Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 1987

Die Dankbarkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, dir immer und überall Dank zu sagen.“ Dieser inhaltsschwere Satz steht in der Präfation jeder heiligen Messe. Hier wird keine Ausnahme gemacht von der Danksagung. Es ist in Wahrheit würdig und recht, dir immer und überall Dank zu sagen. Unser Leben zeigt uns, wie schwer diese Forderung zu erfüllen ist, denn wir haben, jedenfalls die Älteren von uns, Situationen erlebt, in denen uns ganz anders zumute war als Dank zu sagen, Situationen, in denen wir geklagt, ja Gott angeklagt haben, daß er uns in diese Lage kommen ließ. Und doch bleibt – auch in der Totenpräfation – der Satz erhalten: „Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, dir immer und überall  Dank zu sagen.“

Also auch am Beginn eines neuen Jahres Dank zu sagen für das vergangene Jahr mit den Lasten und Beschwerden, die es gebracht hat. „Dankbar sollst du immer sein, ist die Gabe noch so klein,“ sagt der Volksmund. Danken heißt, die Wohltat von anderen anerkennen und sie zu vergelten trachten. Der Dank gilt zuerst Gott; denn so steht es im Jakobusbrief, daß jede Gabe, jedes vollkommene Geschenk von oben kommt, vom Vater der Lichter. Gott ist der Hauptursächliche bei allem, was an Gaben und Wohltaten uns zukommt. Er ist die Erstursache, auch wenn die Wohltaten und Gaben durch viele Zweitursachen zu uns kommen. Er ist es, der in den Herzen der Menschen das Wohltun anregt mit seiner Gnade. Er ist es, der das Beginnen und das Vollenden schenkt. Deswegen gebührt der Dank immer in erster Linie Gott.

In der Heiligen Schrift gibt es schöne Beispiele für dankbare Menschen. Als Noe nach der Sintflut aus der Arche stieg, da brachte er ein Dankopfer dar; und in den Psalmen ist oft die Rede von der Dankespflicht, die Menschen Gott abzustatten haben und abgestattet haben. „Wie kann ich dem Herrn vergelten für alles, was er mir Gutes getan hat? Den Kelch des Heiles will ich nehmen und anrufen den Namen des Herrn!“

Als Kolumbus im Jahre 1492 das erste Land nach seiner monatelangen Seereise entdeckte, da nannte er diese Insel aus Dankbarkeit „San Salvador“, d.h. heiliger Erlöser. Wir bringen jeden Tag das Dankopfer dar. Es ist kein falscher Name, die heilige Messe als Eucharistie, d.h. als Danksagung zu bezeichnen. Man muß nur hinzufügen, daß die Danksagung in der heiligen Messe sich nicht allein durch Worte, sondern vor allem durch Darbringung des Opfers vollzieht. Unsere Messe ist ein Dankopfer. Sie ist die Darbringung des Kreuzesopfers Christi in sakramentaler Gestalt zum Danke für das, was der Herr uns getan hat. Deswegen erinnern wir uns in der heiligen Messe seiner heilbringenden Wirksamkeit, vor allem seines heilbringenden Leidens und seiner heilbringenden Auferstehung. Nach der heiligen Wandlung gedenkt der Priester immer, getreu der Weisung des Herrn, dieser vorzüglichen und größten Heilstaten. Es gibt andere christliche Bekenntnisse, die erwähnen an dieser Stelle auch die Menschwerdung, was nicht falsch ist.

Wir gedenken also in der heiligen Messe der Großtaten Gottes in Dankbarkeit, indem wir das Opfer, das uns das Heil bewirkt hat, in unblutiger Gestalt erneuern. Es ist die Messe wahrhaft eine Danksagung.

Dankbar sollen wir Gott für alles sein, auch für die Lasten und Beschwerden unseres Lebens. Ich habe schon oft Menschen getroffen, die mir gesagt haben: „Ja, wenn ich anderswo wäre, oder wenn ich einen anderen Partner hätte, oder wenn ich einen anderen Beruf gelernt hätte, da hätte ich mich entfalten können.“ Sie klagten, daß ihr Leben gescheitert sei, weil die rechten Umstände und die rechten Menschen angeblich nicht in ihrem Leben erschienen seien. Das ist ganz töricht, meine lieben Freunde, es ist auch undankbar. Gott weiß, warum er uns in diese Lage hineingestellt hat. Gott weiß, warum er uns diese Menschen auf den Weg geschickt hat. Es sind die Menschen unserer Umgebung und es sind die Situationen unseres Lebens, für die wir danken müssen. „Es ist in Wahrheit würdig und recht, dir immer und überall Dank zu sagen.“

Als der heilige Chrysostomus, der Patriarch von Konstantinopel, in die Verbannung geführt wurde und in seinem Elend dem Tode nahe war, da sprach er die ergreifenden Worte: „Dank sei Gott für alles!“ Für alles! Also nicht bloß für das, was wir als angenehm empfinden, sondern auch für das, was an Beschwerlichem, was an Belastendem – das war sicherlich genug bei Chrysostomus – auf dem Leben ruht. Dank sei Gott für alles!

