Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Oktober 1988

Die Vormesse

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Priester ist verpflichtet, jedes Jahr einmal über die heilige Messe zu predigen. Die Kirche weiß, daß dieses ihr Zentralgeheimnis den Gläubigen gar nicht genügend vertraut sein kann. Darum verpflichtet sie den Priester, über dieses Geheimnis wenigstens einmal im Jahre eine Predigt zu halten.

Wir wollen dieser Verpflichtung heute und an den folgenden Sonntagen nachkommen. Wir wollen also fragen, was das heilige Meßopfer bedeutet, welches sein Aufbau ist, und wie wir daran teilzunehmen haben. Das ist ja nichts Unbekanntes. Und dennoch bedarf es immer wieder der Erneuerung der Gedanken, um die einzelnen Teile der heiligen Messe in der von der Kirche gewünschten Intention mitzufeiern. Wir wollen deswegen am heutigen Tage anhand des Meßtextes die sogenannte Vormesse, den ersten Teil der heiligen Messe, betrachten.

Die heilige Messe zerfällt, wie ich andeutete, in zwei Teile, in die sogenannte Vormesse und in die Opfermesse. Die Vormesse reicht vom Stufengebet bis zum Credo. Danach beginnt die Opfermesse bis zum Schluß. Die Vormesse ist, wie schon der Name sagt, eine Vorbereitung auf die Opfermesse. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Opfermesse, aber sie ist eben vorbereitender Art. Durch das Hören des Wortes und durch Gebet wird der Mensch zugerüstet für die Feier des Opfers.

Bei den Texten der heiligen Messe sind zwei große Massen zu unterscheiden, nämlich die feststehenden Texte, die in jeder heiligen Messe vorkommen, und die beweglichen, die sich von Messe zu Messe, von Tag zu Tag, von Sonntag zu Sonntag ändern. Auf dieser Tafel sind diese beiden Massen angegeben. Immer steht die Nummer 112 an erster Stelle, das ist der Kern der Messe, die feststehenden Teile. Danach folgt die Nummer 227, sie gibt die beweglichen Teile an, heute für den 19. Sonntag nach Pfingsten.

Das Meßopfer hebt an vor der untersten Stufe des Altares, und danach heißt das erste Gebet Stufengebet. Der Priester beginnt das Gebet vor der untersten Stufe gleichsam im Vorhof des Heiligtums. Er tut es im Bewußtsein seiner Unwürdigkeit und im Verlangen nach letzter Entsühnung. Deswegen beginnt er das Meßopfer vor der ersten Stufe. Er macht den Anfang im Zeichen des Kreuzes, denn das ist das Zeichen, in dem die ganze heilige Messe gefeiert wird. Die Messe ist ja die Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers von Golgotha, und deswegen muß das erste Zeichen der heilige Messe, das 33 mal wiederholt wird, das Kreuz sein. Und selbstverständlich ist das Kreuzzeichen verbunden mit der Anrufung der heiligsten Dreifaltigkeit, denn das Meßopfer wird im Angesicht der Majestät des dreieinigen Gottes dargebracht.

An das Kreuzzeichen schließt sich der Psalm „Judica“. Dieser Psalm bittet um Schutz und Stärkung, um den Heiligen Geist, um Licht und Wahrheit, damit man würdig, in der rechten Gesinnung zum Altare Gottes hintreten kann. An den Psalm „Judica“ schließt sich das Bekenntnis der Sünden und die Bitte um Vergebung. Wir sind ja immer in der Schuld vor Gott. Auch wenn wir würdif gebeichtet haben, bleiben Sündenreste, Sündenneigungen, Sündenstrafen, und deswegen ist es höchst geziemend, in Reue und Buße um Reinigung vom täglichen Sündenstaub, um Erneuerung der Taufgnade zu bitten. Diese Bitte verbinden wir mit der der Heiligen. Wir rufen die Gemeinschaft der Heiligen an, 10 mal in der Messe, 10 mal. Denn wir wissen, daß wir mit der leidenden und mit der triumphierenden Kirche, wir, die auf Erden kämpfende Kirche, verbunden sind. Und so beten wir also das Schuldbekenntnis, und am Schluß steht eine außersakramentale, eine nichtsakramentale Lossprechungsbitte des Priesters. Anschließend fleht der Priester, weil die Sünde Abwendung von Gott ist, daß Gott sich uns zuwenden möge. „Wende dich zu uns!“ Die Abwendung wird jetzt abgelöst durch die Zuwendung Gottes zu uns. Das Stufengebet, das Confiteor, das ist unser tägliches Bußgebet, unsere tägliche Bußandacht.

