Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Juli 1990

Das Meßopfer als Gemeinschaftsopfer der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit mehreren Sonntagen versuchen wir, uns das Geheimnis des eucharistischen Opfers aufzuschließen. Das Opfer ist eine sinnbildliche Handlung, in welcher der Mensch eine Gabe, die ihm gehört, Gott schenkt und weiht und in der er seine eigene Hingabe vollzieht und ausdrückt. Dieser Begriff des Opfers trifft in vollem Umfange auf das eucharistische Opfer zu. Hier haben wir eine Gabe, die wir besitzen, weil sie uns Gott geschenkt hat, nämlich den Leib und das Blut unseres Heilandes. Diese Gabe hat er uns zu eigen gegeben, hat er seiner Kirche anvertraut. Diese Gabe bringen wir Gott dar, um ihn zu ehren und anzubeten, um in Gemeinschaft mit ihm zu kommen, um von unseren Sünden frei zu werden und das Heil zu gewinnen.

Die Opferdarbringung zeigt einen gegliederten Aufbau. Christus hat Menschen herausgerufen und sich verähnlicht, damit sie an seiner Stelle als sein Werkzeug dieses Opfer in entscheidender Weise darbringen können. Diese Werkzeuge nennen wir Priester. In der Priesterweihe sind sie Christus verähnlicht worden, so daß sie seine Rolle spielen können, so daß sie, wie er beim Abendmahl, jetzt sprechen können: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“

Aber der Priester ist nicht der einzige, der opfert. Die um ihn versammelten Gläubigen opfern mit. Durch ihn und in ihm opfern die Gläubigen Christus dem himmlischen Vater mit auf. Priester und Volk sind eine Opfergemeinschaft. Der Priester ist der Anführer, jawohl, das ist er, aber die Gläubigen sind diejenigen, die sich ihm anschließen und die mit ihm und durch ihn und in ihm dem Vater das eucharistische Opfer darbringen. Das ergibt sich aus den Texten der heiligen Messe ohne jeden Zwang. Bei der Darbringung des Kelches spricht im feierlichen Levitenamt der Diakon als Vertreter des Volkes das Aufopferungsgebet mit. Die Gläubigen werden mehrmals mit dem Priester zusammengefaßt als eine Opfergemeinschaft. So heißt es beispielsweise vor der heiligen Wandlung: „So nimm denn, Herr, wir bitten dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, deine Diener und deine ganze Familie“ – wir, deine Diener, der Priester, und deine ganze Familie, das gläubige Volk, „dir darbringen.“ Ähnlich nach der heiligen Wandlung: „Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, und bringen so deiner erhabenen Majestät ein reines, ein heiliges, ein unbeflecktes Opfer dar.“ Ähnlich ist es bei dem Wechselgebet der Präfation. Wenn der Priester das Volk auffordert: „Lasset uns danken dem Herrn!“, dann antwortet das Volk: Ja, so ist es richtig, und damit stimmt es zu; und die Präfation ist ja der Eingang zum Opfer. Und so spricht der Priester den ganzen Kanon als Vertreter der Volkes, und wenn der Kanon sich dem Ende nähert, in der großen Doxologie „Durch ihn und mit ihm und in ihm sei dir, Herr, alle Ehre und Verherrlichung“, da stimmt das Volk zu, indem es sagt: „Amen“, das heißt: Jawohl, so soll es sein. „Amen sagen“, schreibt der heilige Augustinus, „heißt seine Unterschrift geben.“ Wenn das Volk Amen sagt, stimmt es dem zu, was der Priester tut. Da zeigt sich, daß das ganze Volk priesterlichen Charakters ist und in einer zwar untergeordneten, aber durchaus realen Weise am Opfer beteiligt ist.

Wir opfern im eucharistischen Opfersakrament Christus, das ist unsere eigentliche Gabe; denn er ist das einzige unbefleckte Opfer. Wir brauchen einen wirklichen Opfergegenstand, der rein, heilig, unbefleckt, makellos ist. Aber die Opfergabe, die Christus ist, ist nicht die einzige. Wir opfern auch uns selbst. So wie Christus auf dem Altare liegt, sagen wir dem Vater im Himmel, so will ich auch vor dir liegen, nämlich in Ergebenheit, in Gehorsam und in Hingabe. Wir opfern uns selbst, bringen vor allem das Opfer unseres Willens dar. Wie beten wir vor der heiligen Kommunion: „Laß mich von deinen Geboten niemals abweichen und von dir nimmer getrennt werden.“ Das ist das Opfer des eigenen Willens. Wenn wir nur Christus opferten, dann wären wir zu wenig selbst beteiligt. Wir müssen also uns selbst opfern, denn am Opfer des Hauptes muß auch der Leib beteiligt sein. Christus ist unsere Opfergabe, aber darin sind eingeschlossen auch alle Glieder seines Leibes.