Es ist gar schwer, meine lieben Freunde, für Leiden zu danken, und man braucht nur Besuche in den Kliniken zu machen, um zu erkennen, was alles über einen Menschen kommen kann und wie schwer es fällt, dankbar zu bleiben. Aber ich glaube, daß es kaum einen Menschen geben wird, der, wenn er die richtige Gesinnung hat, nicht für irgendetwas dankbar sein kann. Auch der am schwersten Betroffene wird noch Anlaß zur Dankbarkeit haben. Ich besuchte einmal eine alte Mutter von über 80 Jahren. Sie hatte einen Sohn, der schwer krebskrank war, und die Mutter pflegte ihn. Da er noch jung war, konnte er nicht schnell sterben, es dauerte lange bis zum Tode. Ich sagte zur Mutter: „Wenn er doch sterben könnte!“ „O,“ sagte die Mutter mir, „ich bin dankbar für jeden Tag, den ich ihn noch habe.“

Dankbar müssen wir aber an zweiter Stelle auch den Menschen sein, den Menschen, die Gott an unsere Seite gestellt hat, in deren Herzen er das Gutsein und das Wohltun erweckt hat. Gott will, daß wir den Menschen dankbar sind, die uns Gutes tun. Als er die zehn Aussätzigen geheilt hatte und nur einer zurückkam, um sich zu bedanken, da fragte der Heiland verwundert: „Ja, wo sind denn die anderen neun? Hat sich keiner gefunden, der Gott die Ehre gäbe außer diesem Fremdling?“ Also: Wir sollen dankbar sein auch den Menschen, durch die Gott Großes wirkt.

Im Alten Bunde gibt es ergreifende Beispiele solcher Dankbarkeit gegenüber Menschen. Vor allem David war ein sehr dankbarer Mensch. Jonathan, der Sohn des Saul, hatte ihm mehrfach das Leben gerettet angesichts der Nachstellungen durch den König Saul. Als er dann im Kampf gefallen war, nahm sich David des Sohnes des Jonathan an, speiste ihn an seinem Tische, zog ihn an seinen Hof und gab ihm alle die Güter zurück, die Saul besessen hatte. Oder ein anderes Beispiel: Als David einmal in Hungersnot war, da speiste ihn ein 80-jähriger Greis. Er wollte diesen Greis dann, als die Hungersnot vorüber war, in seine Königsstadt mitnehmen. Als der Greis ablehnte, da zog er den Sohn dieses Greises an seinen Hof und bewahrte ihm das ganze Leben die Dankbarkeit, gab sogar seinem Sohne Salomon noch die Aufgabe, diesem Manne Dankbarkeit zu bezeigen.

Dankbarkeit wirkt versöhnlich. Wenn wir uns bei den Menschen bedanken, wenn wir also ihre guten Taten anerkennen und wenn wir sie zu vergelten trachten, dann fühlen die Menschen – und das ist ja durchaus berechtigt – sich gehoben und sind glücklich darüber, daß eben anerkannt wird, was sie getan haben. Wir sollten den Menschen auch für kleine Wohltaten unseren Dank aussprechen und ihn möglichst durch die Tat beweisen. Worte sind wichtig, aber die Taten sind noch wichtiger, sie wiegen schwerer auf der Waage Gottes.

Freilich macht man oft die Erfahrung, die der Volksmund in die Worte faßt: Undank ist der Welt Lohn! Das darf uns nicht verbittern. Undank darf kein Anlaß sein, daß wir den Menschen keine Wohltaten mehr spenden.

Die heilige Katharina von Siena brachte oft einer alten Frau Lebensmittel und kümmerte sich um sie, nahm sich ihrer an in ihrem Alter und in ihrer Krankheit. Aber die Frau war völlig undankbar, beschimpfte sie, verdächtigte ihre Unschuld. Da sagte eines Tages die Mutter der heiligen Katharina zu ihr, warum sie denn zu dieser undankbaren Frau immer noch hingehe. Katharina gab zur Antwort: „Ja, Mutter, erinnerst du dich nicht daran, wie der Heiland am Kreuze, als er für die Menschheit litt, Undank und Verspottung erfahren und trotzdem nicht aufgehört hat, seine Leiden bis zum Ende, bis zum Vollbringen weiterzutragen?“ Das war die Antwort, die die heilige Katharina von Siena gegeben hat, als die Mutter sie auf die Undankbarkeit der von ihr betreuten Frau hinwies.

So wollen auch wir uns durch keine Undankbarkeit entmutigen lassen. Wir wollen weiterhin uns bemühen, Gutes zu tun, ohne Aussicht auf Vergeltung und ohne Rechnen auf Lohn. Gott weiß es, in seinem Buche ist es eingetragen, Gott weiß, was wir getan haben. Gott vermerkt alles und vergißt nichts.

So soll der erste Tag dieses Jahres, meine lieben Freunde, in uns die Gesinnung der Dankbarkeit erwecken. Wir wollen uns vornehmen, daß wir aufmerksamer als bisher auf Gottes Führung und Vorsehung sowie auf der Menschen Wohltaten achten wollen. Wir wollen uns vornehmen, dafür zu danken, nicht nur mit Worten, sondern auch durch die Tat.

In einem Pfarrhaus habe ich einmal den schönen Spruch gelesen: „Das will ich mir schreiben in Herz und Sinn, daß ich nicht für mich auf der Erde bin; daß ich die Liebe, von der ich lebe, liebend an andere weitergebe.“

Amen.

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