiser Claudius, so heißt es da in dieser Biographie, habe die Juden aus Rom vertrieben „wegen ihrer dauernden Unruhen, die von Chrestus verursacht wurden“. Wegen ihrer dauernden Unruhen, die von Chrestus verursacht wurden. Er hat offenbar die Juden mit den Christen gleichgesetzt, weil ja die ersten Christen alle Juden waren, und hat gemeint, daß Chrestus (Christus) selbst in Rom gewesen sei. Seine Nachrichten sind also getrübt, sind verschwommen und sind nicht klar, aber immerhin, das eine ist sicher: Er berichtet ein historisches Ereignis, nämlich Vertreibung der Juden aus Rom, und dieses Ereignis wird uns auch in der Apostelgeschichte bezeugt. Im 18. Kapitel dieses Werkes ist von dieser Austreibung die Rede.

Und schließlich ein letztes Zeugnis, das ist jenes des Statthaltes von Bithynien, Plinius. Als ein Zeugnis über den Glauben und das Leben der Christen ist es von ungeheurer Bedeutung. Der Statthalter Plinius, Prokurator Plinius von Bithynien, das ist in Kleinasien, in der heutigen Türkei, hat im Jahre 112 einen Bericht an den Kaiser Trajan in Rom gesandt. In diesem Bericht schreibt er über die Christen, daß sie außerordentlich sittenrein leben, daß aus jedem Geschlecht, aus jedem Alter, aus jedem Stand sich Menschen zu ihnen bekennen und daß sie sich am ersten Tage der Woche versammeln und Christus als ihrem Gott kultische Huldigung darbringen. Dieser amtliche Bericht zeigt, daß um diese Zeit das Christentum eine wachsende Bewegung war und daß Christus göttliche Würde bei diesem Volk der Christen einnahm, daß die Christen den Sonntag hielten, die Sonntagsfeier, daß sie eben damals schon das taten, was wir heute heilige Messe nennen.

Diese Nachrichten,  meine lieben Freunde, sind knapp. Es sind wenige. Aber was sie berichten, das unterstützt unsere Überzeugung, daß die Evangelien Tatsachen berichten, daß wir uns auf die Evangelien verlassen können, daß unser Glaube nicht auf Phantasien, auf Illusionen, auf Erfindung beruht, sondern daß unser Glaube auf dem Felsengrund der Geschichte steht, der Geschichte, die Gott mit seinem Christus und mit seinem Volke ins Leben gerufen hat.

Amen.

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