Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. März 1988

Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten das Gesetz betrachtet und das Gewissen. Das Gesetz ist die Norm, das Gewissen ist die Antenne, mit der wir diese Norm in uns aufnehmen. Unter den Geboten gibt es eine Rangordnung. Die beiden wichtigsten Gebote sind die zwei Gebote der Liebe, der Gottesliebe und der Nächstenliebe.

Als der Herr gefragt wurde, welches das wichtigste Gebot sei, antwortete er: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften. Dieses ist das erste und größte Gebot. Ein anderes aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächstn lieben wie dich selbst!“

Diese Verkündigung Jesu hat klare Marken gezogen, welche Bedeutung dem Liebesgebot zukommt. Es ist das erste und größte Gebot. Schon im Alten Testament wurde die Gottesliebe und die Nächstenliebe eingeschärft, aber der Herr hat sie mit besonderer Betonung in den Mittelpunkt unseres sittlichen Lebens gehoben. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten, d.h. wer diese beiden Gebote erfüllt, der erfüllt alle anderen auch, denn diese beiden Gebote schließen die anderen Gebote in sich. Die Gottesliebe faßt die ersten vier Gebote des Zehn-Gebote-Gesetzes in sich. Die ersten vier Gebote, also Gott die Ehre erweisen, ihm seinen Dienst verrichten, seine Stellvertreter ehren, sie sind enthalten im Gebot, Gott zu lieben. Die übrigen sechs Gebote sind zusammengefaßt in dem Gebot, den Nächsten zu lieben. Wer den Nächsten liebt, tut ihm kein Unrecht. Er vergeht sich nicht an seinem Leben, an seiner Unschuld, an seiner Ehre, an seinem Hab und Gut.

Diese beiden Gebote sind also tatsächlich der Inbegriff des christlichen Lebens. Wer sie beobachtet, der hat getan, was ihm aufgetragen war. Ohne diese beiden Gebote zu erfüllen, kann niemand selig werden, bleibt im Tode, sagt der Apostel Johannes. Das bedeutet, wer die Liebesgebote, wer das eine große, in zwei Gestalten auftretende Liebesgebot nicht erfüllt, der kommt nicht zum Leben Gottes. „Wer nicht liebt, bleibt im Tode.“

Es ist so, wie wenn jemand einen weiten Weg machen will und er hat nur einen Fuß. Damit kommt er niemals ans Ziel. Wir brauchen zwei Füße, um wandern, um richtig ausschreiten zu können. Ein Vogel kann sich nur in die Luft erheben, wenn er zwei Flügel hat. Mit einer Schwinge schafft er es nicht. Ähnlich ist es mit der doppelten Gestalt des Liebesgebotes. Auch die Seligen des Himmels lieben Gott und lieben einander. Wenn wir in diese Gemeinschaft kommen wollen, müssen wir Gott und den Nächsten lieben.

Von uns aus sind war dazu nicht fähig. Die Fähigkeit zu der Gottes- und Nächstenliebe kommt mit der heiligmachenden Gnade, also mit der Taufe oder mit der Buße. Wenn die heiligmachende Gnade in unser Herz kommt, da erhalten wir auch die Fähigkeit, Gott und den Nächsten zu lieben. Durch die Erbsünde sind wir geschwächt und in uns verkrümmt. Es geht uns so wie einem Mandelbaum oder einem Dattelbaum, der in günstiger gelegenen Gegenden Frucht trägt, aber bei uns kommt er nicht zur Frucht. So ist es also auch mit der Gottes- und Nächstenliebe. Nur in der Kraft der Gnade vermögen wir Gott und den Nächsten zu lieben.

Gottes- und Nächstenliebe sind unzertrennlich miteinander verbunden. Man kann nicht das eine ohne das andere haben. Wer Gott liebt, richtig liebt, wahrhaft liebt, liebt auch den Nächsten. „Wenn du,“ sagt der Apostel Johannes, „sagst: Ich liebe Gott, aber deinen Bruder haßt, dann bist du ein Lügner!“ Die Gottesliebe drängt zur Nächstenliebe. Wer Gott liebt, kann nicht den Bruder hassen. Gott, den man nicht sieht, muß man lieben, und auch den Bruder, den man sieht, muß man lieben. Gottes- und Nächstenliebe sind wie zwei Zweige an einem Stamm. Sie gehören unzertrennlich zusammen. Die Nächstenliebe ist die Probe auf die Gottesliebe. Wenn wir wissen wollen, ob unsere Gottesliebe echt ist, dann fragen wir uns, was wir für den Nächsten empfinden. Wer den Nächsten haßt, beneidet, ihm den guten Namen nimmt, der muß sich ernsthaft fragen, ob er noch Gottesliebe besitzt. Gott lieben und den Nächsten lieben, das ist unsere Aufgabe hier auf Erden.

„Neige mein Herz, o Herr, zu deinen Geboten! Laß mich dich lieben, wie du geliebt werden willst! Laß mich den Nächsten lieben, wie er es braucht und wie er es verdient!“

Amen.

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