Dann spricht der Priester zum erstenmal den wiederholt vorgetragenen Gruß „Der Herr sei mit euch!“ Er wünscht den Gläubigen das Beste, was man ihnen wünschen kann, nämlich die Gemeinschaft des Herrn. Und die Gläubigen wünschen dem Priester ebenfalls das Beste: „Auch mit dir, mit deinem Geiste!“ Mit gereinigter Seele wagt nun der Priester den Schritt ins Heiligtum und küßt den Altar. Ja, warum küßt er denn den Altar? Weil der Altar ein Symbol Christi ist. Wenn er also den Altar küßt, dann meint er damit Christus, will er ihm die Liebe ausdrücken, in der er zum Altare emporschreitet. Außerdem sind im Altar Reliquien von den Heiligen, und auch an sie wird gedacht, und ihre Fürbitte wird erneut angerufen. Dann betet oder singt die Gemeinde das Eingangslied. Darin wird das Festgeheimnis angedeutet, gewissermaßen das Motto ausgegeben, das Leitmotiv, um mit Richard Wagner zu sprechen, das Leitmotiv für diese heilige Messe.

Es schließt sich der dreimalige Ruf um Erbarmen an in der griechischen Sprache – der einzige Text, der in der lateinischen Messe noch griechisch ist – Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison, und zwar an die drei göttlichen Personen gerichtet, erst an den Vater, dann an den Sohn, schließlich an den Heiligen Geist. Das ist unser täglicher Adventsruf nach dem erwarteten Gott.

Es folgt das Gloria. Das ist uns vertraut, das ist Weihnachtsmusik. Das ist ja der Gesang, den die Engel auf den Fluren von Bethlehem gesungen haben, ein Preislied. Wir sind ja zusammengekommen, Gott zu preisen und ihm zu danken, und das Gloria ist ein Preis- und Danklied an den dreifaltigen Gott. Heute etwa, am Sonntag, an dem das Erntedankfest gefeiert wird, klingt das Danken, das Loben über den Herrn der Natur in dem Gloria mit. Das Gloria ist gewissermaßen ein täglicher Weihnachtsgesang, in dem wir uns mit den Engeln auf den Halden von Bethlehem zusammenschließen.

Anschließend betet der Priester das sogenannte Kirchengebet oder Tagesgebet, Oration genannt. Oremus – Lasset uns beten. Wenn Sie aufpassen, dann merken Sie, daß der Priester danach eine kleine Pause macht, denn es ist eine Aufforderung an die Gläubigen, jetzt im Herzen ihre persönlichen Gebete an Gott zu richten. Wenn die Pause beendet ist, faßt der Priester gleichsam das zusammen, was die einzelnen Gläubigen im Herzen gebetet haben und bringt es vor den Vater der Lichter, und zwar in einer dreifachen Gestalt. Zunächst eine Anrede, Gott wird angeredet, dann wird ein Geheimnis des Glaubens genannt und der Kernpunkt der Tagesfeier, und schließlich kommt die Bitte um Gnade. Das alles geschieht durch die Anrufung der Mittlerschaft Christi: „Durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Das Wort „durch“ deutet die Mittlerschaft an. Die Gebete gehen zum Vater im Himmel durch unseren Mittler Jesus Christus.

Bis jetzt haben wir zu Gott gesprochen. Im Folgenden spricht Gott zu uns. Er redet zu uns in der Lesung und im Evangelium. In der Lesung spricht ein Prophet oder ein Apostel, die ja von Gott inspiriert sind und in denen Gottes Weisheit zu uns kommt. Belehrend, mahnend spricht durch sie Gott in der Lesung zu uns. Gewöhnlich haben die Lesungen einen stark moralischen Charakter. Sie mahnen, sie rufen auf zur sittlichen Lebensführung, zum Halten der Gebote.

Die beiden Lesungen sind getrennt durch den Zwischengesang. Der erste Teil des Zwischengesanges ist das Echo auf die Lesung, der zweite Teil will die Vorbereitung auf das Evangelium sein. Echo und Vorbereitung, das ist der Sinn dieses Zwischengesanges. Das Alleluja, das dabei gesungen wird, deutet an, daß jede Meßfeier eine kleine Osterfeier ist, weil wir ja den auferstandenen Christus feiern. Der Gekreuzigte und der Auferstandene ist unter uns in der Gestalt des verklärten Leibes. Beim Evangelium sind noch bestimmte Vorbereitungen zu beachten. Der Priester neigt sich, wenn Sie Obacht gegeben haben, und betet ein Gebet, in dem er darum fleht, mit reinem Herzen und mit reinen Lippen das Evangelium verkünden zu dürfen. Er erinnert an den Propheten Isaias, dem Gott durch einen Engel die Lippen mit glühender Kohle gereinigt hat. Und so fleht der Priester: „Reinige mein Herz und reinige meine Lippen!“ Vor dem Reinsten kann niemand rein genug sein.