Und noch etwas opfern wir. Wir opfern auch das, was uns auf dieser Erde gehört. Wir bringen zeitliche Gaben dar. In der Frühzeit der Kirche sollte niemand zur heiligen Messe kommen, ohne daß er bestimmte irdische Dinge mitbrachte, vor allem natürlich Brot, Wein, Öl, Wachs. Diese Gaben wurden vor dem Altare niedergelegt, um zu zeigen: Wir opfern nicht nur uns selbst, sondern auch das Unsere. Diese Gabendarbringung ist heute nicht mehr üblich, aber sie ist nicht ganz verschwunden. Es gibt auch heute noch zwei Erinnerungen an diese Gabendarbringung, die von hohem theologischem Wert sind, weil sie nämlich zum Opfer gehören. Die eine dieser Erinnerungen ist das Meßstipendium. Man kann für die Feier einer heiligen Messe ein Geldopfer bringen, ein Opfer für eine heilige Messe. Das ist nicht eine Bezahlung; die Messe ist unbezahlbar, die kann man nicht bezahlen. Es wäre Simonie, ein Verbrechen, die Messe kaufen zu wollen. Das geht nicht. Aber ein Opfer kann ich bringen, also eine Gabe für ein Opfer, damit nämlich in diesem Opfer eines bestimmten Anliegens in besonderer Weise gedacht wird. Das Meßstipendium hat also einen hohen theologischen Wert. Es ist eine Weise, wie man sich besonders intensiv am Opfer beteiligt. Die andere Weise ist die Kollekte. Kollekte heißt Sammlung. Die Sammlung, die sich in dem Körbchen vollzieht, ist also nicht nur ein Beitrag für die Kosten des Gottesdienstes, für die Lichter, für den Wein und für die Gewänder, die der Priester trägt. Nein, die Kollekte ist ein Opfer. Sie soll ein Opfer sein. Sie soll eine Weise sein, wie sich unsere Hingabe an Gott verleiblicht. Die Kollekte ist also nicht ein rein finanzieller, ein bloß finanzieller Vorgang, sondern ein theologisch gefüllter Vollzug, eine Art und Weise, wie man sich an dem Opfer beteiligt. Das setzt natürlich voraus, daß diese Opfergaben entsprechend verantwortungsbewußt verwendet werden. Die Gläubigen dürfen nicht dadurch erschreckt und zurückgehalten werden, daß mit diesen Opfergaben leichtfertig umgegangen wird, sondern diese Opfergaben, die ja Gott gemacht werden und dann für irdische Zwecke verwendet werden, müssen auch in einem entsprechenden Verantwortungsbewußtsein den vorgesehenen guten Zwecken zugeführt werden.

Wenn die heilige Messe ein Gemeinschaftsopfer ist, dann muß sich das auch in der Feier ausdrücken. Das geschieht durch innere und äußere Teilnahme. Wer hier versammelt ist, der soll innerlich und äußerlich am heiligen Geschehen teilhaben. Entscheidend ist die innere Teilnahme. Das bloße Dabeisitzen ist wenig wert. Die innere Teilnahme ist die Erhebung des Herzens zu Gott. Sie vollzieht sich in der Weise, daß man sich Christus anschließt, der durch sein Todesleiden zum Vater geht, und daß man sich mit ihm aufopfert. Das ist die entscheidende Weise, aber auch die unerläßliche Weise, wie man das Meßopfer mitfeiern muß. „Jesus, du gehst zum Vater durch deinen Tod und deine Auferstehung. Nimm mich mit! Mein Heiland, nimm mich mit! Laß mich nicht zurück, sondern nimm mich mit zu deinem Vater!“ Wer so die heilige Messe mitfeiert, hat sie gut mitgefeiert.