Das Evangelium ist dann die unmittelbare Ansprache des Heilandes, der auf Erden gewandelt ist, an uns. Es gibt nur ganz wenige Evangelien, in denen Jesus nicht unmittelbar spricht, z.B. das Evangelium am Tage des Gedächtnisses der Hinrichtung des Täufers Johannes, da ist kein Wort des Heilandes enthalten. Aber sonst ist es in allen Evangelien das Wort, das unmittelbare Wort Christi, das an uns ergeht. Und auch da, wo der Herr nicht unmittelbar spricht, ist es doch Frohbotschaft, Verkündigung dessen, was Jesus für uns getan, gelitten und gelehrt hat.

Zum Zeichen der Ehrfurcht erheben wir beim Evangelium. Wir stehen dazu und vernehmen das Evangelium stehend. Ehrfurcht kann man ausdrücken durch Stehen, aber natürlich auch durch Knien, und die tiefste Ehrfurcht drückt sich wohl in der knienden Haltung aus.

Wenn an das Evangelium das Glaubensbekenntnis angeknüpft wird, wie an jedem Sonntag oder an manchen Tagen der Woche, dann ist das als Antwort gedacht. Wir haben die Botschaft Christi vernommen, jetzt kommt unsere Antwort: Ja, wir glauben. Wir glauben das, was der Herr gelehrt hat. Wir glauben das, was er durch seine Kirche verbindlich zu glauben vorlegt. Wir glauben – Credo in unum deum, und zwar beten wir das Glaubensbekenntnis, welches das Konzil von Nicäa festgelegt hat im Jahre 325. Es ist dann noch einmal erweitert worden durch das Konzil von Konstantinopel im Jahre 381, und so ist es jetzt unser schönes nizeno-konstantinopolitanisches Credo, das viel gehaltvoller ist als das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, das wir beim Rosenkranz beten. Denn nur das nizeno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis enthält eine ausgefaltete Lehre von der Dreieinigkeit. „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott. Gezeugt, nicht geschaffen.“ Danach kommt die entfaltete Lehre über Christus, über sein Lebenswerk, über seine Heilstaten, und am Schluß stehen die großen Wahrheiten, die unsere Hoffnung begründen.

Das, meine lieben Freunde, ist in Kürze und überblickartig die sogenannte Vormesse. Wir treten im Bewußtsein unserer Unwürdigkeit vor Gott. Wir flehen um Entsühnung, wir bringen unsere Bitten vor Gott, unsere Not, unsere Anliegen, aber auch die Not und die Anliegen der ganzen Welt. Wir preisen Gott für seine Herrlichkeit. Wir dürfen uns nicht im Bittgebet verlieren, das ist die Mahnung, die das Gloria an uns richtet: Nicht immer nur bitten, auch loben und danken. Gott will, daß das Meßopfer nicht nur ein Bittopfer, sondern auch ein Lob- und Dankopfer sei. Deswegen ist das Gloria, das in der neuen Messe meist ausfällt, uns so teuer und so wertvoll.

Es kommt dann Gottes Ansprache an uns in Epistel und Evangelium. Wir hören, wir nehmen auf, wir lauschen auf seine Weisungen, diese sakrosankten Worte, die kein modernistischer Exeget zerstören kann, die keine Auflösung uns rauben darf, diese heiligen Worte, von denen der große Bischof Sailer einmal gesagt hat: „Leben möchte ich nicht mehr, wenn ich IHN nicht reden hörte!“ Und wir antworten darauf mit dem Glaubensruf: Ja, wir glauben! Wir glauben, was du, o Gott, geoffenbart hast und durch deine heilige Kirche uns zu glauben vorstellst. Vermehre, o Gott, meinen Glauben!

Und so zugerüstet, gereinigt, bereitet, mit Lob und Dank im Herzen, mit Willigkeit und Gehorsam, können wir dann eintreten in das Opfer, in dem wir uns mit Christus opfern sollen.

Amen.

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