Die innere Teilnahme aber soll sich nach Möglichkeit auch verleiblichen. Man soll in der Gemeinschaftsfeier auch gemeinschaftlich beten und singen. Damit soll kein Zwang ausgeübt werden, aber es drückt besser den Gemeinschaftscharakter aus, wenn ich mitbete und mitsinge. Die heilige Messe ist nicht eine Privatandacht für den einzelnen, auch nicht für den Priester, sie ist Gemeinschaftsfeier, und der Charakter als Gemeinschaftsfeier legt nun einmal notwendig dem einzelnen gewisse Pflichten auf. Wenn alle schweigen, wenn alle sich nicht beteiligen, kommt dieser Gemeinschaftscharakter, äußerlich jedenfalls, nicht oder nicht genügend zum Ausdruck. Die heilige Messe ist immer Gemeinschaftsfeier, ob viele oder wenige Gläubige teilnehmen, auch wenn der Priester sie allein feiert. Vor einiger Zeit schrieb einmal ein japanischer Missionar einen Brief und wandte sich gegen liturgische Verstiegenheiten, die aus Deutschland kommen, nämlich daß man die heilige Messe nicht feiern solle, wenn keine Gemeinde dabei ist. „Dann müßten wir in Japan“, schrieb der Missionar, „an den Werktagen die heilige Messe immer ausfallen lassen, denn die Japaner sind so arbeitsbesessen, da kommt am Werktag häufig kein einziger Mensch in die Messe.“ Es ist also ganz übertrieben, zu meinen, wenn nicht viele zur heiligen Messe kommen, solle man die Messe ausfallen lassen. Auch die vom Priester nur mit wenigen, ja auch die allein gefeierte Messe ist ein Gemeinschaftsopfer. Denn der Priester ist das Stellvertretungsorgan für das Haupt Christus, und Christus ist immer eine öffentliche Person. Wo er repräsentiert wird, da vollzieht sich immer ein öffentlicher Dienst. Es ist wünschenswert, daß möglichst viele sich auch an Werktagen zur Feier der heiligen Messe einfinden. Aber es ist unangebracht, wenn ein Priester, der nicht imstande ist, eine große Gemeinde um sich zu versammeln, das heilige Meßopfer unterläßt. Ich habe es in der Diözese Limburg erlebt, wie ein Neupriester in der Woche nach seiner Primiz, nach seinem ersten heiligen Meßopfer, die Messe ausfallen ließ, weil er, wie er sagte, keine Gemeinde habe. Das ist ein entschiedenes Mißverständnis des Öffentlichkeitscharakters auch der vom Priester allein oder mit wenigen Gläubigen gefeierten Messe.

Wenn wir das Gemeinschaftsopfer unserer Kirche dem Vater im Himmel darbringen, sind wir nicht allein. Die Kirchenväter sind davon überzeugt, daß unser Opfer sich eingliedert in die himmlische Liturgie, also in den Lobpreis, den die Engel und Heiligen Gott darbringen. So flehen wir ja in jeder heiligen Messe in der Präfation: „Laß uns einstimmen mit den Engeln, mit den Cherubim und Seraphim, und heilig, heilig, heilig rufen.“ Das ist keine Fiktion. Das ist eine Wirklichkeit. Die Engel umstehen den Altar und feiern mit uns die Liturgie. Wir stimmen ein in ihre himmlische Liturgie. Der Mittler Christus, durch den dem Vater im Himmel aller Lobpreis zuteil wird, vereint in sich den Lobgesang der himmlischen Geister und unserer Liturgie, und so wird eine Gemeinschaftsfeier von Himmel und Erde, das Gewaltigste und das Größte, was auf dieser Erde geschehen kann, die Vereinigung von himmlischer und irdischer Liturgie.

Das ist also der Grund, meine lieben Freunde, warum wir so glücklich sind, das heilige Meßopfer zu haben. Man hat in den vergangenen Jahrzehnten gemeint, man könne die Messe attraktiv machen, indem man alle möglichen Absurditäten in den Gottesdienst einführt, Tanz und Spiel und ähnliche Abgeschmacktheiten. Damit wird der heiligen Messe nichts dazugewonnen. Wenn nicht aus ihrem inneren Wesen die Begeisterung und die Erfülltheit für dieses Geschehen kommt, durch solche äußeren Mätzchen wird die heilige Messe gewiß nicht anziehend werden. Wir, meine lieben Freunde, die wir wissen, was unser Heiland uns offenbart hat, was die Kirche uns zu lehren gewiesen hat, wir, die wir das wissen, die wir so glücklich sind, den vollen Wert der heiligen Messe zu erkennen, wir wollen in diesem Opfer uns selbst einbringen, wollen den Vater im Himmel loben und ihm danken, wollen uns mit den Engeln und Heiligen zusammenschließen und wollen sprechen: „Heilig, heilig, heilig, Herr der Heerscharen! Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!“

Amen.

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